Langsam fuhr ich die Straße entlang und suchte nach dem richtigen Haus. Ich hatte zwar die Hausnummer bereits gefunden, aber das Haus entsprach überhaupt nicht der Beschreibung. Nun konnte ich nur hoffen, mich nicht vollkommen verfahren zu haben. Auch wenn der Weg auf der Wegbeschreibung im Internet nicht schwer ausgesehen hatte und ich ihn mir extra ausgedruckt hatte, ich kannte mich hier überhaupt nicht aus. Nur einmal war ich bisher in New York City gewesen. Damals bei einer kleineren Tour mit den Death Demons. Da war ich jedoch nicht gefahren. Außerdem waren wir da nicht in einem Außenbezirk gewesen. Zu allem Überfluss wurde es auch noch langsam dunkel. Dank eines Unfalls auf dem Highway hatte ich einen Umweg fahren müssen, der mich fast eine Stunde gekostet hatte.
Ich drosselte weiter die Geschwindigkeit und lenkte näher an den Straßenrand, bis ich vor einem Haus zum Stehen kam, an dem ein Lieferbote etwas ablieferte. Ich stellte die Maschine ab, klappte den Helm nach oben und wartete, bis er zu seinem Fahrzeug zurückkam. Grüßend hob ich den Arm, um auf mich aufmerksam zu machen, und fragte ihn nach der gesuchten Adresse.
Er erklärte mir, dass ich ein paar Straßen zu weit gefahren wäre. Mit vielen Gesten beschrieb er mir den Weg und wünschte mir dann eine gute Fahrt.
Ich seufzte und startete den Motor. Natürlich hatte ich mich verfahren, was erwartete ich denn auch? Es war eine scheiß Idee gewesen, mit dem Motorrad zu fahren. Aber ich hatte einfach keine Lust, mich allein in den Zug zu setzen. Außerdem musste ich in zwei Tagen wieder zurück. Zwei Zugfahrten allein an nur einem Wochenende waren mir wirklich zu langweilig. Da genoss ich lieber die letzten schönen Tage des Jahres, bevor der Herbst endgültig einsetzte.
Nachdem ich der Beschreibung des Lieferanten gefolgt war, fand ich auch das Haus, das mir beschrieben worden war. Ich lenkte meine Yamaha in die Auffahrt und parkte neben der Garage. Mir wurde gesagt, dass sie dort die nächsten Tage problemlos stehen bleiben könne und nicht störte. Ich nahm den Helm ab, schälte mich aus der Motorradkluft und richtete meine Haare im Rückspiegel. Man sah mir an, dass ich etwas geschwitzt hatte, aber es war nicht allzu schlimm. Immerhin war meine Kleidung weniger zerknittert als befürchtet.
Nachdem ich meine Tasche vom Motorrad genommen hatte, atmete ich tief durch und näherte mich dem Haus. Dass ich überhaupt darüber nachdachte, ob meine Kleidung saß, war ein eindeutiges Zeichen, wie nervös ich war. Wäre ich nicht hundertprozentig sicher gewesen, dass man mir einen Joint angerochen hätte, ich hätte liebend gern einen geraucht. Okay, wenn ich denn Gras dabei gehabt hätte. Ich bezweifelte, dass ich in dieser Gegend spontan welches kaufen konnte.
Meine Füße streifte ich an der bunten Türmatte ab. Sie sah aus, als hätte sie schon bessere Tage erlebt. Dennoch war zu erkennen, dass sie einmal regenbogenfarben gewesen war. Ich hatte nicht gewusst, dass es so etwas überhaupt gab.
Nachdem ich die Klingel betätigt hatte, wartete ich unruhig darauf, dass mir geöffnet wurde. Das Haus sah gar nicht so groß aus, dass es so lange dauern konnte, bis mir jemand öffnete. Hatte ich mich doch geirrt?
