Gisberta, Ertel und die Xanni, das soll gleich zu Beginn gesagt werden, waren echte Hexen. Voll ausgebildet und mit Ausnahme der kaum 180 Jahre alten Xanni auch schon mit der Erfahrung mehrerer Jahrhunderte. Gisberta redete ständig davon, was sie in den ersten hundert Jahren nach ihrer Ausbildung alles an Wetterzauber veranstaltet hatte, bevor sie sich die nächsten zwei Jahrhunderte einzig und allein auf das Zusammenkrachen von Brücken spezialisiert hatte. Ertel, zugegebenermaßen die Älteste und sogar ihren Kolleginnen als Expertin in Zaubertränken etwas unheimlich, schwieg sich über ihr genaues Alter aus. Xanni, die sich dank ihres 30jährigen Bachelor- Studiums mit dem Anhexen von Warzen und Hühneraugen auskannte, schätzte Ertels Alter aufgrund der haarigen Warze auf ihrer Nase auf mindestens 600.
An Halloween versammelten sich die drei jedes Jahr zu einer ganz besonderen Party, um zu beobachten, wie albern sich das normal- menschliche Volk an diesem Tag aufführte. Längst waren diese Normalos nicht mehr nur damit beschäftigt, ihre Kürbisse und Rüben auszuhölen. Inzwischen gaben viele von ihnen reichlich Geld aus, um sich hässliche Dekoration für ihre langweiligen Wohnungen zu besorgen oder sie bestellten im Internet scheußliche Kostüme aus Polyester. Die drei Hexen konnten darüber aus vollem Hals lachen, denn erstens, brauchte man für ein gruseliges Ambiente nur die Schwestern Spinnen und Gewürm zu bitten, sich in der Behausung zu vermehren, was die im Herbst auch gern taten. Und ein echtes Zauberer- , Hexen- , oder Mumiengewand wäre niemals aus etwas Billigerem als Samt oder Seide.
Gastgeberin war dieses Jahr die alte Ertel und so gab es zur Begrüßung erstmal für jede einen ordentlichen Humpen Ameisenbowle. Das Zeug schmeckte vorzüglich widerlich! Das musste man der gelernten Giftmischerin echt lassen... Gleich darauf zogen die drei in die gute Wohnstube, wo die beiden Besucherinnen eine echte Überraschung erwartete: Die alte Hexe hatte doch tatsächlich nach all der Zeit ihren riesigen alten Kupferkessel, in dem sie immer rührten, wenn sie etwas sehen wollten, gegen einen in China gefertigten Flachbildschirm ausgetauscht!
"Donnerwetter!", entfuhr es der bereits nach einem Humpen beschwippsten Gisberta.
"Potzblitz, Teufel auch!", rief Xanni begeistert.
Ertel verdrehte genervt die Augen. "Sag nicht, du hast deinem Freund, diesem pferdefüßigen Idioten gesagt, er solle auch kommen..."
Xanni grinste, was ihre große Zahnlücke prima zur Geltung brachte und verneinte. "Ach Quatsch! Es ist Mädelsabend. Der hat selbst irgendwo 'ne Party mit den Jungs vom Fliegenden Holländer."
Jetzt lachten alle. Es war jeder von ihnen unbegreiflich, was der Teufel an so einem Abend ausgerechnet mit diesen Zombie-Matrosen zu feiern hatte.
"Jetzt mach das vermaledeite Ding schon an und lass uns gucken, was die Normalos so treiben", schlug Gisberta ungeduldig vor.
Ertel ließ sich nicht lange bitten. Sie fuchtelte mit ihren Armen und schnalzte mit ihrer grünen Zunge, da zeigte der Bildschirm eine Wohnsiedlung mit Einfamilienhäusern. Auf dem Gehsteig sah man Gruppen von Kindern in Verkleidung, die waren unterwegs, um Süßigkeiten zu sammeln.
"Hihieeh!", jauchzte Ertel. Sie hatte Kinder bekanntermaßen zum Fressen gern. Die anderen beiden schauten sie etwas pikiert an. Kinder fressen war in den letzten hundert Jahren etwas aus der Mode gekommen.
"Ich hab's!", kreischte die beschwippste Wetterhexe. "Wie wär's damit!?" Sogleich sprang sie vor den Bildschirm, stupste das Teil mit der Spitze ihres kleinen, dürren Fingers an und in dem Moment sah man, wie ein Unwetter mit Hagel und Blitz über der Wohnsiedlung niederging. Die Hexenschwestern gröhlten vor Vergnügen.
"Jetzt ich, jetzt ich!", verkündete Xanni und schnappte sich die Fernbedienung zum Zappen. Sie schaltete ein, zwei Kanäle durch, da fand sie eine von diesen "normalen" Halloweenpartys in einer Studenten-WG. Das waren ihr die Liebsten. Die Studenten waren schon angetrunken und tanzten in ihren billigen Kostümen zwischen ihrer peinlichen Dekoration. Ertel und Gisberta fragten sich gerade, ob Xanni denen einfach nur die Sicherung im Stromkasten zerdeppern wollte, als die junge Hexe den Bildschirm mit ein paar Schuppen aus ihrem Haar besprenkelte. In dem Moment wurden die Gummispinnen und Dekoratten aus Plastik lebendig und begannen mit den Studenten und auf den Studenten zu tanzen. Ein mordsmäßiges Geschrei ging los, ein Mädchen sprang auf einen Stuhl, der sogleich umkippte und Xanni, Ertel und Gisberta hielten sich die Bäuche vor lachen.
"Wie wär's mit noch einer Runde Ameisenbowle?", schlug Ertel vor. Die beiden Hexenschwestern nickten begeistert.
"Oh, ich hab auch was mitgebracht!", fiel Gisberta jetzt ein. "Wie jedes Jahr, meine selbstgemachten Wolfszitzenchips!"
"Jaaaaaaaaa!", jubelte Xanni.
"Du musst mir endlich das Rezept verraten", erinnerte Ertel die Wetterhexe schon zum mindestens 75. Mal.
Mit mehr Bowle und jeweils einer Schale Chips hockten sich die drei jetzt im Halbkreis vor den Fernseher.
"Ihr unheiligen Schwestern, was jetzt? Was soll als nächstes dran?" Ertel hatte sich die Fernbedienung gegriffen.
"Ach egal, zapp mal weiter. Lass uns irgendwas nehmen, wo wir Verkehrschaos machen!", schlug Gisberta vor.
"Au ja!", rief Xanni. "Ich lasse Bäume auf die Oberleitung krachen."
"Dann mach ich das Licht aus!"
"Und ich lasse die Ampeln alle gleichzeitig auf rot schalten!"
"Hihihihihihihihihihihihihiihihi!"