Irgendwo tief im dunkelsten Winkel des Schauerwaldes, gleich hinter den Nebelbergen, dort, wo sich selbst die Schatten verstecken, sobald die Sonne untergeht, steht ein windschiefes Hexenhaus. Es war lange Jahre unbewohnt, doch jetzt, wo es selbst in diesem gottverlassenen Teil der Welt 4G-Netz gibt, ist die alte Goneril zurückgekehrt. Einen besonderen Grund dafür gibt es nicht, außer vielleicht dem, dass sie sich selbst beweisen möchte, dass sie es auch ohne den ganzen modernen Schnickschnack noch immer drauf hat. Nur dass wir uns recht verstehen. Es ist eher ihr Kater Grisgram, der inzwischen ohne sein Smartphone, auf dem er tagein, tagaus „Mäuse gegen Zombies“ spielt, nicht auskommen kann. Und während er auf der Fensterbank friedlich daddelt, beschließt die rüstige Alte, ihren Hexenkessel hervorzuholen und das Feuer zu schüren, um dem viel zu lange ungenutzten Küchenutensil so richtig einzuheizen.
Es dauert gar nicht lange, da hängt er an seinem Haken und Goneril beginnt damit, wahllos hineinzuwerfen und zu kippen, was sie gerade Überflüssiges findet. Es ist ja bei ihrer Hexenkunst im Grunde auch egal. Also schmilzt sie ein paar alte Plastikhandschuhe, eine Barbie, die irgendein Kind mal im Wald verloren hatte, als es Goneril erblickte, und noch so anderen Kram wie eine Gummibadematte und ein paar Wäscheklammern hinein. Leider fällt ihr der Gestank von dem Gebräu erst auf, als der Kater schlecht gelaunt die Hütte verlässt und sie dabei keines Blickes würdigt. „Nun ja“, denkt sie, „er wird schon wiederkehren, wenn er Akku braucht.“
Sodann beginnt sie in dem Kessel zu rühren und sich auf das zu konzentrieren, was er ihr zeigen soll. Schöne Männer, kommen ihr als Erstes in den Sinn, aber dafür braucht sie ihre Hexenkunst nicht wirklich. Sie konzentriert sich etwas mehr, nachdem schon die ersten Nackedeis in dem brodelnden Brei zu sehen waren. Wie die schönen Ansichten wieder verschwinden, denkt sie sich, sie könnte mal nach den unerfüllten Träumen der Menschen forschen und ob die sich in den letzten Jahren verändert hätten. Also rührt sie nochmal kräftig um und legt einen Zahn zu.
Das allererste Bild, welches sich zeigt, wundert sie wenig. Da geht es den Menschen, wie ihrem Grisgram. Viele Smartphones sind zu sehen, immer die neusten Modelle natürlich. Das Einzige, was die Hexe daran verwundert, ist, dass es so viel Umrühren braucht, um die nächsten Wünsche zu finden. Die Bilder beginnen zu erscheinen und je schneller sie rührt, umso schneller verschwinden sie wieder. Schnelle Autos sind dabei, teure Turnschuhe, Kreditkarten, Silikonimplantate … Schon bald schwirrt der Hexe der Kopf und sie lässt nach mit ihrem Rühren. „Wie seltsam“, denkt sie, während Elektroautos, Kreuzfahrtschiffe und Flugzeuge auftauchen, „noch immer wünschen sie sich die falschen Dinge.“