Ich steuerte einen relativ neuen, kleinen Szeneclub in Downtown an. Bisher war ich nur selten dort gewesen, doch so weit ich wusste, waren die meisten anderen heute geschlossen. Außerdem waren die Preise moderat. Auch wenn ich noch immer etwas mehr verdiente als im letzten Jahr, hatte ich beschlossen, das Geld, was ich nun sparte, da ich nicht mehr zum Psychodoc ging, ins Training zu investieren. Immerhin hatte ich versprochen, das so schnell wie möglich selbst zu übernehmen.
Der Türsteher grüßte mich und ließ mich ein, ohne nach einem Ausweis zu fragen. Schon bei meinem letzten Besuch hatte er mich sofort erkannt und mich ein wenig ausgefragt. Mittlerweile machte mir das zum Glück nicht mehr so viel aus. Solange die Männer nicht flirteten, konnte ich mich auch wieder ganz normal mit Fremden unterhalten.
Mein Weg führte mich direkt an die am anderen Ende des Clubs gelegene Bar. Bereits auf dem Weg dorthin, ließ ich meinen Blick über die Tanzfläche schweifen. Viel war noch nicht los, aber ich hoffte, dass es sich in der nächsten Stunde änderte, wenn noch mehr Leute von den Feierlichkeiten kamen.
Ich bestellte mir einen Wodka-O und ging mit meinem Getränk die Metalltreppe nach oben. Von dort aus konnte man den Großteil des Clubs im Auge behalten und war dennoch recht ungestört. Bevor ich mich daran machte, mir eine Beschäftigung für die restliche Nacht zu suchen, wollte ich erst mal etwas runterkommen.
Nachdem ich gemütlich meinen Wodka geschlürft hatte, war ich schon deutlich entspannter als zuvor. Ich stellte das Glas ab und ging wieder nach unten. Bereits von oben hatte ich ein bekanntes Gesicht ausmachen können und auf dieses steuerte ich zu.
»Guten Abend, Miss Dixon«, raunte ich von hinten an ihr Ohr und stellte mich dann grinsend direkt neben sie an die Bar.
Überrascht drehte sie sich zu mir herum. Sie brauchte wohl einen Moment, um mich zu erkennen, dann entfuhr ich ein überraschtes »Mr. Valentine!«
»Lassen wir doch die Förmlichkeiten«, bot ich mit süffisantem Unterton an. Ich war immerhin schon seit einem Jahr kein Student mehr. »Nenn mich ruhig Samsa.«
»Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen das ›Du‹ angeboten zu haben.«
Ich ließ mich von ihrem abweisenden Blick nicht einschüchtern. Sollte sie ruhig so unnahbar tun, ich wusste genau, was ich an diesem Abend wollte: Sie. Sie wäre die perfekte Ablenkung. Auch wenn ich mich nicht mehr an alles erinnerte, was an jenem Abend geschehen war, es war genug, um zu wissen, dass sie richtig geil wurde, wenn man etwas härter mit ihr umsprang. Etwas Besseres konnte mir heute nicht passieren.
Ich grinste sie selbstsicher an, machte einen Schritt auf sie zu und raunte ihr dann ins Ohr: »Oh, ich glaube schon. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, diesen Namen schon einmal aus deinem Mund gehört zu haben. Na los, sag es noch einmal: Samsa.« Meinen Namen sprach ich mit einem rauchigen, leicht gestöhnten Ton aus. Genau so, wie sie es damals getan hatte.
Sicher wurde sie gerade rot, doch ich konnte das hier bei den blitzenden Lichtern nicht wirklich ausmachen. Zumindest sackte aber ihre Körperhaltung etwas in sich zusammen und ihr Blick verlor etwas von seiner Ablehnung.
Demonstrativ fuhr ich mir mit der Zunge über die Unterlippe. »Na komm schon, ich will es hören.«
»Verschwinde!«
Sie wollte sich von mir abwenden und gehen, doch ich legte meine Hände links und rechts von ihr auf den Tresen und hielt sie dadurch davon ab. »Was ist? Willst du mir erzählen, dir hätte das damals nicht gefallen?«
»Genau das. Lassen Sie mich jetzt bitte gehen.«
Mit einem überheblichen Lächeln schüttelte ich den Kopf und verringerte den Abstand zwischen uns noch etwas. »Bist du dir da sicher? Ich könnte schwören, dass du ziemlich geil auf mich warst. Dir muss das nicht peinlich sein. Es wird dich niemand dafür verurteilen, dass du ein kleines Miststück bist, dass darauf steht, Befehle auszuführen.«
»Mr. Valentine! Reißen Sie sich ...« Weiter kam sie nicht, denn sie verstummte sofort, als ich ihr sanft meinen Zeigefinger auf die Lippen legte.
