Doch so sehr ich mich anfänglich über die Ablenkung gefreut hatte, die die Prüfungen geboten hatten, ich war froh, als ich sie endlich alle hinter mir hatte. Zum Schluss war es doch anstrengend geworden. Aber immerhin hatte ich alle bestanden. Die einen besser, die anderen schlechter, aber doch auf jeden Fall bestanden. Besonders freute ich mich über die ›außerordentliche Leistung‹ im Praktischen.
Vermutlich hatte James recht, ich hätte auch ans Opera Institute gehen können. Aber noch immer hatte ich keine Lust, mir den Arsch aufzureißen für etwas, das ich nicht mein Leben lang machen wollte. Ich hätte nicht einmal die Bewerbungsunterlagen dafür mit ausreichendem Enthusiasmus ausfüllen können, um die werten Herren und Damen von mir zu überzeugen. Da hätten mir auch die Empfehlungsschreiben wenig gebracht.
Wie es sich gehörte, schmissen wir natürlich eine Abschlussparty in der WG. Andrej und Cohen hatten zwar noch ein paar Semester vor sich, doch nach zwei Jahren, die wir zusammengewohnt hatten, war es nur angebracht.
Erst weit nach Mitternacht bemerkte ich, dass ich den ganzen Abend noch kein einziges Wort mit Aiden und Alison gewechselt hatte. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich sie schon gesehen hatte. Dabei hatte Lance sie auf jeden Fall eingeladen.
In der Küche fand ich die beiden. Sie standen mit ein paar Freunden von Andrej zusammen und unterhielten sich. Anhand der Blicke, die immer wieder in die Richtung von Alisons mittlerweile gut sichtbarem Babybauch geworfen wurden, konnte ich schon vorher sagen, was wohl Thema war. Doch sie schienen mich gar nicht zu bemerken.
Da Aiden sowieso etwas gelangweilt neben seiner Frau stand, grüßte ich die Runde mit einem Nicken, während ich ihn direkt ansprach: »Hey, wie geht’s?«
Als sein Blick mich traf, schrak ich automatisch zurück. Ich kannte diesen Ausdruck darin. Er war schon früher immer mal wieder dort zu finden gewesen. Aber so viel Verachtung hatte er bisher nie gezeigt. »Was willst du?«
Ich blinzelte ein paar Mal, bevor ich so ruhig wie möglich antwortete: »Ich wollte nur wissen, wie es euch geht. Bisher hab ich euch ja noch nicht erwischt heute.«
»Uns geht es gut«, antwortete er.
Sofort wurde mein Mund trocken. Natürlich, verdammt. Bei wem hätte sich Laura denn sonst ausheulen sollen, wenn nicht bei Alison? Daran hatte ich nicht gedacht. Überhaupt hatte ich jeden Gedanken an sie in den letzten Wochen gemieden.
Ich seufzte und fuhr mir fahrig durch die Haare. Automatisch senkte ich etwas den Blick, während ich leise fragte: »Und Laura?«
»Ach, du kennst sogar noch ihren Namen?«, fragte er sarkastisch. »Soll sie darüber auch noch glücklich sein?«
»Es tut mir leid. Ich hatte nie vor, sie zu verletzen.« Ich wusste, dass ich ihm keine Erklärung schuldig war, dennoch wollte ich sie loswerden. »Es ist einfach scheiße gelaufen.«
»Ja, natürlich ist das scheiße gelaufen. Wäre ja auch viel besser für dich gewesen, wenn sie nichts davon erfahren hätte, dass du sie hintergehst«, spuckte er mir entgegen. »Du bist so widerlich!«
Ich warf einen Blick auf die Leute, die bei Alison standen und mittlerweile zu uns herübersahen, während sie selbst in eine andere Richtung blickte. Offenbar war sie genauso wütend auf mich wie ihr Freund.
Erneut fuhr ich mir durch die Haare. Dann sprach ich beschwichtigend auf ihn ein: »Lass uns ins Schlafzimmer gehen, da können wir in Ruhe reden.«
»Ich hab dir nichts mehr zu sagen. Ich hab schon in der High School gesagt, dass du einfach nur ein riesiges Arschloch bist. Aber auf mich hat ja keiner gehört. Stattdessen hieß es immer nur, ich sollte nett sein, du wärst ja nicht so schlimm. Jetzt hast du endlich dein wahres Gesicht gezeigt. Wir hätten es schon viel früher genauso wie die anderen machen sollen«, beendete er das Gespräch und wandte sich ab.
Ich wusste, dass es keinen Zweck hätte, mit ihm zu diskutieren. Er hatte nie eine gute Meinung von mir und mich eher Alison zu liebe geduldet. Daher wäre auch sie eher diejenige, die mir noch verziehen hätte.
Nachdem ich mir endgültig die Frisur ruiniert hatte, sah ich sie flehend an. »Ich hab Laura wirklich nie verletzen wollen. Ich weiß, dass ich Mist gebaut hab, ich hätte ihr viel eher etwas davon sagen müssen. Kannst du ihr sagen, dass es mir leidtut?«
»Das solltest du ihr selbst sagen«, antwortete sie leise, nahm die Hand ihres Mannes und verließ mit ihm die Küche.
Ich fluchte vor mich hin, kämpfte mit den Tränen und warf den anderen Anwesenden, die mich noch immer anstarrten, einen bösen Blick zu. Das hier war keine scheiß Seifenoper!
