Der Jeep fuhr schon eine ganze Weile auf unbefestigter Straße und inzwischen fragte sich die Fahrerin, ob sie sich möglicherweise geirrt und die falsche Abzweigung genommen hatte. Eigentlich war das so gut wie ausgeschlossen, denn so viele Pisten gab es in diesem Teil Islands nicht. Wenigstens, so sagte sie sich, war es mitten im Sommer und so würde ihr das Tageslicht noch lange nicht ausgehen. Als sie langsam an ein paar Schafen mit rosa Farbe im Fell vorbeifuhr, wuchs ihre Zuversicht, hier draußen doch auf dem richtigen Weg zur Familie von Örn Johansson zu sein und tatsächlich konnte man schon bald einen Hof und die dazugehörigen Gebäude von Weitem sehen.
Der Mann hatte den Tipp, sich an die junge Frau zu wenden, von einem Freund bekommen. Das konnte nur heißen, dass Freya sich mittlerweile auch in dieser Gegend einen Namen als kundige Expertin für die Elfen machte. Natürlich erfüllte sie dies mit einem gewissen Stolz, denn es war in der heutigen Zeit alles andere als selbstverständlich, dass sich die Menschen im Umgang mit dem unsichtbaren Volk auskannten. Was genau sein Problem war, hatte Örn nicht verraten, doch das würde sie schon bald herausfinden.
Nach kurzer Fahrt durch ein Lavafeld und eine flache Furt, hielt sie direkt auf den Hof zu. Von dort kam ihr nun ein Hund entgegengelaufen und gleich darauf sah sie auch den Bauern mit seiner Familie aus dem Haus treten. Sie wurde also erwartet. Das war gut. Freya machte kurz Lichthupe, woraufhin eines der Kinder den Hund zurückrief. Als sie den Wagen abstellte, waren sofort die Kinder, der Hund und auch die Eltern bei ihr, um sie zu begrüßen.
„Du bist die Elfenfrau!“, rief ein kleines Mädchen mit blonden Locken.
Freya lächelte die Kleine an. Wegen ihres langen schwarzen Haars war ihr diese Reaktion nicht neu.
„Hey hey, nein, ich bin nur wegen eurer Elfen hier“, sagte sie und begrüßte auch die anderen. Örn und seine Frau Authur gaben ihr die Hand und boten ihr zunächst einen Kaffee auf der Veranda an, was Freya gern annahm. So konnten sie in Ruhe besprechen, worum es ging. Die junge Frau hörte interessiert zu, während sie die Kekse der Bäuerin mit Begeisterung verzehrte. Nach einem kleineren Erdbeben hatte Örn einen tiefen Schacht, ähnlich einem Brunnen, in der Nähe der Scheune vorgefunden. Wegen der Sicherheit der Kinder wäre es das Einfachste, ihn mit Geröll zuzuschütten, doch seinem Traktor hatten sich ein Rad gelockert, bei dem ersten Versuch, das Erdloch zu erreichen. Dies hatte er für eine Folge des Bebens gehalten, doch auch nach der Reparatur, bei der zweiten Annäherung, begann plötzlich der Motor zu spinnen. Er vermutete nun, dass es dort Elfen gab, die bei dem Schacht wohnten. Freya sah das ebenso.
„Wir werden das gleich herausfinden“, versprach sie. Dann ging sie zum Jeep und holte das notwendige Equipment für das Unterfangen aus dem Laderaum. Örn und Authur staunten nicht schlecht, denn es war nichts anderes, als ein paar Laternen aus Glas und Blech, in denen sich jeweils eine Kerze befand. Im Nu waren sie angezündet und Freya gab jedem, Ehepaar und den drei Kindern eine in die Hand. Damit machten sie sich auf zu dem Schacht. Nach Anweisung der jungen Frau stellten sie sich in einem großen Kreis um das Loch im Boden.
„Wir gehen gleich langsam dichter heran“, erklärte sie. „Dabei behaltet ihr die Kerzen in den Laternen im Auge.“
„Was sollen wir denn da sehen?“, fragte der Bauer.
„Nun, wir achten auf eine Veränderung, sowas wie ein Aufflammen oder ein Flackern im Wind.“
Die Familienmitglieder hatten verstanden. Also ging es los. Langsam, aber sicher näherten sie sich dem Schacht, schritten darauf zu und zogen so den Kreis um das Loch immer enger. Dann, mit einem Mal, begannen die Kerzen in den Laternen der Bäuerin und ihres Sohnes, des nächsten im Kreis, zu flackern. Für Freya war dies ein sicheres Zeichen. „Bitte stellt eure Laternen dort ab.“
Die Frau und der Junge taten, was sie sagte. Dann gab Freya einen Wink, dass alle zu ihr kommen sollten. Sie wandte sich an den Bauern. „Hast du versucht, von da an das Loch heranzukommen?“ Sie zeigte auf die beiden Laternen.
„Ja“, gab Örn zu. Wenn man genau hinsah, erkannte man dort noch Spuren vom Traktor.
„Dann ist mir alles klar.“ Freya schaute in die ratlosen Gesichter der Familie und begann ihre Erklärung. „Das hier ist schönes Land, Bauer Örn, und natürlich bist du hier nicht allein. Aber die Elfen sind uns freundlich gesinnt. Sie wollen dir, deiner Familie und deinem Traktor nicht schaden. Ich bin sicher, dass es eine Warnung ist. Wenn du mit dem schweren Fahrzeug näher heranfährst, noch dazu beladen mit Steinen und Geröll, dann würdest du selbst in den Schacht einbrechen. Das wollten sie verhindern. Du wirst dir Hilfe von den Nachbarn holen müssen und den Schacht mit Schubkarren zuschütten. Das dauert länger, aber es ist sicherer.“
Der Mann schaute Freya erstaunt aber glücklich an. „Das ist alles?“
„Ja, das ist alles.“