Lance schien zu wissen, dass ich nicht gestört werden wollte, denn er klopfte nicht ein Mal, um zu fragen, ob alles in Ordnung wäre.
Erst nachdem es fast eine Stunde später an der Tür geklingelt hatte, klopfte es leise. »Isaac, können wir reinkommen?«
Ich stand auf, schloss die Tür auf und setzte mich, ohne etwas zu sagen oder die Tür zu öffnen, wieder aufs Bett.
Auf der anderen Seite wurde kurz getuschelt, dann öffnete sich langsam die Tür und Lance steckte seinen Kopf herein. »Du solltest Toby und Roger auch reinlassen, wenn du sie schon herbittest.«
Ich murrte. »Ich hab doch die Tür aufgemacht.«
Lance verdrehte die Augen, dann verschwand sein Kopf wieder. »Ich glaub, das heißt, ihr könnt rein.«
Tatsächlich traten einen Moment später Toby und Roger durch die Tür. Beide lächelten, doch etwas Besorgnis lag in ihren Blicken. »Hi, Kleiner. Können wir reinkommen?«
Ich nickte und rutschte auf meinem Bett in die Ecke an der Wand. Sie kamen näher und setzten sich auf die Bettkante. Als Toby nach meinem Bein greifen und seine Hand darauf legen wollte, zog ich es weg. Nein, gerade wollte ich keinen Körperkontakt. Sie akzeptierten es und blieben einfach auf der Kante. Roger hatte seine Hand jedoch auf Tobys Knie gelegt.
Noch einmal steckte Lance kurz den Kopf herein. »Braucht ihr mich hier? Sonst warte ich im Wohnzimmer.« Da ich schon bei der ersten Frage den Kopf geschüttelte hatte, verschwand er wieder und schloss die Tür hinter sich.
Sofort herrschte Stille im Raum. Ich wusste, dass Toby und Roger mich ansahen und warteten, dass ich etwas sagte. Doch obwohl ich die letzte Stunde damit zugebracht hatte, mir zu überlegen, was ich sagen wollte, wusste ich nicht, wie ich anfangen sollte. Immer wieder öffnete ich kurz den Mund, nur um ihn einen Moment später wieder zu schließen. Die Worte wollten meinen Mund nicht verlassen.
Irgendwann wurde Roger dann doch ungeduldig: »Wolltest du uns nicht was erzählen?«
Ich nickte leicht und sah dabei auf das Armband, das ich noch immer in den Händen hielt. »Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.«
»Wie wäre es mit dem Anfang?«, schlug er vor. Sein Ton hatte eine Mischung aus Ungeduld und Sorge angenommen.
Er stellte sich das so einfach vor. Dabei war es das nicht. Ich wusste nicht, wo und wann es angefangen hatte. Ich hatte in den letzten Jahren immer wieder darüber nachgedacht und versucht herauszufinden, wann ich hätte bemerken müssen, dass etwas schief ging. Doch die einzige Erkenntnis, zu der ich gelangt war, war die gewesen, dass ich es hätte merken müssen. Doch wann es wirklich angefangen hatte, konnte ich nicht sagen.
War es damals an Mats Geburtstag gewesen, nachdem ich mit Toby geredet und kurz gekuschelt hatte? Oder erst später, an dem Abend, an dem er Marie kennengelernt hatte? Wie hatte ich nicht merken können, dass das, was er an diesem Abend getan hatte, nur eine Vorstufe zu dem war, was er später tat?
Wie hatte ich so dumm sein können und nicht bemerken, dass er dafür verantwortlich war, dass ich Maries Email-Adresse nicht wiederfand? Er hatte nicht einmal geleugnet, sie heimlich entsorgt zu haben, als ich ihn später danach gefragt hatte!
»Isaac?«, riss mich Toby mit sanfter Stimme aus den Gedanken. Langsam hob ich den Kopf und sah ihm ins Gesicht. Mittlerweile war das Lächeln komplett verschwunden. »Was ist passiert? Warum möchtest du niemanden sehen? Sollte dein Geburtstag nicht ein schöner Anlass dafür sein?«
Bitter lachte ich auf, ging an den Schrank, aus dem auch das Armband geholt hatte, und nahm einen Zeitungsausschnitt heraus. Diesen drückte ich Toby wortlos in die Hand.
Beide Männer lasen kurz, dann wurde ihr Blick noch trauriger. Natürlich, sie waren nicht dumm, der Nachruf war eindeutig und drückte sehr gut aus, was passiert war. ›Lillian Valentine verstorben am 30.03.1995 im Kreis der Familie.‹ Es war wohl jedem klar, dass das nicht von einem auf den anderen Tag passierte. In zwei Tagen war das genau zwölf Jahre her.
