»Hey Kleiner, ich wusste gar nicht, dass du heute auch hier bist«, begrüßte mich Toby.
Ich grinste und umarmte ihn dann. »Wusste ich bis gerade auch nicht, Lance hat mich überredet, nach der Probe noch herzukommen und den Club mal zu testen. Ich wusste nicht, dass du ihn auch kennst.« Lance hatte heute bei der Probe vorgeschlagen, mal in diesen einen Club zu gehen, von dem Andrej ihm mal erzählt hatte. Natürlich hatten wir ihn dann auch direkt angerufen und er war spontan dazugestoßen. An sich war der Club ganz nett, aber wirklich verdammt klein, so eine richtige Hinterhofspelunke. Dass ich hier ausgerechnet auf Toby treffen würde, hatte ich nicht erwartet.
»Ich treff mich eigentlich recht regelmäßig mit Berry und Joanna hier. Erinnerst du dich noch an die beiden?«
Ich schüttelte den Kopf. Nein, keine Ahnung, wer das sein sollte.
Toby zuckte mit den Schultern und lächelte mich an. »Nicht schlimm, vielleicht, wenn du sie nachher siehst. Wenn sie denn noch kommen. Joanna geht es wohl nicht so gut und sie waren unsicher. Aber schön, dann bin ich wenigstens nicht allein.«
»Nee, bist du nicht.« Ich lächelte zurück und nahm seine Hand. »Komm doch einfach mit rüber.«
»Gern, wenn es dir nichts ausmacht, dass ich später vermutlich wieder verschwinde. Ich wollte meinen freien Abend nämlich eigentlich nutzen.«
Kurz war ich irritiert, zuckte dann aber mit den Schultern. Warum sollte mich das stören? »Kein Thema.«
Gemeinsam gingen wir zu Lance hinüber, der uns einen Tisch gesichert hatte, während Andrej die erste Runde Getränke holte. Ich hatte eigentlich mit Lance gehen wollen, doch dann war mir Toby aufgefallen und ich wollte ihm wenigstens kurz Hallo sagen.
Toby wurde auch von meinem besten Freund herzlich begrüßt und während sie kurz die wichtigsten Neuigkeiten austauschten, kam auch Andrej zu uns. Er stellte die Getränke ab und betrachtete Toby neugierig. Dieser streckte einfach die Hand über den Tisch. »Hi, ich bin Toby.«
Andrej nahm die Hand und stellte sich ebenfalls vor.
Toby lächelte und fragte: »Gehörst du auch zur Band?«
»Äh, nein, ich hab nur mal mit den beiden zusammengewohnt. Ich bin völlig unmusikalisch.«
»Mir hat mal jemand gesagt, jeder Depp könnte auf einem Schlagzeug rumhämmern, dafür müsste man nicht einmal musikalisch sein«, antwortete Toby mit einem leichten Lächeln.
Na, die Aussage konnte eindeutig nur von Zombie stammen. Wirklich musikalisch war der tatsächlich nicht, aber er hatte ein unglaublich gutes Taktgefühl. Zumindest solange er nicht den Mund aufmachte.
»Wie kommt es, dass ihr dann im selben Wohnheim gewohnt habt?«
»Nicht alle Wohnheime sind fachspezifisch.« Andrej erwiderte Tobys Lächeln eher verwirrt, als wirklich aufrichtig. Offensichtlich konnte er nicht ganz einschätzen, was der Große von ihm wollte.
»Ah, okay. Was hast du denn dann studiert?«
»Ich studiere immer noch. Kunstpädagogik.«
»Oh, du magst also mit Kindern arbeiten?«
»Nicht wirklich. Ich wollte aber etwas mit Kunst machen, wo man auch etwas verdienen kann.«
Während Toby unseren ehemaligen Mitbewohner ausfragte, stupste Lance mich an und grinste vielsagend. Ich grinste zurück und nickte. Ja, ich hatte auch schon überlegt, Toby darauf hinzuweisen, dass er bei Andrej auf Granit beißen würde, andererseits glaubte ich, dass er auch einfach nur aus Spaß flirtete und damit gar kein weiteres Ziel verfolgte. Daher schüttelte ich auch den Kopf, als Lance mich fragend ansah. Ich wollte wissen, wie lange es dauerte, bis Andrej es bemerkte. Oder Toby aufgab.
