Lass uns ein Spiel spielen
Für jeden, der die beiden Teenager mit ihren Fahrrädern und den vollgepackten Satteltaschen sah, schien es, als wäre es ein ganz normaler Ausflug im Spätsommer. Ganz sicher wollten die Jungs noch die letzten Ferientage nutzen und ein oder zwei Abende im Freien, an einem See in der Nähe oder am Ufer des Kanals verbringen, wo das Campen für kurze Zeit von der Gemeinde erlaubt war. Aber wie sich herausstellen sollte, war es das nicht. Und einer von den beiden, Lucius, wusste auch, dass es das nicht sein würde. Immerhin hatte er sich vorgenommen, seinem besten Freund Johannes ein Geheimnis anzuvertrauen. Eines, das er schon seit geraumer Zeit mit sich herum schleppte und noch niemandem anvertraut hatte, wenn man einmal davon absah, dass er es ungefähr hundertmal seinem eigenen Spiegelbild anvertraut hatte. Immer wieder hatte er sich vor den großen Spiegel an seinem Schrank hingestellt, Posen ausprobiert, Blicke aufgesetzt und sogar seine unbändigen Locken mal in die eine, mal in die andere Richtung geschoben. An diesem Abend wäre es nun so weit, es seinem Kumpel zu offenbaren.
Es war nicht schwer gewesen, ihn von diesem Camping im Wald zu überzeugen, denn im Ort hörte man schon länger das Gerücht, dass es wieder Wildkatzen im Forst gebe, nur fehlte dafür noch ein Beweis. So eine Herausforderung, fand Lucius, war genau das Richtige, bevor die Schule ihren Alltag wieder bestimmen würde. Johannes war sogleich begeistert gewesen. Während der letzten Wochen waren sie tagsüber immer wieder durch den Wald gewandert und hatten nach Spuren gesucht. Wenn es dort Wildkatzen gab, dann mussten die irgendwo hausen, irgendwas fressen, am Tage irgendwo schlafen. Alles, was die Jungs fanden, konnte genauso gut von Füchsen, Waschbären oder Dachsen stammen, also blieb ihnen letztendlich nur der Versuch, die Katzen oder wenigstens eine des Nachts vor die Kamera zu bekommen.
Johannes hatte es übernommen das Zelt auf einem ebenen Platz ohne Gestrüpp und unter hohen Fichten aufzubauen, während Lucius Stolperdrähte zwischen den Bäumen spannte. Er befestigte Blechdosen daran, die ihnen ein Signal geben würden, sobald ein Tier, egal welcher Art, eine dieser feinen metallenen Schnüre berühren würde. Wenn es so weit wäre, würden sie versuchen, eine Wildkatze zu stellen und zu fotografieren. Im Grunde rechnete Lucius ihnen beiden keine allzu großen Chancen aus, zumindest nicht bei diesem ersten Versuch. Wichtiger war ihm das, was er noch zu tun beabsichtigte.
Sie konnten natürlich kein Lagerfeuer entfachen, auch wenn das zu der Aktion gepasst hätte. So aßen sie ihre mitgebrachten Stullen vor dem Zelt und beobachteten, wie die Abendsonne gänzlich hinter den Fichten verschwand. Kaum war sie hinter dem Horizont verschwunden, als es auch schon merklich kühl wurde. Leichter Dunst erhob sich vom Boden des Waldes und sein erdiger Geruch stieg mit ihm empor.
"Komm, gehen wir ins Zelt", schlug Johannes vor, während er sich leicht fröstelnd die Arme rieb. "Wir werden schon hören, wenn sich was tut."
Lucius nickte ihm zu. "Ja, gehen wir rein bis es so weit ist. Lass uns ein Spiel spielen."
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