Der lang ersehnte Tag war endlich gekommen. Die Großmeister des Ordens hatten sich in der kristallenen Halle versammelt und ebenso die jungen Anwärter und Anwärterinnen auf einen Platz in dieser Gemeinschaft der Hexerei und Magie. Viele von ihnen würden es nicht schaffen, die bevorstehende Bewährungsprobe zu bestehen, doch den besten unter ihnen würden sich die Tore öffnen zu noch größeren Wundern und auch den letzten noch verborgenen Geheimnissen ihrer Zunft. Die anderen würden zurückfallen ins Mittelmaß, bestenfalls. Einige wären auch nicht besser als irgendwelche Jahrmarktsgaukler wie man sie überall in den sieben Königslanden fand.
Bracken von Löwental war einer von denen, die sich dieser letzten Prüfung unterziehen mussten. Als ein Außenseiter von jenseits der zerklüfteten Donnerberge, machte er sich wenig Hoffnung. Noch nie war einer der mächtigen Zauberer aus dem Ödland gekommen, das er sein Zuhause nannte und im ersten Jahr seiner Ausbildung war es ihm nicht einmal gelungen, einen einfachen Wetterzauber zu vollbringen. Seine Fähigkeiten blieben über die Jahre ein einziges Auf und Ab. Plötzlich trugen die toten Bäume am Fuß des Berges wieder Blüten und Blätter und es war sein Werk, das er vollbracht hatte, als er nur von solch einer Blütenpracht träumte. Dann wieder sollte er als bloße Fingerübung einen Laib Brot durch die Luft schweben lassen und das Brot war hinterher wie vom Erdboden verschwunden. Nein. Bracken machte sich keine großen Hoffnungen. Am Ende dieses Tages würde er sein Pferd satteln, diese hohen Hallen für immer verlassen und hätte hoffentlich genug Wetterzauber behalten, um es daheim öfters regnen zu lassen.
In ihren, wie Bracken fand, etwas albernen orangeroten Roben bildeten die jungen Hexen und Hexer nun einen großen Zirkel und nahmen sich an den Händen. So wünschten sie sich Glück, denn sie würden es ganz sicher brauchen. Bracken glaubte nicht an so etwas. Wenn Magie reine Glücksache wäre, dann würde diese ganze Ausbildung und die jahrelange Schinderei für die Großmeister doch wohl kaum einen Sinn ergeben. Kurz kam ihm der Gedanke, dass es vielleicht dieser Geist des Widerstrebens und des Zweifelns war, der ihn immer wieder versagen ließ. Wäre er vollkommen von sich und der Sinnhaftigkeit des Tuns an diesem Ort überzeugt, dann ... könnte er sich vielleicht zumindest für die Dauer dieser Zeremonie konzentrieren. Es war zum Mäusemelken.
Drei der Großmeister traten jetzt in den Kreis der Anwärterinnen und Anwärter, um mit der Auslese zu beginnen. Zwei Hexer und eine Hexe, von der man sich erzählte, sie sei bereits so alt wie der Orden selbst, doch sah man es ihr nicht an. Lediglich ihr schlohweißes, bodenlanges Haar mochte Aufschluss über ihr Alter geben. Sie ging in der Mitte und hielt die kleine, schlichte hölzerne Kiste, in die nun einer nach dem anderen die rechte Hand hineinstecken sollte. Es hieß, die Hände Unwürdiger würden darin verbrannt. Sie kam direkt auf Bracken zu, der mit allem gerechnet hatte, aber nicht damit, der erste Prüfling zu sein. Als ihr Blick aus veilchenfarbenen Augen ihn traf, wandte sie sich plötzlich an den jungen Mann neben Bracken und begann dort. Kaum hatte der Anwärter seine Hand in der Kiste, schrie er auf und zog sie entsetzt zurück. Dann hielt er sie vor Schmerz wimmernd an seine Brust. Das war's. Er war nicht dabei. Weiter ging es in der Reihenfolge im Kreis entlang, wo am Ende Bracken der Letzte wäre. Das war nicht so, wie er es gewollt hatte.
Die Prüfung wurde mit jedem jungen Hexer, jeder jungen Hexe unerträglicher, denn einer nach dem anderen versagten sie. Sie zogen die Hände zurück, sie klagten und jammerten, dabei geschah ihnen körperlich kein Schaden. Als Bracken nun endlich an der Reihe war, hatte noch niemand bestanden. Umso seltsamer kam es ihm vor, dass die weiße Hexe ihn mit einem vollkommen ungerührten Blick ansah. Wahrscheinlich rechnete sie schon nicht mehr damit, in diesem Jahr überhaupt einen Würdigen zu finden. Als sie die Kiste öffnete, nahm sich Bracken vor, wenigstens nicht so ein jämmerliches Bild abzugeben wie die anderen. Er wollte zumindest knapp und mit Würde scheitern, wenn es denn schon sein musste.
Er holte tief Luft und langte hinein. Im ersten Augenblick war es, als würde etwas darin an seiner Hand zerren und reißen, dann begann sie zu prickeln und zu jucken. Dies steigerte sich blitzschnell, sodass er mehr und mehr das Gefühl hatte, seine Hand beginne zu glühen oder gar zu brennen. Aber noch wollte er nicht zurückziehen. Er sah der Frau in die veilchenfarbenen Augen und begann zu schreien so laut er konnte, doch zog er die Hand nicht zurück. Er konnte riechen, wie sein Fleisch verbrannte, er spürte, wie sich das verkohlte Fleisch vom Knochen löste, doch er ließ nicht nach.
Urplötzlich schrie die weiße Hexe. Die beiden Männer rechts und links stützten sie, damit sie nicht zu Boden fiel. Bracken, entsetzt über ihren Schrei, zog seine Hand aus der Kiste. Sie war vollkommen unversehrt. Ungläubig starrte er sie an und hielt sie hoch. Da war nichts.
„Wir haben einen Anwärter zum Großmeister!“, rief die Frau mit den veilchenblauen Augen.