Fragend sah ich zu Steve, der etwas an mich heranrutschte. Was war denn jetzt los?
Er verstand die unausgesprochene Frage. »Hast du nicht gehört, was die Typen da vorne gesagt haben?«
»Doch. Aber es ist mir egal.« Wenn ich auf jeden hören würde, der mich in der Bahn ›Schwuchtel‹ nannte und über mich lachte, dann würde ich nie weit kommen. »Und jetzt hör auf sie anzustarren! Sonst bekommen wir noch wirklich Ärger.«
Auch wenn er mich verständnislos ansah, wenigstens starrte er nicht mehr zu dem Trupp Halbwüchsiger herüber. Ich hatte keine Lust auf eine Schlägerei, weil sie sich provoziert fühlten.
Leise fragte er: »Bist du sicher, dass sie nur reden? Die sehen ziemlich aggressiv aus.«
»Solange du sie nicht provozierst, werden sie auch nichts tun. Das ist hier normal. Nächste Station müssen wir eh raus.«
Zuerst hob er besorgt die Augenbrauen, dann kicherte er. »Und du wolltest mich allein zu dir fahren lassen? Mensch, ich komm aus einer Kleinstadt in South Dakota, ich hab doch keine Ahnung, wie es hier in der Großstadt läuft!«
»Oh! Sorry.«
Er schüttelte den Kopf. »Du denkst nicht immer alles ganz zu Ende, oder?«
»Könnte vielleicht an deiner betörenden Anwesenheit liegen«, neckte ich ihn lieber, statt mich über seine Aussage aufzuregen. »Los, wir müssen raus.«
Eilig kämpften wir uns einen Weg zur Tür frei und traten aus der Bahn. Ich nahm ihn trotz der Blicke, die uns zugeworfen wurden, an die Hand. »So, komm, bevor du mir im Großstadtdschungel verloren gehst.«
»Uh, du hattest also nicht vor, mich irgendwo auszusetzen?«
»Wenn ich dich aussetzen wollte, würde ich das zwei Straßen weiter machen. Da wäre ich wenigstens sicher, dass du niemanden mehr davon erzählen kannst.«
Zuerst schien er das für einen Scherz zu halten, doch je länger er sich umblickte, desto mehr dämmerte ihm, dass das keiner war. »Und du wohnst wirklich hier?«
»Nein, ich hab doch gerade gesagt, dass ich dich im Park aussetze.« Ich grinste ihn an, doch als ich bemerkte, dass es ihm ehrlich mulmig zu Mute wurde, beruhigte ich ihn schnell: »Keine Sorge, hier ist es wirklich ruhig. Die Nachbarn sind nett. Die schlimmen Schießereien sind ein paar Blocks weiter.«
Na gut, das war wohl nicht wirklich beruhigend. Er klammerte sich fester an meine Hand und folgte mir bis zu meinem Wohnhaus.
Nachdem ich Steve meine Wohnung gezeigt hatte, setzten wir uns zusammen mit einem Bier auf die Couch und zappten durch die Kanäle, in der Hoffnung, einen halbwegs interessanten Film zu finden. Auch wenn wir am jeweils anderen Ende saßen, waren unsere Beine in der Mitte verschränkt, da wir sie hochgenommen hatten und so beide genug Platz fanden.
Da wir nicht nur einen halbwegs interessanten, sondern sogar einen recht spannenden Film fanden, blendete ich ihn irgendwann aus und war daher umso irritierter, als ich den beißenden Gestank von Nagellackentferner in der Nase hatte.
Ich sah zu ihm hinüber und stellte verwundert fest, dass er den bunten Lack von seinen Nägeln rieb. »Was machst du? Der war doch noch gut.«
»Ich hab keine Lust, in den nächsten Tagen wirklich noch einen auf die Fresse zu bekommen, weil jemand meint, er müsste ›der Tunte‹ mal zeigen, was Sache ist«, antwortete er genervt und rieb weiter an den Nägeln herum.
