Mein Weg führte mich direkt zur nächstgelegenen Toilette. Lange würde ich die Angst nicht mehr zurückhalten können, sie wollte sich auf die eine oder andere Art entladen.
Zitternd ließ ich mich in einer Kabine auf den Klodeckel fallen und atmete tief durch. Wie hatte ich so naiv sein können?! Warum war mir nie aufgefallen, dass die Zahlungen, die er an mich leistete, viel zu hoch waren? Das waren fast fünfhundert Dollar! Zumindest damit hatte Mr. Booker recht: Ich hatte mich fürs Schweigen bezahlen lassen. Ohne es zu merken. Nur weil ich so wenig wie möglich an all das erinnert werden wollte und daher nicht auf die Überweisungen achtete. »Fuck!«
Ich hörte die Toilettentür sich öffnen und wieder schließen. Automatisch ging mein Blick auf den Knauf an der Kabinentür. Gut, ich hatte abgeschlossen. Erleichtert atmete ich aus. Das wäre sonst sehr peinlich geworden. Jetzt musste ich nur ruhigbleiben und warten, bis ich wieder allein war.
Lange hörte ich nichts und wollte mich schon wieder entspannen, dann vernahm ich Peters Stimme: »Isaac, ich weiß, dass du hier bist. Komm raus.«
Ich spürte, wie mich die Angst erneut lähmen wollte, zumal ich nun auch die Schuhspitzen direkt unterhalb der Tür sah, doch ich wollte ihm nicht das Feld überlassen! In mir kochte die Wut. Er glaubte wirklich, mich bezahlen zu können!
Ich stand auf, trat an die Tür und schrie dagegen: »Verpiss dich! Lass mich endlich in Ruhe!«
»Isaac!« Das laute Donnern der Faust gegen die dünne Kabinentür ließ mich sofort wieder zurückschrecken.
Stille, nur das Nachvibrieren der Tür war zu hören, dann ein leises »Fuck« und Schritte, die sich entfernten. Aufgeregt lauschte ich, folgte mit den Augen dem Schatten, der sich entfernte. Als er nicht mehr zu sehen war, sah ich mich überall um, betete, dass er keinen anderen Weg in die Kabine fand.
Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen wurde es wieder still. Fast schon unheimlich still. Mein Puls rauschte unangenehm in den Ohren.
Ich hörte ein lautes Seufzen, dann ruhige Worte: »Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken. Nur, hör mir bitte zu.«
Ich antwortete nicht, hoffte darauf, dass er ging, wenn ich nicht reagierte.
Doch er tat mir den Gefallen nicht. »Ich wusste nicht, was Wallace vorhat. Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich es verhindert. Er hat mich gestern angerufen und mir gesagt, dass er einen Sänger für die nächste Tour hätte. Ich sollte heute vorbeikommen. Als ich erfahren hab, dass er dich will, hab ich versucht, ihm klarzumachen, dass das nicht geht, aber er wollte nicht hören.«
Lügen! Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er nichts davon gewusst haben sollte. Es war seine Band, er würde niemals die Organisation aus der Hand geben.
»Du solltest dir das Angebot trotzdem überlegen«, fuhr er nach längerem Schweigen fort. »Ich weiß, dass du immer noch Schwierigkeiten hast, wieder auf die Beine zu kommen. Es wäre nur eine Tour.«
Ein bitteres Lachen bahnte sich seinen Weg. »Klar, nur eine Tour. Mehr als genug Zeit für dich, hab ich recht?«
Obwohl ich ihn nicht sah, merkte ich, dass er mit den Worten rang. »Ich will dir nicht wehtun. Ich wollte das nie. Daher hätte ich Wallace auch versucht davon abzuhalten. Ich weiß, dass du Angst vor mir hast und ich kann es dir nicht verdenken. Aber es tut mir leid und ich will es wieder gutmachen.«
»Klar.« Ich musste versuchen, klar zu denken. Irgendwie musste ich hier raus. Die Ruhe, die ich versuchte auszustrahlen, war nur gespielt. Wenn das so weiterging, würde er zwangsweise irgendwann ausrasten.
Er holte tief Luft und entließ sie wieder. »Ich verspreche dir, ich werde dich nicht anfassen oder irgendwas versuchen. Ich will auch nicht, dass du mir vergibst. Das ist gar nicht möglich. Aber bitte, verbau dir die Chance nicht. Ich hätte es auch gerne anders, aber es lässt sich nicht ändern. Wallace hält, was er verspricht. Wenn du dich weigerst, wirst du keinen Plattenvertrag bekommen.«
Mat! Er hatte vorhin vor der Tür gestanden. Mit etwas Glück wartete er auf Peter und war noch immer dort.
