Es war einmal...
So beginnen Märchen oder etwa nicht?
Ob dies hier eines ist, das sei euch selbst überlassen.
Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne. Sie waren sein ganzer Stolz, denn sie waren seine Zukunft. Oftmals stand er am Turmfenster, gemeinsam mit seiner Königin, er hielt ihre Hand und sie beide sahen hinunter in den Garten, wo die Prinzen spielten.
„Schau sie dir an, liebste Gattin, die Erben meines Königreiches! Einer noch stärker als der andere!“
Die Königin blickte zu ihrem Gatten. „Ja, sie sind stark. Aber Stärke allein ist nicht das Wichtigste für einen Königssohn. Ich denke Klugheit, Reinheit des Herzens und Güte sind noch viel wichtiger.“
„Unsinn“, sagte der König, „wenn sie einmal herrschen sollen, dann ist Stärke das Allerwichtigste.“
Die Königin erwog diese Worte in ihrem Herzen. Sie wollte ihrem Gatten nicht zustimmen, aber sie widersprach auch nicht.
Als einige Zeit ins Land gegangen war, geschah es, dass großes Unheil über die Menschen kam. Es kam wie der kalte Nordwind und ließ die Menschen von einer Krankheit umfallen wie Fliegen. Die Königin bat ihren Gatten etwas zu unternehmen, nach Ärzten und Magiern in anderen Ländern zu schicken, damit diese kämen, um den Menschen zu helfen. Aber der König sah dies nicht ein. Wenn die Menschen zu schwach sind, um sich selbst zu helfen, so sagte er, dann kann ihnen niemand helfen. Stärke ist das Allerwichtigste.
Die Königin seufzte und unternahm nichts weiter. Da wurde der älteste Prinz krank und zwar so plötzlich und so schwerwiegend, dass auch er starb.
Die Königin lief zu ihrem Mann, sie war verzweifelt.
„Warum hast du nicht beizeiten nach Ärzten und Magiern schicken lassen?! Jetzt ist unser Ältester tot.“
Der König blickte mit kalten Augen auf seine Gattin. „Wenn er jetzt tot ist, dann war er nicht stark genug. Was helfen Kräuter und Tränke, wenn ein Prinz zu schwach ist?“
Die Worte des Königs erfüllten die Königin mit solchem Entsetzen, dass ihr Herz brach. Sie sprach von diesem Tage an nie wieder in Worten mit ihm und langer, eisiger Winter legte sich über das Land.
Die unheilvolle Krankheit machte nun auch vor dem zweiten Sohn nicht Halt. Als der König am Turmfenster stand, um allein zu schauen, wie seine Söhne im Schnee spielten und sich mit den Waffen übten, da konnte er sehen, wie die Hand des Prinzen herunterfiel und er vor seinem Bruder zusammenbrach. Der dritte Prinz beugte sich über ihn und wollte schauen, ob er ihm helfen könnte.
Da brüllte der König: „Geh weg von ihm! Er ist ein Königssohn wie du und wenn er nicht stark genug ist, um allein aufzustehen, dann soll er liegen bleiben!“
Der jüngste Sohn schaute voller Grauen zum Turm hinauf und als er sich wieder zu seinem Bruder wandte, da war dieser bereits tot.
„Du bist kein starker König, mein Vater, du bist ein grausamer König! Erlaube mir, dass ich Hilfe hole. Irgendwo, da bin ich sicher, gibt es Arznei oder Menschen, die wissen was zu tun ist.“
Der König lachte ein höhnisches Lachen und blickte voller Abscheu auf seinen dritten Sohn. Er sollte froh sein, dass er jetzt der einzige und letzte Königssohn war, denn so war er auch der alleinige Erbe des Königreiches. Nur ein Schwächling käme nicht auf diesen Gedanken. Und so machte der König eine wegwerfende Geste. Wieder brüllte er.
„Wenn du durch dieses Tor gehst, dann kannst du nie wieder zurückkehren, dann habe ich niemals einen Sohn gehabt. Dann bist du für mich gestorben!“
Der dritte Prinz zögerte nicht, er schritt durch das Tor und kam bald darauf in den verschneiten Wald. Es war so bitterkalt, dass ihm auf seiner Wanderung Füße und Hände blau und schwarz wurden. Aber er ging trotzig weiter. Er dachte an seine Brüder, er dachte an seine Mutter, die stumme Königin, die er bei seinem grausamen Vater zurückließ. Da begann er bitterlich zu weinen.
Aber wie durch ein Wunder wurden seine Tränen nicht zu Eis. Dort wo sie zu Boden fielen, taute der Schnee und als der Prinz genau hinsah, da fand er unter dem Schnee wunderschöne weiße Blüten. Sie dufteten so lieblich, dass der Prinz auf die Knie ging und eine Hand nach ihnen ausstreckte. Sogleich war seine blau gefrorene Hand warm und wie zuvor. Er streckte auch die andere Hand aus und als mit dieser das Gleiche geschah, da war er sicher, ein Wundermittel gefunden zu haben. Er pflückte nun eine große Menge von den Blüten, die er in seinen weiten Umhang legte. Es mussten so viele sein, dass er allen Menschen im Land etwas von den Blüten geben konnte.
So schnell er konnte lief er nun zurück zum Schloss. Als er dort ankam, rechnete er damit, dass die Wachen ihn töten würden, so wie sein Vater gedroht hatte. Doch niemand kam. Das ganze Schloss war leer und wie eingefroren. Aber der Prinz schritt mutig weiter, denn es konnten doch nicht alle Menschen gestorben sein.
Als er in den Thronsaal kam, fand er dort seine Mutter. Sie war starr vor Kälte, aber sie erkannte ihn und er gab ihr von den Blumen. Dies heilte sogleich ihr Herz.
„Wo ist Vater?“, wollte der Prinz wissen.
Seine Mutter deutete auf das Turmfenster. Dort war der König in den Tod gesprungen.
Der Prinz nickte traurig, dann nahm er die Hand seiner Mutter und gemeinsam gingen sie zu dem Fenster. Der Prinz machte seinen Umhang weit, er schüttelte ihn und all die unzähligen weißen Blüten wurden von einem warmen Wind erfasst, der sie nun über das ganze Land verteilte. Wo sie niederfielen, da brachten sie Wärme und die Menschen wurden gesund.