»Das tut uns leid«, fand Toby nach einer Weile endlich ein paar Worte. »Das ist sicher nicht schön.«
Ich schüttelte den Kopf und sah wieder auf das Armband.
Kurz berührte mich Roger am Arm und erlangte damit meine Aufmerksamkeit. Er deutete auf das Stück Leder in meinen Händen. »Das ist aber sicher nicht von ihr. Und ich glaube nicht, dass du uns herbestellt hast, um uns zu sagen, dass deine Mum gestorben ist. Auch wenn das wirklich traurig ist.«
Ich seufzte und schüttelte wieder den Kopf.
Toby lächelte sanft und zeigte ebenfalls auf das Armband. »Das ist von Peter, oder? Du hast es immer getragen, als du mit ihm zusammen warst.«
Gedankenversunken strich ich über den völlig verkratzten Namen und nickte.
Toby überlegte kurz. »Du hast nicht geantwortet, nachdem ich dir zum Achtzehnten gratuliert hab. Hat es damit zu tun?«
Wieder nickte ich.
Doch so langsam wurde Roger wirklich ungeduldig. »Isaac, jetzt rück schon raus mit der Sprache! Was ist passiert?«
»Er hat mir wehgetan.« Meine Antwort war nur ein leises Flüstern. Roger wollte etwas sagen, doch Toby hielt ihn zurück. Doch selbst wenn er gesprochen hätte, hätte ich ihm gerade sowieso nicht zugehört. Ich wusste doch, was er sagen wollte. »Ich meine ... da zum ersten Mal ... also so richtig.«
Beide sogen hörbar die Luft ein. Dann sprachen beide gleichzeitig: »Er hat dir vorher schon wehgetan?« »Was hat er getan?«
Da ich sowieso nicht auf beides gleichzeitig antworten konnte, entschied ich mich für die angenehmere Frage, vielleicht vergaß Toby seine ja in der Zeit. »Ja ... nein ... ich weiß nicht ... ich glaub nicht absichtlich ...«
»Was soll das heißen?«
»Wir haben rumgealbert und dann hat er mir den Arsch versohlt.« Toby holte gerade tief Luft, da schob ich noch schnell hinterher: »Er dachte einfach nur, ich könnte darauf stehen, er hat das wirklich nicht böse gemeint. Ich hab ja auch nichts gesagt, weil eigentlich war es ja auch gut und ...«
Während ich geredet hatte, war ich unter Tobys mahnendem Blick immer weiter zusammengesunken. Dabei stimmte es doch! Er hatte es nur ausprobieren wollen und ich hatte doch auch nichts gesagt. So schlimm war es doch auch gar nicht gewesen.
Toby seufzte resignierend. »Und das war das einzige Mal?«
Schnell nickte ich. Ja, wehgetan hatte er mir vorher nur das eine Mal.
Ich wurde einen Moment gemustert, dann kam die verhasste Frage erneut: »Magst du uns erzählen, was an deinem Achtzehnten passiert ist?«
Ich nickte. Doch wieder fand ich keine Worte. Stattdessen befand ich mich plötzlich wieder in der Wohnung, saß auf dem Bett und wartete darauf, dass er mit dem Frühstück hochkam, das er mir versprochen hatte. Freudig strahlte ich, als die Tür aufging, doch statt ihm betrat ein völlig verzehrtes Abbild seiner Selbst das Zimmer. Was auch immer mit meinem Freund passiert war, das war er nicht! Den Mann, den ich liebte, hatte ich irgendwann zwischen dem Aufstehen und diesem Moment verloren.
»Kleiner?«, beförderte mich Tobys sanfte Stimme wieder in die Gegenwart.
Etwas verwirrt sah ich zu ihm auf und zwang mich wieder ruhiger zu atmen.
Er lächelte aufmunternd. »Wenn du nicht darüber reden willst, ist das in Ordnung, du musst dich nicht zwingen.«
»Ich will!«, schrie ich fast schon. Ja, das alles wollte unbedingt aus mir herausbrechen. Nur war es so viel, dass nicht alle Worte gleichzeitig meinen Mund verlassen konnten. Ich musste sie zähmen und dann nacheinander hinauslassen. Ich holte tief Luft und sortierte die ersten Gedanken. »Er hat deine SMS gelesen.«
»Welche?«, fragte Toby einen Moment verwirrt, dann schien er zu verstehen. »Die ich dir zum Geburtstag geschickt habe? Ja und? Das war doch nur ›ne SMS. Er wusste doch, dass wir befreundet sind. Er hat uns doch schon an Mats Geburtstag gesehen.«
»Du hast gesagt, du freust dich auf unser Date«, erinnerte ich ihn mit zittriger Stimme.