Ich zückte das Handy und schrieb ihm eine Nachricht.
Sein Bruder redete sich derweil in eine Fantasiewelt. »Du würdest bei deiner Band schlafen, ich kann dafür sorgen, dass ihr einen eigenen Bus bekommt. Ich hätte gar keine Möglichkeit, dir wehzutun. Du müsstest nur für ein paar Stunden mit mir in einem Raum und auf der Bühne verbringen. Danach gehen wir wieder getrennte Wege.«
Ich hörte, dass sich seine Schritte wieder der Kabine näherten, und konzentrierte mich darauf, ruhig zu atmen. Hilfe war auf dem Weg, ich musste nur noch ein paar Minuten aushalten.
»Ich habe dir einmal deine Karriere versaut, gib mir die Chance, es wieder gutzumachen. Danach wirst du erfolgreicher sein als jemals zuvor. Du bist noch besser geworden, auch wenn ich nicht geglaubt hätte, dass das möglich wäre. Und wenn es gut läuft, können wir wieder zusammen etwas aufbauen. Wir beide zusammen können etwas wirklich Großes schaffen.«
»Kapierst du es nicht? Ich will nichts mit dir schaffen! Du bist der widerlichste Mensch, der mir je begegnet ist! Verpiss dich einfach! Verschwinde aus meinem Leben!«
Es wurde still. Totenstill. Nicht ein Laut drang zu mir.
Nervös starrte ich auf mein Handy. Jetzt war ich zu weit gegangen, gleich rastete er aus, würde die Tür zerbrechen und mich hinauszerren. Oder mich gleich hier drinnen vergewaltigen. War ja auch viel einfacher.
»Ist gut.«
Vollkommen perplex starrte ich die Tür an. Das musste ich mir eingebildet haben!
»Ich lass dich in Ruhe. Es tut mir leid. Alles. Das hätte niemals passieren dürfen.«
Meine Schockstarre wurde durchbrochen, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Sofort hörte ich Zombies Brüllen: »Lass ihn in Ruhe! Bist du jetzt völlig übergeschnappt?«
»Alles gut, ich gehe schon.«
Ich hörte Schritte, dann war es ruhig, bevor nur wenig später an der Kabinentür geklopft wurde. »Bist du da drin?«
Ich öffnete den Riegel und sah in Zombies verwundertes Gesicht.
»Was hast du gesagt? Das ... ging viel zu einfach.«
»Dass er verschwinden und mich in Ruhe lassen soll.« Ich ließ mich auf den Klodeckel fallen und schlug die Hände vors Gesicht.
Mats Hand legte sich auf meine Schulter. »Das hast du gut gemacht. Du warst wirklich tapfer.«
Ich murrte nur irgendetwas Zustimmendes. Ich empfand es nicht so, war aber im Grunde auch einfach nur froh, dass er fort war.
»Willst du mir erzählen, was passiert ist? Oder soll ich dich lieber nach Hause bringen?«
Ich atmete tief durch und nahm die Hände vom Gesicht. Langsam stand ich auf. Meine Beine trugen mich, das war gut. Ich war mir nicht sicher gewesen. »Nach Hause.«
»Ist gut, dann komm.«
»Danke, du musst nicht mitkommen.« Mat und ich waren bis zur ›State Station‹ gelaufen, weil ich nicht mit der vollkommen überfüllten Blue Line hatte fahren wollen. Doch weiter musste er mich nicht begleiten.
»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich jetzt einfach allein lasse? Ich seh dir doch an, dass du noch nicht darüber hinweg bist. Sobald du allein bist, brichst du zusammen. Keine Chance, ich bring dich nach Hause!«
»Ich will deine Gesellschaft aber nicht! Genauso wenig wie Peters Geld!«
»Was?«, fragte Zombie verwirrt.
»Du kannst deinem Bruder sagen, dass ich sein stinkendes Schweigegeld nicht will!«
»Welches ... Du meinst das Geld, das er dir überweist?«
»Ich brauch kein Geld von ihm! Er soll mir das geben, was mir zusteht, mehr will ich nicht.«
Zombie seufzte. »Das ist kein Schweigegeld. Peter hat mir ewig in den Ohren gelegen, dass er es wieder gutmachen will, dass er dir deine Karriere zerstört hat. Wir haben darüber geredet und er will es wenigstens finanziell ausgleichen. Aber das ist kein Geld fürs Schweigen.«
»Ja klar!« So konnte man sich das natürlich auch schönreden. ›Finanzieller Ausgleich‹. Das ich nicht lachte!
