»Oh Gott, Kleiner, komm raus da!« Zwei Arme griffen nach mir und zogen mich auf die Beine.
Ich war noch gar nicht weit genug wieder bei mir, um mitzubekommen, wo ich überhaupt war. Das Einzige, was ich merkte, war, dass es schweinekalt war. Meine Zähne klapperten.
Wenig später spürte ich etwas Weiches. Vorsichtig wurde es einmal über meinen ganzen Körper getupft, bevor es wieder verschwand. Doch warm war mir dadurch nicht geworden. Zwei kräftige Hände schoben mich vorwärts, bis ich gegen etwas großes Hartes stieß. Sanft wurde ich darauf gedrückt, dann umhüllte mich eine wohlige Wärme. Doch so wirklich half sie nicht, damit ich mit dem Zittern aufhörte.
Eine Hand bahnte sich ihren Weg auf meine Haut. Dann vernahm ich erneut die Stimme: »Was hast du denn gemacht? Du bist ja völlig unterkühlt!«
Ich wollte antworten, doch wusste nicht, was. Gerade wusste ich ja nicht einmal, wo ich war.
Erst als ich mir die Mühe machte, darüber nachzudenken, kam ich langsam zu mir. Nun nahm ich auch wieder meine Umgebung wahr. Ich lag in Tobys Armen auf dem Bett. Vorsichtig streichelte er mir über den Arm, während er besorgt zu mir heruntersah.
»Es tut mir leid«, brach es aus mir heraus. Verdammt, ich hatte das doch nicht gewollt! Niemals hätte ich gewollt, dass die beiden sich wegen mir stritten. Das alles war doch allein meine Schuld. Ich hatte Toby dazu verleitet.
»Pst, es ist alles gut«, flüsterte Toby und strich mir liebevoll durch die Haare. »Es ist alles gut. Es ist nicht so schlimm.«
Auch wenn ich Tobys Worte verstand, glauben konnte ich sie nicht. Doch ich war auch nicht in der Lage, mit ihm zu diskutieren. Alles was ich konnte, war, stetig zu wiederholen, dass es mir leidtat, und zu hoffen, dass wenigstens er mir glaubte.
Erst nach einer ganzen Weile beruhigte ich mich und nahm die sanften Berührungen auf meinem Haar bewusst wahr. Auch Toby schien sich die ganze Zeit wiederholt zu haben. Noch immer versicherte er mir fortwährend, dass alles gut und keiner mir böse wäre.
Als Toby bemerkte, dass ich mich etwas beruhigt hatte, hörte er auf, auf mich einzureden, streichelte mich jedoch weiterhin. Das war gut und besser, als hätte er mir Fragen gestellt. Noch war ich nicht bereit, mit ihm zu reden. Ich genoss ein wenig die trügerische Stille, bevor er mich unweigerlich hinauswarf. Er wollte mich sicher einfach nur nicht so aufgelöst vor die Tür setzen.
Ich zuckte augenblicklich zusammen, als sich die Schlafzimmertür öffnete. »Hey, was ist nun? Das Essen wird kalt.«
Natürlich, jetzt hielt ich Toby auch noch vom Essen ab! Ich konnte nichts richtig machen. Ich war einfach zu blöd. »Es tut mir leid.«
Tobys Arme legten sich fester um mich und ich hörte, wie sich uns Schritte näherten. Nein, ich wollte nicht, dass er mir wehtat!
Als mich eine weitere Hand an der Schulter berührte, wimmerte ich leise und drückte mich näher an Toby. »Es tut mir leid! Ich wollte das nicht.«
Durch meine eigene Litanei hindurch hörte ich Roger fragen: »Was ist denn los?«
Während er antwortete, streichelte Toby mich beruhigend weiter. »Ich weiß nicht, was los ist. Ich hab ihn unter der Dusche gefunden. Er war schon völlig durchgefroren. Aber mehr bekomm ich aus ihm nicht raus.«
Ich spürte, wie sich die Matratze neben mir senkte, dann wurde kurz die Decke angehoben, in die mich Toby fürsorglich eingewickelt hatte. Einen Moment später drückte sich ein angenehm warmer Körper gegen mich. »Isaac, es ist alles gut, du hast doch überhaupt nichts gemacht.«
»Ihr habt euch ... wegen mir ... Es tut mir leid.«
Roger seufzte. »Beruhig dich erstmal, Kleiner. So versteht dich ja keiner.«
Ich schniefte und versuchte, mich zusammenzureißen, doch es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich mich wirklich beruhigt hatte. Während der ganzen Zeit hielten mich Toby und Roger in ihren Armen. Doch auch als ich endlich aufgehört hatte zu zittern und zu schniefen, war ich noch immer nicht in der Lage zu reden.
Die beiden schienen sich nicht daran zu stören. Sie streichelten mir über Rücken und Nacken und unterhielten sich leise miteinander. Es klang, als besprächen sie ihren Wochenendeinkauf.