Eine ganze Weile überlegte er, wobei ihn Roger beobachtete. Dann ging ihm wohl ein Licht auf. »Du meinst wegen dem Tanzen? Aber das war ein Witz! Ich dachte ... Ich dachte, du weißt, was ich meine!«
»Wusste ich auch.« Wieder brachte ich nur ein Flüstern hervor. Je mehr ich erzählte, desto schlimmer wurde es.
»Warum hast du ihm das dann nicht erklärt?« Toby schien völlig überfordert. Sein Blick glitt unruhig hin und her, während er versuchte zu erfassen, was passiert war.
»Er hat mich nicht gelassen. Er war wütend. Er dachte, ich würde zu dir fahren, dabei wollte ich doch nur zu Lance. Aber er war so wütend. Er ist hochgekommen und hat mir das Handy an den Kopf geworfen. Ich wusste doch gar nicht, was los war, ich hatte es noch nicht gelesen. Dann ist er zu mir gekommen und hat mich gepackt, er hat mich angeschrien, hat immer wieder gesagt, dass nur er mich ficken darf, er hat mich festgehalten. Er hat mich aufs Bett gedrückt, mich festgehalten. Er hat ...«
»Isaac, beruhig dich!« Roger klang panisch, als er aufsprang und mich an den Schultern packte, um mich daran zu schütteln.
Ich hatte immer schneller gesprochen und letztendlich waren mir die Worte im Hals stecken geblieben, ich hatte einfach vergessen zu atmen. Erst langsam nahm ich die aufgewühlten grauen Augen wahr, die mich aus dem blass gewordenen Gesicht anstarrten. Mit einem erschrockenen Laut holte ich einmal tief Luft, hielt sie an und entließ sie zusammen mit den Tränen, die sich in meinen Augen gesammelt hatten.
Roger ließ mich los und sah zu seinem Freund. Beide schienen nicht zu wissen, wie sie reagieren sollten. Dann stand Toby einfach auf, setzte sich neben mich und zog mich in seine Arme.
Scheiße, ich hatte doch nicht weinen wollen! Und auch nicht kuscheln! Ich hatte ihnen das einfach nur erzählen wollen. Es ihnen erzählen und dann wieder vergessen, dass es geschehen war. Das war der Plan gewesen. Stattdessen lag ich nun in Tobys Armen und weinte sein Shirt voll. Und auch Roger legte eine Hand auf meinen Rücken und strich beruhigend darüber.
Nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, löste ich mich etwas von Toby. Dennoch streichelten mich beide ruhig weiter.
Er schloss kurz die Augen, holte tief Luft, dann hielt er meinen Blick gefangen. »Ich weiß, du willst die Frage sicher nicht hören und noch weniger beantworten. Aber bitte, könntest du nicht lügen? Dann antworte lieber gar nicht. Hat Peter dich vergewaltigt?«
Obwohl ich es nicht wollte, verkrampften sich meine Hände in Tobys Shirt. Ich senkte dem Blick, versuchte, dem seinen auszuweichen. Doch es gelang mir nicht, er hatte sich in meinen Kopf gebrannt. Und außerdem: Sie waren doch genau deswegen da oder nicht? Ich hatte sie gebeten zu kommen, damit ich es ihnen endlich sagen konnte.
Während ich Luft holte, um es endlich über meine Lippen zu bekommen, brach ich plötzlich in hysterisches Gelächter aus. Was tat ich hier eigentlich? Das war doch völlig albern!
Toby sah mich verwirrt an, als ich wieder aufblickte. Ich beruhigte mich etwas, dann brachte ich hervor: »Selbst wenn ich nichts sage, ist das doch auch eine Antwort.«
Aus Roger brach ein leiser Fluch hervor, während Toby mich fester an sich zog. Nachdem Roger mit Fluchen fertig war, fragte er: »Warum bist du nicht gegangen?«
Ich spürte, dass ich langsam wieder zu zittern begann, doch gerade wollte ich mich nicht davon unterkriegen lassen. Ich musste endlich lernen, diesem Mist nicht mehr zu erlauben, mich schwach zu machen!
