Heute mag mir nicht so recht eine Geschichte einfallen, also erzähle ein wenig von einer Reise.
Ich mag Turbulenzen, denn dann wird es immer ein bisschen abenteuerlich und aufregend. Viele von euch kennen das sicherlich, wenn es im Flugzeug plötzlich ungemütlich wird. Der Pilot macht eine Durchsage, man wird gebeten, sich anzuschnallen, was vor allem zum Schlafen ganz schön lästig ist, und das Kabinenpersonal wird gebeten, die Plätze einzunehmen und das Gleiche zu tun. Bis jetzt hatte ich da eigentlich meist Glück und nur einmal hat das wirklich stundenlang gedauert und klar, irgendwann fangen dann auch Kleinkinder an zu schreien, weil die nicht kapieren, was los ist und der ein oder andere Fluggast macht Gebrauch von den Sickbags. Also den Kotztüten. Neuerdings, seit mein Superschatz und Lieblingssänger ein ganzes Buch auf denen geschrieben und nach ihnen benannt hat, habe ich mir angewöhnt, sie auch so zu nennen. Die Lustigsten gab es wohl bei Wow-Air, einer magentafarbenen isländischen Fluggesellschaft. Die hatten so Messstriche. Viertelvoll: das Parfüm des Stewards ist ganz furchtbar. Voll: der Pilot reißt dumme Witze. So in der Art. Aber ich schweife ab.
Ich wollte von den Turbulenzen erzählen, die ich mal in einer kleinen Cessna Sportmaschine erlebt habe. Das war auf Island. Ich war mit einer Freundin drüben, weil wir unbedingt den Spaltenausbruch im Holuhraun sehen wollten. Ihr erinnert euch vielleicht? Das war 2014 und dauerte mehrere Monate. Da spritzte glühende Lava im Hochland, in unbewohntem Gebiet, aus dem Erdinnern. Das war deutlich unspektakulärer als der Ausbruch des Eyafallajökull oder des Grimsvötn. Es wurde kein Flugverkehr lahmgelegt. Es lief nur reichlich was aus und strömte auf weiter Fläche zu Tal.
Wir waren im wahrsten Sinne des Wortes Feuer und Flamme und mussten das sehen. Also buchten wir eine Woche oben am Myvatn See, von wo die Strecke zum Holuhraun mit einem Wagen machbar aussah. Natürlich wussten wir, dass nicht mal die Isländer so verrückt sind, zwei deutschen Touristinnen einen Wagen zu vermieten, der sie an einen Vulkanausbruch bringt, aber die Isländer selbst würden sich die Gelegenheit doch nicht entgehen lassen, da Kohle rauszuschlagen.
Wie erwartet waren alle Straßen ins Hochland gesperrt. Sowieso, denn es war Spätherbst und es lag schon Schnee. Aber man munkelte, es gäbe Typen, die trotzdem Superjeep-Touren anboten, zumindest bis zu einem Aussichtspunkt, von dem aus man mit Glück nachts beides sehen könnte: Polarlichter und die Glut am Holuhraun.
Die ersten zwei Tage waren wir gut damit beschäftigt, Schwimmhöhlen, unter anderem die aus Game of Thrones, zu suchen und baden zu gehen, doch am dritten Tag sah ich dann im Fenster des örtlichen Supermarkts eine Anzeige, wo jemand Rundflüge über der Lava anbot. Der Startpunkt der Maschinen war nur ca. 1,5 Stunden Autofahrt entfernt in Akureyri und bei halbwegs klarem Wetter, würde die Cessna fliegen und wir könnten problemlos auf der Straße dort ankommen. Das war die Gelegenheit, auf die wir gewartet hatten.
Und tatsächlich war das im Nu am Telefon gebucht. Bei so etwas entwickle ich echte Superkräfte und quatsche eben begeistert genug drauflos. Schon am nächsten Tag ging es also in die Luft.
Die Maschine war kleiner als ich mir das vorgestellt hatte und meine Freundin schaute ziemlich sparsam, als der Pilot sich als der Pilot herausstellte, obwohl er mehr aussah wie ein Praktikant. Er versicherte uns aber, dass er alt genug sei, die Cessna zu fliegen. Wir bekamen noch Kopfhörer mit Mikrofon, weil man sich anders in so einer fliegenden Blechdose nicht verständigen kann und mit einem weiteren Passagier auf dem Beifahrersitz ging es dann los.
Es war umwerfend. Unter uns lagen schnee- und eisbedeckte Flächen und Seen sowie die zerklüftete Landschaft Islands. Alles sah aus, als wäre es in einem Traum aus Weiß und Blau gefroren und die Sonne brachte alles zum Glitzern wie reines Silber. Ich war so aufgeregt, dass fast all meine Fotos verwackelt sind, aber umso bleibender ist mir die Erinnerung. Nach einer ganzen Weile tauchten die ersten Anzeichen für unsere Annäherung an den Holuhraun auf und zwar in Form von tiefhängenden, weißgrau wabernden Wolken, auf die unser furchtloser Pilot zuhielt. Wir näherten uns schließlich über das Lavafeld. Das heißt, in dem verschneiten Gebiet befand sich irgendwann ein ausgedehntes, dunkelgraues Feld aus erstarrender Lava, die sich in riesigen Mengen weiterschob und scheinbar bis zum Horizont erstreckte. Die Cessna flog darüber und sank deutlich ab, um uns einen guten Blick zu bieten, aber auch, so erklärte der Pilot, weil wir unter den giftigen Dämpfen bleiben mussten. In dem Moment begannen auch schon die Turbulenzen, die unsere Maschine schüttelten. Das käme, so sagte er, von den Dämpfen. Ich bekam mein dämliches Grinsen gar nicht aus dem Gesicht, denn nie im Leben hätte ich gedacht, dass es so aufregend werden würde. Ich und der Pilot jauchzten, denn es machte einen Riesenspaß. Meine Freundin knipste ein wackeliges Bild nach dem anderen. Und dann, plötzlich, war da dieser tiefe, brodelnde Kessel aus glühendroter Lava, die aufspritze, blubberte und um die herum sich bereits ein Krater bildete. Es war unglaublich! Da lag das Erdinnere unter uns und ich bilde mir ein, man konnte sogar etwas von der Hitze spüren, auch wenn unser Flieger natürlich in gebührendem Abstand blieb. Zweimal flog er uns über das rotwabernde Höllenloch und ich glaube, ich habe dabei nicht einmal geblinzelt. Es war und ist noch immer eines der faszinierendsten Schauspiele der Natur, das ich je gesehen habe. Tödlich und doch so wunderwunderschön.