Jetzt habe ich lange genug überlegt, ob mir zur Sandkastenliebe etwas einfällt, was irgendwen interessieren könnte oder halbwegs originell wäre und dazu kann ich nur nein sagen. Ich habe nie in dem Sinne romantische Gefühle für meine Spielkameraden aus frühester Jungend empfunden. Warum auch? Eher war mir damals überhaupt nicht klar, dass es überhaupt einen Unterscheid zwischen Jungs und Mädchen gibt. Mir war das einerlei. Mir ging’s hauptsächlich darum, dass man zum Cowboy und Indianer oder zum Raumschiff Enterprise spielen eben eine kleine Truppe braucht. Einer meiner liebsten Spielkameraden, war der Nachbarsjunge Karl-Heinz. Der war cool. Mit dem konnte man richtig gut spielen, und weil er auch fast doppelt so groß war wie ich, war der richtig gut brauchbar, wenn’s darum ging, das Indianer-Tipi in den Wald zu schleppen. Meine Eltern hatten was dagegen, aber sie konnten es auch nicht verhindern. Karl-Heinz‘ Schwester haben wir auch immer mitgenommen, ebenso einen Jungen namens Frank und seinen Kumpel Heiko. Und was haben wir uns da im Wald immer eingesaut. Die Indianer mussten sich natürlich tief am Boden anschleichen und die Cowboys am Marterpfahl sudelten sich natürlich auch im Dreck. Warum wir uns auch so eingesaut haben, wenn wir an Bord der Enterprise waren, weiß ich nicht mehr. Es muss damit zusammengehangen haben, dass die Enterprise ein alter Weidenbaum am Bachufer war und der Klingonenangriff kam natürlich immer von da, wo er nicht zu vermuten war: vom anderen Ufer des Baches.
Ich glaube, wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir ewig so weiter gemacht, aber so war es nicht. Als Erstes spielten Frank und Heiko nicht mehr mit. Der Grund war der, dass sie in die Schule kamen und dann mussten die plötzlich nachmittags, wenn Karl-Heinz, seine Schwester und ich längst im Wald waren, Hausaufgaben machen. Außerdem lernten sie auch andere Kinder kennen und kamen in eine Fußballmannschaft. Schade eigentlich. Und irgendwann kam der Tag, wo mir meine Eltern erklärten, der Karl-Heinz dürfe nicht mehr mit mir spielen. Seine Eltern wollten das nicht. Ich habe damals nach dem Grund gefragt und als Erklärung hieß es, er solle nicht mit Mädchen spielen. Jungs wären besser. Das habe ich schlichtweg nicht verstanden. Wir hatten doch immer Spaß zusammen. Vielleicht waren seine Eltern auch nur sauer, weil wir nie Lust hatten mit seiner Schwester „Vater, Mutter, Kind“ zu spielen. Das war doch auch wirklich ein voll ödes Spiel. Wir mussten dann, wenn wir das spielten, still auf einem Baumstamm sitzen, während „Mutter“ etwas für den Vater Karl-Heinz und das Kind, mich, gekocht hat. Laaaangweilig!
Das Spielverbot kam jedenfalls einer Art Shut Down gleich. Mein bester Freund war nicht mal mehr zufällig im Nachbarsgarten zu sehen. Als wäre er gar nicht mehr da oder als würden seine Eltern ihm verbieten, das Haus zu verlassen. Ebenso wenig sah man seine Schwester. Irgendwann kamen dann beide in die Schule. Als ich in die Schule kam, war von unserer Freundschaft nichts mehr übrig. Wenn ich ihn zufällig sah, wirke er unglücklich und ich vermutete irgendwann, dass die Jungen, mit denen er spielen sollte, ihn nicht mochten und nicht mitspielen ließen. Schließlich war er ganz verschwunden. Seine Eltern schickten ihn auf eine andere Schule, weil er an unserer Schule ständig „geärgert“ wurde. So hieß das damals, bevor sich der Begriff „Mobbing“ hier eingedeutscht hat.
Heute weiß ich, dass Karl-Heinz Arzt geworden ist. Das erzählt seine Mutter überall und jedem. Was sie nicht erzählt ist, dass er mit seinem Partner, einem Anwalt, in Bielefeld wohnt. Das habe ich tatsächlich von ihm erfahren, als er vor ein paar Jahren hier war, um den Verkauf seines Elternhauses abzuwickeln. Ich habe ihn sofort erkannt. Beide fanden wir es traurig, dass unsere Kinderfreundschaft damals in die Brüche ging, weil, wie er sagte, seine Eltern wollten, dass er nur noch mit Jungen spielt, um „männlicher“ zu werden. Ich fand an ihm nie irgendwas nicht männlich. Was für ein Quatsch! Wenn ich Winnetou war, war er Old Shatterhand und er war auch immer ein toller Captain Kirk.