Zufrieden nickte ich und nahm ihn wieder weg. »Hör zu, was hältst du davon, wenn du diese Scharade einfach aufgibst und wir uns ein gemütliches kleines Zimmer für die Nacht suchen. Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen.« Ich trat noch einen halben Schritt vor, sodass sie sich gar nicht mehr bewegen konnte, ohne mich zu berühren. Mit sanfter Stimme fuhr ich fort: »Wo ist dein Problem? Ich glaub dir nicht, dass du das nicht wiederholen willst.«
»Wozu? Damit du vor deinen Kumpels angeben kannst?« Noch immer stand eine Menge Ablehnung in ihrem Blick, doch bei Weitem nicht mehr so viel wie zu Anfang.
Ich unterdrückte ein Lachen und legte stattdessen vorsichtig eine Hand auf ihre Wange. Hätte sie auch nur das geringste Anzeichen gezeigt, ihr Gesicht wegzuziehen, hätte ich sie nicht angefasst, doch es blieb aus. »Ich habe nie damit angegeben. Ich musste es James nur erzählen, weil du mir das Leben schwergemacht und damit meine Karriere gefährdet hast. Warum sollte ich damit angeben wollen? Lieber schweige ich und genieße, wie du dich lustvoll unter mir windest.«
Sie kaute kurz auf ihrer Unterlippe herum, was mich zum Schmunzeln brachte. Als Dozentin hätte sie das nie getan, doch zu ihrer unterwürfigen Art, die sie im Bett zeigte, passte es. Doch nach einem Moment schüttelte sie energisch den Kopf. Sofort zog ich mich einen Schritt von ihr zurück. Ihr Blick war wieder vollständig abweisend. »Ich hab kein Interesse an einem jüngeren Mann.«
Ich nickte und zuckte dann mit den Schultern. Wie sie meinte, ich würde sie nicht zwingen. Ich konnte es sogar ein wenig nachvollziehen. Bei so etwas spielte auch die Psyche eine große Rolle und wenn die Vorstellung, Befehle von einem jüngeren Mann anzunehmen, sie nicht anmachte, dann brachte es auch nichts. Auch wenn es wirklich schade war, vermutlich würde es schwer werden, einen guten Ersatz zu finden. »Dann wünsche ich dir noch einen schönen Abend.«
Einen Moment wirkte sie überrascht, dann breitete sich ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Wünsche ich dir auch. Vielleicht hast du ja bei ihr etwas mehr Glück.«
Ich blickte in die Richtung, in die ihre Blicke deuteten. Lange musste ich nicht suchen, um zu erkennen, wen sie meinte. Denn gerade als ich meinen Kopf drehte, senkte eine noch recht junge Frau verlegen ihren Blick. Offensichtlich hatte sie uns beobachtet.
Ich nickte meiner ehemaligen Dozentin dankend zu und machte mich auf den Weg.
Auch wenn die junge Frau erst aufsah, als ich bei ihr ankam, ließ ich meinen Blick nicht von ihr ab. Ihre Kleidung war schlicht, wenig auffallend und hatte eher etwas Mädchenhaftes. Die langen blonden Haare und das schneewittchenhafte Make-up komplettierten den Eindruck. Dennoch war klar, dass sie uns beobachtet hatte. Dem dünnen Halsband um ihren Hals nach zu urteilen, konnte Miss Dixon recht haben. Hoffentlich wusste die Frau, was der Metallring daran aussagte und trug es nicht nur aus einer Mode heraus. Auf einen zweiten Reinfall heute Abend hatte ich keine Lust. Ein Herr dazu war jedenfalls nirgendwo zu sehen, das war schon einmal gut.
Als ich vor ihr stand, warf sie nur einen ganz kurzen, schüchternen Blick zu mir. Pro forma lächelte ich, da ich hoffte, sie würde richtig aufschauen, wenn ich mit ihr sprach. »Hey, magst du was trinken?«
Sie sah nur leicht auf und schüttelte den Kopf.
Verwundert kräuselte ich die Augenbrauen. War sie verschüchtert, tatsächlich doch mit jemand anderem hier oder wo war ihr Problem? »Sicher? Ich geb dir auch einen aus.«
Ihr Blick hob sich etwas weiter und sie betrachtete mich abschätzig.
Ich ließ ihr die Zeit und sah ihr währenddessen in die blauen Augen. So ein strahlendes Blau hatte ich bisher selten gesehen, selbst in dem recht dunklen Club kam es ausgezeichnet zur Geltung. Ihre Stimme, die ich nun zum ersten Mal hörte, stand in völligem Gegensatz dazu. Sie war leise und drang nur zaghaft durch den Bass der Musik. »Aber nur eine Cola.«
»Klar, gern. Wartest du hier oder muss ich Angst haben, dass du wegrennst?«, fragte ich in leicht scherzhaftem Ton.
Doch sie schien es nicht wirklich zu verstehen, senkte nur wieder ihren Kopf und zuckte mit den Schultern.
Ich schüttelte leicht den Kopf und marschierte zur Bar. Na ja, ich würde es ja sehen, ob ich gleich zwei Getränke allein trinken durfte.
»Schön soll sie sein – und stark!
Ein Gegner wird von mir gesucht!
Ein Opfer?! Nein, das reicht mir nicht!
Den Sieg erringen, bringt mir Lust!«
Crisk. – Beute