»Wenn du es nicht willst, zahl es zurück. Aber beschwer dich nicht, wenn du dann verhungerst. Das ist immerhin noch deutlich weniger als das, was du als Mitglied der Death Demons bekommen würdest.«
Bei dieser Erwähnung zog sich alles in mir zusammen und die Galle kam mir hoch. Zum Glück konnte ich sie gerade noch herunterschlucken.
Zombie zog wissend die Augenbraue hoch. »Genau deshalb lasse ich dich nicht allein, bis du daheim bist. Also, wohin musst du?«
Ich grummelte vor mich hin. »Schon gut. Orange in Richtung ›Oak Grove‹.«
»Raus aus der Stadt?« Nun wanderte auch die zweite Augenbraue nach oben.
»Was dagegen?«, motzte ich.
Er zuckte nur die Schultern und ging mit mir nach unten. »Nein, ich bin nur überrascht. Ich hätte ja erwartet, dass du in der Stadt wohnst.«
»Tu ich auch.« Was ging es ihn an, wo ich wohnte?
Plötzlich hellte sich seine Miene auf und er grinste. »Hast du einen Schlüssel oder ist jemand da?«
Ich tippte kurz auf meinem Handy und hielt es ihm unter die Nase. Schon auf dem Weg hatte ich Roger eine Nachricht geschrieben, dass ich in zwanzig Minuten bei ihm und Toby aufschlug und ob er zu Hause war. Bei Toby wusste ich, dass er noch arbeitete. Eigentlich war ich mit ihm für später verabredet, aber das Training würde ausfallen müssen. Gerade hatte mir Roger bestätigt, dass er da wäre.
»Ist gut, dann komm.« Mat legte mir die Hand zwischen die Schulterblätter und schob mich in den ankommenden Zug.
»Hi Kleiner. Ist alles in Ordnung?«, begrüßte Roger mich an der Tür. Dann fiel sein Blick auf Mat. »Oh, hi. Was machst du denn hier?«
»Ich wollte nur sichergehen, dass der Winzling heil bei euch ankommt«, erklärte dieser und wollte sich schon umdrehen.
»Magst du noch reinkommen?« Roger zog mich nebenbei schon einmal an der Hand nach drinnen.
Mat warf mir einen fragenden Blick zu.
Ich zuckte mit den Schultern und zog mir die Schuhe aus. Von mir aus. »Wenn ich deshalb nicht wieder raus muss.«
»Keine Sorge, ich bleib nicht lang.« Auch Mat trat nach drinnen.
Nun hatte Roger auch Zeit für mich und zog mich in seine Arme. »Was ist denn los?«
Sobald ich meinen Kopf an seine Schulter legte, bröckelte die Fassade, die ich die ganze Zeit hatte aufrechterhalten können. Die ersten Tränen liefen mir über die Wangen und schüttelten mich so sehr, dass ich nicht in der Lage war zu antworten.
»Hey, ist gut. Komm, wir gehen ins Wohnzimmer.« Ohne mich loszulassen, dirigierte Roger mich ins Wohnzimmer und setzte sich mit mir auf die Couch. »Beruhig dich erstmal, dann kannst du mir erzählen, was passiert ist.«
Ich nickte und wartete, bis die Tränen versiegten. Nun, da ich nicht mehr stark sein musste, spürte ich umso deutlicher, wie sehr mich diese Begegnung erschreckt hatte. Ich konnte der Angst, dass er mir wieder wehtun würde, freien Lauf lassen. Rogers beruhigende Worte und seine Hände, die zärtlich meinen Rücken streichelten, hielten mich davon ab, ihr zu viel Raum zu geben. Sie war da gewesen, doch nun war ich außer Gefahr, ich war in Sicherheit, niemand hier würde mich verletzen.
»Er war da. Beim Termin. Ich soll für die Death Demons singen. Damit wir auftreten können. Aber ich will nicht! Er tut mir wieder weh«, berichtete ich, sobald ich dazu in der Lage war. Die Worte mussten raus.
»Was?!«, brach es auch Roger heraus und ich erschrak aufgrund der Lautstärke.
