Grendi schaute auf zum Himmel, wo kaum eine Wolke zu sehen war, dann begann sie damit, das aufblasbare Stand-Up Paddelboard auf dem Rasenstück unter der Millenniums-Linde neben der Brücke auszurollen. Das Teil aufzupumpen, war immer der anstrengende Teil. Der Rest war eigentlich Kinderkacke. Ein Motorengeräusch hinter ihr, verriet die Ankunft Xannis, die ihren Wagen direkt hinter dem von Grendi parkte. Sie hatten sich wie immer gegen Abend verabredet, um auf den kleinen Fluss zu gehen. Dann war es nicht mehr so verflucht heiß und irgendwie war Sommer auch so schon anstrengend genug, wenn man in der prallen Sonne eine Creme mit Lichtschutzfaktor 50 auftragen musste und noch dazu ein Mückenspray gegen die elenden Stechviecher. Auf Letzteres würde Grendi nicht verzichten. Auch am Ende des Sommers nicht.
Das Geräusch der Autotür und verdächtiges Schweigen waren die Anzeichen dafür, dass Xanni sich direkt vor der Begrüßung noch eine Zigarette angezündet hatte. Irgendwie fand Grendi das nervig. Normalerweise, wenn die beiden Freundinnen die ganzen Sommerferien auf Reisen waren, setzte Xanni für sechs Wochen mit dem Rauchen aus. Das betonte sie auch immer gern. Im Urlaub, in den Ferien, rauchte sie nie. Mit dem ersten Schultag aber war das schon auf dem Parkplatz vorbei. Eine Zigarette im Mund sei immerhin ein Grund, warum einen die Kollegen nicht ständig vollnölen, sagte sie immer. Dieses Jahr, wo die zwei wegen der Covid-Pandemie zuhause geblieben waren, fiel die Raucherpause aus. Schade, denn bereits nach zwei Wochen ohne Fluppe war es um die Lungen der Freundin immer viel besser bestellt. Naja. Es gab andere Probleme diesen Sommer.
Grendi begann zu pumpen. Das Bord brauchte 1,5 bar. Noch immer war es mindestens 22 Grad und sie begann zu schwitzen. Wie doof.
„Nächstes Jahr“, begann sie, ein Gespräch zu eröffnen, „ist mir alles egal, da bin ich wieder auf der Südhalbkugel oder auf dem Polarkreis. Weiß gar nicht, wann ich zuletzt im Sommer in Deutschland war.“
Xanni rollte ihr Board nebenan aus und bereitete ebenfalls die Pumpe vor.
„Vor zwei Jahren kurz“, antwortete sie. „Weil deine Oma neunzig geworden ist.“
„Ach ja, stimmt.“
Irgendwie hatte Grendi die vier Tage nicht mitgezählt. Aber es stimmte. Da waren sie zwischen zwei kühleren Atlantikinseln auch in der Sommerhitze hier gewesen. Damals hatten sie die Boards gekauft, was sich im diesem Jahr als echte Glückssache erwies, denn so erkundeten sie die heimischen Gewässer mit oder ohne Geocachen.
Grendi begann zu schnaufen. 1,1 bar. Das Teil sah längst prall und schwimmfähig aus, aber um problemlos darauf zu stehen, brauchte es die nächsten 0,4 bar noch.
„Hast du deinen Ex gefragt, ob der die Pumpe herrückt?“, fiel ihr ein.
Zwischen Pumpen und einem weiteren Zug an der Zigarette nickte Xanni.
„Ja, er hat noch eine, aber wir brauchen dann den richtigen Adapter.“
„Das müsste doch zu schaffen sein.“
Xanni war normalerweise die etwas Bequemere von beiden und sie hatte ziemlich bald beobachtet, dass vor allem Kerle ihre Boards mit einer automatischen Pumpe aufblasen ließen, die man an die Autobatterie anschloss. So ein Ding wäre schon praktisch. Aber eben erst dann.