Gerade als ich noch einmal auf die Hausnummer schauen wollte, ging das Licht hinter der Tür an und einen Moment später wurde sie geöffnet. Toby grinste mir entgegen und zog mich in seine Arme. »Hallo Kleiner, da bist du ja endlich.«
Ich schmiegte meinen Kopf gegen seine Schulter und sog seinen Duft ein. Ich hatte ihn und Roger seit fast zwei Wochen nicht gesehen und sie unglaublich vermisst. Es war schön, endlich wieder seinen starken Körper an meinem zu spüren. »Sorry, da war ein Unfall, deshalb musste ich einen Umweg nehmen. Außerdem hab ich mich verfahren.«
»Halb so wild. Ich hab schon damit gerechnet, dass es vielleicht etwas später wird. Komm rein, wir haben mit dem Essen auf dich gewartet.« Er trat einen Schritt von der Tür zurück und bot mir mit dem Arm den Weg. »Schuhe kannst du anlassen, wir werden dann gleich losgehen.«
»Wir gehen aus?« Warum hatte mir das keiner gesagt? Toby und Roger wussten doch, dass ich Ende des Monats immer knapp bei Kasse war und das für diesen Monat ließ noch auf sich warten.
»Japp, haben wir kurzfristig beschlossen. Weil wir nicht wussten, wann du kommst. Aber wir wollen auch nur in ein Diner um die Ecke.« Toby legte noch einmal seine Arme um mich. »Auch wenn du mit dem Hemd sicher auch in ein gutes Restaurant kommen würdest.«
»Du und dein Fetisch!«, flüsterte ich möglichst leise zurück. Ich wollte nicht, dass uns jemand hörte.
Toby lachte, ließ mich los und deutete den Flur entlang. »Wenn du noch deine Tasche loswerden willst, dann da lang.«
Ich folgte dem Wink und ging mit ihm gemeinsam ans Ende des Flures in ein Zimmer. Nachdem ich meine Motorradsachen über einen Stuhl gehangen und die Tasche auf dem Schreibtisch abgestellt hatte, holte ich eine Schachtel Pralinen daraus hervor und sah ich mich im Zimmer um. Es war offensichtlich ein Arbeitszimmer, das als Gästezimmer genutzt wurde. Zumindest konnte ich mir die hohen Aktenschränke in Kombination mit dem großen Doppelbett nicht anders erklären.
»Willst du dich noch frisch machen? Oder geht’s so?«, riss Toby mich aus der Betrachtung.
»Nein, das geht schon. So warm war es heute ja nicht.«
»Na dann komm.« Er deutete erneut den Flur entlang, diesmal jedoch in die andere Richtung.
Ich merkte, wie mir immer mehr das Herz in die Hose rutschte. Ich war so unglaublich aufgeregt! Am liebsten wäre ich wieder durch die Haustür verschwunden, als wir daran vorbeiliefen. Meine Hände waren so schwitzig, dass ich sie unentwegt an meiner Hose abwischte, während ich die Pralinen von der einen in die andere warf.
Auf dieser Seite öffnete sich der Flur recht schnell in ein weitläufiges Wohnzimmer. Um den Couchtisch herum standen eine kleine Couch, auf der es sich Roger gemütlich gemacht hatte, eine große, auf der Tobys Eltern saßen, sowie ein Sessel, auf dem eine Frau hockte, die ein paar Jahre älter war als ich – wenn überhaupt.
Roger sprang sofort auf und kam zu mir gelaufen. Stürmisch schloss er mich in seine Arme. »Hey, da bist du ja endlich!«
»Hi.« Ich schlang meine Arme ebenfalls um ihn und schmiegte mich an ihn. Auch ihn hatte ich vermisst. Umso mehr genoss ich die Körpernähe. Was mir weniger gefiel, war, dass Roger seinen Finger unter mein Kinn legte und es nach oben drücke. Unwirsch zog ich es weg. Ich konnte ihn hier doch nicht küssen! Was dachte er sich dabei? Schnell löste ich mich von ihm.
