Es war dereinst ein stolzer und wagemutiger Ritter, der zog mit seinem König aus ins Heilige Land, um es von den Ungläubigen zu befreien. Reichtümer und große Macht hatte man ihm versprochen und so gierig war sein Verlangen danach, dass er schon bald alle anderen Ritter übertraf. Keine Mauer, kein Graben, kein Fluss, nichts konnte ihn aufhalten und so fielen die Festungen und Städte der Heiden eine nach der anderen. Doch in einem unglücklichen Moment geschah es, dass ihn ein Pfeil traf. Ein einziger nur und die Verletzung schien ihm vollkommen unbedeutend, aber aus unerklärlichen Gründen, war sie es nicht. Je näher die Ritter dem Heiligen Land kamen, desto wunder und siecher wurde er, bis ihn seine eitrige und schwarze Wunde zur Umkehr zwang.
Wieder daheim traf ihn neues Leid, denn seine Gemahlin und Fürstin, die liebevolle Mutter seiner drei Söhne war gestorben. Sie hatte bis zuletzt gehofft, ihren Gemahl noch einmal zu sehen, doch Monate und Jahre waren ins Land gegangen und keine Nachricht kam von ihm. Von seinen Kindern konnte sich nur der Älteste an den Vater erinnern und so traf ihn der Anblick des siechen Ritters am stärksten. Kaum dass ein gutes Krankenlager für den Heimgekehrten errichtet war, sprach er zu seinem Vater und den Brüdern: „Unheil ist geschehen! Und ich will nicht eher ruhen, als ich den besten Arzt gefunden habe, der unserem Fürsten Linderung schenkt.“
Und so machte er sich auf. Gold und Edelsteine aus der Schatzkammer nahm er mit und versprach sie den Ärzten und Kräuterfrauen, die er fand. Alle versuchten sie ihr Glück, um dem leidenden Vater zu helfen, doch es war vergebens. Was auch immer sie unternahmen, mit Tinkturen und heißen Eisen, Pulvern und Güssen, nichts half. Seine Wunde blutete und eiterte und seine Kräfte schwanden dahin.
Nun beschloss der zweite Sohn, etwas zu versuchen. Wenn Medizin nicht half, dann konnte dies vielleicht die Zauberei. Überall in den bekannten Landen suchte er nach dem Einzigen, was Heilung versprach: dem wundersamen Einhorn. Mit Hunden und Männern spürte er endlich eines auf, brachte es zur Strecke und schlug ihm das Horn ab, um es seinem Vater zu bringen. Als dieser es empfing und man seine Wunde damit berührte, blutete sie erneut und stärker als je zuvor. Krämpfe und Zittern ließen den Mann beben und alle Hoffnung schien dahin.
So war es der dritte und jüngste Sohn, der sich aufmachte, um Heilung zu finden. Er wusste, er konnte es nur dort versuchen, wo keiner seiner Brüder gesucht hatte, und womöglich gab es ein Mittel gegen die böse Wunde nur dort, wo sein Vater sie empfangen hatte. Im Heiligen Land. Der Weg dorthin war gefährlich und brachte den jungen Mann an das Ende seiner Kräfte. Und nicht nur das. Wohin er kam, sah er die Verwüstung und Zerstörung, welche der König mit seinen Rittern hinterlassen hatte. Frauen sah er weinen und Kinder sah er hungern. Alte, Verkrüppelte und Kranke sah er und ihm kamen dabei die Tränen, denn es berührte ihn zutiefst, was hier geschehen war. Mit großer Trauer im Herzen zog er weiter und weiter, bis er nicht mehr konnte. Er wandte sich um und dachte daran, zurückzukehren, auch, wenn er nichts gefunden hatte. Und da sah er das seltsamste Wunder: Wo seine Tränen den Boden berührt hatten, waren Blumen gewachsen. Auf Steinen, dürrem Boden und trockenem Sand. Als er dies sah, wusste er, was zu tun war.
In der Heimat wartete noch immer der kranke Vater mit seinen beiden Söhnen, doch sie hatten kaum noch Hoffnung. Inzwischen war der Winter gekommen und die Burg war kalt und die Gesundheit des Ritters schwand mit jedem Tag mehr, je näher das Christfest rückte, und niemand rechnete damit, dass er es noch erleben dürfte. Alles, was er sich wünschte war, wenigstens auch seinen jüngsten Sohn noch einmal zu sehen und so verstrich die Zeit des Advents. Die Söhne ließen Kerzen anzünden und Lieder singen, die ihren Vater trösten sollten, doch seine Schmerzen wurden unerträglich. Gerade als sie selbst über ihre Hilflosigkeit verzweifelten, hörte man plötzlich ein Rufen auf dem Hof und das Getrappel von Hufen. „Er ist zurück!“, riefen die Menschen und sie konnten nur den dritten Bruder meinen. Sofort liefen die beiden Älteren ihm entgegen und begrüßten ihn, wenn auch voller Schmerz über den Vater, so doch mit Freude über seine rechtzeitige Wiederkehr. Er war verändert und auf eine Weise ruhig und sicher, die sie so nicht von ihm kannten.
„Bringt mich schnell zu unserem Vater“, bat er sie und sie taten es.
Der kranke Ritter war kaum wiederzuerkennen, so ausgelaugt hatten ihn Scherz und Qualen, doch sein Sohn ging gleich zu ihm, fasste seine Hand und sprach zu ihm.
„Ich bin zurück, mein Vater. Und ich habe all das Leiden gesehen, das du im Dienst des Königs den Ungläubigen verursacht hast. Sie fühlen wie wir jeden Schmerz und sie vergehen daran wie wir. Auch du müsstest schon vergangen sein, aber du weilst noch unter den Lebenden, damit du um sie weinen kannst und um das, was du ihnen angetan hast.“
Kaum hatte der Sohn dies gesagt, füllten sich die Augen des Mannes mit heißen Tränen. Sie liefen über seine Wangen und bald schon hinab bis zu seiner schrecklichen Wunde, die sich nun wie durch ein Wunder schloss. Und kaum war dies getan, da entschlief der Ritter friedlich und ohne Schmerzen in den Armen seines Jüngsten.