Ich setzte mich auf und kroch zu ihm herüber. Langsam nahm ich ihm das Wattepad ab und legte es zu dem Reiniger auf den Tisch. »Hör mal zu, hier wird dich niemand nur wegen deiner bemalten Fingernägel angreifen.«
Er seufzte. »Ich weiß nicht recht. Ich kenn mich in der Stadt nicht aus und das in der Bahn ... das macht mir schon Sorgen.«
Vorsichtig nahm ich sein Gesicht in die Hände. »Das waren nur ein paar Arschlöcher. Die meisten Leute hier sind verdammt tolerant und würden nicht einmal bemerken, dass deine Nägel lackiert sind.«
Schüchtern nickte er und versuchte sich an einem Lächeln.
Ich gab ihm einen Kuss, dann betrachtete ich seine Nägel, die alle schon einiges an Farbe verloren hatten. Scheinbar hatte er einmal großflächig über alle drübergewischt. »Hast du noch Nagellack? Ich hab nur Schwarzen hier, aber ich find den Bunten schöner an dir.«
»Ja, in der Tasche. Ich hab ihn vorhin erst gekauft«, gab er leise zu. »Zuhause kann ich keinen tragen und ich hatte gehofft, dass es hier anders ist.«
»Ist es auch. Los, geh ihn holen, ich lackier dir die Nägel.« Wenn er sich die wirklich zum ersten Mal gemacht hatte, dann war es kein Wunder, dass sie so aussahen.
Noch etwas zögernd griff er in die Tasche und holte eine Reihe kleiner Fläschen heraus. Offenbar hatte er vorgehabt, fast jeden Tag eine neue Farbe auszuprobieren, so viele verschiedene waren es.
»Welche Farbe willst du haben?«, fragte ich.
»Hmm ... Such du aus.«
Oh, das war ein Fehler! »Wenn ich aussuche, dann darf ich dir die Nägel auch komplett machen.«
Irritiert sah er mich an und griff dann nach meiner Hand. Eine Weile sah er sie an, bevor er vorsichtig gegen die Spitzen drückte, um zu prüfen, ob sie scharf waren. »Aber ich will keine solchen Krallen!«
»Nein, keine Sorge. Ich feile sie dir nur vernünftig und mach den Nagellack ordentlich.« Da er nicht widersprach, stand ich auf und ging Nagelfeile und Klarlack holen.
Ich ließ mir Zeit, während ich seine Nägel erst komplett reinigte und sie dann zurechtfeilte.
Mit schiefgelegtem Kopf beobachtete er mich dabei. »Du hast wirklich Spaß daran, oder?«
Unentschlossen zuckte ich mit den Schultern. »Ich hab einfach nicht oft die Gelegenheit, das mit jemandem zu teilen.«
Bewundernd hielt er sich die linke Hand vors Gesicht, als sie fertig war. Ich hatte mich dafür entschieden, jeden Finger in einer anderen Farbe zu bemalen. Wenn schon, denn schon. »Das sieht wirklich gut aus. Wer hat dir das beigebracht.«
»Ich mir selbst. Ich schminke mich und mach mir die Nägel, seitdem ich fünfzehn war. Da lernt man das irgendwann von ganz allein.« Es war ja nicht so, als hätte der Drache mir das gezeigt oder mir zeigen wollen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte ich das schon damals aufgegeben, genauso wie die langen Haare. Lediglich Peter hatte mir noch ein paar Tipps gegeben, aber das wollte ich gerade nicht erwähnen.
»Und das hält?« So ganz überzeugt schien er nicht von meinen Künsten.
»Ich kann dir auch noch ’ne Schicht von dem Klaren obendrüber machen, dann hält es länger.« Er brauchte mir nicht einmal antworten, das Leuchten seiner Augen war eindeutig.
