CN: (sexuelle) Gewalt gegen Schutzbefohlene (erwähnt)
Während ich noch immer mit meinen Gedanken beschäftigt war, kam Toby auf die Terrasse. Er setzte sich und warf dann einen Blick in den Aschenbecher. »Seit wann rauchst du?«
»Schon länger.« Ich sah Toby an, dass er gerade protestieren wollte, dass er das nicht meinte, daher schob ich hinterher: »Mat war gerade hier. Das ist seine.«
»Mat war hier? Was wollte er denn?«
Ich zuckte mit den Schultern. »So wie es klang, war er vorher oben bei Roger. Aber so wirklich hat er nichts gesagt.«
Toby nickte abwesend und schüttelte dann den Kopf. Es wirkte, als würden sich für ihn noch mehr Fragen klären. Nach kurzem Schweigen griff er nach einem Toast und schmierte ihn.
Ich tat es ihm gleich und war dabei mit meinen Gedanken noch immer bei Mat. Dann fiel mir etwas ein: »Sag mal, du kennst Mat doch schon ewig, oder?«
»Seitdem ich siebzehn bin, ja. Warum?«
»Ich hab mich nur gefragt, ob du auch seinen Vater kennst. Also seinen Adoptivvater.« Neugierig sah ich auf und beobachtete Toby.
Der verzog kurz das Gesicht, bevor er antwortete: »Ja, ich kannte Chris. Aber ich hab ihn nicht sonderlich gemocht.«
»Warum nicht?«, horchte ich auf. Interessant. Er war der Erste, von dem ich das hörte. Mats Bruder hatte ihn immer als unglaublich tollen Menschen dargestellt, während die Kanadierin nicht über ihn gesprochen hatte. Mit Zombie war ich nie auf das Thema zu sprechen gekommen.
»Ich kannte es einfach nicht von zu Hause, dass Kinder geschlagen werden. Doch für Chris schien das ein völlig legitimes Mittel zu sein. Mat und Peter haben sich nie daran gestört. Dennoch konnte ich mich nicht damit anfreunden.«
Ich nickte. Ja, das war schon einmal angedeutet worden, dass er sie geschlagen hatte. Aber das war nicht ganz das, worauf ich hinauswollte. »Nur geschlagen?«
Toby zuckte mit den Schultern. »Geschlagen, gezüchtigt, nenn es, wie du willst, es bleibt dasselbe. Ich bin mir sicher, er hat nicht immer nur die Hand benutzt. Aber ich bin mir zumindest sicher, dass er sie nie ernsthaft verletzt hat. Ich hab zumindest nie irgendwelche offenen Wunden gesehen. Ein paar Mal hatte Peter wirklich üble Striemen auf dem Rücken, bei Mat weiß ich nur von einmal, aber da war es sicher auch öfter, aber nie so schlimm, dass die Haut aufgeplatzt war oder so. Ich hatte immer das Gefühl, Chris hatte sich gut unter Kontrolle und hat nie willkürlich zugeschlagen.«
Okay, das klang dann doch nicht danach, als könnte mein Verdacht stimmen.
Wir aßen beide ein paar Happen, dann fragte Toby: »Warum fragst du?«
»Na ja, ich ...«, stotterte ich. Ich musste ein wenig Mut fassen, bevor ich es aussprechen konnte. »Glaubst du, er hat sie angefasst? Also ich meine ...«
»Ich weiß schon, was du meinst«, antwortete Toby, nachdem ich eine ganze Weile nicht geschafft hatte, meinen Satz zu beenden. Während er vorher neutral bis wütend geklungen hatte, mischte sich nun eine leichte Verzweiflung hinein. »Ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich hab mich das auch schon gefragt. Also nicht damals, sondern erst später. Damals wäre ich nie auf so eine Idee gekommen. Aber später sind mir so ein paar Sachen aufgefallen, die mich zum Nachdenken gebracht haben. Bei Peter bin ich mir eigentlich sicher, dass Chris ihn nicht angefasst hat. Peter war für ihn immer wie ein Sohn, sie haben sich wirklich gut verstanden. Aber Mat ... Die beiden hatten ein recht schwieriges Verhältnis und waren immer etwas distanziert. Weißt du, Mat hat mal zu mir gesagt: ›Niemand tut einem anderen etwas Gutes, ohne sich etwas davon zu erwarten‹. Damals hab ich das für dummes Geschwätz gehalten. Aber mittlerweile ... Ich weiß, dass er wirklich daran glaubt, obwohl er selbst mit den Jungs immer wieder das Gegenteil beweist. Außerdem hab ich ein paar Mal gesehen, wie er mit leicht abwesendem Blick aus Chris’ Schlafzimmer geschlichen kam. Ich weiß, dass sie die richtig schlimmen Strafen immer dort bekommen haben, aber irgendwie ... Keine Ahnung, du kennst Mat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihn ein paar Schläge, selbst mit einem Gürtel, so aus der Bahn werfen. Außerdem hätte er nie versucht, das zu verbergen. Wir kannten uns einfach zu gut, er wusste, dass ich nichts von den Schlägen hielt, daher hat er meistens versucht, zu erklären, was er angestellt hatte. Aber bei den paar Malen ... Er hat sofort versucht zu verbergen, wo er herkam.«
Verstehend nickte ich. Ja, ich konnte Tobys Gedankengang nachvollziehen.
