Als sich die Tür zum Gästezimmer öffnete, flog ein Lächeln in mein Gesicht. Roger würde sich niemals die Gelegenheit entgehen lassen, sich dazuzukuscheln. Dafür mochte er es viel zu sehr, mit uns beiden zusammen zu sein. Genau wie ich und Toby.
Erst sah ich seine Beine, dann hockte er sich vor mich und sein Gesicht tauchte vor mir auf. Seine Augen waren gerötet. »Du solltest gehen, bevor ich Toby wecke.«
»Was?!«, fragte ich verwirrt.
»Ich möchte, dass du gehst. Jetzt!« Roger stand auf und sah böse zu mir herunter.
Er hatte mit Lena gesprochen!
Vorsichtig, um Toby nicht zu wecken, richtete ich mich auf und setzte mich hin. Flehend sah ich ihn an. »Ich geh morgen, sobald ich wach bin. Aber ich will Toby nicht den Geburtstag versauen. Nur noch diese eine Nacht! Bitte.«
»Nein, ich werde keine weitere Nacht mit dir in einem Bett schlafen. Und jetzt mach, dass du wegkommst!«
»Roger, bitte, lass uns reden. Ich glaub, du hast da etwas gewaltig missverstanden.« Ich griff nach seinen Händen und hielt sie fest.
»Was gibt es da falsch zu verstehen? Willst du mit uns zusammensein oder nicht?«
Ich senkte den Kopf und bevor ich etwas sagen konnte, sprach Roger schon weiter: »Dann geh! Verschwinde! Mach jemand anderem etwas vor!«
»Roger«, flehte ich. Ich wollte wenigstens eine Chance, mich zu erklären.
Hinter mir erhob sich Toby. Noch halb verschlafen fragte er: »Was ist denn los?«
»Na los, sag es ihm! Sag Toby, was für ein Wichser du bist!«
»Roger!«, kam es von mir und Toby gleichzeitig. Von mir flehend, von Toby entsetzt. Eine Hand legte sich auf meine Schulter, doch ich schüttelte sie ab.
Während ich noch nach Worten rang, flossen mir Tränen über die Wangen. Ich wollte sie nicht verlieren! Doch gleichzeitig hielt ich es gerade nicht aus, dass Toby versuche, mich durch seine Nähe zu trösten. Ich rutschte von ihm weg.
»Was ist passiert?«, fragte Toby noch einmal eindringlicher.
»Sagst du es jetzt? Sonst mach ich’s.«
Ich holte tief Luft und brachte meine Stimme unter Kontrolle. »Lena hat heute Morgen gesagt, dass sie glaubt, dass wir zusammen sind. Ich hab ihr nur gesagt, dass das ein Missverständnis ist. Ich ... Ich weiß nicht, was sie Roger erzählt hat.«
»Raus!«, befahl Roger und deutete zur Tür.
»Roger«, sagte Toby sanft und zog seinen Freund in seine Arme. »Beruhig dich.«
»Ich will mich nicht beruhigen! Er hat uns angelogen.« Roger versuchte, sich zu befreien, wurde jedoch eisern festgehalten.
»Ich hab euch nicht angelogen«, verteidigte ich mich leise und schlang meine Arme um die Knie.
»Du hast uns etwas vorgespielt! Du hast so getan ...« Rogers Stimme brach und als ich aufsah, bemerkte ich, dass er zitterte. Ich hörte leises Schluchzen, während Toby ihm verzweifelt durch die Haare fuhr und beruhigend auf ihn einsprach.
»Ich hab euch nichts vorgespielt«, flüsterte ich vor mich hin. Mir war egal, ob sie mir zuhörten, ich musste es loswerden. »Ich hab mich in euch verliebt, das war nicht gespielt. Ich liebe euch wirklich!«
»Ich weiß«, flüsterte Toby zärtlich und streichelte mir über den Kopf.
Ich schüttelte ihn, um die Hand loszuwerden.