Tatsächlich schien es Andrej wirklich nicht aufzufallen oder es störte ihn nicht. Vielleicht hatte er ja doch Interesse an Männern und mir war es in den zwei Jahren einfach nur nie aufgefallen, gewundert hätte es mich nicht.
Irgendwann näherte sich uns ein Pärchen etwa in Tobys Alter. Der Mann hatte einen grünen Iro, der sich farblich an den kurzen Sidecut der Frau anglich, es war mehr als offensichtlich, dass sie zusammengehörten.
Ich rückte etwas in der Bank ein, damit sie noch Platz hatten, erst da schien Toby sie zu bemerken. Er stand auf und umarmte sie beide. »Ihr seid ja doch noch gekommen.«
»Ja, wir wollten dich nicht allein sitzen lassen«, antwortete der Mann und musterte uns dann. »Aber scheinbar hätten wir uns da keine Gedanken machen müssen, du scheinst ja in guter Gesellschaft zu sein.«
»Natürlich, ihr wisst doch, man ist hier nie lange allein. Wollt ihr euch nicht setzen?«
Die beiden nickten und Toby wollte wieder an mich heranrücken, als die Frau plötzlich fragte: »Darf ich neben Samsa sitzen? Du bist doch Samsa, oder?«
Toby wartete darauf, dass ich nickte, dann setzte er sich neben Andrej auf die Bank und ließ das Paar neben mich. Die Dame reichte mir die Hand. »Hallo, ich bin Joanna und das ist Berry.«
Berry nickte mir nur zu.
Ich musterte die beiden interessiert. Nein, wirklich bekannt kamen mir die beiden nicht vor.
Doch Joanna wandte sich auch zugleich an Lance. »Du bist Knight, oder?«
Lance nickte und nahm dann ihre Hand entgegen. Er wirkte reichlich überrascht, häufig geschah es nicht, dass ihn jemand erkannte.
Toby dagegen unterdrückte ein Grinsen. Ja, wir waren bei Lance’ Pseudonym nicht wirklich kreativ gewesen, aber es passte zu ihm. Auch wenn ich es ihm nie sagen würde: Manchmal war er für mich ein strahlender Ritter, früher als Kind häufiger als heute.
Lance musste seiner Verwunderung wohl Ausdruck verleihen, denn er fragte: »Ich wusste gar nicht, dass wir schon Fans haben?«
»Na ja, Fans würde ich es nicht nennen. Aber wir haben euch ein paar Mal spielen sehen.«
»Oh, na immerhin.« Er schien dennoch ziemlich begeistert und das ließ mich lächeln. Ich freute mich für ihn, es war eben doch etwas Besonderes, zum ersten Mal erkannt zu werden.
»Ehrlich gesagt, hab ich mir euch nur gemerkt, weil es mich gewundert hat, dass Samsa in so einem kleinen Club auftritt.« Ich zuckte nur mit den Schultern und offenbar verstand Joanna, dass ich nicht weiter darüber reden wollte. Stattdessen meinte sie: »Ihr habt aber nur Cover gespielt, oder? Spielt ihr gar keine Originale mehr?«
»Doch schon, aber ich hatte durch das College nicht mehr so viel Zeit, etwas zu schreiben. Aber beim nächsten Mal gibt es ein neues Lied.« Ich lächelte sie nicht ohne Stolz an. Ich hatte es endlich geschafft, mal wieder ein Lied zu schreiben! Und es war perfekt geworden.
Toby entging das natürlich nicht. Begeistert lächelte er mich an. »Wow, das ist klasse! Warum erfahr ich das erst jetzt? Ich bin auf jeden Fall da.«
»Wir sind erst vorhin fertig geworden.« Oh Gott, ich freute mich wirklich, dass er kommen wollte.
»Ich wusste gar nicht, dass du solche Musik magst«, kam es verwundert von Berry.
Toby zuckte mit den Schultern und zwinkerte mir dann zu. »Tu ich auch nicht. Außer der Kleine singt sie, dann ist das was anderes.«
»Ihr kennt euch?« Joanna schien wirklich erstaunt.
Toby bei ihrer Frage aber auch. »Ihr erinnert euch nicht? Dabei wart ihr doch dabei, als wir uns kennengelernt haben.«
Joanna und Berry schüttelten die Köpfe, während ich sie neugierig betrachtete. Ach, daher hätte ich sie kennen sollen! Ihre Namen hatte ich im Rausch völlig vergessen und sie hatten sich auch etwas verändert.
