Ich drückte mich etwas weiter in die Gasse, hoffte, dass keiner der Vorbeigehenden mich bemerkte. Wenn Toby wüsste, was ich hier tat, hätte er mir vermutlich den Kopf abgerissen. Aber ich war einfach zu nervös. Meine Hände zitterten und mir war kalt, obwohl sich der Sommer an diesem Tag wieder von seiner besten Seite gezeigt hatte und es noch nicht abgekühlt war. Die Vorstellung, dass ich mich gleich in der Sportsbar eine Straße weiter mit meiner Affäre und der Affäre meiner Affäre traf, ließ meine Nerven blankliegen. Nicht einmal der Joint half so recht. Doch noch einen rauchen wollte ich nicht. Ich war mir sicher, Toby würde das Ganze ablasen, wenn er mitbekam, dass ich nicht hundertprozentig Herr meiner Sinne war.
Dabei fiel mir auf, dass Toby vermutlich nicht einmal wusste, dass ich ab und zu Gras rauchte, obwohl ich mich noch immer gern vor Auftritten auf diese Art beruhigte. Allgemein hatte er mich nur selten rauchen sehen. Vor allem, wenn er im Exile gewesen war und ich bei Mat geschnorrt hatte, aber auch ein, zwei Mal, wenn wir gemeinsam auf der Terrasse gesessen hatten. Aber eben nie einen Joint. Warum auch? Normalerweise machte mich der Gedanke an ihn nicht nervös.
Enttäuscht sah ich auf den kleinen Stummel in meiner Hand. Nur noch ein Zug, dann musste ich mich entscheiden. Entweder ich machte mich nun endlich auf den Weg oder ich ging wieder nach Hause. Andererseits hatte ich nicht das Gefühl, dass ich dort ankommen würde. Vielmehr würde ich wohl in einen Club gehen und mich volllaufen lassen. Irgendwie nicht die beste Alternative, immerhin konnte ich stolz behaupten, seit mittlerweile über drei Monaten keinen Absturz mehr gehabt zu haben. Die Aussicht, diese Serie zu unterbrechen, war nicht verlockend. Zumal ich Toby und Roger versprochen hatte, das nicht mehr zu tun.
Mit geschlossenen Augen inhalierte ich den letzten würzigen Zug, dann drückte ich den Joint an der Wand aus und zertrat ihn am Boden. Scheinbar war ich nicht der Einzige, der diese Ecke für eine kurze Auszeit missbrauchte. Nicht nur die Reste der illegalen Tabakwaren zeugten von den schmutzigen Vorgängen in der Gasse.
Nach einem letzten tiefen Atemzug machte ich mich auf den Weg. Ich war noch nie in der Bar gewesen, doch Toby hatte versprochen, dass man dort passables Essen bekam und es außerdem nicht so laut war wie in einem Club. Trotzdem würden wir keine schrägen Blicke kassieren, denn offenbar war es eine Gaysportsbar. Bisher hatte ich nicht einmal gewusst, dass es so etwas gab.
Mir wäre es deutlich lieber gewesen, wenn wir uns bei Toby und Roger getroffen hätten. Zwar war ich nicht so oft oben in der Wohnung, aber es wäre dennoch vertraut. Doch Toby bestand auf einen neutralen Treffpunkt, damit ich mich entscheiden konnte, ob ich das Angebot wirklich annahm. Wenn ich kalte Füße bekam, musste ich mich nicht einmal zu ihnen gesellen.
Nachdem ich die Bar betreten hatte, brauchte ich eine Weile, bis ich sie fand. Ich hatte nicht mehr als eine kleine Theke, Stehplätze und ein paar Fernseher erwartet, aber tatsächlich war es recht gemütlich. Klar, die Fernseher gab es, aber auch eine ganze Menge Tische. Außerdem war es um ein Vielfaches größer als erwartet. Und deutlich voller. Dennoch konnte ich Toby und einen jungen Mann in einem etwas entlegenerem Teil der Bar entdecken.
Bevor ich mich zu ihnen auf den Weg machte, bestellte ich mir einen leichten Drink an der Bar. Mit etwas Glück würde es den Grasgeruch überdecken und Toby die geweiteten Pupillen auf den Alkohol schieben.