Ich hoffte, dass man mir die Verlegenheit nicht anmerkte, ging auf die ältere Frau zu und reichte ihr meine Hand. »Hi, ich bin Isaac.«
Sie lachte. »Hallo. Das dachte ich mir schon. Ich bin Iris.«
Ich nickte und wandte mich dann dem Mann zu. Er lächelte ebenfalls, wenn auch nicht so breit wie seine Frau. Er hielt mir seine Hand entgegen. »Hallo. Ich bin Henry. Schön, dich mal kennenzulernen.«
Das klang nicht gut. Das klang, als hätte Toby schon einiges über mich erzählt. Ohne zu wissen, was es war, war das sehr unangenehm. Doch ich überspielte das lieber und reichte Iris die Pralinen. »Ich hab Ihnen eine Kleinigkeit mitgebracht.«
»Danke. Ich vermute, die hat Roger ausgesucht?«, fragte sie und zwinkerte mir zu. »Und diese Höflichkeiten lassen wir mal ganz schnell wieder. Fühl dich hier wie zu Hause.«
»Ehm, danke.« Das sagten sie so einfach. Bei mir zu Hause war ich allein. Und mit dem Haus meiner Eltern ließ es sich schon einmal gar nicht vergleichen. Vielleicht sollte ich versuchen, mich ihnen gegenüber wie bei Kasey und Emery zu verhalten. Dass klang eigentlich ganz gut, immerhin waren sie auch die Eltern eines Freundes. Wiederum hatte ich zu Toby ganz klar ein anderes Verhältnis als zu Lance.
Ich drehte mich zum Sessel und wollte auch der jungen Frau die Hand reichen, doch sie zog mich in eine Umarmung. Verdattert ließ ich sie gewähren. Dann grinste sie mich an. »Hi. Ich bin Lena. Wie ich meinen Bruder kenne, hat er sicher noch nicht von mir erzählt.«
Genau wie sie sah ich zu Toby, der nur kurz mit den Schultern zuckte. »Warum sollte ich? So wichtig bist du Kröte nicht.«
»So, wir sollten langsam los«, mahnte Henry, bevor die Geschwister sich weiter streiten konnten. Er nahm die Krücken, die neben der Couch lehnten, und stemmte sich damit hoch. Als er sich vorwärts bewegte, sah ich, dass er nur sein linkes Bein belastete, während er das rechte steifhielt.
Alle zogen sich ihre Schuhe an der Tür an, wobei Henry sich umständlich auf einen kleinen Hocker setzte, von dem Toby ihm danach wieder hoch half. Ich beobachtete das Ganze etwas nervös. Das fühlte sich komisch an. Als wäre ich vollkommen überflüssig, gehörte aber gleichzeitig mit dazu. Sie machten nicht viel Aufhebens darum, dass ich da war, obwohl ich sie nicht kannte. Das erleichterte mich einerseits, andererseits ließ es mich noch mehr fragen, was Toby bereits über mich erzählt hatte.
»Wer fährt wo mit?«, fragte Lena, als wir draußen waren.
»Du weißt, dass ich nicht in deine versiffte Kiste einsteige. Ich fahr bei Mum und Dad mit«, verkündete Toby sofort und bekam dafür die Zunge rausgestreckt.
»Dann fahr ich bei dir. Toby und ich in dem Auto wird mir zu kuschelig«, ging Roger dazwischen und stellte sich etwas zu Lena.
»Verräter«, neckte Toby. Dann sah er zu mir. »Wo willst du mitfahren? Hinter Dad ist nicht ganz so viel Platz, aber für dich sollte es reichen. Ansonsten kannst du auch bei Lena fahren, aber die Rückbank ist sehr haarig.«
Unsicher sah ich zwischen Toby und Roger hin und her. Das gefiel mir nicht. Es gab mir das Gefühl, ich müsste mich zwischen ihnen entscheiden. Ein Gefühl, dass ich überhaupt nicht mochte. Ich hatte sie doch beide gleich gern.
Um mir den Druck zu nehmen, entschied ich mich für die neutralste Variante: »Ich fahr bei Lena.« Im Notfall konnte ich noch immer behaupten, dass dann wenigstens beide Autos gleich besetzt waren.
Ich war froh, als wir endlich am Dinner ankamen. Was den Zustand von Lenas Auto anging, hatte Toby nicht übertrieben, es war wirklich komplett mit Tierhaaren eingesaut. Schon in Lauras Wohnung hatte mich das immer mal wieder gestört, aber das hier war noch einen Tacken schlimmer! Wie konnte man so ein Auto fahren? Auf der Rückfahrt wollte ich eindeutig bei Tobys Eltern mitfahren.
