Es war eine seltsame Stimmung, die sich im Rumpf des Schiffes ausbreitete. Tagelang hatte die „Tara“ inmitten einer endlos scheinenden Nebelbank nur dahingedümpelt. Nichts war zu sehen gewesen. Kein Stern in der Nacht und auch nicht die Sonne am Tag. Gleichzeitig hatte eine unheimliche Flaute geherrscht, die es unmöglich gemacht hatte, das Schiff aus dem undurchdringlichen Dunst hinauszumanövrieren. So konnte niemand sagen, ob sich die „Tara“ noch auf Kurs befand. Beinahe schien es, als wären statt der Menschen Geister an Bord, denn nur in absoluter Stille war es möglich, zu horchen, ob sich das Meer irgendwo brach. Möglich, dass sie bereits in der Nähe der Küste waren und Gefahr liefen, auf ein Riff oder zerklüfftete Felsen aufzulaufen. So lauschten sie alle dem Ächzen der Planken und dem Seufzen der Erschöpften unter Deck. Wenn sie nicht bald Land erreichten, wäre sowieso alle Hoffnung dahin.
Schon seit drei Wochen litten vor allem die unfreiwilligen Passagiere, die Strafgefangenen aus Irland, die man in die Kolonie schickte, unter ansteckendem Fleckfieber und wer wusste schon was noch. Die Schwächsten unter ihnen, darunter mehrere Neugeborene, hatte es längst dahingerafft und Kapitän Cormack fürchtete, auch seine Mannschaft wäre nicht mehr sicher, wenn sich die Krankheit weiter ausbreitete. Dem Matrosen im Ausguck hatte er Befehl gegeben, ab und an mit der Glocke zu läuten. So war er wenigstens sicher, dass der Mann nicht einschlief. Er selbst starrte immer wieder auf die nutzlose Kompassnadel, die sich hin und her drehte, gerade so, als habe sie den Verstand verloren. Es gab also wirklich einen Grund, warum Captain Cook in seinen Berichten von magnetischen Inseln schrieb. Nur hatte Cormack nicht damit gerechnet, in diesen Gewässern auch der Orientierung an den Sternen oder dem Sonnenstand beraubt zu sein.
„Kapitän, unten bei den Iren ist die Situation unerträglich“, meldete der Erste Offizier und seine Stimme verriet, dass er mit eigenen Augen gesehen hatte, was er ansprach.
„Worum geht es?“, verlangte der Kapitän zu wissen. Ihm wollte nicht einfallen, was denn die Lage an Bord noch verschlimmern konnte.
Der Angesprochene zögerte, dann blickte er ernst zu seinem Vorgesetzten, als er sprach.
„Da ist ein Kerl, der nennt sich selbst Prediger und er redet davon, dass das Schiff und alle darauf verflucht seien.“
Cormack schnaubte in einer Mischung aus Wut und Verachtung.
„Wie kann so ein Mann es wagen? Wie kommt er dazu?“
„Er sagt, es seien Ungläubige an Bord. Ich denke, er meint die englischen Protestanten. Und sie seien verantwortlich für das Fieber und den Nebel. Das Schiff sei verflucht und man müsse sie über Bord werfen.“
„So was ist absolut ungeheuerlich! Das hier ist ein christliches Schiff, egal ob wir nun Diebe und Huren nach van Diemen‘s Land bringen oder nicht. Wenn dieser Kerl weiterhin so einen Unsinn redet, dann fesselt und knebelt ihn und sperrt ihn am Bugspriet ein.“
Der Offizier salutierte und machte sich auf, den Befehl zu befolgen. Doch schon bald kam er mit neuer Meldung zurück.
„Kapitän, der Mann ist unauffindbar.“
„Was soll das heißen, unauffindbar?“
„Wie ich sagte. Ich selbst und ein paar Matrosen haben unter Deck nach dem Mann gesucht. Aber er war nicht zu finden. Die Leute sagen, er sei fort.“
„Fort?“ Cormack kam ein Gedanke, den er nicht auszusprechen wagte und deutete dem Offizier an, ihm zu folgen. Er würde sich selbst ein Bild machen und in den Quartieren der Gefangenen nachsehen. Da plötzlich, begann das Schiff zu wanken.
„Was ist das?“
„Wind kommt auf“, rief Cormack erstaunt.
Im selben Augenblick ertönte die Stimme des Mannes im Ausguck:
„Land, Land in Sicht! Der Nebel lichtet sich, wir segeln unter freiem Himmel!“
Der Erste Offizier und der Kapitän schauten sich an.
„Möglich, dass man den Jonas von Bord geworfen hat“, vermutete jener.
„Mag sein. Darüber kein Wort mehr.“
>>> Im Aberglauben der Seeschifffahrt war ein "Jonas" jemand, der Unglück über das Schiff brachte.