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Er weiß, dass du nicht zurückkommen wirst.« Mat klang weniger, als würde er mit uns reden, als vielmehr mit sich selbst. »Wallace hat ihn sehr kurzfristig angerufen. Sonst wäre ich auch gar nicht dort gewesen.«
»Er wusste nichts davon. Hat er gesagt.« Zwischen den Schluchzern versuchte ich, sarkastisch zu klingen. Vermutlich gelang es mir nicht. »Glaub ich nicht. Er weiß alles über die Band.«
»Das kann sogar sein. Wallace ist damit beauftragt, einen neuen Sänger zu suchen.« Diesmal schien Mat wirklich mit uns zu sprechen. »Peter kann nicht mehr alles allein machen.«
Ich zuckte mit den Schultern. Das war mir doch egal! »Er ist mir aufs Klo gefolgt!«
Roger verspannte sich und drückte mich fester an sich. Es tat fast schon weh, doch gerade war das mehr als angenehm. Es zeigte mir, dass er da war.
»Ich weiß auch nicht, was in ihn gefahren ist. Es war das Dümmste, was er tun konnte.« Mat seufzte. »Aber du hast dich dennoch super geschlagen. Du hast ihm die Stirn geboten. Sonst wäre er nie von allein gegangen.«
Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und sah ihn böse an. »Na toll! Was hab ich davon?«
»Das nächste Mal wird er dich in Ruhe lassen. Hoffe ich.«
»Sorg dafür!« Rogers harter Ton erschreckte mich. Er bemerkte es, legte mir seine Hand in den Nacken und küsste meine Stirn.
Mat lachte bitter. »Wie auch immer du dir das vorstellst. Ich kann nicht den ganzen Tag auf ihn aufpassen.«
Roger seufzte. »Du solltest gar nicht mehr mit ihm zu tun haben. Er ist ein widerliches Arschloch!«
»Und mein Bruder. Ich werd ihn nicht im Stich lassen«, machte Mat klar und stand auf. »Ich werd jetzt wieder zurückfahren und nach ihm sehen.«
»Ist gut. Wir sehen uns. Danke, dass du Isaac begleitet hast.«
Mat grummelte etwas, dann wandte er sich an mich: »Überleg dir das mit dem Geld nochmal in Ruhe. Wenn du es wirklich nicht willst, schreib mir.«
Ich murrte nur. Davon wollte ich jetzt nichts wissen, ich war froh, wenn ich wieder runterkam.
Doch kaum war Mat gegangen, durchkreuzte Roger meine Pläne. »Welches Geld?«
In Kurzform erklärte ich es ihm. »Mat meint, ich sollte es weiterhin nehmen. Aber ich will kein Schweigegeld!«
»Mhm. Kann ich verstehen. Ich würde es auch nicht wollen. Aber hast du denn eine andere Wahl?«
»Irgendwie würde ich das schon schaffen, auch wenn es knapp wird«, überlegte ich laut. Genau deshalb wollte ich mich damit nicht weiter beschäftigen. Wenn es sich jeden Monat in dem Rahmen hielt, dann konnte ich ohne das Geld einpacken.
Roger schob mich etwas von sich, lächelte kurz und griff dann nach dem Knopf meiner Hose. Während er sie öffnete, sprach er weiter: »Warum nimmst du es dann nicht, solange du es brauchst? Dann kannst du Mat noch immer sagen, dass du es nicht mehr willst oder es zurückzahlen oder spenden oder was weiß ich.«
Verwirrt beobachtete ich Roger bei seinem Tun, hielt ihn aber erstmal nicht davon ab. »Vielleicht hast du recht. Keine Ahnung, ich überleg es mir noch.«
»Das klingt gut. Hetz dich dabei nicht. Es ist sicher nicht leicht.« Roger schob seine Hände unter den Hosenbund. »Steh mal kurz auf.«
»Was wird das?«, fragte ich mit einem leichten Lachen. Roger war zwar manchmal etwas schnell in solchen Dingen, aber ich konnte mir kaum vorstellen, dass er gerade wirklich sexuelle Gedanken hatte.