»Warum sagst du das dann? Warum sagst du, dass du nicht mit uns zusammen sein willst?«, jammerte Roger.
Ich wischte mir die Tränen aus den Augen. »Hab ich nicht. Ich hab nur gesagt, dass wir nicht zusammen sind.«
»Kleiner, komm her«, forderte Toby, doch ich wehrte mich erneut dagegen, in seine Arme gezogen zu werden. »Warum kommst du nicht her?«
»Weil ihr das nicht wollt. Ich kann nicht mit euch zusammen sein.«
Roger schniefte geräuschvoll. »Natürlich wollen wir. Wie kannst du etwas anderes glauben? Wir lieben dich doch genauso.«
»Ich kann aber nicht! Ich kann nicht mit euch zusammensein! Es geht einfach nicht.«
Toby seufzte und unterbrach damit Roger, der gerade etwas erwidern wollte. »Beruhigt euch bitte beide erstmal. So können wir nicht miteinander reden.«
»Ich will nicht reden. Ich will, dass Isaac geht! Er hat uns belogen.«
Er hatte recht, ich sollte gehen. Also stand ich auf und zog mich an.
»Roger, bitte sei doch mal vernünftig. Ich weiß, dass du dir das gewünscht hast, ich will es doch auch. Aber du kannst es nicht erzwingen.«
In mir zog sich alles zusammen. Allein die Art, wie sie darüber sprachen, zeigte, dass sie es ernst meinten, dass sie wirklich vorgehabt hatten, eine Beziehung mit mir zu führen. Etwas, was ich mir so lange gewünscht hatte und nun zu feige war, darauf einzugehen.
Ich sah zu Toby, der Roger sanft wog, und wollte mich verabschieden, doch er hielt mich auf. »Isaac, bleib.«
Ich wischte mir weitere Tränen aus den Augen und deutete auf Roger. »Ihr wollt mich nicht mehr hier haben. Und ich kann es verstehen. Ich hab euch verletzt.«
»Aber wenn du jetzt gehst, dann verletzt du dich auch noch. Du bist viel zu aufgewühlt. Ich will nicht, dass du einen Unfall baust. Bleib wenigstens hier, bis du dich beruhigt hast.«
Auch wenn ich es nicht wollte, ich musste mich damit abfinden, dass er recht hatte. Ich durfte so nicht fahren. Langsam ließ ich mich auf dem Schreibtischstuhl nieder.
Unweigerlich sah ich den beiden zu, wie sie miteinander kuschelten und sich beruhigten. Es gefiel mir, ich wollte sie für immer so miteinander sehen. Gleichzeitig fühlte ich mich ausgeschlossen. Ich wollte dazugehören und hätte es dennoch nicht ertragen.
Als Roger sich etwas beruhigt hatte, entschuldigte er sich leise und ging ins Bad. Toby stand ebenfalls auf und zog sich an. Die gesamte Zeit hatte er nur sein Shirt angehabt.
Ich wollte mich erheben und gehen, doch ein kurzer Blick von Toby ließ mich bleiben.
Mittlerweile war auch ihm anzusehen, dass es ihn mitnahm. Er kam auf mich zu und wollte mir über die Wange streicheln, doch ich wich aus. »Bist du dir sicher? Du willst das wirklich nicht? Glaubst du uns nicht, dass wir dich lieben?«
»Doch. Aber ich ... Es liegt nicht an euch. Ich kann das einfach nicht.«
Erneut wich ich aus, als er mich streicheln wollte. Er kniff die Augen zusammen und seufzte. Es fiel ihm offensichtlich schwer, mich nicht anfassen zu dürfen. Daher nahm ich zumindest seine Hand in meine. Das war das Einzige, was ich zulassen konnte.
Toby lächelte einen Moment lang. »Was hält dich davon ab?«
Ich schüttelte den Kopf. Darüber konnte ich nicht reden. Er hätte doch nur wieder behauptet, dass ich log.