Statt mich direkt zu ihnen zu begeben, beobachtete ich sie aus sicherer Entfernung. Der Mann mit den dunklen Haaren war vielleicht ein paar Jahre älter als ich, aber noch keine Dreißig. Mit dem Drei-Tage-Vollbart, der Haarfarbe, den ausgeprägten Augenbrauen und der athletischen Statur erinnerte er mich an Marek, meine Bekanntschaft aus Berlin. Das war schon einmal kein guter Start. An diesem Mann hingen zu viele schlechte Erinnerungen.
Doch als er Toby breit angrinste und ihm frech die Zunge herausstreckte, wich die Ähnlichkeit. Der Deutsche war zu ernst gewesen, hätte sicher nicht so herumgealbert. Vielmehr ging das in Rogers Richtung. Scheinbar stand Toby wirklich auf diese freche Art.
Er reagierte mit einem leichten Kopfschütteln auf die Provokation und wuschelte dem anderen so kräftig durch die absichtlich wirren Haare, dass dieser den Kopf senken musste. Die Gelegenheit nutzte ich, um mich den beiden zu nähern.
Toby bedachte mich mit einem warmen Lächeln und ließ ihn los, als er mich bemerkte. Er rutschte in der Bank etwas ein, sodass ich mich neben ihn setzen konnte. Sobald ich das getan hatte, umarmte er mich. »Hallo Kleiner.«
Ich antwortete mit einem knappen »Hey« und ließ dabei den Fremden nicht aus den Augen. Auch wenn ich eingewilligt hatte, änderte das nichts daran, dass ich noch immer unsicher war, wie gut das funktionieren würde.
Der Mann uns gegenüber lächelte und streckte mir die Hand entgegen. »Hi. Ich bin Spence.«
»Hallo. Samsa«, entgegnete ich und schüttelte die Hand. Den tadelnden Blick, den Toby mir zuwarf, ignorierte ich. Schon allein, mich als Samsa vorzustellen, half mir über die Unsicherheit hinweg. Schließlich konnte ich mir dann keine Schwäche erlauben.
»Ah ja, Samsa ...« Skeptisch sah Spence zu Toby. Ich war mir nicht sicher, ob er mit dem Namen etwas anfangen konnte und es mir nicht glaubte oder ob er ihn einfach nur merkwürdig fand.
Doch Toby ging nicht darauf ein. »Habt ihr beiden schon was gegessen? Oder habt ihr etwas dagegen, wenn ich mir was bestelle? Ich komm direkt aus dem Studio und hab Kohldampf.«
Da er mir dabei einen kurzen Blick zuwarf, willigte ich ein, ebenfalls zu essen. Sehr viel Hunger hatte ich nicht, aber Toby vermutete richtig, dass ich bis auf ein kleines Frühstück noch nichts gegessen hatte. Auch Spence stimmte zu, sodass wir uns gemeinsam eine große Portion Steak Tips mit Pommes teilten. Nach Tobys Aussage würde das für uns drei locker reichen.
Er sollte damit recht behalten. Es war noch nicht einmal die Hälfte leer, da gab ich bereits auf. Stattdessen versuchte ich, mit Spence ins Gespräch zu kommen. Bisher hatten wir uns hauptsächlich mit Toby unterhalten, doch ich wusste, damit ich am Ende wirklich mit ihnen beiden mitging, musste ich wenigstens etwas Vertrauen in den Typen gewinnen.
Leider torpedierte Spence diese Versuche. Immer wieder lenkte er das Gespräch so, dass auch Toby stark mit einbezogen wurde.
Als Spence kurz aufs Klo verschwand, lehnte ich meinen Kopf gegen Tobys Schulter.
Er legte den Arm um mich und küsste mich auf die Stirn. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja, ich glaub schon. Ich weiß nur nicht, ob ich nachher mitkomme.« Ich rieb meinen Kopf leicht an Toby, um seinen Geruch aufzunehmen. »Ich hab nicht das Gefühl, dass er Interesse hat.«
»Mhm. Magst du gleich mal auf Toilette und ich red mit ihm? Es kann sein, dass er das gar nicht mitbekommt. Er ist etwas ... speziell.« Tobys Finger wanderten zärtlich über die Haut an meinem Oberarm.
