Irgendetwas war definitiv völlig anders als sonst, Jocelyn kam nur nicht gleich darauf, was es war. Sein Brummschädel allein war nicht das Problem, nur der erste Hinweis. Klar, es war Wochenende und er war mit ein paar Kollegen losgezogen, sie wollten etwas trinken, vielleicht auch tanzen, in jedem Fall ein wenig feiern, denn sie hatten einen neuen Auftrag an Land gezogen. Also waren sie in diesen hippen Club gegangen, dessen Namen ihm gerade nicht einfallen wollte. Schlaftrunken und noch immer ohne Orientierung, zog sich Jocelyn die Bettdecke über den Kopf. Warum zum Geier war es so hell in dem Zimmer? Hatte er die Jalousien vergessen? Dann, so nach und nach, sickerte die Erkenntnis endlich ein. Er war gar nicht zuhause. Die Decke roch eindeutig nach einem anderen als seinem Waschmittel. Oh!
In dem Moment drang plötzlich das Geräusch einer angestellten Dusche aus dem Bad nebenan. Er war also nicht allein. Das wäre auch noch seltsamer gewesen. Innerlich fluchend, weil er sich unlängst geschworen hatte, dass ihm diese Art von One-Night-Stands nicht mehr passieren würden, tastete er mit den Händen nach seinem Körper, erst der Brust, dann den Lenden, was ihm nur bestätigte, dass er nackt war. Yippieayeah! Na schön, dann war’s halt wieder passiert. Und es gehörten zwei dazu. Leider konnte sich Jocelyn nur beim besten Willen nicht erinnern. So auf Anhieb jedenfalls nicht.
Er entschied, sich genug vorbereitet zu haben, um sich, wem auch immer, zu stellen. So schlug er zuerst die Decke über dem Gesicht zurück, dann drehte er sich langsam um und blinzelte. Das Zimmer war hell, die Einrichtung eine Art chaotische Mischung aus neu und retro, in der Ecke lehnte eine Gitarre und- da lagen überall seine Klamotten, aber auch eindeutig ein paar rote Sneaker, die nicht aussahen, als würden sie einer Frau mit Schuhgröße 46 gehören. Jocelyn blickte sich, nun mit einem Mal hellwach, weiter um und gerade als er überlegte, dass auch Mädels T-Shirts von Led Zeppelin trugen, setzte im Bad das summende Geräusch eines Rasierapparats ein. „Ein Kerl!“, schoss es ihm in den Kopf. Aber wie, wo, seit wann? Letzte Frage war schnell beantwortet: nicht seit dem Zeltlager im letzten Schuljahr. Blieben noch zwei.
Im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür und der Typ kam aus dem Bad. Oder besser: er erschien. Groß, schlank, gut gebaut, das rötlich-braune Haar noch nass verstrubbelt und mit nichts als einem Handtuch um die Hüften.
„Oh, cool. Du bist wach“, stellte er mit einem Lächeln fest, das ehrliche Freude auszudrücken schien und Jocelyn umso verlegener machte, weil er selbst zu überrascht war, um zeitnah zu reagieren.
„Noch so fertig?“, kam als Nächstes eine Frage hinterher, während der frisch geduschte Sunnyboy sich daranmachte, ein paar Sachen aus seiner Kommode zu kramen. „Wenn du magst, dann geh unter die Dusche, ich such dir ein paar Klamotten von mir raus. Josey war dein Name, richtig?“
„Jocelyn“, berichtigte dieser eilig, obwohl es gerade absolut nebensächlich war. Mehr interessierte ihn der Name des anderen und was sie wohl in dessen Schlafzimmer getan hatten.
„Origineller Name. Hab ich wohl bei der lauten Musik nicht richtig verstanden.“
„Oh ja!“, nutzte Jocelyn die Steilvorlage zu seinem Vorteil. „Ich deinen leider auch nicht … Mmmm.“
„Nix mit M, Tom heiße ich. Ist ja nicht so wichtig.“
„Findest du?“
Der Rothaarige zuckte mit den Schultern. „Ja schon. Wichtiger finde ich, dass du `n echt heißer Typ bist, Jocelyn. Hab selten gesehen, dass einer bei so oller Retro-Mucke voll abgeht.“ Wieder schenkte er dem Mann in seinem Bett ein hinreißendes Lächeln, das äußerst ansteckend wirkte.
„Du meinst, ich bin beim Tanzen mit dir abgegangen?“
„Oh, nicht nur beim Tanzen …“ Diese Bemerkung war eindeutig zweideutig und Tom startete dabei doch glatt den Versuch, seinem überraschten Gast die Bettdecke wegzuziehen. Mit einem reflexartigen festen Griff am Laken und einem Auflachen wusste Jocelyn das zu verhindern.
„Jetzt bist du schüchtern?“, amüsierte sich der andere. „Wie süß ist das denn?“
„Weiß auch nicht“, gab Jocelyn zu und war nicht sicher, ob ihn die ganze Situation nicht einfach nur völlig aus der Bahn warf.
„Ich mache dir `n Vorschlag“, kam es nun von seinem Sunnyboy. „Du gehst erstmal ins Bad, ordnest dich und deine Gedanken und ich mache uns ein Frühstück mit extra schwarzem Kaffee für dich. Was sagst du?“
„Da bin ich dabei.“
Im Nu zog sich Tom nun eine Boxershorts und ein T-Shirt über, bevor er in Richtung Küche verschwand, was Jocelyn einmal kurz den Atem raubte. Dann erhob er sich, warf einen Blick auf das Chaos aus Klamotten am Boden und nahm sich vor, das Beste aus dem zu machen, was sich hier so für ihn auftat. Definitiv war das anders als sonst. Und wie es schien, war es viel besser …