>>> ein Wiedersehen mit meinem Lieblingswerwolf hier bei den Sixties:)
Es war bereits mehr als nur ein entferntes Donnergrollen zu hören, als Sigmund aus schwerem Schlaf aufschreckte. Für einen Augenblick war er ohne Orientierung und sah sich um. Sein Schwert lag unmittelbar neben ihm, der es sich angewöhnt hatte, stets mit einem Überfall zu rechnen. Er traute den Menschen nicht, denn zu oft schon hatten sie ihn enttäuscht. So zog er die Einsamkeit des Waldes, einer steinigen Höhle oder einer mächtigen, hohlen Eiche ihnen vor. Es dämmerte bereits, so viel ließ sich trotz der schweren Gewitterwolken erahnen und das Feuer, das ihm unter einem tiefen Felsvorsprung Wärme gespendet hatte, war zu einem lauwarmen Aschehäufchen niedergebrannt. Vor ihm lag eine hügelige Landschaft und dahinter eine weitere Felsenformation, ähnlich dieser, auf der er sich befand. Doch etwas in der Ferne war höchst merkwürdig.
Dunkles Grau lag noch über dem Land, doch in immer kürzeren Abständen erhellten Blitze den Horizont und sie schienen sich dort zu konzentrieren, wo sich der wilde Fels massiv und düster gegen das Wetterleuchten abhob. Was geschah dort? Sigmund zögerte nicht lange und fasste einen Entschluss. So legte er seine Kleider ab und versteckte sie sorgfältig mit dem Schwert in einer Felsspalte. Die Asche trat er mit bloßen Füßen auseinander, bis von seinem Lager nichts mehr zu erkennen war. Er würde später hierher zurückkehren, wenn er herausgefunden hatte, was dieses ungewöhnliche Gewitter zu bedeuten hatte.
Sodann ließ er sich auf den Boden nieder und beschwor den Wolf in sich, herauszukommen. Mit einem tiefen Stoßseufzer begann es: Sein Rücken bog sich durch, die Glieder krachten und ein Zerren, Beben und Reißen durchfuhr seinen menschlichen Leib. Im nächsten Augenblick sah er bereits, wie sich sein anderes Selbst formte. Pfoten, Läufe und Fell bildeten sich, ein Knistern und Knacken in seinem Schädel verriet, dass sich der mächtige Kopf eines Räubers formte, mit scharfen Fängen, silbergrau-funkelnden Augen und spitzen Ohren. Es dauerte nur für die Zeit weniger Wimpernschläge, dann brachte seine Kehle das Geheul hervor, welches das Ende der Verwandlung stets verkündete. Sigmund frohlockte! In dieser Gestalt hätte er die Hügel in Windeseile hinter sich gelassen und den Felsen erreicht. So hielt ihn nichts mehr und er jagte los.
Seine Wolfssinne berauschten ihn, während er in weiten Sprüngen dahinflog. Andere Tiere sprangen in wilder Flucht zur Seite, stießen angstvolle Schreie aus, doch nichts konnte Sigmund von seinem Ziel abbringen, auch nicht die zunehmenden Blitze und das ohrenbetäubende Donnern, die seinen Weg säumten. Der Fels zog ihn wie magisch an, er musste wissen, was sich dort zutrug.
Als er ihn fast erreicht hatte, verminderte er seinen Lauf, jetzt bedacht darauf, sich nicht mit dem Wind zu nähern und keinen unnötigen Laut von sich zu geben. Über einen steilen Hang und mit ein paar Sätzen über kleinere Gesteinsbrocken gelangte er immer weiter nach oben, dorthin, wo sich Blitze und Donner trafen. Er duckte sich tief, um zu schauen, was dort war. Und so sah er sie. Eine ganze Gruppe von ihnen. Es waren Kriegerinnen mit Pferden. Wie waren die nur hierher gelangt? Als der nächste Blitz aufzuckte, sah Sigmund ihre Brünnen, Waffen und Helme glänzen. Sie jauchzten in wildem Übermut, schwangen ihre Arme mit Speeren und Schilden und blickten gen Himmel, wo plötzlich, zwischen herniederhängenden, dunklen Wolken eine weitere Reiterin auf fliegendem Pferd auftauchte. Auch sie ließ einen wilden Ruf ertönen und gleich darauf landete sie zwischen den anderen. Sie jubelten ihr zu und der Wolf sah, wie sie sich mit dem Aneinanderstoßen ihrer Waffen begrüßten. Das mussten sie sein, von denen sein Vater so oft gesprochen hatte. Seine Walküren-Schwestern. Halb göttlich, so wie er selbst, doch vollkommen anders. Sollte er sich ihnen zu erkennen geben? Wussten sie von ihm? Würden sie ihn in der Wolfsgestalt erkennen?
Mit einem ohrenbetäubenden Donner setzte augenblicklich wildes Geschrei der Kriegerinnen ein. Die Pferde wieherten und stiegen, dann, mit Getöse und Brausen, hetzten sie los, auf den Rand des Felsens zu. Im ersten Moment fürchtete Sigmund, sie würden hinabstürzen, doch stattdessen erhoben sie sich allesamt in die Lüfte. Pferde und Reiterinnen, neun an der Zahl. Sie hatten sich hier gesammelt, um gemeinsam dahinzupreschen, mit dem Wind, in Richtung Horizont. Gewiss gab es dort eine Schlacht und Krieger zu küren, um sie nach Walhalla zu bringen.
Der Wolf blickte ihnen sehnsüchtig nach. Wie viel glücklicher als er mussten sie sein, denn sie waren nicht allein und schon bald wären sie bei ihrem Vater.
https://www.youtube.com/watch?v=jNjO06oTVaA (falls ihr die Musik dazu mögt ;))
Falls euch die Geschichte von Sigmund näher interessiert,
Challenge Kapitel, die diesem vorausgingen:
1. https://belletristica.com/de/books/16849-sixty-minutes/chapter/60904-blutsbande
2. https://belletristica.com/de/books/16849-sixty-minutes/chapter/81560-eiskristall
3. https://belletristica.com/de/books/16849-sixty-minutes/chapter/84664-neuanfang
4. https://belletristica.com/de/books/16849-sixty-minutes/chapter/87076-licht-und-schatten
5. https://belletristica.com/de/books/16849-sixty-minutes/chapter/87864-heimatlos
6. https://belletristica.com/de/chapters/102820-dammerlicht/edit