Als wir aus dem Taxi stiegen, stolperte ich über die niedrige Bordsteinkante. Toby fing mich auf und lachte. »Hey, so viel hast du doch gar nicht getrunken.«
»Ich wollte nur so schnell wie möglich in deine Arme.« Ich grinste und zwinkerte.
»Oh, na dann.« Er zog mich näher an sich. Dabei schob er seine Finger an meinem Rücken unters T-Shirt.
Ich streckte mich etwas, bis sich zuerst unsere Lippen und dann unsere Zungen berührten. Leise seufzte ich, als ich mich von ihm löste.
Er lächelte und zog mich zum Haus. »Na komm, wir sollten rein, es wird langsam kalt.«
Ich strich über die Ärmel seines dünnen Pullovers. »Ich dachte immer, Muskeln halten warm.«
»Na ja, wenn du so weitermachst, wird mir sicher auch wieder warm. Ich möchte nur nicht, dass du krank wirst.«
Ich lächelte nur und dachte mir meinen Teil. Immerhin war ich doch nicht derjenige, dem kalt war.
Toby kramte in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel und ging dann auf die Metalltreppe zu.
Verwirrt blieb ich stehen. »Hast du was oben vergessen?«
»Was? Nein?« Er sah mich einen Moment verwundert an, dann trat ein schuldbewusster Ausdruck in sein Gesicht. »Shit ... Ich hab vergessen, dir zu sagen, dass Roger darum gebeten hat, dass wir hochgehen.«
»Oh.« Langsam machte ich ein paar Schritte auf ihn zu. Meine Beine fühlten sich an, als würde ich durch zähen Zement waten. Nach gerade mal zweieinhalb Schritten blieb ich wieder stehen.
»Was ist los?« Toby klang direkt alarmiert.
»Ich ... Ich weiß nicht.« Ich wusste es wirklich nicht. Es ging einfach nicht, ich konnte nicht in diese Wohnung, alles in mir sperrte sich dagegen. Ich verstand es doch selbst nicht.
»Hast du Angst?«
Ich nickte. Ja, das beschrieb es wohl am ehesten. Doch auch nicht wirklich.
»Warum?«
Ich zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Wenn ich das doch nur wüsste. Es war doch nur eine Wohnung. Dennoch konnte ich nicht einmal darüber nachdenken, welchen Zweck sie erfüllte. »Ich fühl mich nicht wohl. Es ist ... Die Wohnung ... Ihr habt da nur eure Fickbeziehungen und ... Toby, ich kann das noch nicht.«
Toby zog mich in seine Arme. Erst jetzt merkte ich, dass ich zitterte. Sanft strich er mir über den Kopf. »Hey, beruhig dich. Das weiß ich doch. Ich erwarte doch auch gar nichts von dir, habe ich nie. Ich hatte mich nur darauf gefreut, heute Nacht ein wenig mit dir zu kuscheln.«
»Es fühlt sich trotzdem komisch an. Ich kann das einfach nicht abstellen. Ich hab das Gefühl, wenn ich mit dir da hochgehe ...« Ich brach ab und musste erst einmal tief durchatmen. »Kann ich nicht bei euch im Wohnzimmer schlafen?«
Langsam schüttelte Toby den Kopf. »Warum ist das denn so schlimm? Es ist doch auch nichts anderes, als wenn wir sonst zusammen im Bett schlafen?«
»Ja, schon. Ich hab nur das Gefühl ...« Ich versuchte, meine Empfindungen in Worte zu fassen, schaffte es jedoch vermutlich nur mäßig. »Da oben ist es eben doch irgendwie was anderes. Bei euch unten, da ... Ich weiß, dass ich da auch einfach nur ein Freund sein kann, wenn es mir gerade alles zu viel wird. Aber da oben ... Ich weiß, du zwingst mich zu nichts. Aber wenn ich daran denke, mit dir da im Bett zu liegen ... Es fühlt sich nicht gut an. Auch wenn ich weiß, dass es nichts anderes ist als sonst, ich glaub, jede Berührung würde sich trotzdem anders anfühlen.«
»Du hast also wirklich keine Angst, dass ich dir etwas tun würde?«
Vehement schüttelte ich den Kopf und sah ihn mit großen Augen an. Wie konnte er nur überhaupt auf die Idee kommen? Das war doch völlig absurd! Ich wusste, dass er mir nichts tun würde.
Toby drückte mich noch etwas fester an sich. Leise, fast schon unsicher fragte er: »Kann es sein, dass du mehr Angst vor deiner eigenen Angst hast als alles andere? Dass du gar nicht wirklich Angst hast, mit mir dort hochzugehen, sondern davor, wie du auf die neue Situation reagierst?«
Eine Weile sah ich ihn noch verwundert an, dann ließ ich meinen Kopf gegen seine Schulter sinken. Ebenso leise flüsterte ich: »Ja, vielleicht.«
Er seufzte und strich mir über den Rücken. Vermutlich hatte er recht. Wahrscheinlich stand ich mir nur selbst im Weg. Womöglich war das hier auch nicht die einzige Situation, in der das der Fall war. Ziemlich sicher hätte ich auch schon lange mit ihm schlafen können, wenn da nicht ständig dieses ungute Gefühl wäre, dass schon die nächste Berührung mich wieder in ein wimmerndes Kleinkind verwandeln könnte.