»Magst du es dir nicht wenigstens überlegen. Ich meine ... Die letzten Monate waren schön. Du hast gesagt, dass unser Haus dein Zuhause ist und wir würden es wirklich gern mit dir teilen. Du musst ja nicht einziehen, aber wir würden uns freuen, wenn du zu uns kommen würdest, wenn dir danach ist.«
»Toby, versteh doch: Ich kann das nicht. Ich kann keine Beziehung mit euch führen, das geht einfach nicht.«
Toby entriss mir seine Hand und sah mich verzweifelt an. »Warum nicht? Verdammt, sag uns doch wenigstens, warum du das nicht kannst.«
»Weil ich euch verletzen würde! Genau wie jetzt. Ich würde euch immer wieder verletzen. Ich kann keine Beziehung führen. Nicht mit euch und auch nicht mit sonst jemandem!«
Toby schüttelte den Kopf. »Was macht dich da so sicher? Woher willst du das wissen, wenn du es nicht versuchst?«
»Weil ich es versucht habe!« Ich sprang auf und gestikulierte wild. »Und du hast doch gesehen, was passiert. Du hast wegen mir Roger verletzt, weil ich mich nicht an eine simple Regel halten konnte. Er hat sogar darüber nachgedacht, dich deshalb zu verlassen! Ich hätte fast eure Beziehung zerstört! Wenn ich nicht einmal das hinbekomme, wie glaubst du dann, dass ich es schaffen könnte, die Regeln einzuhalten, die zwangsweise auf mich zukommen würden? Wie?!«
Erneut versuchte Toby, mich in den Arm zu nehmen, doch diesmal wurde es mir endgültig zu viel und ich stieß ihn weg. Er sollte mich verdammt nochmal nicht anfassen!
»Es gab für mich eine beschissene Regel! Eine Einzige! Und soll ich dir was sagen? Nicht einmal an die konnte ich mich länger als zwei Wochen halten!«
Toby brauchte einen Moment, um sich zu fassen – sowohl körperlich als auch geistig. Dennoch sprach er erstaunlich ruhig. »Isaac, das ist okay. Na und, dann bist du halt wieder betrunken mit einem Kerl im Bett gelandet. Wir haben nicht erwartet, dass es sofort aufhört.«
»Verdammt, hör auf, so scheiß verständnisvoll zu sein!« Er sollte endlich zeigen, dass es ihn verletzte, dass ich Scheiße gebaut hatte! »Ich hab euch betrogen! Statt wie versprochen mit euch zu reden, hab ich mich zugedröhnt und von ’nem Wildfremden vögeln lassen! Ich wusste, dass es euch verletzen würde, trotzdem hab ich’s getan!«
»Hey, ich versteh das doch, es ist okay. Es war eben noch zu früh für diesen Schritt. Wir können darüber reden und finden eine Lösung, mit der wir alle leben können.« Noch immer versuchte er, mich verständnisvoll anzulächeln.
Wütend griff ich nach meiner Tasche. »Fick dich! Du verstehst überhaupt nichts!«
»Isaac, setz dich hin! Du wirst so nicht fahren!« Diesmal packte er mich, ohne mir eine Chance zu lassen, auszuweichen, und drängte mich zum Bett. »Setz dich hin und komm runter!«
Wie gelähmt saß ich da und starrte ihn an. Er hatte mich angepackt! Gegen meinen Willen hatte er mich gezwungen, zu bleiben. Die Hände, die meine Arme umklammert hielten, taten höllisch weh, brannten sich fast in meine Haut. Ich musste sie abschütteln! »Lass mich los! Verdammt, lass mich los!«
»Ich lass dich los, sobald ich sicher bin, dass du dich nicht zu Tode fährst! Du bleibst jetzt hier sitzen, bis du wieder klar denken kannst.«
»Du kannst mich nicht zwingen!«
»Scheiße, ich will dich auch nicht zwingen. Aber noch weniger möchte ich, dass dir etwas zustößt. Isaac, Roger und ich, wir lieben dich. Wir können nicht zulassen, dass dir wegen so einer Lappalie etwas passiert.« Der Griff um meine Arme wurde sanfter, so wie auch Tobys Worte.