Toby sah mich kurz fragend an, als warte er auf eine Erlaubnis. Auch wenn ich nicht genau wusste, wofür, nickte ich. Was auch immer er sagen wollte, davon würde schon nicht die Welt untergehen. »Erinnert ihr euch noch an den süßen Kleinen, den ich mal ausm Gate mitgenommen habe, weil er nicht nach Hause wollte?«
Berry schüttelte den Kopf. »Toby ganz ehrlich, als würden wir uns jeden Typen merken, den du irgendwann mal mit nach Hause geschleppt hast.«
Toby lachte schuldbewusst und strich sich durch die Haare, während mich Joanna eingehend betrachtete. Sie schien eine Weile zu brauchen, dann brach es aus ihr heraus: »Du bist der süße Waschbär!«
Verlegen nickte ich. Waschbär war jetzt nicht gerade der schmeichelhafteste Spitzname, aber wohl bei meinem Aussehen, als wir uns kennengelernt hatten, durchaus passend. Es überraschte mich dennoch, dass sie sich noch daran erinnern konnte. Denn ich glaubte Berry durchaus, dass es bei Toby keine Seltenheit war, einfach einen interessanten Typ mitzuschleppen. Vor allem, wenn derjenige ihm, so wie anscheinend ich, im Suff sagte, dass er ihn geil fand. Toby war nicht der Typ, der etwas anbrennen ließ, auch wenn er niemals mit jemandem schlafen würde, der zu betrunken war, um eine Entscheidung zu fällen. Lieber wartete er, wie bei mir damals, bis zum nächsten Morgen.
Berry schien sich im Gegensatz zu seiner Freundin nicht zu erinnern, aber es war ihm wohl auch egal, denn er zuckte nur mit den Schultern.
Seine Freundin schien sich dafür umso besser zu erinnern. »Wow, ich hätte nie gedacht, dass du eine kleine Berühmtheit bist. Hätte ich das gewusst, hätte ich den Kajal aufgehoben.«
Alle lachten. Die Frau war echt sympathisch.
Sie wartete, bis es wieder etwas ruhiger war, dann fragte sie: »Warst du eigentlich danach noch mal im Gate? Ich hab dich nie wieder dort gesehen.«
»Nein, ich durfte nicht«, gab ich etwas verlegen zu.
»Der Kleine hat uns ziemlich an der Nase herumgeführt«, übernahm Toby mit leicht tadelndem Ton die Erklärung, wuschelte mir aber über den Tisch hinweg zärtlich durch die Haare.
Ich drückte mich ihm leicht entgegen und genoss es. Ob ich später wohl mit ihm mitgehen konnte? Noch ein paar mehr solcher Streicheleinheiten hätte ich schon gern gehabt. Aber vermutlich wollte er jemanden mitnehmen, der mehr versprach. Dennoch nahm ich mir vor, ihn später einfach zu fragen. Mehr als Nein sagen konnte er nicht.
»Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich rausgefunden hab, dass er erst siebzehn war«, erklärte Toby weiter.
»Was, du warst mit siebzehn in einem Club?«, fragte Andrej dazwischen.
Ich nickte nur schulterzuckend.
»Wie hast du das denn geschafft?«
»Die ersten zwei Male war es pures Glück, danach kannte ich einfach den Besitzer von einem Club.« Mehr als Glück war es wirklich nicht gewesen, dass ich mich beim ersten Mal hatte reinschummeln können und beim zweiten Mal mit Rogers Hilfe und einer Lüge in einen anderen Club gekommen war.
»Aber du hattest doch ein Bändchen«, bemerkte Joanna überrascht.
»Ja, ich bin mit ein paar Stammgästen zusammen rein, da hat der Türsteher nicht so auf mich geachtet.«
»Und ihr beiden trefft euch immer noch?«, fragte sie in zweifelndem Ton, nachdem sie kurz verstehend genickt hatte. Dann hellte sich ihre Miene plötzlich auf und sie sah mit einem breiten Lächeln zu Toby. »Oder ist Samsa etwa dein ominöser Freund?«
»Nein, wir sind nur Freunde.« Lachend schüttelte Toby den Kopf. Kurz stockte er und zwinkerte mir dann zu. »Na ja, mit ein paar Extras vielleicht.«
Joanna, Berry und Lance lachten, während ich etwas verlegen wegsah. Ich war mir nicht sicher, ob mir das nicht ein wenig zu weit ging. Zärtlich legte sich Tobys Hand auf meinen Arm und strich darüber. Als ich aufblickte, sah er mich entschuldigend an. Ich lächelte kurz, um ihm zu zeigen, dass es halb so wild war.