Ich wusste nicht, wie lange ich so da lag, doch irgendwann wandte sich Toby dann doch an mich: »Kleiner, hast du dich beruhigt?«
Bemüht ruhig nickte ich. Ich merkte, dass nun doch langsam wieder die Angst in mir hochkroch. Jetzt warfen sie mich raus.
»Kannst du uns dann bitte erklären, was gerade los war?«
»Ihr habt euch wegen mir gestritten«, schluchzte ich.
»Niemand hat sich wegen dir gestritten. Wir haben uns gestritten, weil Toby mich verletzt hat.«
»Aber ich hab ...«
»Du hast gar nichts getan«, unterbrach mich Toby. »Wir haben dir doch schonmal erklärt, dass wir allein dafür verantwortlich sind, uns an unsere Regeln zu halten. Du hast dich nur darum zu kümmern, dass es dir bei allem, was wir tun, gut geht.«
»Aber Roger ist jetzt sauer auf dich.«
»Nein, bin ich nicht. Ich bin nur enttäuscht. Ich hätte mir gewünscht, dass ihr beide vorher mit mir gesprochen hättet. Aber das haben Toby und ich schon geklärt.« Roger strich mir ein paar nasse Strähnen aus dem Gesicht.
»Trotzdem bin ich schuld.«
»Hast du Toby dazu gezwungen?«, fragte Roger plötzlich böse.
Eilig schüttelte ich den Kopf. »Nein!«
»Dann ist es nicht deine Schuld. Toby kann gut für sich allein bestimmen, ob er mitmacht oder nicht.«
»Du bist also nicht böse auf mich?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
Ängstlich zuckte ich zusammen, doch da Roger mich trotz seiner Worte sanft anlächelte und weiter über meinen Rücken streichelte, beruhigte ich mich schnell wieder.
»Du wusstest immerhin auch, dass ich das nicht möchte. Aber es ist nicht deine Schuld. Das würde ich auch niemals annehmen.«
Eher wenig überzeugt nickte ich. Wenn es nicht meine Schuld war, wessen dann?
Doch bevor ich mich dazu äußern konnte, sprach Roger schon weiter: »Ihr habt beide Mist gebaut. Ich bin alles andere als begeistert, aber es lässt sich jetzt nicht mehr ändern. Ich würde mir nur wünschen, dass das nicht nochmal vorkommt. Ich vertraue euch beiden und ich will mir nicht jedes Mal, wenn ihr allein seid, Gedanken machen müssen, ob vielleicht wieder etwas passiert, was ich nicht möchte.«
»Tut mir leid.«
»Ist schon gut. Ich kann es ja verstehen. Ihr wolltet es beide und das war nun mal die einzige Möglichkeit.« Verständnisvoll lächelte Roger mich an. »Versprecht mir einfach, das nächste Mal wenigstens kurz innezuhalten und an mich zu denken und im Zweifelsfall vorher mit mir zu reden, okay?«
Ich nickte langsam, was ihn noch mehr lächeln ließ. »Schön, bekomm ich dann jetzt einen Versöhnungskuss von dir?«
Leicht schüchtern lehnte ich mich weiter in Rogers Richtung, bis er mir etwas entgegenkam und mich kurz küsste. Dann erhob er sich. »Dann zieh dich jetzt mal an, bevor du noch krank wirst, und komm rüber essen.«
»Ich geh mich noch eben sauber machen«, antwortete ihm Toby und schob mich ebenfalls etwas von sich.
Roger nickte und ließ uns allein.
Während Toby aufstand, fiel sein Blick auf mich. »Ist wirklich alles in Ordnung?«
»Ja, ich glaub schon. Und Roger ist wirklich nicht mehr böse? Ich ... Ich hab gehört, wie er geschrien hat.« Besorgt sah ich Toby an. Ich wusste, dass er ein schlechter Lügner war. Wenn er nicht die Wahrheit sagte, würde ich es mitbekommen.
»Wahrscheinlich noch ein wenig, aber das wird schon wieder. Er war nur wirklich arg enttäuscht und hat uns dann auch noch gehört.«
Schuldbewusst biss ich mir auf die Lippen.
Toby kam direkt zu mir zurück und strich darüber, damit ich aufhörte. »Mach dir deswegen nicht noch mehr Sorgen. Wir bekommen das schon wieder hin. Das haben wir die letzten fünfzehn Jahre geschafft, daran wird das jetzt auch nichts ändern.«
Schon etwas sicherer als vorher nickte ich. Gut, wenn er das meinte, dann würde es hoffentlich auch so sein.
Toby lächelte mich aufmunternd an und küsste mich dann kurz. »Du solltest dich wirklich langsam anziehen, sonst holst du dich noch was weg.«
»I took your hand and followed you
You gave me, what I wanted
now I try to abandon
but I’m too possessed of you«
Mechanical Moth – Obession