Das war sie also, die Nacht, in der die Welt unausweichlich, endgültig und unwiederbringlich, untergehen würde.
"Es sieht wunderschön aus", bemerkte Castor, als er mit seinem Liebsten im Arm hinaus in den Garten ging. "Die Sterne funkeln wie sie das immer tun."
Pollux hatte den Kopf ängstlich an die Schulter des anderen gelegt und würde der ihn nicht halten und führen, dann wäre er wohl kaum in der Lage, diesen winzigen Weg hinaus zu gehen. Er fühlte sich furchtbar, denn er war so jung und noch nicht bereit zu sterben. Er sah keinen Sinn darin und er war wütend. Wütend, weil es den Wissenschaftlern zwar gelungen war, den Zeitpunkt des Aufpralls eines Kometen genau zu berechnen, doch anders als in den zahlreichen Hollywood-Filmen, waren sie nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen.
"Ich … ich kann da nicht … hinaufschauen", brachte er mühsam hervor und klammerte sich mit beiden Händen verzweifelt an Castor und dessen Hemd.
"Doch, du kannst das", versicherte ihm der geliebte Mann, der spürte, wie die Tränen des Jüngeren seine Haut und den dünnen Stoff benetzten. Er hatte sich fest vorgenommen, in den letzten Minuten tapfer und stark genug für zwei zu sein, wenn es denn so käme. Er wollte nicht ohne Würde gehen. Er wollte gemeinsam mit Pollux sterben, nicht getrennt, der eine auf Knien im Gras, während der andere aufgescheucht wie ein junges Reh durch den Garten rannte und schrie. Nein, so nicht. Er fasste seinen Liebsten fester um die Mitte, auch, um ihm mehr Halt zu geben und ihn seiner Stärke zu versichern.
"Ich will nicht", begann der Mann in seinem Arm.
Castor hatte ihn gehört und es brach ihm das Herz. "Ich will auch nicht", flüsterte er in sanft beruhigendem Ton, "doch das hier passiert. Sieh hin, sonst begreifst du nicht, was mit uns geschieht."
Als Pollux noch immer nicht nach oben sah, hob Castor sein Kinn behutsam an, blickte ihm voller Liebe in die wunderschönen bernsteinfarbenen Augen und drehte dann seinen Blick zu dem Spektakel am Sternenhimmel. Im Zentrum, dort wo der Komet inmitten der Millionen Lichter unaufhaltsam auf sie zuraste, klaffte ein dunkles Loch.
Der junge Mann in seinen Armen erschauerte und ein deutliches Zittern bemächtigte sich seines Körpers.
"Du musst keine Angst haben, mein Allerliebster, wir werden gar nichts spüren. Die Druckwelle schlägt uns k.o. , in dem Moment, wo sie uns in winzige Teilchen zerstäubt. Es tut uns nicht weh."
Um seine Worte zu bekräftigen, nahm Castor die eine Hand des anderen, die klammernd an seinem Hemd hing, führte sie an seine Lippen und küsste ihre Fläche. Die Wärme dieses Kusses schien dem Jüngeren etwas von Castors Kraft zu geben, denn Pollux atmete nun ruhiger und das Zittern ließ nach.
"Es ist alles gleich vorbei und alles, was ich mir wünsche", raunte der Ältere seinem Liebsten zu, "ist, dass wir uns noch ein letztes Mal küssen."
Dann spürte er, wie sein Liebster den Atem einzog, um Mut zu sammeln für seine letzten Worte.
"Du … ich … liebe … küss mich", brachte er mit aller Kraft hervor und wandte seinen Blick von den Sternen ab und Castor zu. Der lächelte ein letztes Mal, dann schloss er die Lippen des anderen mit seinem allerzärtlichsten Kuss.
Aber die Wissenschaftler hatten sich geirrt. Das hier war nicht das Ende. Der riesige Komet stürzte hernieder, die Druckwelle kam und zerfetzte alles Leben, wie die Körper der beiden Liebenden. Doch ihre Staubteilchen begannen zu glühen und zu funkeln, schöner noch als die Sterne, zu denen sie ihren Weg fanden, um sich mit ihnen in Ewigkeit zu vermischen.