Dann unterbrach uns Andrej, indem er zu Lance meinte: »Lass mich mal raus.«
Verwundert tat Lance wie ihm geheißen und stand auf, damit Andrej von der Bank rutschen konnte. Eilig ging dieser auf die Toiletten zu.
Einen Moment blickte ich ihm nach, dann riss Joanna wieder meine Aufmerksamkeit an sich. »Wenn Samsa nicht dein ominöser Freund ist, wer dann? Langsam glaube ich ja, dass er gar nicht existiert.«
Toby lachte. »Samsa und ...«
»Knight«, half Lance ihm aus.
Natürlich, Toby war es gewohnt, uns bei unseren richtigen Namen anzusprechen. Ich hatte eine Weile versucht, ihm und Roger auch privat Samsa anzugewöhnen, doch sie weigerten sich beharrlich. Da ich ihnen aber auch nicht erklären wollte, warum es mir auch im Privaten lieber war, musste ich eben mit Isaac leben. Immerhin schien Toby dafür in der Öffentlichkeit daran zu denken. Ich hatte nie erlebt, dass er sich da vertat.
»Samsa und Knight können bestätigen, dass er wirklich existiert«, vollendete Toby seinen Satz.
Joanna sah uns leicht empört an. »Warum kennen sie ihn und wir nicht? Sind wir so schrecklich, dass du ihn uns nicht vorstellen kannst?«
»Ja, er würde schreiend davon laufen«, erwiderte Toby mit einem Schmunzeln.
Frech knuffte Joanna ihm gegen den Oberarm. »Das ist nicht nett, Mister.«
Versöhnlich lächelte er. »Der Gute kann einfach nichts mit der Musik anfangen. Er kommt auch nicht mit, wenn ich zu Konzerten gehe.«
»Schade, ich würde wirklich gerne mal den Kerl kennenlernen, der es schafft, dich an der Leine zu halten.«
Ein zärtlicher Ausdruck trat auf Tobys Gesicht. »Na ja, er weiß eben wie.«
»Oh Gott, ist der auch immer so verknallt, wenn sein Kerl dabei ist?«, fragte Joanna an Lance und mich gewandt.
»Manchmal«, gab ich die diplomatische Antwort und lächelte Toby an. »Die beiden können ziemlich süß sein.«
»Ich glaub, nur jemand, der auf Männer steht, kann die beiden süß finden«, warf Lance ein.
»Was denn, bist du etwa eifersüchtig?«, fragte Toby und rutschte mit einem Augenaufschlag an Lance heran.
Dieser wirkte jedoch reichlich unbeeindruckt und zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Nein, ich frage mich nur auch, wie ihr das hinbekommt. Ich schaff ja nicht mal eine normale Beziehung.«
Ja, Beziehungen waren nicht gerade das beste Thema im Moment für Lance. Er war ziemlich frustriert, weil Nancy ihn für einen anderen verlassen hatte. Natürlich erst, nachdem sie ein paar Mal ausprobiert hatte, wie gut dieser denn im Bett war. Auch wenn ich selbst nichts mit Monogamie anfangen konnte: Ich konnte gut verstehen, dass Lance über diesen Vertrauensbruch sauer war.
»Oh, das tut mir leid.« Ich sah Toby an, dass er es wirklich ernst meinte. Er hatte einfach nicht gewusst, dass es mit Nancy nicht geklappt hatte.
»Schon gut, kannst du ja nichts dafür. Vielleicht sollte ich dieses ganze offene Zeug auch mal ausprobieren, scheint ja deutlich einfacher zu sein«, überlegte Lance laut.
»Glaub mir, so einfach ist das gar nicht«, antwortete ihm Berry. »Manchmal ist das deutlich anstrengender als eine monogame Beziehung.«
»Dafür kann es glücklicher machen«, ergänzte Joanna und beugte sich zu ihrem Freund, um ihn zu küssen. »Es müssen aber beide wollen und damit leben können.«
»Ihr macht das auch?«, fragte Lance überrascht.