Als es endlich so weit war, schnappte sich Grendi als Erste ihr Board und ging voran. Es gab einen kleinen Pfad, wo man das Wasser problemlos erreichte und dort ließ sie das Teil einfach hineingleiten. Der kleine Fluss selbst war angenehm kühl und die Erfrischung setzte sofort ein. Mit zwei, drei Schritten war sie bis zu den Knien im Wasser, was reichte, um aufzusteigen und schon mal ein paar Paddelschläge weiter in die Mitte zu fahren, damit Xanni genug Platz hatte, um auf ihr Board zu gehen.
Ein Kopfnicken genügte, dann war klar, dass die beiden Freundinnen flussabwärts paddeln würden. Dort war das Wasser besonders still und tief und die Natur spiegelte sich absolut malerisch darin. In der anderen Richtung war der Fluss flacher und Xanni war schon einmal hineingefallen und hatte sich böse den Steiß gestoßen. Seitdem ging es eigentlich immer flussabwärts. Vorbei an den Wiesen des Reitstalls, wo sich die Pferde inzwischen daran gewöhnt hatten, dass zwei Frauen auf seltsamen Brettern an ihnen vorbeitrieben. Auch keine der Kühe regte das noch auf. Die Einzigen, die das noch juckte, waren die Angler am Freitagabend, für die zwei Wassersportlerinnen offenbar ihr Vergnügen trübten. Dabei hörte sogar Grendi auf, irgendwelche Geschichten über Katzenretter-Videos auf Youtube zu erzählen, wenn sie eine Angelschnur im Wasser erblickte.
Sie fuhren so bis zum Wehr einer Mühle, drehten um und sammelten auf dem Rückweg ein wenig Müll ein. Das hatten sie sich seit ihres gemeinsamen Tauchkurses so angewöhnt, denn der Tauchlehrer, ein echter Hottie namens Olli, hatte ihnen beigebracht, dass ja sonst niemand leere Dosen und so Zeugs wieder einsammelt, wenn nicht zum Beispiel Taucher oder eben neuerdings die beiden Stand-Up Paddlerinnen. Schon bald hatten sie die üblichen Flaschen und Tetrapacks mit dem Paddel aufgefischt, da entdeckte Grendi etwas ganz Besonderes. In einer leeren Flasche war was drin. Kaum hatte sie das Teil aus den Schlingpflanzen in Ufernähe geborgen, da sah sie, dass es eine Flaschenpost war. Na wie geil!
„Hey, guck mal! Da ist eine Schriftrolle drin. Mit rosa Bändchen!“
Xanni schaute neugierig.
„Tatsache! Da gibt’s noch Kinder, die so was losschicken?“
„Sieht so aus!“, rief Grendi und hielt die Flasche gegen das Licht. „Es ist was draufgemalt.“
„Krass!“
„Los, mach ein Foto!“
Das musste man Xanni nicht zweimal sagen. Ihr Handy war in einem wasserdichten Beutel - wasserdicht erst seit ihres Sturzes - immer dabei. Sie machte ein paar Aufnahmen, dann paddelten die beiden zügig zu ihrem Einstieg zurück. Erst warfen sie den anderen geborgenen Müll in einen Abfalleimer an der Brücke, dann öffneten sie die Flasche mit der Post. Auch dies hielt Xanni fest. Und wirklich: Darin war ein süßer Brief eines sechsjährigen Mädchens. Geschrieben von der Mutter, aber mit einem Blumenbild der Kleinen und Adresse. Weit war die Flasche nicht gekommen, aber das Mädchen musste wohl gedacht haben, dass sie es bis ins Meer schafft, denn als Absender stand: Germany.
„Okay“, beschloss Xanni. „Dann schicken wir ihr die Fotos und du schreibst einen Brief. Und das Ding hier, schmeißen wir wieder rein. Das hat ja noch was vor.“
„Warum soll ich schreiben?“
„Du hast die schönere Schrift.“
„Boah ey, wie in der Schule.“
„Ich mach ´ne Flasche Tequila leer, dann kriegt das Ding ´ne neue Pulle. Die da ist ja schon oll.“