Im Diner selbst setzte ich mich zwischen Roger und Lena, da sich die Geschwister sofort neben ihre Eltern gesetzt hatten und ich Roger neben seinen Freund lassen wollte. Auch wenn ich wusste, dass sie sich nur scherzhaft gestritten hatten und sich schon wieder neckten, seitdem wir das Restaurant betreten hatten. Außerdem würde es dann nicht komisch aussehen. Was sollten denn Tobys Eltern denken, wenn ich mich zwischen das Paar setzte?
Ein Nachteil hatte das jedoch: Offenbar hielt der Kellner Lena und mich nun für ein Pärchen. Es war nicht weiter schlimm, aber dennoch etwas komisch, da ich sie ja kaum kannte. Zumindest bediente er uns entsprechend und als es ihr auffiel, grinste sie mich an und zwinkerte verschwörerisch. Ich tat es ihr gleich.
»Darf ich fragen, wie alt du eigentlich bist?«, fragte Iris, während wir auf das Essen warteten, und lächelte freundlich.
Etwas überrascht sah ich auf und musste erst einmal überlegen. Ich war schon lange nicht mehr nach meinem Alter gefragt worden. »Vierundzwanzig.«
»Oh, doch noch so jung?« Henry musterte mich prüfend. »So wie Toby und Roger von dir gesprochen haben, hätte ich dich für älter gehalten.«
Ich sah zu ihnen und zog eine Augenbraue hoch. Was hatten sie denn bitte über mich erzählt?
Toby verschluckte sich an seinem Wasser und brauchte einen Moment, bevor er antworten könnte: »Wir haben Isaac kennengelernt, als er noch sehr jung war.«
Ich grinste. Soso, seine Eltern wussten also, wie lange wir uns schon kannten. Zumindest entnahm ich das seinem Verschlucken. Ich sah sie wieder an und zuckte mit den Schultern. »Die meisten halten mich für älter und ich konnte durch meinen Beruf schon früh in Bars.«
»Was machst du denn?«, fragte Lena neugierig.
Was hatten sie über mich erzählt, wenn nicht das? Das verunsicherte mich. Sehr viel mehr gab es doch über mich nicht zu erzählen. »Ich bin Musiker, geb Gitarrenunterricht, arbeite als DJ und hab meine eigene Band. Deshalb konnte ich auch erst heute kommen. Wir hatten noch eine wichtige Probe mit ein paar neuen Bandmitgliedern, die ich nicht verschieben konnte. Und Donnerstag muss ich mich bei der Schule melden, für die ich die letzten Jahre gearbeitet hab, weil das Schuljahr wieder anfängt.«
»Wow, das klingt nach viel Arbeit.« Henrys Gesichtsausdruck nach zu urteilen war er wirklich beeindruckt. Oder er war ein guter Schauspieler. »Dann bist du sicher viel unterwegs, oder?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Nicht so viel, wie ich gerne würde. Mit meiner alten Band war ich häufiger unterwegs.«
»Das ist nicht deine erste Band? In wie vielen warst du denn schon? Kennt man dich vielleicht? Du kommst mir zumindest vage bekannt vor.« Lena legte etwas den Kopf schief und betrachtete mich eingehender.
Ich sah kurz zu Toby. Ob es schlimm war, wenn ich seine Familie anlog? Eigentlich wollte ich nicht, dass sie eine Verbindung zwischen mir und Samsa herstellten. Auch wenn ich bezweifelte, dass Tobys Eltern ihn kannten, bei seiner Schwester wäre es möglich. Das wäre mir etwas unangenehm.
Er lächelte nur zärtlich.
Ich nahm es als Zeichen, dass er mir freie Hand ließ. Womöglich hatte er seinen Eltern genau deshalb nichts in die Richtung erzählt? »Nein, ich denke nicht, es war nur eine kleine Band. Wir hatten ein paar Auftritte hier an der Ostküste, das war es auch schon. Aber immerhin mehr als mit der Aktuellen. Es läuft nur langsam an.«
»Schade, es wäre cool gewesen, wenn du berühmt wärst.« Kurz blieb Lenas Blick noch an mir hängen, dann wanderte er zu Roger und Toby, bevor sie wieder eher unbeteiligt wirkte.
