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Bruder Anselm beugte sich über das Krankenlager und betrachtete das vor Fieber glühende Gesicht des jungen Mannes, den zwei der Novizen vor den Klostermauern gefunden hatten. War es gefährlich, ihm Unterschlupf zu gewähren? Noch stellte er keine Bedrohung dar, doch was, wenn sein Todeskampf vollkommen unnatürliche Ursachen hatte? Was, wenn sich die Geschichten, die man sich in diesem unwirtlichen Winkel der Welt erzählte, wahr wären? Wenn das Grauen, das alle nur hinter vorgehaltener Hand nannten, wirklich existierte? Er, Anselm, glaubte an einen unsichtbaren Gott, einen Herrscher über himmlische Heerscharen und einen Lenker, der das Schicksal der Menschen in Händen hielt. Und an eine Hölle, ein Totenreich, zu dem der Herr Jesus Christus hinabgefahren war, um aufzuerstehen. Dann wäre es naiv, nicht an ein unsichtbares Böses zu glauben.
Nichtsdestotrotz hatte er geschworen, im Dienst seines Gottes Gutes zu tun und den Schwachen und Kranken zu helfen, wann immer es in seiner Macht stand. Aber dieser hier ist nicht schwach und was er sonst ist, ist womöglich nicht krank. Der Mönch schob diese Gedanken beiseite, nahm sich zusammen und suchte nach Hinweisen. Der junge Mann brabbelte im Fieberwahn wirres Zeug, oder war es eine andere Sprache? Egal wie sehr sich Anselm auch anstrengte, die Worte ergaben keinen Sinn. Er kühlte ihm die Stirn mit einem feuchten Tuch und hob anschließend die Lider an, um mit der Kerze zu testen, ob seine Pupillen eine Reaktion zeigten. Das taten sie, aber der Unbekannte rollte wild mit den Augen und stieß noch mehr seltsame Laute und Worte aus, die wie Flüche klangen oder waren es verzweifelte Gebete?
„Willst du mir etwas sagen?“, fragte Anselm und horchte. „Sprichst du Rumänisch oder Latein?“
Der Angesprochene warf den Kopf nur unkontrolliert hin und her, bäumte sich krampfartig auf und mit einer plötzlichen Bewegung schlug er dem Mönch die Kerze aus der Hand. Sie erlosch sogleich und kullerte schlitternd über den Boden der Klosterzelle. Ich soll irgendetwas nicht sehen! Anselm zögerte kurz, dann ging er auf die Knie, tastete nach der Kerze und ging auf den Gang, um sie an einer der Kerzen dort neu zu entzünden. Er überlegte, ob er sich Hilfe von einem anderen Klosterbruder erbitten sollte, doch wenn es einen Freiwilligen gäbe, der ihm behilflich wäre mit einem Untoten, dann wäre der längst bei ihm.
Anselm holte tief Luft und ging mit neu entzündeter Kerze zurück zu dem jungen Mann. Der wirkte wieder ruhiger als eben noch und ließ sich von dem Mönch zurück auf das Lager betten. Das Hemd, das er trug, war schweißnass und Bruder Anselm beschloss, es ihm auszuziehen, was sich der Fieberkranke willenlos gefallen ließ. Es hatte eine Borte mit einer feinen Stickerei, die zum einen kostbar, zum anderen fremdländisch wirkte. Möglich, dass der junge Mann aus dem Norden kam. Das passte zu hellerer Farbe von Haut und Haar. Anselm kühlte ihm abermals die Stirn und redete zu ihm. Er besah sich auch den Hals äußerst gründlich, ob er dort keine Wunde, kein Mal übersehen hatte …
„Willst du mir nichts erzählen? Woher du kommst? Wer du bist? Warum du einen abgetrennten Menschenkopf in deiner Satteltasche mitführst?“
Die Frage war gut gewählt, denn falls der Fremde etwas verstand, würde sie sicherlich eine Reaktion auslösen. Doch nichts geschah. Kein Hinweis. Kein verräterisches Zucken oder stockender Atem. Doch plötzlich setzte draußen vor den Mauern ein Heulen ein, wie von einem riesigen Wolf. Dies ließ den jungen Mann sich winden und jammern. Nein, er jammerte nicht. Er heult mit dem Untier draußen.
„Wer bist du? Was bist du?“, forderte der Mönch mit lauter, strenger Stimme.
Das Geheul von beiden, Mensch und Tier, ging jedoch weiter, steigerte sich sogar. Anselm machte sich nun auf das Schlimmste gefasst. Er starrte auf die hölzernen Pflöcke und den Zimmermanns-Hammer, die dafür bereits neben dem Krankenbett lagen. Verfluchter Aberglaube in diesem dunklen Teil der Welt! Seine Aufgabe war es zu heilen, nicht Pfähle in Herzen zu rammen, auch wenn das wohl alle seine Brüder von ihm erwarteten. Trotzig warf er diese Mordinstrumente voller Abscheu zum Fenster hinaus.
In dem Augenblick verstummte das wütende Geheul des Wolfes draußen und gleichsam das des Fieberkranken. Der sackte wie leblos zusammen und fiel zurück auf das Lager. Im ersten Moment glaubte Anselm, er sei tot, doch als er sich über den jungen Mann beugte, spürte er dessen Atem an seiner Wange. Es war nur ein schwaches Lebenszeichen, zeugte aber von menschlicher Art und Verletzbarkeit. Der Mönch atmete ebenfalls erleichtert auf, bettete den Kranken wieder und kühlte ihm die Stirn.
Am nächsten Morgen, als der Klosterbruder erwachte, war es überstanden. Das Fieber war fort und der hellhäutige Fremde lag friedlich schlafend da. Es würde noch ein paar Tage dauern, bevor er wieder bei Kräften wäre, um seine Geschichte zu erzählen. Wie er mit anderen seiner Art an den Gestaden dieses düsteren Landes gestrandet war, welchen Monstern sie begegneten und dass er zuletzt gezwungen gewesen war, seinen besten Freund zu enthaupten, um ihm ein schlimmeres Schicksal zu ersparen.