Jason marschierte mit eiligen Schritten auf Owens Buchladen zu, in dem sich die Jungs treffen wollten, um an ihrer Choreografie zu arbeiten. Vor etwa einem halben Jahr war er mit ihnen zusammengekommen, weil die kleine Truppe kurzfristig einen Ersatz brauchte, der die Rolle des Matrosen bei den Village People übernahm. Damals war Jason gerade erst als Student in Belfast angekommen und suchte Kontakt mit der Gay Community. Eine kleine Darbietung von „YMCA“ auf der Pride Parade war einfach der beste Einstieg, den er damals finden konnte, denn die Schritte und die Moves zu dem Song hatte er drauf seit er vierzehn war. Nach dem Riesenspaß, den sie zusammen hatten, war der hübsche Blonde dauerhaft in den „Regenbogen-Verein zur Förderung von Sub-Kultur aller Art“, kurz RVZFVSAA, aufgenommen. Sehr zur Freude des Oberindianers, Owen, der diesen Verein mit seinem Freund Lucius leitete. So ganz nebenbei hatten die zwei Jason auch mit Liam verkuppelt, der nicht nur den Polizisten spielte, sondern auch im echten Leben Polizist war, weswegen er sich heute verspäten würde.
Draußen an der Ladentür hing ein Schild: „Wegen dringender Angelegenheit geschlossen“. Jason ignorierte es schmunzelnd und trat ein. Alles, was mit den Village People oder der Gay Community zusammenhing, war eine extrem dringende Angelegenheit für Owen.
„Nimm dir ein Körbchen und Maske nicht vergessen!“, ertönte Owens Stimme von irgendwo drinnen.
„Ich will doch gar nichts kaufen!“, rief Jason zurück.
„Ist die Regel, Schatz! Ist nicht von mir.“
Der Blonde schnappte sich also einen Einkaufskorb, zog seine regenbogenfarbene Maske auf und ging an Bücherregalen und Postkartenständern vorbei bis zu der winzigen Kleinkunstbühne, die sich im hinteren Teil des Ladens befand. Dort warteten die anderen bereits mit Körbchen und Masken. Sie winkten, als sie Jason sahen. Er grüßte zurück.
„Liam kommt später”, richtete er aus, ohne zu ahnen, dass dies für den ersten Lacher bei den Jungs sorgte. Er rollte mit den Augen und setzte sich hinzu.
Owen trug, wie es so seine Art war, die Häuptlingshaube, was bedeutete, dass er etwas Wichtiges zu sagen hatte. Am Telefon hatte er nur verraten, dass die Truppe einen wichtigen Einsatz hätte.
„Ihr denkt immer gleich so einen Blödsinn, meine Sternschnuppen“, nuschelte er in seine mit Quietscheentchen verzierte Atemmaske. „Jetzt seid mal ernst.“
Wie um die Worte seines Freundes zu unterstreichen, blickte Lucius einmal ernst in die Runde, was hinter seiner passenden Ernie&Bert-Maske, die seinen Ledertyp-Lenny-Kilmister-Schnauzbart verdeckte, zugegebenermaßen etwas bescheuert aussah und den Jungs ein verhaltenes Kichern abrang.
„Also! Es geht um Folgendes: Wir haben einen kleinen Gig auf dem Hof der Schule von Paddys Jungen. Es soll gesammelt werden für die Kinder und Eltern, die wegen Corona wenig Geld haben. Für Schulessen und so. Und wir tanzen da auch für das Motto Stay save.“
„Bist du sicher?“, fragte Peter nach. „Es ist eine Grundschule und die haben mit Safer Sex doch noch nichts zu tun.“
Wieder kicherten alle.
„Das ist doch wegen Corona, du Dummerchen“, echauffierte sich Owen, sodass seine Federn wackelten. „Und darum werden wir auch die Choreografie etwas abändern.“
Jetzt horchten alle gespannt auf. Wenn der Oberindianer seine ganz spezielle YMCA Choreo ändern würde, dann war das schon wirklich echter Einsatz.
„Wir hören“, kam es von Jason.
„Also wir lassen in jedem Fall die Arschie-Arschies weg und auch euer Hüftschwung sollte nicht ganz so ausladend sein wie sonst. Und ganz wichtig: wir tragen natürlich unsere Masken.“
„Außerdem“, ergänzte Lucius, „halten wir den Mindestabstand ein. Damit wir das gleich richtig üben können, habe ich Lederbänder in der entsprechenden Länge mitgebracht. Passt auf, dass ihr euch nicht wehtut. Ein paar davon haben Nieten.“
„Müssen wir da auch die Körbchen mitbringen?“, wollte Marty wissen.
„Ach so ein Quatsch!“
Owen blickte einmal ehrfurchtgebietend auf seine Schnuppen. „Jetzt bleibt mal ernst! Also wir entschärfen die Nummer und wir ergänzen sie um die superwichtige Geste, wie man sich die Hände wäscht. Damit die Kinder das dann auch machen.“
„Ja genau. Und wir sagen ihnen, dass sie das mindestens so lange machen müssen, wie der Refrain von dem Song dauert.“ Auch Lucius schaute ernst.
Trotzdem lachte der ganze kleine Trupp. Sie stellten sich vor, wie die Grundschüler an der Penne von Paddys Jungen demnächst alle YMCA am Waschbecken sangen. Das war wirklich ein echter ernstzunehmender Einsatz für die Sache.