»Ja, aber wohl deutlich weniger offen als Toby und sein Freund. Wir haben nur, wenn’s hoch kommt, ein, zwei Mal im Monat jemand anderen.«
»Ah, warum? Also, warum macht ihr das überhaupt?«, fragte Lance neugierig nach.
Tatsächlich kam ein ziemlich gutes Gespräch zustande, da Joanna und Berry ziemlich offen über ihre Gründe und wie sie ihre Beziehung führten berichteten. Es war wirklich interessant, da ich bis auf Toby und Roger bisher kein anderes Paar in einer offenen Beziehung kannte. Die beiden waren jedoch weniger offen für solche Gespräche und auch jetzt hielt Toby sich weitestgehend raus. Klar, ich hätte auch bei ihm und Roger gerne mehr gewusst, aber ich wollte auch nicht zu sehr in ihre Privatsphäre vordringen. Ich wusste, wenn sie meinten, dass etwas für mich wichtig war, würden sie es mir schon sagen.
Als das Gespräch langsam ins Stocken geriet, fiel mir auf, dass Andrej noch immer nicht wieder am Tisch saß. Hatte er nicht nur auf Toilette gewollt? Oder hatte er ein interessantes Mädchen gefunden? Suchend sah ich mich um, konnte ihn aber nirgendwo entdecken.
Ein leichtes Schnippen gegen meinen Arm erregte meine Aufmerksamkeit und ich drehte mich wieder zum Tisch. Toby lächelte mich an. »Kommst du mit Tanzen?«
Schnell nickte ich und folgte ihm. Tanzen klang gut, denn noch immer spürte ich die Hand, die sanft über meinen Arm gestreichelt hatte. Ein bisschen mehr Körperkontakt konnte sicher nicht schaden.
Als wir an der Tanzfläche ankamen, lehnte er sich zu mir herunter. »Tanzt du richtig mit mir oder gehen wir nur zusammen tanzen?«
»Wolltest du dir nicht noch jemanden für die Nacht suchen?« Ich hatte nichts dagegen, richtig mit ihm zu tanzen, aber ich wollte auch nicht seine Chancen schmälern.
»Vielleicht hab ich den ja schon gefunden?« Toby kam mir langsam näher und legte mir einen Arm um die Taille. Dicht an meinem Ohr flüsterte er: »Oder hast du andere Pläne?«
Ich drängte mich etwas näher an ihn und schob meine Fingerspitzen unter sein Shirt. So leise wie möglich raunte ich in sein Ohr: »Ich hatte eigentlich vor, dich mit einem Wildfremden eifersüchtig zu machen, aber wenn du so direkt fragst ...«
Toby lachte, wobei sein Atem angenehm über meinen Hals strich, und schob mich dann auf die Tanzfläche. Ich genoss es, wie sich unsere Körper miteinander bewegten und dabei nie ganz den Kontakt verloren. Wenigstens ein kleiner Teil berührte sich immer. Immer wieder senkten sich Tobys Lippen auf meinen Hals oder die Schultern, doch meinen Lippen wich er geschickt aus. Dabei hätte ich ihn gern wieder geküsst. Es fühlte sich einfach gut an, zu spüren, dass er mich begehrte.
Nach ein paar Liedern raunte er: »Lass uns was trinken. Andernfalls zieh ich dich direkt hier aus.«
Ich wollte etwas Neckisches erwidern, doch dann nickte ich nur. Nein, das wäre etwas viel Aufmerksamkeit. Ich hatte schon die letzten Monate bemerkt, dass es sich herumsprach, dass ich auch auf Szenepartys mit dem ein oder anderen Kerl mitgegangen war. So deutlich wollte ich das aber noch nicht machen, immerhin schrak ich noch immer davor zurück, mit fremden Männern zu flirten.
Zu meinem Erstaunen entdeckte ich Andrej ein Stück abseits vom Tresen. Er stand alleine dort mit seinem Glas in der Hand. Ich gab Toby ein Zeichen und ging dann rüber. »Hey, warum bist du nicht wiedergekommen?«
»Weil ich nichts mit kleinen, widerlichen Schwuchteln zu tun haben möchte!« Sein Blick verriet deutlichen Ekel, der mich einen Schritt zurückweichen ließ. »Wie kann man so was wie dich überhaupt in ein Wohnheim lassen?«
Völlig perplex sah ich ihn an. Okay, ich hatte ihm gegenüber nie erwähnt, dass ich auch auf Männer stand, immerhin war das während meiner Zeit im Wohnheim nicht relevant gewesen, und von meinem Ex hatte er auch nichts gewusst, aber ich hätte auch nie erwartet, dass er so heftig darauf reagieren würde. Ich hatte ihn als ziemlich lässigen und ruhigen Typen kennengelernt.
