Schwester Theresa starrte in den Kübel mit eiskaltem Wasser, in dem sich ihr Gesicht spiegelte. Was war nur mit ihr geschehen, in all diesen Jahren im Kloster? Sie war nie eitel gewesen, aber sie war einmal jung gewesen und lebendig. Alles andere als demütig tauchte sie die Scheuerbürste ein und begann damit, den kalten Boden des Kreuzganges zu schrubben. Sie konnte es nicht, sie konnte nicht vergessen und ihr Los annehmen, wie es andere Frauen taten. Sie konnte nicht darum beten, ihr irdisches Dasein vollkommen hinter sich zu lassen und so in diesem Klosterleben Vergebung suchen. Sie hasste es zu sehr. Es war der Stolz einer Fürstentochter, der sie davon abhielt. Und es war der Gedanke an Rache, der sie durchhalten ließ. Wenn sie betete, dann zu den alten Göttern, nicht zu diesem Gott des Klosters, der alles Leben, alle Freude hinter Mauern verdorren ließ. Sie betete zu Frigg und flehte sie an, ihr Kind zu beschützen, das bei fremden Menschen aufwuchs, weil man seine Mutter weggesperrt hatte. Sie betete zu Odin, der alles sah und das Schicksal jedes Menschen kannte und bat ihn, ihren Liebsten zu schützen und ihm den Weg zurück zu weisen. Sie betete zu Thor und bat ihn um Stärke, damit sie nicht zu alt und schwach war, ihre Waffen zu führen, wenn sie denn dereinst aus diesem Gefängnis entkam. Sie scheuerte und betete und ersann Flüche für ihre Peiniger und für die Verräter, die sie hierher gebracht hatten. Sie sollten verfaulen, so wie der Kübel, sie sollten langsam und qualvoll verenden, so wie sich ihre Scheuerbürste langsam abnutzte, sie sollten kalt und starr werden, wie der Steinboden, über den Schwester Theresa mit ihren Knien vorankroch.
Dann, wie aus dem Nichts, vernahm sie laute Geräusche, die nicht zu dem Alltag in diesen Mauern passten. Die Glocke läutete, aber es war nicht das Läuten zum Gebet, nein! Es wurde Alarm gegeben. Schreie wurden laut und Schwester Theresa sah einige der anderen Schwestern, die jetzt durch den Gang liefen, einige fuchtelten panisch mit den Armen, andere hielten ihre Kutten, um besser laufen zu können. Ein paar der alten Männer, die für den Schutz des Klosters zuständig waren, liefen in Richtung des Tores, von wo der ganze Tumult ausging. Dort dröhnte es, so als würde mit einem Rammbock gegen die alte Eiche geschlagen.
Schwester Theresa ließ Kübel und Bürste liegen, erhob sich und glättete ihre Tracht. Wer auch immer da kam, würde sie nicht am Boden kauernd oder gackernd wie ein aufgescheuchtes Huhn vorfinden. Sie warf den Schleier fort, der ihre kurzgeschorenen roten Haare verbarg. Wenn sie schon sterben müsste, dann nicht als Schwester Theresa, sondern mit ihrem richtigen Namen: Ragnhild, des Fürsten Ragmuts jüngste Tochter. Erhobenen Hauptes suchte sie sich nun ihren Weg und schritt den Angreifern entgegen.
"Wer ist da am Tor?", fragte sie, wenn ihr eine andere Frau über den Weg lief, aber sie gaben keine verständliche Kunde.
"Heiden!" Mehr konnte Ragnhild nicht verstehen in all dem Tumult.
Auf dem Hof, hinter dem Tor steckten Brandpfeile im Boden, Tote lagen herum, die ein Pfeilhagel getroffen hatte. Auf dem Dach breitete sich Feuer aus, das durch starken Wind rasant wuchs. Wer immer da vor dem Tor stand, er hatte diesen Tag wegen des Windes gewählt. Ragnhild lachte auf, denn der Rammbock würde jeden Moment das Tor aufstoßen und ihr verraten, wer es war.
Mit einem ohrenbetäubenden Krachen zerbarst das Tor nun und gab den Weg für die Angreifer frei. Sofort stürmten Männer herein, die jedoch ihr keine Aufmerksamkeit zollten, so, als sei sie unsichtbar, weil sie nicht panisch zappelnd herumirrte. Und dann sah sie ihn. Er war es. In Rauch und Getümmel hielt er sein Streitross und gab seinen Kämpfern Befehle. Sein Haar war so schwarz wie das des Gottes selbst, den sie um seine Rückkehr angefleht hatte. Hinter ihm, die Arme um ihn geschlungen, saß ein Knabe von etwa zwölf Jahren. Sein Haar so rot wie das seiner Mutter.