Doch er schien noch nicht fertig. »Es sind halt alles nur Vermutungen. Ich hab mal versucht, Mat darauf anzusprechen, aber er weicht dann aus. Das Einzige, was ich sicher sagen kann, ist, dass, wenn wirklich etwas war, Peter nichts davon weiß. Mat würde Peter um jeden Preis schützen, so etwas würde er ihm nie erzählen.«
Wieder nickte ich. So schätzte ich Mat auch ein. Doch es beruhigte mich nicht wirklich, dass Toby denselben Verdacht hatte.
Diesem schien auch gerade noch etwas einzufallen: »Wie kommst du eigentlich darauf?«
»Ich ... Mat hat mich da raus geholt vor drei Jahren ... Und als wir gegangen sind, da hat er etwas gemurmelt. Er hat wohl gedacht, ich würde es nicht hören.«
»Mat hat dich bei Peter rausgeholt?«
»Ja. Als er erfahren hat, was passiert ist, hat er ihn geschlagen und mich dann aus der Wohnung gebracht«, fasste ich es so kurz wie möglich zusammen. Ich wollte nicht über die Details nachdenken. Darum ging es auch gerade nicht. »Vor der Tür hat er dann etwas gemurmelt, von wegen das Haus würde seine Besitzer krank machen.«
Diesmal war es an Toby nachdenklich zu nicken.
Schweigend aßen wir weiter und hingen unseren Gedanken nach. Wir wussten beide, dass wir nichts daran ändern konnten, wenn es passiert war. Wenn Zombie nicht darüber reden wollte, dann konnten auch wir ihn nicht dazu bringen.
Irgendwo beneidete ich ihn darum. Ich hatte das Gefühl, dass er deutlich stärker war als ich. Während ich in Selbstmitleid schwamm, lebte er einfach weiter. Er hatte sein Leben im Griff. Denn selbst wenn ihm Chris nichts getan hatte, dann hatte es jemand anders getan. Mat hatte es am gleichen Tag ziemlich deutlich gesagt: Er wüsste aus Erfahrung, dass ich es irgendwann bereuen würde, wenn ich keine Anzeige erstattete.
Roger stieß zu uns, als wir gerade den Tisch wieder abräumten. Er grüßte mich kurz, dann ging er zu Toby und wollte ihm einen Kuss geben, doch dieser hielt ihm zu meinem Erstaunen jedoch nur die Wange hin. Roger küsste diese, obwohl er dabei ähnlich verwirrt wirkte wie ich. Dann warf er einen Blick nach draußen. »Ist Mat schon weg?«
Toby nickte. »Er war schon weg, als ich rausgekommen bin. Er hat wohl nur kurz mit Isaac geredet.«
Kurz traf mich ein vernichtender Blick von Roger, dann wandte er sich wieder an seinen Freund. Leise seufzte er. »Toby ...«
»Nein, lass gut sein.« Der Angesprochene räumte die Teller in die Spülmaschine, ohne Roger dabei anzusehen.
Dieser sah kurz zu mir und fragte dann: »Kannst du bitte kurz ins Schlafzimmer gehen?«
Was?! Einen Moment sah ich ihn verwirrt an, doch auch Toby nickte. War das jetzt ihr Ernst?! Ich war doch kein Kind, dass man bei einem Streit rausschickte, damit es diesen nicht mitbekam. Wo waren wir denn hier?
Doch ihre ernsten Gesichter ließen keinen Widerspruch zu und bevor sie mich baten, ganz zu gehen, ging ich dann doch lieber ins Schlafzimmer.
Wobei ich mich wirklich fragte, was sie gerade für ein Problem hatten. Vor zwei Monaten war Roger in der Bahn einfach so mit einem Kerl mitgegangen und nun gab es Stress, weil er Zombie zu Besuch hatte? So weit ich wusste, lief das doch schon ewig, warum war das auf einmal ein Problem? Ich verstand es nicht. Doch vermutlich ging es mich genauso wenig etwas an wie die Sache mit Chris.
Dennoch ließ es mir keine Ruhe. Einzig, dass ich überhaupt keinen Ton von Toby und Roger hörte, beruhigte mich. Alles andere hätte mich aber auch gewundert. Bisher hatte ich nie erlebt, dass sie laut geworden waren, dabei hatte ich schon ein paar Mal mitbekommen, wenn sie sich stritten.
Erst eine ganze Weile später, mittlerweile hatte ich mir Kopfhörer in die Ohren gesteckt und hörte Musik auf meinem Handy, kamen die beiden ins Schlafzimmer. Schnell zog ich die Kopfhörer aus den Ohren und sah unsicher auf, doch in ihren Gesichtern war nicht zu erkennen, wie das Gespräch ausgegangen war.
