Es schneite bereits seit dem Nachmittag ohne Unterlass, sodass der Wald vor der Felswand mit ihrer Höhle unter einer dichten Schneedecke lagen. Nur ein schwacher Lichtschein drang aus dem Innern der steinigen und kargen Behausung und schimmerte auf den Baumwipfeln, die den Eingang in der Höhe vor Wind schützten. Der Junge war von dort hinaus auf einen Vorsprung gekommen, denn er wusste, es würde eine von diesen Nächten werden, in denen sein Vater ihn rief, um ihn mit sich auf die Jagd zu nehmen. Der Mond war hinter schweren Wolken verborgen, aber dennoch spürte Sigmund, wie es ihn nach draußen zog. Schon bald würde er kommen.
„Was bleibst du nicht am Feuer, bei mir und deiner Schwester?“, fragte seine Mutter, als sie zu ihm trat und ihm ein wärmendes Bärenfell über die Schultern legte. „Er kommt erst, wenn es vollkommen dunkel ist.“
Der Junge schaute sie mit grauen Augen, wie die seines Vaters an.
„Ich weiß, Mutter. Aber sieh doch, wie schön der Schnee ist!“
Sigmund machte einen Schritt nach vorn und schaute in den wilden Flockentanz, sodass seine Mutter für einen Moment fürchtete, er wage sich zu weit auf den Fels hinaus. Aber sie schwieg, denn sie hatte gelernt, ihm zu vertrauen. Es steckte so viel von seinem Vater in ihm, dass er zu Dingen fähig war, welche die Fähigkeiten anderer Menschenkinder weit übertrafen.
„Ja, der Schnee ist sehr schön“, sagte sie dann und seine Furchtlosigkeit erfüllte sie mit Stolz. „Bestimmt tobt Holler, der Gott des Schnees heute Nacht so wild, dass es bis zum Morgen dauert“, richtete sie dann das Wort an ihren Sohn.
Ohne seine Augen von dem Schnee abzuwenden, begann der Knabe zu sprechen. „Der Schnee kommt nicht von Holler, Mutter. Er kommt vom Wasser, dass ganz fein und für Menschenaugen unsichtbar in der Luft schwebt wie die Wolken. Wenn es dann kalt ist, dann bilden sich Eiskristalle um ein Staubkorn, wie funkelnde Sterne. Sie fallen hernieder und werden immer größer und immer mehr. Daher kommt der Schnee.“
Seine Mutter nickte. Natürlich wusste Sigmund von diesen Dingen. „Dein Vater lehrt dich in solchen Nächten also viel mehr als die Jagd.“
„Er lehrt mich alle Dinge.“
Wie um die letzten Worte des Jungen zu bestärken ertönte plötzlich ein Wolfsheulen in unmittelbarer Nähe der Höhle. Im selben Moment blitzten Sigmunds graue Augen auf. Unbändige Vorfreude erfüllte ihn.
„Da ist er endlich!“, rief er aus.
„Ja, da ist er.“
Die Mutter strich ihrem Sohn zum Abschied einmal liebevoll über die Wange, dann wandte der sich auch schon von ihr ab und der Felswand zu, von der ein Seil nach unten führte. Das Bärenfell ließ er liegen. Sie folgte den flinken Bewegungen des Knaben, bis der unten am sicheren Boden angelangt war. Dort wartete der mächtige Wolfsvater bereits. Seine funkelnden Augen schauten zu ihr hinauf in die Höhe wie zum Gruß. Sie erwiderte seinen Blick und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Das Nächste was sie sah, war das Verschwinden der beiden Wölfe, der Alte und der Junge, die durch die verschneiten Bäume davonhetzten.