Wütend stampfte ich ins Schlafzimmer und schmiss die Tür hinter mir zu. Es würde sowieso nicht so schnell auffallen, dass ich nicht mehr da war.
Frustriert tigerte ich im Zimmer auf und hab. Ich war so ein Idiot! Natürlich schlugen Alison und Aiden sich auf Lauras Seite. Was hatte ich auch anderes erwartet? Auch wenn ich sie deutlich länger kannte und Alison mir früher ständig hinterhergerannt war, ich war ihnen nie ein guter Freund gewesen. Ich hatte mich ihnen gegenüber genauso mies verhalten wie allen anderen Freunden gegenüber auch.
Dass sie mir nicht auch die Freundschaft gekündigt hatten, wie es der Rest der High School Clique getan hatte, war nur ihm zu verdanken. Er hatte immer darauf geachtet, dass ich Kontakt zu Alison hielt, falls wir ihr Talent für die Band brauchten. Alle anderen hatten sich von mir abgewandt, da ich sie von mir gestoßen hatte. Sie hatten nicht mitbekommen sollen, was zu Hause hinter verschlossenen Türen passierte. Für sie hatte es so ausgesehen, als wäre mir der Erfolg zu Kopf gestiegen und ich wollte nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Ich wusste nicht einmal, was sie heute taten.
Selbst Lance hatte sich damals von mir abgewandt, da ich ihn während seiner Trennung von Janine hatte hängen lassen. Dass er heute wieder mein bester Freund war, hatte ich allein Zombie zu verdanken. Nachdem ich eine Woche bei ihm auf der Couch vor mich hin vegetiert hatte, hatte er ihn angerufen und dazu gebracht, wenigstens zu einem Gespräch vorbeizukommen. Nachdem ich ihm erzählt hatte, was passiert war, hatte er mir zwar erst nicht glauben wollen, doch Mat hatte ihm den Kopf zurechtgerückt und danach war ich zu Lance gegangen. Es hatte etwas gedauert, aber recht schnell waren wir wieder die besten Freunde geworden. Nur die anderen wollten nichts mehr von mir wissen und das respektierte ich.
Dennoch tat es weh, nun auch noch Alison und Aiden zu verlieren. Ich hätte die Zwillinge gern aufwachsen sehen. Es würden sicher bezaubernde Kinder werden. Vielleicht hatte ich ja Glück und ich würde sie dennoch ab und zu sehen. Immerhin waren die beiden auf die Party gekommen, das hieß also, dass sie noch Kontakt zu Lance suchten. Es gab also eine kleine Chance, dass ich mich irgendwann wieder mit ihnen aussöhnte.
Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, wollte ich eigentlich ins Bett gehen, doch mir wurde schnell klar, dass mich die Party in der Wohnung wachhalten würde. Und wenn ich wach war, grübelte ich nur weiter und litt dann wieder an Albträume. Darauf hatte ich wenig Lust. Doch ich konnte auch nicht zurück zu den anderen. Ich hätte es nicht ertragen, Aiden und Alison noch einmal zu sehen. Also schnappte ich mir Brieftasche, Handy und Schlüssel und schlich mich aus dem Haus.
Nachdem ich mir etwas zu Rauchen besorgt hatte und etwas runtergekommen war, setzte ich mich in irgendeine Bar. Mir war es ziemlich egal, was für eine es war. Hauptsache, ich konnte etwas trinken und wurde halbwegs in Ruhe gelassen. Viel Auswahl hatte man um die Zeit ja auch nicht mehr.
Ähnlich sah es auch mit den Frauen aus, nach denen ich mich nach den ersten Drinks umsah. Sah aus, als liefe es aufs Resteficken hinaus. Aber hey, ich wollte nicht wählerisch sein, immerhin war ich gerade auch nicht im besten Zustand. Ich war fertig, zugekifft und deutlich betrunken, ich konnte froh sein, wenn sich überhaupt eine dazu herabließ, mich mit zu sich zu nehmen. Und erinnern würde ich mich am nächsten Tag sowieso an nichts mehr, die Mischung aus Alk und Gras war da recht zuverlässig, hatte ich herausgefunden.
Und so flirtete ich, genoss meine Freiheit, feierte, dass mich keine Verantwortungen mehr banden, und machte die Nächte zu Tagen. Mir war es egal, wo ich am nächsten Morgen erwachte, an die Nächte konnte ich mich sowieso nicht mehr erinnern. Ich war frei, unabhängig, es hatte niemanden zu interessieren, wo ich war und was ich tat.
An mir zogen Gesichter verschiedener Männer und Frauen vorbei. Keines davon bekannt, keines interessant genug, sich näher damit zu beschäftigen. Zu den Gesichtern gehörten Körper, nackte Körper. Welcher zu wem gehörte? Ich wusste es nicht. Es war egal. Wichtig war nur, dass ich morgens wieder gehen konnte. Am besten ohne noch einmal einen Blick in das Gesicht oder auf den Körper geworfen zu haben. Ich wollte es nicht wissen.
Einzig, wenn ich dann doch wieder neben einem Mann aufwachte und einen Blick auf ihn erhaschte, mir bewusst wurde, was in der Nacht geschehen war, erschauderte ich, schwor mir, nicht mehr so viel zu trinken, weniger Pott zu rauchen.
Bis zum nächsten Abend, zur nächsten Party, zum nächsten Gelage.
»Is it Friday or Sunday night
Well, who knows?
Straight ahead
But nobody knows the way«
Minerve – Numb