»Dir die Hose ausziehen. Die Metallteile tun mir weh und sonderlich bequem sieht das auch nicht aus.«
Auch wenn er sich in der Hinsicht irrte, stand ich auf, um die Hose ausziehen. Ihm damit wehtun wollte ich nicht. »Die Hose ist fast so bequem wie eine Jogginghose.«
Skeptisch zog Roger eine Augenbraue hoch und kämpfte damit, mir die Hose von den Beinen zu ziehen. »Kann ich mir nicht vorstellen. Die sitzt verdammt eng. Trägst du Gleitcreme auf, um da reinzukommen?«
Ich schob seine Hände weg und zog sie mir lachend aus. »Gerade das macht sie bequem.«
Er schüttelte ungläubig den Kopf. Dann deutete er auf mein Shirt. »Zieh das auch gleich aus, du hast mir letztens erst mit so einem Teil Löcher ins Shirt gemacht.«
Ich verdrehte die Augen und warf es mit zur Hose. Nur noch mit der Unterhose und Socken am Leib, betrachtete ich ihn. »Sonst noch was?«
»Nee, so kannst du bleiben.« Roger grinste breit. »Aber reich mal die Decke rüber, damit es dir nicht kalt wird.«
Ich nahm die Decke vom anderen Ende des Sofas und ging zu ihm zurück. Auch wenn ich es ungern zugab, so war es doch etwas bequemer mit ihm zu kuscheln.
Roger breitete die Decke über uns aus und wuschelte mir durch die Haare. Dann sah er mich zufrieden an. »So, jetzt bist du auch wieder unser Kleiner.«
Zuerst verstand ich nicht, was er meinte, doch dann wurde mir bewusst, dass er mir gerade alles genommen hatte, was zu Samsa gehörte. Er hatte einfach so Isaac entblößt. Ich fühlte mich direkt nackt und schutzlos. Ohne es zu wollen, hatte ich mein Schutzschild abgelegt.
»Magst du mich mit den Sachen nicht?« Sobald die Frage ausgesprochen war, hätte ich mich am liebsten geschlagen. Ich wollte nicht noch unsicherer wirken, als ich es sowieso schon war.
Roger massierte meinen Nacken. »Doch, ich mag dich immer. Aber ich mag es nicht, wenn du versuchst, tougher zu sein, als du es bist. Du musst dich vor uns nicht verstecken.«
Ich war mir nicht sicher, ob es im Grunde nicht auf dasselbe hinauslief: Er mochte Samsa nicht. Dabei wäre ich ohne diesen Schutz schon lange nicht mehr. Erst vor einer Stunde hatte er sich wieder als nützlich erwiesen. Andernfalls wäre es mir nie möglich gewesen, so lange allein mit Peter in einem Raum auszuhalten.
»Ich mag dich, wie du bist. Du musst nicht versuchen, jemand anders zu sein. Niemand wird dich hier dafür verurteilen, wenn du Schwäche zeigst.« Roger schmuste leicht mit den Lippen über meine Wange und Stirn, ohne sie wirklich zu berühren. »Lass einfach alles raus, ich bin für dich da.«
Wer sagte denn, dass ich das wollte? Ich wollte nicht schwach sein! Auch nicht vor ihm oder Toby. Woher wusste er überhaupt von dem Schutzschild? War es so offensichtlich? Musste ich daran arbeiten, es weniger offensiv zu tragen? Wollte ich das wirklich?
Würde Roger mich mit dem Schutzschild auch so zärtlich und sanft anfassen, wie er es gerade tat? Klar, er hatte mich vorher auch schon getröstet, doch weniger liebevoll. Er hatte mich einfach nur gehalten, doch nun fuhren seine Finger ganz sacht über meinen Rücken und bescherten mir eine Gänsehaut, die kaum mit dem zu vergleichen war, was ich bei anderen fühlte. Da war nichts Sexuelles, ich fühlte mich einfach nur geborgen.
Vielleicht war es doch besser, das Schild vor ihnen abzulegen. Ich hatte es so oft getan, nun kam es darauf auch nicht mehr an. Wohlig seufzte ich und schob meine Hand ebenfalls unter sein Shirt, um seine Wärme noch besser genießen zu können.
Leise raunte er mir ins Ohr. »So ist gut. Mach dir keine Sorgen, wir passen auf dich auf.«
Ich glaubte ihm. Warum sollte ich auch nicht? Er und Toby hatten das immer getan. Sie würden mich nicht einfach wieder fallen lassen. Entspannt legte ich den Kopf gegen Rogers Schulter und ließ den Tränen freien Lauf.
»Nie wieder wirst Du mich verführen!
Nie wieder werd‹ ich Dich berühren!
Doch ein kleiner Teil von Dir,
bleibt für immer tief in mir!«
Terminal Choice – Keine Macht