Als die Türflügel der Konzerthalle endlich geöffnet wurden, waren es noch immer annähernd zwei Stunden, bevor es überhaupt anfangen würde und Grendi und Xana waren des Wartens langsam aber sicher satt.
"Es geht los!", rief die Erste aufgeregt und stellte sich auf Zehenspitzen, um zu sehen, was denn nun vorn am Eingang genau losging. "Die machen Rucksackkontrolle!"
"Na, toll! Ich bin begeistert!", maulte die Zweite, wie immer etwas weniger enthusiastisch als ihre beste Freundin. "Das ist mir zu blöd. Gib deinen Sack her, ich bring das ins Auto und komme nach. Du hälst 'n Platz frei!"
Grendi wollte gerade protestieren, weil ihr nicht so recht klar war, wie sie einen Platz freihalten sollte, wenn sie ihren Rucksack nicht dabei hätte und außerdem wollte Xana ganz sicher nur noch eine rauchen, aber da schnappte die ihr auch schon den Rucksack weg und machte auf dem Absatz kehrt. Sie hatten nicht mal abgemacht, wie sie sich in der riesigen Halle wiederfinden würden. Etwas genervt ließ sich Grendi jetzt von allen anderen Wartenden zur Sicherheitskontrolle schieben, wo sie dem Kontrolleur nur ihr Ticket und das rosa Bändchen für den Innenraum vor die Nase hielt. Kein Rucksack! Dann ging es weiter durch einen Gang mit allen anderen und schließlich durch eine weitere Flügeltür in die Halle hinein.
Drin war nur wenig Beleuchtung und ein seltsamer Geruch nach Kunstnebel hing in der Luft. Dann sah sie, wo sie hin wollte. Die Bühne vorn, ja! Direkt vorn an den Rand. Und tatsächlich hatte sich das stundenlange Ausharren gelohnt. Sie fand Platz genug für zwei, vorn am Rand zur Bühne, direkt zwischen einer jungen Punkerin und einem Holländer in schwarzem Leder.
"Ich brauch noch Platz für 'ne Freundin", gab sie denen zu verstehen.
Die Punkerin lachte. "Wir schieben nachher sowieso alles zusammen!"
Der Holländer schien nichts verstanden zu haben. Er hatte bereits mit einem eindeutigen Mansplaining begonnen, seine Holländerin vollzuquatschen.
Um Grendi herum hatte sich schließlich auch ein angereister Fanclub aus Brighton postiert, als Xana endlich auftauchte. Mit ihrem weißen Haarschopf war sie selbst in der schummerigen Halle zu erkennen und als hätte sie geahnt, wo die andere war, kam sie zielgerichtet durch die Menge nach vorn. Sie hatte einen Plastikbecher mit Bier in der Hand und immer wenn sie an jemandem vorbei wollte, kippte sie ihm oder ihr etwas davon in den Nacken. "Ups, Entschuldigung, sorry … ich muss nach vorn durch, pardon..."
"Endlich!" Grendi war erleichtert. Irgendwie hatte es doch geklappt.
"Was heißt endlich? Ist doch noch genug Zeit!"
Die Erste nickte. "Ja, ja. Als ob das so einfach wäre, sich hier vorn breit zu machen."
"Breit genug bist du doch!"
"Boa ey, ich hab dich auch lieb."
Als nächstes begann Xana damit, sich umzuschauen. "Ist ja ganz schön gemischtes Volk hier", fand sie und deutete mit einem Kopfnicken zu dem Fanclub und einem älteren Typen mit Seefungfrauentätowierung.
"Ja. Und wir sind ganz vorne!"
"Und es geht noch längst nicht los …"
"Sei nicht immer so realistisch."
"Ich bin nur ehrlich."
Das stimmte. Wenn Xana eins war, dann das. Grendi fing an zu hoffen, dass das Konzert auch wirklich und echt geil werden würde. Sonst müsste sie sich die nächsten 10 Jahre mindestens anhören, wo sie die andere da hingeschleppt hätte.
Endlich fing zumindest Musik von einer CD zu spielen an, um die ausharrenden Fans in Geduld zu wiegen.
"Was ist'n das jetzt für'n Gewimmer", wollte die Weißhaarige wissen.
Grendi war begeistert, die Antwort zu kennen. "Muss von dem neuen Soundtrack sein. Wind … irgendwas mit Wind."
"Oh Gott, du kennst dich echt aus!"
"Ja klar!"
"Fang jetzt bitte nicht an und halt mir einen deiner Vorträge."
"Ach, iwo. Hast du dein Handy für Fotos dabei? Meins war im Rucksack."
Xana grinste nur. Klar, sie war nie ohne Handy und wie auf's Stichwort holte sie es raus und spielte ein wenig "Pflanzen gegen Zombies".
Grendi verdrehte die Augen und sah sich lieber noch etwas in der Halle um, die sich langsam füllte. Es war wirklich ein gemischtes Publikum. Ganz sicher waren da Fans der ersten Stunde, die die Anfänge der Band in den 80ern mitgekriegt hatten und ebenso gut waren da Teens und Twens, sozusagen die nächste Generation Fans. Viele waren in schwarz gekleidet, trugen irgendwelche düsteren Accessoires oder T-Shirts von diversen Touren der letzten Jahrzehnte. Toll! Und sie und Xana waren mittendrin.
Endlich veränderte sich das Licht und die Stimmung in der Halle, eben noch voller Gelächter und Gequatsche, wandelte sich in erwartungsvolles Schweigen. Was würde wohl gleich passieren? Ging es so los?
Xana steckte das Handy ein und Grendi kramte noch ein rosa Zopfgummi aus der Hosentasche. Es würde noch wärmer werden, wenn erst die Scheinwerfer angingen. Und genau das geschah jetzt. Alle anderen Lichter gingen aus, nur auf der Bühne gingen ein paar Lichter an und man sah Mitglieder der Band, die ihre Plätze einnahmen. Als nächstes setzte ein tiefes, lautes Gewummer ein, dazu ein hohes Pfeiffen. Das genügte, die Fans erkannten den Song und begannen zu jubeln und ihre Arme nach oben und vorn zu strecken. Grendi und Xana taten es ihnen gleich und begannen, sich mit den anderen wie in einer großen Woge, passend zu dem hypnotisierenden Song zu bewegen. Und dann, endlich, endlich kam er, wegen dem sie eigentlich hier waren. Der Sänger, der Hypnotiseur, der schwarze Engel.
Wie er auf die Bühne gelangt war, hatten sie nicht mitbekommen, doch er war jetzt da und er war größer, hagerer und auch eleganter, als sie es erwartet hatten.
"Er färbt die Haare schwarz!", musste Xana ihrer Freundin ins Ohr rufen.
Die war völlig hin und weg, denn der Mann auf der Bühne hatte angefangen zu singen.
"You fell from the sky, crash-landed in a field near the River Adur …"
Gleichzeitig kam er vor zum Bühnenrand und es wurde klar, warum alle ihre Arme so ausstreckten. Er tat es auch. Er kam direkt zu ihnen und strich mit seinen Händen über die Hände und Finger der Fans. Einige griffen nach ihm, er griff nach ihnen. Und dann war er da, Grendi und Xana reckten ihre Hände empor und als würde ein Engelsflügel darüber streifen, kam der magische Moment, in dem sich ihre und seine Hände berührten.
Grendi blieb fast der Atem stehen. Ja, das war es, was sie erleben wollte. Es würde ein großartiges, ein fantastisches, ein magisches Konzert werden.