»Ja okay, von mir aus. Aber ich weiß trotzdem nicht, ob das klappt.«
Toby zog mich etwas fester an sich. »Du kannst auch erstmal mitkommen und dich dann immer noch umentscheiden. Entweder fährt Spence dann nach Hause oder du gehst runter zu Roger.«
Ich nickte. Das klang zumindest nach einem Plan. Roger würde sich in dem Fall freuen. Zumal ich Toby eine Freude machen wollte und ein Hemd angezogen hatte. Dann würde es halt seinem Freund zufallen, es aufzuknöpfen. Damit stand zumindest meine Entscheidung, auf jeden Fall mit nach Medford zu fahren.
Nach einem kurzen Kuss löste ich mich von Toby. Seine Zuneigung war zwar gut, aber auch erst einmal genug. Mehr würde ich mir entweder später oder bei Roger holen. So öffentlich war mir das durchaus ein wenig unangenehm. »Ich hol mir kurz was zu trinken. Soll ich dir etwas mitbringen?«
Toby wirkte kurz skeptisch, musterte mich intensiv, verneinte meine Frage dann jedoch. Was auch immer ihn gestört hatte, war entweder nur halb so schlimm oder er würde es später in Ruhe ansprechen. Dafür kannte ich ihn mittlerweile gut genug.
Als ich mit meinem Getränk wieder zurück zum Tisch wollte, sah ich, dass Toby und Spence noch diskutierten, und entschied mich, eine Weile zu warten. Zumindest an Tobys Gesicht konnte ich ablesen, dass es etwas Ernstes war und da wollte ich nicht stören.
Schon bald änderte sich aber die Art, wie die beiden miteinander agierten. Toby lächelte öfter, berührte Spence ab und zu oder sah ihn einen Moment lang einfach nur an. Mit Roger beobachtete ich das gern eine Weile, doch mit Spence wirkte es falsch. Nicht gespielt, sondern schlichtweg nicht richtig. Es fehlte die Chemie, die zwischen dem Pärchen bestand. Spätestens als sie sich scherzhaft um den letzten Steak Tip stritten, wurde das deutlich. Es brauchte nur einen strengen Blick von Toby, damit Spence aufgab. Roger hätte das nicht interessiert, er war dadurch nicht zu beeindrucken.
Ich hatte genug gesehen und ging wieder zu ihnen zurück. Als ich mich setzte, warf Toby einen skeptischen Blick auf mein volles Glas. Es war deutlich, dass es ihm missfiel, dass ich überhaupt Alkohol trank. »Der Wievielte?«
»Der Zweite. Ich hatte vorhin nur Cola«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Auch wenn ich es albern fand, dass er nachfragte, war mir klar, dass er nur sicherging, dass ich mich nicht abfüllte. Neckisch schob ich hinterher: »Keine Sorge, ich weiß morgen noch ganz sicher, was du mit mir anstellst.«
»Trotz dem Gras?«, fragte Spence dazwischen.
Einen Moment sah ich ihn schockiert an, dann wanderte mein Blick langsam zu Toby. Hoffentlich tickte er nicht aus.
Zu meiner Verwunderung grinste er nur. »Keine Sorge, ich weiß, dass du häufiger kiffst.«
»Woher?« Warum hatte er nie etwas dazu gesagt?
»Du riechst drei Meilen gegen den Wind!«
Konnte Spence nicht mal die Klappe halten? Mit ihm sprach gerade niemand.
Toby zog mich etwas zu sich, küsste mich leicht und schmunzelte dann. »Man schmeckt es.«
Noch immer sah ich ihn verwirrt an. Er nahm das wirklich so locker? Hatte ich Toby in der Hinsicht so falsch eingeschätzt? Für mich war klar gewesen, dass er ausrasten würde, wenn er davon erfuhr. Das sanfte Lächeln ließ mich langsam wieder entspannen. Scheinbar war es wirklich kein Problem. Ich schmiegte ich kurz an seine Hand, die durch mein Haar fuhr, dann entfernte ich mich.
»Toby hat erzählt, dass du öfter mit ihm trainierst?«, fragte Spence nach einiger Zeit, die wir uns angeschwiegen hatten.
Ich nickte und versuchte erneut, ein Gespräch mit ihm zu führen. Diesmal etwas erfolgreicher, jedoch noch immer sehr stockend.