Ohne sich umzusehen trieb Kay seinen Hengst in wilder Jagd über die nächtlichen Stoppelfelder. Seine Verfolger waren ihm dicht auf den Fersen, so dicht, dass die lärmenden Hufe ihrer Pferde, das Gebell ihrer Hunde und sein eigener, rasender Puls in seinen Ohren dröhnten. Was er gestohlen hatte war für sie nicht von Wert, nur für ihn. So ging es allein um den Blutdurst der Männer. Wenn sie ihn erwischten, würden sie mit ihm kurzen Prozess machen. Ein erster Schuss fiel! Die Kugel pfiff rechts an ihm vorbei und ließ ihn erbeben. Und wieder trieb er seinen Schwarzen an. Wenn es ihm gelänge das Moor zu erreichen, könnte er seine Meute hoffentlich abschütteln. Für diese Kerle war es die eine Sache, sich in der Gruppe stark zu wähnen und ihn zu verfolgen, aber es wäre eine andere, dabei das eigene Leben zu riskieren, denn die Löcher und schwarzen Tümpel voraus, jenseits der Felder und des Birkenwäldchens, konnten einen feuchten, kalten Tod bedeuten, für Mensch und Tier.
Der Hengst schnaubte und galoppierte als wüsste er genau, welche Furien ihn und seinen Reiter hetzten. Größer und ausdauernder als die Tiere der Verfolger war er und zugleich furchtlos. Möglich also, dass es eine Chance gab, zu entkommen. Wieder knallte ein Schuss und zischte knapp an Kays Ohr vorbei. Panisch blickte er zurück über die Schulter, wobei ihm der Wind seinen Hut vom Kopf riss. Die Männer juchten, gerade so, als wäre dies ein sicheres Zeichen für ihren Erfolg. Sie kamen gefährlich nah, sodass Kay sich tiefer und dichter an den Hals des Hengstes drückte. Wenn ihnen die Idee käme, auf das Pferd zu schießen, dann wäre es sowieso vorbei. Vielleicht taten sie es nicht, weil der Hengst von edlem Blut war und einen guten Preis erzielen würde? Kay selbst war gleichsam von nobler Herkunft und wahrscheinlich würde sein Vater eine Belohnung für die Aushändigung des geflohenen Sohnes zahlen, doch das wusste niemand. Ob er in höchster Not um sein Überleben feilschen könnte? Bringt mich wohlbehalten zu meinem Vater, dem Earl, und ihr werdet reich entlohnt werden. Nein!
Kay verwarf den irren Gedanken. Eine Verhandlung setzte Verstand bei seinen Verfolgern voraus, nicht diese viehische Freude an der Menschenjagd.
„Komm, Black Arrow, gib alles, was du hast!“, rief er stattdessen seinem Tier zu.
Und tatsächlich, noch einmal steigerte der Hengst seine Anstrengung. Die langen Strähnen seiner Mähne peitschten in Kays Gesicht, der nun voll und ganz auf die letzten Kräfte seines treuen Gefährten setzte.
Da, endlich, passierten sie die Birken und hatten das Ende der Felder erreicht. Der Boden klang anders, roch anders, begann, den Lärm der Hufe zu schlucken. Das Moor, sie hatten es erreicht. Es wäre vollkommen wahnsinnig, jetzt noch wie der Teufel zu reiten, also was?
Als Kay den Kopf hob, um zu schauen, wohin der wilde Galopp führte, erkannte er, dass sein Schwarzer direkt auf einen Nebelschleier zulief. Furchtlos und allein vertrauend auf das Schicksal und seine eigene Kraft. Er selbst begann zu beten. Wenn es dich gibt, du Gott und Vater, dann strafe mich nicht so und rette mich!
Black Arrow schien regelrecht dahinzufliegen. Zu sehen war nichts, nur eine weiße Wand, die Ross und Reiter vollständig verbarg. Weiter und weiter galoppierte der Hengst auf unbekannten Grund, da, mit einem Mal, lichtete sich der Nebel und Kay erkannte, dass sie über eine mit Heidekraut bewachsene Ebene ritten. Er sah sich um. Die Männer waren fort. Sie mussten entweder aufgegeben haben oder das Moor hatte sie verschluckt. Was immer es war, es bedeutete, sie waren gerettet. Erleichtert und zutiefst dankbar gab er seinem Schwarzen ein Zeichen, das ihn zurückfallen ließ in einen leichten Trab.
„Wir haben es geschafft!“, flüsterte er ihm ins Ohr.
Was für ein Glück, trotz aller, tiefster Not!