Ich lächelte sie an. »Ja, fände ich auch. Dann wäre es sicher leichter, davon zu leben.«
Dabei musste ich wieder daran denken, dass mir das bisher nur möglich war, weil Peter mir Schweigegeld zahlte. Noch immer gefiel mir der Gedanke nicht, aber Roger hatte recht: Mir blieb keine andere Wahl. Außer ich wollte ›einen richtigen Job‹ annehmen. Das hatte er natürlich vor ein paar Tagen mal wieder vorgeschlagen. Zum Glück konnte Toby den Streit schnell schlichten und Roger klarmachen, dass es nun einmal meine Berufung war.
Da das Essen kam, wurde es etwas ruhiger am Tisch und die Gespräche konzentrierten sich auf Alltägliches und die Mahlzeit. Mir war das deutlich lieber, als hätten sie mich weiterhin ausgefragt. Sie schienen ja nett zu sein und ich mochte die offene Art von Tobys Familie, doch so ganz wohl war mir bei der Sache nicht. Was sollte ich bei seiner Familie? Dennoch hatte ich es Toby nicht abschlagen können, als er mich vor zwei Wochen gefragt hatte, ob ich zu seinem Geburtstag mit nach New York zu seinen Eltern fuhr. Es war immerhin sein Ehrentag und er wünschte es sich von mir. Was hätte ich denn sagen sollen? Außerdem war ich ein wenig neugierig gewesen.
Nur die ganze Woche hatte ich nicht bleiben wollen und dank der Termine auch gar nicht gekonnt. Im Gegensatz zu ihm und Roger konnte ich mir eben nicht einfach mal eine Woche freinehmen. Doch schon die Freude, die Toby gezeigt hatte, als ich ihm versprach, wenigstens für ein paar Tage und über seinen Geburtstag zu kommen, war es wertgewesen. Dafür ließ ich mich auch gern von seinen Eltern ausfragen.
Zum Glück musste ich dasselbe nicht bei Rogers Familie befürchten. Soweit ich wusste, hielt er den Kontakt auf einem Minimum.
Aber egal wie schwer es mir viel: Ich wollte einen möglichst guten Eindruck bei Tobys Eltern hinterlassen. Immerhin würde ich die nächsten Tage in ihrem Haus verbringen. Was würden sie wohl denken, wenn sie erführen, dass ein Freund ihres Sohnes total verkorkst war? Diese Probleme wollte ich Toby nicht aufhalsen.
Nachdem wir wieder bei Tobys Eltern zu Hause ankamen, verschwanden Lena und Roger für eine Weile, weil sie mit Lenas Hund rausgehen wollten. Sie fragten, ob ich mitkam, aber ich hatte kein Interesse. Wäre Toby mitgegangen, hätte ich sicher nicht mit seinen Eltern allein im Wohnzimmer gesessen, aber da auch er keine Lust hatte, konnte ich bei ihm bleiben.
Die Eltern schlugen vor, dass wir gemeinsam ein paar Brettspiele spielten. Toby stimmte zu und holte eines aus dem Schrank. Da ich es noch nie gespielt hatte, erklärte er mir die Regeln, während wir auf die Spaziergänger warteten. Im Endeffekt war es einfach: Wie Monopoly, nur dass man eben direkt Hotels kaufte. Es war lustig und da wir die ganze Zeit beschäftigt waren, kam ich gar nicht mehr in die Verlegenheit, dass jemand unnötigen Fragen stellte.
Tobys Eltern verabschiedeten sich ins Bett, sobald die Runde durch war. Wir hatten fast fünf Stunden an der Partie gespielt. Daher lehnte ich auch höflich ab, als Lena noch eine Runde vorschlug. Bevor mich jemand necken konnte, dass ich zu alt wurde – Roger war anzusehen, dass er etwas in die Richtung verbrechen wollte – schob ich hinterher, dass mich die Fahrt geschlaucht hatte. Wir einigten uns darauf, einfach ein paar kurze Runden Karten zu spielen. Dann konnte jeder ins Bett, wenn er zu müde wurde.