Roger lächelte mir aufmunternd zu. »Ich hab gehört, ihr wolltet schwimmen gehen? Darf ich mitkommen?«
»Äh ... ja klar«, beeilte ich mich, zu sagen. Warum sollte er auch nicht mitkommen dürfen?
»Schön, ich freu mich schon.« Er zwinkerte mir zu und wandte sich dann dem Schrank zu.
Während Roger seine Sachen mit in Tobys Schwimmtasche stopfte, setzte dieser sich zu mir aufs Bett. Obwohl er den Blick auf seinen Freund gerichtet hielt, lehnte er sich etwas zu mir und fragte leise: »Ist alles in Ordnung?«
»Sollte ich das nicht fragen?«, gab ich vorsichtig zurück und sah ihn an.
Nun sah er doch zu mir und lächelte. Zärtlich strich er über meinen Arm. »Es ist alles in Ordnung, mach dir deswegen keine Gedanken. Nur weil wir uns mal streiten, geht nicht gleich die Welt unter. Meinungsverschiedenheiten sind doch völlig normal in einer Beziehung.«
Langsam nickte ich und verkniff mir einen Kommentar, dass das dennoch nicht heißen musste, dass alles in Ordnung war. Bei uns war es das nie gewesen. Meinungsverschiedenheiten hatten bei uns immer bedeutet, dass wir uns gegenseitig verletzten – ich ihn, indem ich ihn provozierte, und er mich, indem er mir wehtat.
»Was war denn los?«, fragte ich stattdessen vorsichtig. Ich war mir nicht sicher, ob es in Ordnung war, wenn ich nachfragte.
»Roger hat vergessen, mir Bescheid zu sagen, dass er nicht alleine nach Hause kommt, das ist alles.«
Dieser zuckte mit den Schultern und nickte, während er noch ein Badehandtuch einpackte. »Mat hat versprochen, dir hinterher zu erklären, warum es so kurzfristig sein musste. Weil es nun mal Mat war, dachte ich nicht, dass es dich wirklich stören würde und du es schon verstehst.«
Toby lächelte und streckte die Hand nach seinem Freund aus. »Ist doch alles gut. Du musst dich nicht nochmal rechtfertigen. Oder gibt es noch etwas?«
Roger schüttelte den Kopf und kam auf Toby zu. Rittlings setzte er sich auf dessen Schoß, drehte sein Gesicht zu sich und küsste ihn dann hart und drängend.
Gebannt sah ich dabei zu. Fuck, warum waren die beiden so heiß? Mein Kopf war wie leergefegt und meine Erregung meldete sich, als Toby ein raues Stöhnen von sich gab.
Automatisch wollte ich die Hand ausstrecken und Roger berühren, während er sanft, aber bestimmt versuchte, Toby auf die Matratze zu drücken. Doch ich zog sie sofort zurück und verbat mir ein enttäuschtes Seufzen, als dieser sich aus dem Kuss löste und Roger einfach sanft von seinem Schoß schob.
Er gab ihm einen leichten Kuss. »Nicht jetzt. Wir wollen doch langsam los.«
»Sicher?«, fragte Roger mit neckischer Stimme und strich Toby über den Hals.
»Ja, sonst ist das Bad völlig überlaufen mit Kiddies.«
Als Roger ergeben seufzte, hätte ich Toby am liebsten eigenhändig auf die Matratze gedrückt. Roger konnte doch nicht so schnell aufgeben! Scheiße, wann war ich den beiden zuletzt so nah gewesen? Auch wenn ich ihnen ein paar Mal zugesehen hatte, so nah war ich nie herangekommen. Ich hatte mich nicht getraut. Doch gerade reizte mich der Gedanke, sie dabei zu streicheln. Ich haderte mit mir, wollte ihnen sagen, dass ich das gerne tun würde.
Als Roger jedoch wieder zum Schrank ging, war es zu spät. Vermutlich wäre es sowieso eine schlechte Idee gewesen. Erstens hätte es mir nicht zugestanden – auch wenn wir nicht darüber gesprochen hatten, ich war mir sicher, dass sie mich nicht bestimmen lassen würden – zweitens wusste ich nicht einmal, ob ich das wirklich konnte oder ob es nur eine der zahlreichen Fantasien in meinem Kopf war, die ich letztendlich doch nicht ausführen konnte. Und drittens war ich mir sicher, wenn ich sie um etwas bat, dann musste ich es auch zurückgeben.
So war es doch, oder? Wenn ich etwas von ihnen wollte, konnten sie im Gegenzug etwas von mir verlangen. Ich würde es nicht abschlagen können, wenn sie mir das erfüllten. Nein, es war besser, wenn ich den Mund hielt und das einfach nicht erwähnte.
»My soul is my cathedral
And I won’t let you in
My soul is my cathedral
You won’t enter me today
My soul is my cathedral
And I won’t let you in
I break the line and lose control
I learned to fly again«
Mechanical Moth – Cathedral