»Wäh, schon allein der Gedanke, dass du uns die ganze Zeit bespannt hast und dir dann in aller Ruhe einen drauf runtergeholt hast. Widerlich!« So wie Andrej mich ansah, hätte er mir liebend gern vor die Füße gespuckt. Er tat es jedoch nicht, sondern wandte sich mit einem verächtlichen Schnauben von mir ab und ließ mich stehen.
Ich musste ein paar Mal blinzeln, bevor ich mich wieder so weit gefangen und dieses kurze Gespräch verdaut hatte, dass ich zurück zu Toby gehen konnte.
Dieser steckte gerade sein Handy zurück in die Hosentasche. Zuerst lächelte er noch, doch augenblicklich trat ein besorgter Ausdruck in sein Gesicht. Er sah von mir in die Richtung, in die Andrej verschwunden war. Als ich bei Toby ankam, nahm er mich vorsichtig in den Arm. »Ist alles gut? Was ist passiert?«
»Ist schon gut. Andrej ist nur offensichtlich ein ziemlicher Idiot.« Ich befreite mich aus der Umarmung und lächelte ihn an. Ich wollte mir davon nicht die Stimmung kaputt machen lassen. Es war bisher schön gewesen und mittlerweile sollte ich es doch kennen, dass die Leute mich beleidigten, wenn sie erfuhren, dass ich auch Männer attraktiv fand.
»Was hatte er denn für ein Problem?« Da gerade in dem Moment ein Barkeeper Zeit hatte, nutzte Toby die Gelegenheit und bestellte für uns beide etwas zum Trinken.
Erst als er wieder zu mir sah, antwortete ich mit einem Schulterzucken: »Er glaubt wohl, nur weil man Männer attraktiv findet, würde man ihm etwas wegschauen.«
»Oh. Ich dachte, er wüsste Bescheid.«
»Nein, es war ... Ich hab, bevor ich euch wiedergetroffen habe, krampfhaft versucht, das von mir zu weisen. Daher war es nie Thema in der WG. Warum auch, ich würde mich ja auch niemandem mit ›Hallo ich bin Samsa und bisexuell‹ vorstellen.«
Toby grinste verschmitzt. »Nicht einmal, wenn es ein Pärchen wäre, das dich interessiert?«
Ich lachte auf, wurde dann aber wieder ernst. »Vielleicht. Aber das ist doch im Moment eh egal ...«
Er strich mir einmal zärtlich durch die Haare und lächelte mich aufmunternd an. »Das wird schon, Kleiner. Du hast doch schon gute Fortschritte gemacht.«
»Nur leider halten sie nicht an.« Es war wirklich frustrierend. Ständig gab es Momente, in denen Dinge, die vorher gut funktioniert hatten, plötzlich doch wieder unerträglich wurden. Erst letztens hatte ich plötzlich Angst bekommen, nur weil Toby sich im Schlaf zu sehr an mich gedrückt hatte. Dabei war das definitiv nicht das erste Mal gewesen.
»Hey, das ist völlig normal, mach dich deswegen nicht fertig. Sieh es doch mal so: Vor einem Jahr hättest du auf keinen Fall so mit mir getanzt und hättest dich an einem schlechten Tag noch nicht einmal anfassen lassen. Das ist schon lange nicht mehr passiert.«
»Ja, du hast recht.« Hatte er, das sah ich ein, dennoch verbesserte es meine Laune nicht.
»Na komm, wir gehen zu den anderen zurück.«
Ich willigte mit einem Nicken ein, schnappte mir mein Getränk und folgte ihm. Dann fiel mir etwas ein: »Könntest du Lance bitte nicht erzählen, was passiert ist?«
»Warum?« Toby blieb stehen und sah mich skeptisch an.
»Er versteht sich recht gut mit Andrej. Ich will nicht derjenige sein, der ihm sagen muss, dass das ein riesiges Arschloch ist.«
Wirklich überzeugt schien Toby nicht, dennoch nickte er.