Jason schaute sich suchend in der Straße um. Irgendwo hier musste das „Firlefanz“ doch sein! Und zwischen Friseur, Blumenladen, Kramladen und anderen kleineren Geschäften, würde eine Buchhandlung mit Cafe‘ und Regenbogenfahne davor doch sicherlich auffallen. Er schaute nochmal auf die Adresse, von der er einen Screenshot hatte und beschleunigte seine Schritte. Ein paar Häuser weiter, erkannte er dann den Schriftzug. Die Fahne hing nicht vor dem Schaufenster, aber der Fahnenmast war da. Auch klar, dachte sich der junge Mann, wenn heute Belfast Pride Parade war, hatte der Besitzer die Fahne wohl abgenommen, um sie mitzunehmen. An der Ladentür hing ein handgekritzeltes Schild, das sagte, es sei heute geschlossen. Er versuchte trotzdem, ob die Tür geöffnet war und tatsächlich war dies der Fall. Etwas schüchtern trat er ein.
„Hallo?“, rief er in das Innere. Er konnte Stimmen hören, nicht besonders laut, aber sie klangen dennoch aufgeregt. Das waren bestimmt die anderen Jungs, wegen denen er hier war. Er rief noch einmal und blieb an einem Ständer mit Postkarten von Pin-up Boys stehen. Er wollte nicht den Eindruck machen, dass er so herumschnüffelte. Dann kam jemand. Ein großer Typ, voll in schwarzem Leder, mit Sonnenbrille, Schirmmütze und Schnauzbart. Viel freundlicher und herzlicher als sein Look vermuten ließ, begrüßte er Jason
„Hi, na endlich. Ich bin Lucius. Du musst Jason sein, der für Max einspringt!“
Der junge Mann nickte. „Ja, hi, freut mich. Die Choreo hab ich drauf und wenn ihr ein Kostüm habt, sollte das kein Problem sein.“
Lucius schien begeistert. „Na, das ist doch super! Und so wie du ausschaust, bist du auch genau der Richtige. Wir brauchen den Matrosen. Die anderen sind schon fertig angezogen.“
Jason grinste. „Alles klar, dann bist du …“
„Der Ledertyp, das sieht man doch. Komm beeil dich, dann können wir noch mal üben, wenn du im Matrosen-Outfit bist.“
Lucius führte Jason an Bücherregalen und einem Tresen vorbei bis zu dem Teil des Ladens, der speziell das Cafè mit Bistrotischen und Tonetstühlen war. Dort gab es eine winzige Bühne, die offenbar für Kleinkunst-Events genutzt wurde. Hier lungerte der Rest der Truppe, die sich sogleich vorstellte. Es waren Peter als Bauarbeiter, Paddy als Cowboy und Liam als Polizist. Einer fehlte.
„Was soll das, wo ist Owen hin?“, fragte Lucius. „Da lass ich euch fünf Minuten allein, um unseren Matrosen zu holen und dann fehlt der Indianer!“
„Er hat Lampenfieber und hat sich auf dem Klo eingesperrt“, gab der Bauarbeiter Auskunft.
„Ich werd irre! Erst verstaucht sich Marty den Fuß und jetzt spielt Owen wieder die Diva!“
„Versuch dein Glück, ob du ihn da rauskriegst“, schlug der Cowboy vor.
Jason kam sich etwas dämlich vor, weil er dazu jetzt keine Idee äußerte. „Wenn ihr mir das Matrosenkostüm gebt, zieh ich das schonmal an.“
„Ja klar, Blondie, ich geb’s dir“, bot der Polizist an und holte das Kostüm aus einem Karton neben der Bühne. Jason schnappte es sich und begann damit, an einem der Tische sein Hemd gegen ein gestreiftes Matrosenhemd zu tauschen. Es gab noch ein rotes Halstuch und eine Mütze.
„Sieht süß aus“, kommentierte der Polizist und zwinkerte Jason zu.
Die anderen drei hatten sich inzwischen an der Klotür postiert und offenbar geklopft. Von drinnen hörte man etwas, was Jason am ehesten als ein Jammern bezeichnen würde.
„Ich kann nicht!“, wiederholte die Jammerstimme mehrfach. „Auf keinen Fall!“
„Jetzt komm da raus, Owen!“, rief Lucius in etwas scharfem Ton, was das Jammern verstärkte.
„Das macht doch absolut gar nichts, Owen, wenn die Indianerhose nicht zugeht. Dann gehst du in deiner Jeans. Mit dem Häuptlingsschmuck sieht doch jeder, dass du der Indianer bist!“, versuchte der Bauarbeiter sein Glück.
„Schatz, das Treffen mit den anderen Gruppen ist in einer Stunde“, redete Lucius jetzt mit Engelszungen auf die Tür ein. „Komm doch bitte heraus.“
„Ja, Owen“, flehte auch der Polizist. „Hier ist ein ganz süßer Matrose, mit dem müssen wir die Choreo nochmal durchgehen.“ Mit diesen Worten blickte er Jason an, damit der nun etwas sagte.
„Ähm, hallo da drinnen!“, begann er. „Das stimmt. Ich bin noch etwas unsicher und die anderen sagen, du kannst das am besten.“
Lucius und die drei Jungs nickten und grinsten sich an. Offenbar war diese Taktik ganz Erfolg versprechend.
„Wie heißt denn du?“, kam die Stimme von drinnen.
„Ich heiße Jason und bin der Matrose.“
Mit einem Mal ging die Tür schwungvoll auf und heraus kam Owen, ein Bärchentyp mit Vollbart, Waschbärbauch und üppigem Federschmuck. Er wirkte noch immer leicht echauffiert, lächelte aber, als er den Matrosen sah. „Ich bin Owen. Und du musst wissen, dass ich nicht viele Dinge im Leben ernst nehme. Aber die Village People. Alles andere ist Firlefanz!“
Der blonde Matrose nickte. „Ja, geht mir genauso. Darum wär’s toll, wenn wir die Choreo nochmal zusammen durchgehen, Owen.“
„Du darfst mich Chief nennen.“
„Freut mich, Chief.“
Urplötzlich wirkte der Indianer wie ausgewechselt. Er rückte sich die Federn zurecht und auch das Tomahawk am Gürtel, so stolzierte er auf die kleine Bühne zu.
„Also gut, dann wollen wir mal Aufstellung nehmen für YMCA“, verkündete er. „Wieviel Zeit haben wir noch bis zur Parade?“
„Halbe Stunde, bis wir los müssen, Chief“, rief Lucius.
„Na dann, alle in Position und mach einer mal den Song an!“
Jason und die anderen stellten sich um den Häuptling auf und gingen in die Ausgangsposition. Dann setzte die Musik ein:
Young man, there's no need to feel down
I said, young man, pick yourself off the ground
I said, young man, 'cause you're in a new town
There's no need to be unhappy
Young man, there's a place you can go
I said, young man, when you're short on your dough
You can stay there, and I'm sure you will find
Many ways to have a good time
It's fun to stay at the YMCA
It's fun to stay at the YMCA …
;) Danke Chrissy, für die Inspiration!