Funfact: Das hier ist meine sechzigste Geschichte für die Sixties und ein bisschen arg schräg ;)
Unzählige Geschichten, Märchen vor allem, ranken sich um den Wald als einen mysthischen Ort. Meist ist er verwunschen, oft sogar gefährlich! Fabelwesen und Ungeheuer leben darin. Drachen, Einhörner, Hexen und Zwerge, um nur einige dieser beim Namen zu nennen. Und wer hätte nicht die Erzählungen von Oberon und Titania gehört, diesem sagenumwobenen Königspaar, das über eine umtriebige Schar von Elfen und den Kobold Robin Goodfellow, auch Puck genannt, herrscht?
In ihrem Wald trug sich die folgenden Geschichte zu, wenn ihr mir Gehör schenken mögt.
Es begann damit, dass Shakespeare sich während einer Schreibblockade in den Wald dieser Elfen, unweit des Städtchens Stratford on Avon aufmachte. Sie hatte sich für eine Weile aus London wegbegeben, denn erstens war es extrem anstrengend, immer in Männerkleidern herumzulaufen und so zu tun, als sei sie der Sohn eines einfachen Handschuhmachers und zweitens hatte sie zusammen mit ihrem Dichterkollegen, dem wilden Marlowe, inzwischen so viele Schulden in den Schenken rund um das Globe Theater gemacht, dass es besser war, eine Weile unterzutauchen. Klar, sie könnte ihren Vater oder auch die Königin um eine entsprechende Summe bitten, doch dafür war sie einfach zu stolz.
Sie wandelte also in diesem Wald und hoffte, ein wenig Inspiration zu finden. Vielleicht sollte sie endlich wieder ein Stück schreiben, in dem eine Amazone vorkam? Das wäre doch etwas! Kriegerische Frauen waren immer ein guter Stoff für die Bühne, das wusste sie. Dann bräuchte sie noch jede Menge Gemetzel und derbe Flüche. Da wäre das Publikum sicher ganz aus dem Häuschen! Wie sie nun durch den Wald streifte, ganz in Gedanken, da bemerkte sie nicht, wie ihre Schritte immer schwerer und schwerer wurden, bis sie schließlich kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen konnte. So beschloss sie, sich ein wenig ins Moos unter einem Lindenbaum zu setzen, dort wo es ganz weich war und wo ein paar interessante Blumen wuchsen. Solche hatte sie noch nie zuvor gesehen. Sie ließ sich einfach auf den Hosenboden plumpsen, dann legte sie sich bäuchlings nieder und zog eine der Blüten zu sich, um daran zu riechen. Der köstlichste Duft von Nektar umnebelte ihre Sinne dergestalt, dass sie sogleich vornüber sank und mit der Nase voller Blütenstaub einschlief.
Der seltsamste aller Träume kam nun über sie. So zumindest lautete hinterher ihre Erklärung. Sie sah sich selbst, wie sie durch den Wald strich, umgeben von unzähligen bunten Faltern und Motten, die im Licht zwischen den Blättern uralter Bäume tanzten. Sie summten und sangen und riefen ihren Namen. Mistress Shakespeare! Milly! Folgt uns! Das war der Moment, wo sie feststellte, dass es praktischer gewesen wäre, in diesem Traum Männerkleider zu tragen, denn ihr weiter, flatternder Rock verfing sich in so allerlei Gestrüpp und Efeuranken. Sie fluchte, was das bunte Geflügel zum Kichern brachte. Sodann ermunterten sie die junge Dichterin voranzuschreiten. „Gib nicht auf! Wir sind gleich da!“
Milly wischte sich wenig damenhaft den Schweiß von der Stirn und schaute entschlossen nach vorn, wo sie endlich zu einer Lichtung kam. Kaum dort angelangt, spürte sie einen angenehm kühlen Wind, der sich drehte und nun leise Klänge von unbekannter, fremdartiger Musik zu ihr brachte. Es klang wie ein Saiteninstrument, doch eines, das sie gewiss noch nie gehört hatte. Neugierig ging sie weiter, noch immer umschwirrt und ermuntert, da bemerkte sie einen Felsen weiter hinten im Gras, von dem die Musik kam. Oder besser: sie kam von jemandem, der dort auf dem Stein saß und einem exotischen Instrument die lieblichsten Klänge entlockte. Sie traute ihren Augen nicht, denn es schien ein Wesen zu sein, wie sie noch keines je zuvor gesehen hatte. Es glich einem jungen Mann und auch wieder nicht, denn es war definitiv kein Engländer. Noch bevor sie entscheiden konnte, was wohl am auffälligsten war, seine leuchtend blaue Haut oder sein hüftlanges, schwarzes Haar, das ihm in Locken bis zu einer seidig-glänzenden, vielfarbigen Pluderhose reichte, hatte er sie bemerkt und lächelte ihr zu.
Ihr stockte der Atem, doch beherzt schritt sie weiter. Vielleicht war es die Musik, die sie so bezauberte, vielleicht war es seine fremdländische Schönheit, der sie nicht widerstehen konnte.
„Wer bist du? Woher kommst du?“, rief sie, etwas plump, gemessen an ihren eigenen Standards.
Er antwortete nicht mit seiner Stimme sondern spielte stattdessen noch betörender auf seinem Instrument und fixierte sie mit einem tiefgründigen Blick aus schwarz-glänzenden Augen. Inzwischen war sie so dicht an ihn herangetreten, dass sie die goldenen und regenbogenfarbenen Zeichen auf seinem Körper deutlich sehen konnte. Das alles versetzte sie in höchstes Staunen und sie versuchte so erneut ihr Glück.
„Wer bist du, schönster aller Männer und wessen Landes entstammst du mit deiner wunderbaren Musik?“
Dieses Mal erhielt sie Antwort, wenn auch in Rätseln. „Ich bin der indische Knabe und komme zu dir, damit du mich niemals vergisst. So bunt und exotisch wie ich dir scheine, ist die Welt, die du erschaffen wirst.“
Gerade wollte Milly noch mehr erfragen, als sich das Geschwirre der Falter um sie herum verdichtete. Sie wirbelten wild um sie herum, tanzten und summten zur Musik des blauen jungen Mannes, drehten sich mit den Bäumen um sie herum, oder war es sie, die sich wie ein Kreisel drehte? …
Als sie erwachte, lag sie noch immer im Moos zwischen Blumen. Sie zwinkerte, blies sich laut die Nase und sah sich um. Da war niemand. Keine winzigen Elfenwesen mit Schmetterlingsflügeln und kein exotischer Prinz. Zu dumm auch! Geblieben jedoch, war der unbändige Drang, sofort nachhause zu eilen, schnell in die Schreibstube und etwas aufschreiben von diesem Sommernachtstraum, damit er nie verblassen konnte!