Mit den vertrauensvollen Worten beruhigte sich mein Gemüt, die Angst verschwand, sobald ich merkte, dass ich mich wieder selbst aus dem Griff befreien könnte. Doch das wollte ich gar nicht mehr. Mir liefen die Tränen über die Wangen.
Toby schien zu bemerken, dass meine Gegenwehr sank, und zog mich in seine Arme. Zärtlich streichelte er über meinen Kopf und küsste meinen Hals. »Kleiner, wenn du nicht willst, ist das in Ordnung, wir müssen nichts an unserer Beziehung ändern. Wir können weitermachen wie bisher, wenn du das wirklich willst. Dann bleibst du eben unsere Affäre, das ist okay. Aber bitte, nimm dir wenigstens die Zeit, darüber nachzudenken. Sag nicht nein, nur weil du Angst davor hast. Du machst dich damit nur selbst unglücklich.«
Schniefend nickte ich. Nicht, weil ich davon überzeugt war, sondern weil ich nicht wollte, dass Toby mich losließ. Ich wollte von ihm gehalten werden, solange es ging.
Toby hielt mich, bis ich aufhörte zu weinen. Roger kam in der Zeit nicht wieder ins Zimmer zurück. Einmal glaubte ich, kurz die Tür zu hören, doch er war nicht zu sehen. Er war vermutlich noch immer sauer auf mich.
»Versprich mir, dass du noch einmal darüber nachdenkst, was du willst«, forderte Toby, als er mich losließ.
Ich nickte, diesmal schon etwas überzeugter. »Ich werd jetzt trotzdem fahren. Tut mir leid, dass ich dir deinen Geburtstag versaut habe.«
»Schon gut. Wenn du mir noch etwas schenken willst, dann denk einfach an vorhin, wenn du darüber nachdenkst, wie es weitergehen soll.« Toby strich mir eine nasse Strähne aus dem Gesicht. »Verabschiede dich bitte wenigstens noch von Roger. Und fahr vorsichtig.«
»Mach ich.« Ich stand auf, schnappte mir die Tasche, die ich achtlos hatte fallen lassen, und suchte Roger. Zum Glück fand ich ihn in der Küche, ohne jemand anderem zu begegnen. Betreten stand ich in der Tür. »Ich fahr dann jetzt.«
»Ist gut. Komm gut nach Hause.« Er sah mich nicht einmal an, aber ich konnte hören, dass seine Stimme erneut kurz vor dem Brechen war.
»Es ... Es tut mir leid. Toby hat mich überredet, dass ich noch einmal darüber nachdenke ... aber ich weiß nicht, ob ich das kann.«
»Meld dich, wenn du in Boston angekommen bist. Oder etwas weißt.«
Auch wenn er es nicht sah, weil er sich nicht einmal zu mir umgedreht hatte, nickte ich. Es tat weh, dass er mich so abweisend behandelte, aber etwas anderes hatte ich nicht verdient. Spätestens wenn Toby ihm sagte, worüber wir noch gesprochen hatten, würde er mich sowieso nicht mehr sehen wollen.
Auf dem Weg aus dem Haus begegnete mir zum Glück niemand und ich kam unbehelligt zu meinem Motorrad. Ich sah noch einmal auf die Türmatte, dann stieg ich auf und fuhr los. Wenn ich mich beeilte, war ich vor Mitternacht zu Hause.
»I thought the memories wouldn’t be so strong
And all would fade away
And I could move on
I believed to found something new inside
To chase away the darkness in my mind
But I still cannot find«
Allen & Lande – When Time Doesn’t Heal