Leise erklärte ich: »Ich wollte. Aber dann ... Ich wusste doch nicht, wohin ich gehen sollte. Ich konnte nicht zu meinem Vater und wenn ich bei Lance geblieben wäre, hätte ich ihm das erzählen müssen. Außerdem wollte er doch mit Janine zusammenziehen. Ich wollte ihm nicht im Weg stehen. Und die Band! Wir hatten doch am Montag die Pressekonferenz zur ersten Single, wo ich noch einmal offiziell vorgestellt werden sollte. Ich konnte doch nicht einfach gehen! Wenn ich gegangen wäre ... Und er hat sich doch entschuldigt. Er hat gesagt, er macht es nicht mehr, er hat gesagt, dass er mich liebt, dass er nur Angst hatte, dass ich ihn für dich verlassen würde. Es tat ihm doch leid. Er wollte das doch nicht, er war nur wütend. Er ...«
Roger strich mir sanft über den Kopf und ließ mich damit kurz innehalten. Seine Augen bohrten sich in meine, während er ruhig fragte: »Ist es bei dem einen Mal geblieben?«
Ich schwieg. Schon allein, weil in seiner Frage ein vorwurfsvoller Ton mitgeschwungen hatte.
Woher hätte ich denn wissen sollen, dass er sich nicht daran halten würde?! Ich konnte ja wohl nicht hellsehen! Ich war mir sicher gewesen, dass es ihm wirklich leidtat. Immerhin war er doch selbst völlig fertig gewesen. Er hatte mir doch nie wehtun wollen! Er hatte das doch alles nur getan, weil ich mich nicht an die Regeln gehalten hatte! Ich hatte ihm versprochen, vorerst nichts mit anderen Männern anzufangen, dennoch hatte ich immer wieder geflirtet. Dann hatten wir Regeln ausgemacht, unter denen ich auch mit anderen schlafen konnte, doch auch daran hatte ich mich nicht gehalten. Als ich merkte, dass es so nicht mehr ging, hatten wir beide beschlossen, es sein zu lassen. Dennoch hatte ich wieder angefangen zu flirten. Natürlich war er wütend gewesen, das konnte man ihm doch nicht zum Vorwurf machen! Es war einzig und allein meine Schuld!
»Hast du nicht gerade gesagt, keine Antwort ist auch eine Antwort?«, fragte Roger provokant und wurde dafür von Toby zurechtgewiesen.
Ich richtete mich auf und entfernte mich etwas von ihnen. Fest sah ich ihnen in die Augen. »Was soll ich denn sagen? Einerseits soll ich euch die Wahrheit sagen, andererseits hat Toby mir verboten, das zu sagen.«
»Was?« Beide sahen mich verständnislos an.
»Es ist meine Schuld! Ich hab ihn provoziert! Ich hab mich nicht an die Regeln gehalten und ihn verletzt. Er hat sich doch nur gewehrt! Hätte ich gemacht, was ich ihm versprochen habe, dann hätte er gar keinen Grund gehabt! Ich hab ihn dazu gebracht! Ich hab dafür gesorgt, dass er wieder mit dem H angefangen hat!« Während ich zum Anfang immer lauter geworden war, waren die letzten zwei Sätze nur noch geflüstert über meine Lippen gekommen.
Und kaum waren sie ausgesprochen, brach ich zusammen und weinte. Ich hätte ihn fast umgebracht! Nur wegen meiner Dummheit hatte er ein so schlechtes Gewissen gehabt, dass er versucht hatte, es mit dem Heroin zum Schweigen zu bringen. Dabei hatte ich doch gewusst, dass es für ihn schwer war, dem Druck zu widerstehen, wenn es ihm schlecht ging. Und dank mir war es zu einem Dauerzustand geworden, dass es ihm schlecht ging. Ständig hatte ich ihn verletzt und es nicht einmal eingesehen. Dabei waren wir so glücklich gewesen.
Ich wusste nicht, wie lange ich weinend auf dem Bett lag, bevor mich ein sanftes Streicheln aus meinen Erinnerungen riss. Toby und Roger hatten sich links und rechts neben mich gesetzt und flüsterten beruhigende Worte. Als er merkte, dass ich wieder geistig anwesend war, fragte Toby: »Hast du das schon mal jemandem erzählt?«
Ich schüttelte den Kopf.