Leider wusste ich, dass das gar nicht so abwegig war, und daher konnte ich nie so wirklich sagen, ob die Angst nicht doch berechtigt war. Ich wusste einfach nicht, wie ich damit umgehen sollte, wenn ich einmal einen wirklichen Panikanfall bei ihnen bekommen würde, womöglich noch aufgrund von etwas, das sie getan hatten.
»Es tut mir leid, ich wollte dir das sagen, aber dann kam die Sache mit deinem ehemaligen Mitbewohner dazwischen und ich hab es vergessen. Das hätte nicht passieren dürfen. Soll ich dir ein Taxi rufen, damit du nach Hause fahren kannst?« Toby schien zu merken, dass ich durchaus mit dem Gedanken spielte, dieses Angebot anzunehmen, jedoch noch haderte. Schnell schob er hinterher: »Ich bezahl es auch, es war immerhin mein Fehler.«
Schnell schüttelte ich den Kopf. Nein, das war es nicht, was mich hatte zögern lassen. Nicht der Hauptgrund zumindest. Vielmehr hatte seine Feststellung etwas in mir ausgelöst. »Nein, du hast recht, ich sollte aufhören, ständig nur rumzujammern und mich endlich mal was trauen.«
»Nein, das ...«
»Ich weiß, dass du das nicht sagen wolltest.« Ich lächelte ihn an und drückte mich noch einmal fest gegen seine Schulter, bevor ich einen Schritt von ihm zurückwich. »Aber so ist es doch, oder? Ich versuche einfach nur ständig, den Situationen auszuweichen, die mir vielleicht Angst machen könnten.«
»Isaac, du solltest dich zu nichts zwingen, das bringt doch nichts.«
Ich lächelte ihn zärtlich an. Ja, ich wusste doch, dass er sich Sorgen um mich machte. »Keine Sorge, tu ich nicht. Ich will es versuchen. Aber ...«
Neugierig sah Toby mich an, während ich noch überlegte, ob das wirklich eine gute Idee war, was ich vorhatte. Wie er wohl darauf reagierte? Ich würde es nur herausfinden, indem ich ihm den Vorschlag unterbreitete: »Meinst du, Roger wäre böse, wenn du heute Nacht bei ihm schläfst?«
Toby sah mich wirklich überrascht und verständnislos an. »Warum sollte er?«
Ich ging nicht weiter darauf ein, sondern stellte lieber die viel brisantere Frage: »Und du? Wärst du böse?«
»Warum sollte ich böse sein, wenn ich die Nacht mit meinem Freund verbringe?«
Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste es doch auch nicht, vielleicht hatte ich nur sichergehen wollen. »Wäre es dann in Ordnung, wenn ich allein oben schlafe? Dann ist es nicht ganz so fremd, wenn wir wirklich mal zusammen oben sind.«
Ich hatte das Gefühl, Toby wusste im ersten Moment nicht, was er dazu sagen sollte, doch dann lächelte er und nickte. Er übergab mir den Schlüssel und küsste mich dabei sanft. »Dann wünsche ich dir eine gute Nacht. Wenn etwas ist, ruf an.«
Unweigerlich musste ich lachen. Es war so lange her, dass ich solche Worte von jemandem gehört hatte. Damals war ich noch ein Kind gewesen.
Ich schmiegte mich kurz an ihn und küsste ihn erneut. »Wünsche ich dir auch. Keine Sorge, ich komm schon klar.«
»Das hoffe ich doch. Wenn dich bis morgen früh die Bettwanzen nicht gefressen haben, kannst du ja zum Frühstück runterkommen. Roger hat morgen frei und ich muss erst um zwei nach Boston rüber. Du kannst aber auch gern den Kühlschrank oben plündern.«
»Ist das denn für Roger in Ordnung?«, fragte ich überrascht. Irgendwie passte das für mich nicht, dass er wollte, dass wir oben schliefen, aber mich dann doch zum Frühstück einlud.
»Ja, Roger plant schon mit dir zum Frühstück. Aber du musst auch nicht, wenn du nach der Nacht nicht möchtest, dann schreib mir eine Nachricht und werf den Schlüssel in den Briefkasten.«
»Na gut.« So wirklich verstand ich es immer noch nicht, aber mir stand auch nicht der Sinn danach, das großartig zu diskutieren. Manchmal verstand ich Roger eben einfach nicht, das war nichts Neues.
Vermutlich stimmte mein Gefühl, dass ich ihn nervte eben doch. Immerhin hatte es sich im letzten Jahr nicht geändert, Roger ging mir immer noch aus dem Weg oder warf mir merkwürdige, wachsame Blicke zu, daran hatte ich mich schon gewöhnt. Das hieß aber nicht, dass die Ablehnung dadurch weniger wehtat.
»Du weißt nicht was du willst
Du weißt nicht was du hast
Bald weißt du wie es ist
Wenn man den Zug verpasst
Du stellst dir selbst ein Bein
Du sagst zu allem nein
Denk dein Leben nach
Du holst es nicht mehr ein«
Megaherz – Hurra wir leben noch