Eine neue Chance. Was ist das eigentlich?
Das Erste, was mir dazu einfällt, ist etwas Positives. Da hat jemand etwas nicht fertig gebracht, doch es ist noch nicht zu spät, um es noch einmal zu versuchen, also gibt es eine neue Chance. Eines meiner Lieblingsbücher kommt mir dabei spontan in den Sinn, und zwar „Die Elenden“ von Viktor Hugo. Es ist eines jener Bücher, die für mich als Jugendliche viel spannender war als Schule. Es hat mir in den Nächten den Schlaf geraubt und morgens hab ich dann lieber Schule geschwänzt, um weiter zu lesen. Das heißt, ich bin mit dem Bus scheinbar normal zur Schule gefahren, hab dann aber die Biege gemacht und mich irgendwo im Kurpark, hinter Tschibo oder unten am Bach mit dem Buch hingehockt, um zu lesen. Da ging es um einen Sträfling, der in der Zeit nach der Französischen Revolution auf Bewährung frei kommt, was der pure Hohn ist, denn er wird überall mies behandelt oder gar fortgejagt. Das hat mich irre aufgeregt. Ich fand nämlich, dass er eine zweite Chance verdient hatte und konnte mich erst beruhigen, nachdem das auch wirklich eingetreten war. Ausgerechnet ein katholischer Geistlicher hilft ihm dabei. Das war für mich kaum vorstellbar, denn Religionsunterricht in der Schule war echt geistiger Dünnpfiff, aber die Stelle im Buch hat mich sehr berührt und immer wenn ich das Musical „Les Miserables“ sehe, heule ich schon vorher, weil ich weiß, dass die Szene mit dem Bischof kommt.
Eine neue Chance klappt leider nicht immer. Erinnert ihr euch noch an diesen Film über den Orca Willy? „Free Willy“ hieß der und irgendwie ging es darum, dass sich ein schwer erziehbarer Jugendlicher mit einem gefangenen Wal anfreundet, der sein tristes Dasein in irgendeinem amerikanischen Freizeitpark führte. Auf die Amis hatte ich damals sowieso einen richtigen Hals. Die hatten gerade mal wieder einen Krieg angefangen, kann sein wegen des Öls in Kuwait, und dass die auch noch so hinterwäldlerisch waren und solche wunderbaren Tiere einpferchten, war der mega Aufreger! Immerhin gelang es diesem Ami-Badboy, dem Willy beizubringen, wie man aus dem Becken in das offene Meer springt. Und alle waren so dermaßen gerührt, dass es eine Initiative gab, um den Filmwal, ein Orca Männchen namens Keiko zu befreien, bzw. auszuwildern. Im Prinzip hat man den wegen des Chlorwassers kranken Wal kaufen dürfen. Das war eine sehr löbliche, aber auch gewagte Idee, denn Keiko wurde zwar bei Island für sein Leben in Freiheit trainiert, suchte sich aber schließlich, an Lungenentzündung erkrankt, einen Fjord in Norwegen. Dort war er eine Art Touristenattraktion, wurde gefüttert und versorgt, starb aber letzten Endes. Ich habe mich damals damit getröstet, dass er doch wenigstens eine Chance erhalten hatte und ein wenig Freiheit am Ende doch besser ist, als in einem Aquarium zu verrecken. RIP, Keiko.
Kommen wir zu dem, was im Moment wohl die dringendste neue Chance ist, die wir brauchen oder die wir, nach meinem Dafürhalten, unbedingt ergreifen sollten, wenn es noch nicht zu spät ist: die für unseren Planeten, die Erde. Ist ja nichts Neues, dass wir Menschen sowas wie üble Parasiten sind, die den Globus befallen haben. Neu ist, dass es selbst in einem reichen Industrieland wie dem unseren – ich rede hier von der Bananenrepublik Deutschland – langsam ungemütlich wird. Im letzten und im vorletzten Sommer sind meine alten Eltern abends wie bekloppt mit Gießkannen im Garten rumgerannt, um zu gießen, gießen, gießen. Wenn man jetzt in den Wald geht, findet man Warnschilder wegen fallender Äste, aufgrund der Trockenheit. Die Preise für Lebensmittel steigen wegen der Ernteausfälle unserer Bauern und kommt mal Regen, dann fällt er direkt so Sturmflut- mäßig vom Himmel, dass gleich wieder die Autos von der dörflichen Bieke durch den Ort geschwemmt werden. Da fragt man sich doch, was unsere Politiker abhält, mal ein paar sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Und jeder Einzelne von uns sollte sich langsam fragen, was er bereit ist zu tun, einzuschränken oder an seinen Gewohnheiten zu ändern. Wie meine Freundin Xanadian immer so schön sagt: die Zombie-Apokalypse kommt. Wir lachen dann immer, aber es ist ein bitteres Lachen.
Was mich dabei am meisten wütend oder traurig macht, ist, dass immer so getan wird, als seien wir alle als Verbraucher oder Reisende schuld an dem Elend unseres Planeten. Dabei habe ich persönlich niemanden darum gebeten, nicht mehr Waschpulver in Pappkartons, sondern stattdessen Flüssigwaschmittel in Plastikflaschen zu verkaufen. Ich brauche auch keine Flugananas aus Puerto Rico, wenn gerade unsere Äpfel Saison haben, vorausgesetzt, die wurden genug gegossen. Und schon gar nicht brauche ich ein Pfund Hackfleisch für 87 Cent. Täglich. Morgens und abends.
Um hier zu einem halbwegs versöhnlichen Schluss zu kommen, möchte ich kurz mal erwähnen, das ich ein Trekkie der nahezu ersten Stunde bin. Für die von euch, die nicht wissen, was das ist: Das sind die Fans der TV Serie „Star Trek“ oder auch „Raumschiff Enterprise“. Da hat sich Gene Roddenberry so schön ausgedacht, dass irgendwann die Technologie so weit entwickelt ist, und auch die menschliche Vernunft, dass Hunger, Elend und Kriege auf unserer Erde nicht mehr existieren. Bei Star Trek sind diese, unsere Probleme also gelöst. Der Planet hat seine neue Chance dank des Fortschritts. Da bleibt nur zu hoffen, dass dies wirklich eines Tages in greifbare Nähe rückt. So lange fahre ich Umwelt-Pottsau mit meinem Diesel, dusche gerne täglich, engagiere mich immerhin für den Tierschutz – die können echt nichts für ihre Not- und überlege zusammen mit der oben erwähnten Freundin, ob wir nicht ein paar gerettete Hühner haben wollen. Für den Fall, dass die Zombie-Apokalypse kommt, hätten wir dann immerhin frische Eier. Die kann man dann vielleicht gegen Benzin tauschen.