Toby war letztendlich der Erste, der meinte, er würde gerne ins Bett. Roger und Lena wollten noch wach bleiben, beschlossen aber, zumindest schon einmal in ihre Schlafklamotten zu schlüpfen. Ich nutzte die Gelegenheit und schloss mich ihnen an, bevor ich mich entschied, ob ich wach blieb.
Als ich meine Tasche aus dem Gästezimmer holte, sah ich mich fragend um. »Wo soll ich eigentlich schlafen?«
Toby und Roger blickten mich mit dem gleichen unverständigen Blick an. »Bei uns? Oder magst du lieber im Wohnzimmer auf der Couch schlafen? Dann gehen Lena und ich in ihre Wohnung und spielen dort.«
»Nein, ich meinte nur ... Ist das nicht komisch, wenn ich bei euch im Bett schlafe?«
Toby verzog besorgt das Gesicht und kam auf mich zu. »Warum? Tust du sonst doch auch. Das hat dich doch bisher auch nicht gestört.«
Roger musterte mich kurz, dann schmunzelte er. »Du weißt aber schon, dass Iris und Henry wissen, welches Verhältnis wir zueinander haben, oder?«
Erschrocken riss ich die Augen auf. War das sein Ernst?! Sie wussten davon, dass ich mit ihnen schlief? Warum erzählten sie Tobys Eltern so etwas?
Toby lachte auf. »Was dachtest du denn, was wir ihnen gesagt haben, warum du zu Besuch kommst?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich dachte einfach nicht, dass sie das so einfach hinnehmen würden.«
»Sie wissen schon von Anfang an, dass wir eine offene Beziehung führen. Das war auch nie ein Problem für sie. Warum sollte es also ein Problem sein, wenn wir dich mitbringen?«, erklärte Roger und legte von hinten seine Arme um mich.
»Weil es irgendwie schon merkwürdig ist ...« Ich wollte mir zumindest nicht vorstellen, wie mein Vater reagiert hätte, wenn ich ihm erzählt hätte, dass Peter und ich uns ab und zu mal eine Frau teilten. Selbst Lance’ Eltern wären kaum so locker damit umgegangen, auch wenn sie sonst sehr offen waren.
»Vielleicht«, gab Toby zu und kam von vorne auf mich zu, schloss seine Arme um Roger und mich. »Aber es ist ihnen egal, solange wir glücklich sind.«
Ich schlang meine Arme um ihn und sah zu ihm auf. Ich hoffte, dass er nicht in meinen Augen las, was ich wirklich für sie empfand. »Dann hoffe ich, dass ihr das auch tatsächlich seid.«
Toby senkte seine Lippen auf meine und küsste mich zärtlich. Danach lächelte er mich an. »Ich bin sehr glücklich.«
Ich sah nach hinten zu Roger, der mich ähnlich liebevoll küsste, jedoch etwas stürmischer als sein Freund. »Mehr als glücklich.«
»Ich auch.« So gut es ging, schmiegte ich mich an die beiden. Es war einfach zu schön, so mit ihnen zu kuscheln.
Roger küsste mich kurz in den Nacken, dann löste er sich. »Ich sollte mich beeilen, Lena will sicher nicht ewig warten. Wir können nachher weiterkuscheln. Oder magst du noch mitspielen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich geh lieber auch ins Bett.«
»Dann bis nachher.« Noch ein Kuss, dann ging er ins Bad.
Toby und ich ließen ihn sich in Ruhe fertig machen, bevor wir selbst hineingingen und danach im Bett verschwanden. Ich kuschelte mich an ihn und seufzte wohlig, als er mir den Nacken kraulte.
»Ich hoffe, es ist okay, wenn meine Familie davon weiß?«, fragte er leicht unsicher.
Ich nickte. »Ja klar. Ich war nur überrascht. Weil sie es scheinbar sehr gut aufgenommen haben. Ich hätte einfach nicht gedacht, dass das so einfach geht. Und danke nochmal, dass ihr mich eingeladen habt.«
Toby lachte leise. »Wir wissen doch, dass es für dich schon genug ins Geld geht, hierherzukommen. Und das ist uns wichtiger als Geld.«