Nachdem ich auch noch die dritte Lackschicht aufgebracht hatte, fiel Steve mir um den Hals und küsste mich. »Danke, das sieht richtig toll aus.«
»Kein Problem, es hat wirklich Spaß gemacht. Magst du morgen mit mir in einen passenden Club gehen?«, fragte ich aus einer Laune heraus. »Ich weiß ja nicht, wie es mit sowas bei euch in der Pampa steht.«
»Ein Schwulenclub? Hmm, ich weiß nicht. Ich hätte schon mal Lust, aber ich bin mir noch nicht sicher.«
»Kein Problem, sag einfach Bescheid, wenn du es weißt. Ansonsten kenn ich auch noch eine schwule Sportsbar, wenn dir sowas lieber ist.«
Forschend sah er mich an. »Also dafür, dass du dich so erschrocken hast, dass ich keine Frau bin, kennst du dich aber verdammt gut aus.«
Lachend nahm ich ihn in den Arm und rubbelte mit der Faust über seinen Kopf. Es war angenehm, mal nicht das Opfer zu sein, nur weil man schwächer war. »Das heißt ja nicht, dass ich mich nicht auskennen darf. Ich hab eben Freunde, die häufig dort sind.«
»Ja klar, ›Freunde‹.«
»Was du mir unterstellst!« Ich zog ihn fester an mich und kitzelte eine Weile seine Seite, bis ich keine Lust mehr hatte. Danach hielt ich ihn einfach nur fest und sah weiter mit ihm den Film.
Neugierig beobachtete ich Steve, wie er sein Nasenpiercing herausnahm und vergaß dabei völlig, dass ich mir eigentlich die Zähne putzen wollte. »Machst du die jeden Abend raus?«
»Ja, ich mach nachts lieber Stecker rein. Ich bin mal ziemlich übel an einem Kissen hängengeblieben. Das ist nicht so cool.«
Nachdenklich nickte ich. Peter hatte seine Piercings immer dringelassen, wenn er sie nicht gerade reinigte. Daher war es für mich auch komisch, sie über Nacht zu wechseln. Doch das brachte mich zu einer anderen Frage: »Hast du eigentlich noch mehr Piercings?«
»Du meinst außer Nase und Augenbraue?«, fragte er mit einem schelmischen Grinsen und wartete, bis ich nickte. »Willst du es sehen?«
Kurz überlegte ich. So wirklich konnte ich ihn nicht einschätzen. Es gab gerade zwei Möglichkeiten: Die Piercings waren an einer sehr intimen Stelle oder er wollte mich genau das mit seinem Grinsen glauben lassen und stattdessen war es ganz harmlos. Wobei ich mir bei ihm kaum ein Bauchnabelpiercing vorstellen konnte.
Letztendlich antwortete ich aber doch so lässig wie möglich: »Klar, zeig her.«
Als er sich die Hose öffnete, war klar, dass es doch eine intime Stelle war, dennoch gab ich mir nicht die Blöße, wegzusehen. Während er sich an den Bund der Shorts griff, sah er mich noch einmal versichernd an, zog sie dann aber herunter, als ich nichts dagegen sagte. Zuerst war nichts zu sehen, doch als er den Penis etwas anhob, kam ein kleiner Ring zum Vorschein, der in der Nähe der Wurzel durch den Hoden gestochen war.
Neugierig sah ich mir das an. »Merkst du davon denn was beim Sex? Oder ist das einfach nur zur Zierde?«
»Nein, viel bemerk ich davon nicht. Wie kommst du darauf?«
»Ein Freund hat zwei Piercings an der Eichel. Er ist da ziemlich empfindlich. Daher dachte ich, dass es vielleicht auch damit der Fall ist.« Auch wenn ich wirklich auf diese kleinen Metalldinger stand, für mich selbst kam keines in Frage. Ich war dafür zu feige.
»Oh cool! Was denn für eines?« Als ich ihn verwundert ansah, lachte er. »Ich meine, ob es ein Prinz Albert ist oder ein Magic Cross.«
»Sorry, ich hab davon keine Ahnung«, gab ich verlegen lachend zu. »Es sind eben zwei Stecker.«
Diesmal lachte er lauthals. »Das sind verschiedene Piercingarten. Ein Prinz Albert geht zum Beispiel an der Spitze durch die Harnröhre. Hmm ... Wo genau sind denn die Piercings?«
»Sie gehen beide oben durch den Rand der Eichel. Keine Ahnung, wie man das nennt.«
»Ah, du meinst vermutlich ein Dydoe.« Er zeigte mir an seinem eigenen Schwanz etwa die Position, an der auch Roger seine Piercings hatte.
Bewundernd stellte ich fest, dass sein Penis wirklich schön war, und vergaß darüber fast zu nicken. Hoffentlich hatte er das nicht bemerkt.