Daraufhin mischte sich Roger ein. »Ich weiß, du brauchst im Moment eine Pause, aber genau deshalb solltest du zu einem Psychiater. Der kennt sich damit aus und weiß, wie er dir helfen kann. Der könnte dir auch klarmachen, dass du nicht daran schuld bist, was Peter mit dir gemacht hat.«
Bockig schnaubte ich. »Ich brauch keinen Psychodoc, der mir irgendwas einredet. Ich weiß, dass es meine Schuld ist!«
Frustriert seufzte Toby, lenkte dann aber ein: »Ist gut, wir können dir das sowieso nicht ausreden.« Roger wollte etwas sagen, wurde jedoch direkt unterbrochen. »Nein, lass gut sein, es bringt gerade nichts. Isaac, versprich uns, wenigstens mit uns darüber zu reden. Wenn du nicht mit uns darüber sprichst, dann hab ich Angst, dass wir irgendwann etwas tun, was dafür sorgt, dass es dir schlecht geht, und das will ich nicht. Ich will, dass du dich wohlfühlst, wenn du bei uns bist und keine Angst haben musst.«
»Ihr wollt noch immer, dass ich zu euch komme?«, fragte ich überrascht. Hatten sie mir denn nicht zugehört? Scheinbar nicht, denn Toby nickte. »Aber ... Ich bin ... ich ... Er hat ...«
»Egal, was er mit dir gemacht hat, deswegen haben wir dich doch nicht weniger gern«, konstatierte Roger.
»Aber ich bin schwach und er hat ... ich hab mich nicht wehren können. Ich bin ...«
»Nein, Kleiner, es ändert nichts.«
Überrascht sah ich erst Roger, dann Toby an, der mit einem Lächeln und Kopfnicken seinem Freund recht gab. Sie meinten das also ernst? Sie wollten noch immer, dass es wieder wie früher wurde? Ich hatte so damit gerechnet, dass sie mich verstießen, dass es mir nun schwerfiel, ihnen zu glauben. Irgendeinen Haken musste das Ganze haben. Vielleicht ...
Ich konnte ihnen nicht in die Augen sehen, während ich flüsternd fragte: »Und ... Sex?«
Roger brach in schallendes Gelächter aus, während Toby amüsiert schmunzelte. Er strich mir einige nasse Strähnen aus dem Gesicht, während er erklärte: »Natürlich. Aber erst, wenn du so weit bist und dann auch noch willst. Du solltest dich nicht dazu zwingen. Das macht es nur noch schlimmer. Nimm dir die Zeit, die du brauchst.«
Ich nickte und kuschelte mich an seinen Oberschenkel. Das klang gut, oder? Sie waren nicht böse oder verachteten mich, obwohl sie allen Grund dazu gehabt hätten. Immerhin war ich ein kleines, schwächliches Etwas. Dennoch wollten sie mich. Nicht nur als Freund.
Eine Weile streichelten mich beide zärtlich, dann griff Toby nach meinen Händen. Er versuchte, mir etwas zu entwinden, was dazu führte, dass ich die Augen öffnete, um zu sehen, was er da tat. »Magst du mir das geben?«
Erst als ich hinsah, bemerkte ich, dass ich noch immer das Armband in der Hand hielt. Scheinbar hatte ich es die ganze Zeit mit meiner Hand umklammert. Schnell schüttelte ich den Kopf und umfasste es noch fester.
Roger sah mich fragend an. »Ich denke nicht, dass du das noch brauchst. Du solltest es wegwerfen.«
Ich riss die Augen auf und schüttelte den Kopf noch heftiger. Nein! Ich konnte das doch nicht wegwerfen! Ich brauchte es noch! Es musste mich daran erinnern, wie dumm und naiv ich gewesen war.
Toby seufzte resignierend. »Ist gut. Wir nehmen es dir nicht weg.«
Kurz war ich verleitet, daran zu zweifeln, doch dann wurde mir wieder klar, mit wem ich redete. Sie hatten mich nie belogen. Warum sollten sie nun damit anfangen? Beruhigt kuschelte ich mich wieder an.
Toby und Roger ließen mir Zeit, mich etwas zu beruhigen, dann fragte Roger: »Wollen wir nicht lieber wieder zu Lance? Ich glaube, er langweilt sich allein im Wohnzimmer.«
»Ja, geht schon mal vor.« Ich erhob mich, legte das Armband und den Zeitungsausschnitt weg und ging dann ins Bad, um mich ein wenig frisch zu machen.
Als ich zu den anderen stieß, waren sie bereits in ein Gespräch vertieft und schienen sich gut zu unterhalten. Ich setzte mich dazu und lauschte ihnen eher als mich daran zu beteiligen. Dennoch war der Ausklang des Abends schön und ich musste nicht mehr an die Vergangenheit denken, bis die drei mich wieder allein ließen.
Leider war es mittlerweile nicht mehr möglich, dass Lance und ich die drei Tage komplett zusammen verbrachten. Aber ich hatte ja gewusst, dass er nicht ewig für mich den Babysitter spielen konnte. Ich musste lernen, auch für mich allein damit klarzukommen.
»In our hands we hold the future
As we live so we will die
Carry on to save mankind
Back to back we stand as one
’til the last crusade is done
We are leaving from the night«
Freedom Call – Metal Invasion