Jedenfalls verzog er leidend das Gesicht. »Ouch. Das ist echt mutig, das soll höllisch wehtun. Ich hatte auch mal überlegt, ob ich mir noch eins machen lasse, aber das wäre dann eher noch ein Frenum. Also das liegt unten am Schaft. Durch die Eichel trau ich mich nicht. Außerdem brauchen die ewig, bis die abgeheilt sind. Wie kommt dein Kumpel denn damit klar?«
»So weit ich weiß sehr gut. Er hat es schon recht lange und ich hab ihn schon mit dem Piercing kennengelernt. Aber so ein – wie hieß es nochmal? – stell ich mir auch schön vor.«
»Na ja, ich weiß noch nicht, ob ich es machen lasse. Vielleicht später mal.« Zu meinem Bedauern bückte er sich nach seiner Shorts und zog sie wieder hoch, die Hose dagegen zog er sich komplett von den Beinen. Danach grinste er mich schelmisch an. »Darf ich auch was sehen?«
Ich konnte nicht anders, als mich über diese Frage zu amüsieren. Seine Art gefiel mir einfach. Direkt, aber trotzdem vorsichtig. Daher zögerte ich auch nicht lange, mir mein Shirt über den Kopf zu ziehen.
»Uh, du trainierst?« Vorsichtig strich er mir über den Bauch, der mittlerweile leichte Muskelansätze zeigte.
»Ja, aber nicht so regelmäßig wie ich vielleicht sollte. Aber schön, wenn dir das reicht. Ich hätte sonst auch meine Hose ausgezogen.«
Lachend schupste er mich etwas nach hinten und kam dann den Schritt hinterher, um mich zu küssen. »Klingt gut. Kommst du dann noch etwas mit auf die Couch? Du müsstest mir eh noch eine Decke und vielleicht ein Kissen geben.«
»Oh ...« Beschämt kratzte ich mich am Hinterkopf. »Ich glaub, du hattest recht: Ich denke wirklich nicht bis zum Ende.«
»Du willst mir jetzt nicht sagen, dass du keine Decke für mich hast, oder?« Da ich nicht antwortete, konnte er sich das wohl selbst beantworten und lachte lauthals. »Du bist so süß!«
Verlegen lächelte ich. Das war mir jetzt peinlich. Ich hatte zwar eine zweite Decke, aber die hatte Lance am Vortag mit einer halben Flasche Bier überschüttet und ich war noch nicht dazu gekommen, sie zu waschen. »Ich hätte eine, aber die riecht ziemlich übel nach Bier. Wenn dir das nichts ausmacht ...«
»Mir nicht, aber vielleicht den Geschäftsleuten, mit denen ich mich morgen früh treffen muss.« Er zwinkerte mir zu.
Ich zögerte etwas, dann gab ich mir einen Ruck. »Tja, dann wirst du wohl doch bei mir im Bett schlafen müssen.«
»Sicher?« Mit den Händen streichelte er leicht über meine Flanken. »Ich nehm auch im Notfall nur einen Bezug.«
»Quatsch, dafür ist es viel zu kalt. Na los, komm, das wird mich schon nicht umbringen.« Ich küsste ihn und schob mich dann an ihm vorbei zum Waschbecken, um mir endlich die Zähne zu putzen.
»Okay, danke dir. Keine Sorge, ich behalte meine Hände bei mir. Oder an jugendfreien Stellen, wie du willst.«
Bevor ich mir die Zahnbürste in dem Mund steckte, antwortete ich darauf: »So wie bisher ist vollkommen okay. Wie gesagt: Mit Fummeln komm ich klar.«
Im Spiegel sah ich, dass er sich das Shirt über den Kopf zog und dann noch einmal zu mir kam. Er strich leicht über meine Schultern. »Dann geh ich schonmal vor. Bis gleich.«
Mit der freien Hand griff ich hinter mich und streichelte leicht über seine Seite. Das würde er hoffentlich als Bestätigung sehen.
»Bei dir und mir stimmt die Chemie
Wir sind die pure Euphorie
Wir sind, was sich zusammenbraut
Wir fühl’n uns wohl in uns’rer Haut«
ASP – Werben