Das war er also, der grausamste Moment, nicht länger als die Dauer eines Wimpernschlags und doch zerstörerischer in seinem Ausmaß, als die tödliche Kugel selbst, die seinen Freund traf. Sein eigenes Leben wäre von nun an ein Fluch und er eine wandelnde Leiche. Warum nur? Wie kam es zu dieser Zwietracht, die sie, wo sie doch mehr waren als Brüder, so gegeneinander aufbrachte? Die Schuld traf ihn allein, das erkannte Jewgeni nun, denn er ertrug sie nicht. Olgas dümmliche, verliebte Blicke, immer wenn Lenski bei ihr war. Sein Lenski. Das Getuschel an seinem Ohr, die verstohlenen Blicke, wie er ihre Hand hielt.
„Es ist nicht echt, Jewgeni“, hatte er ihm geschworen. „Du weißt, man erwartet es von mir. Und deine Familie würde es auch von dir erwarten.“
Was sein Freund sagte, traf ihn doppelt ins Herz. Lenski war zu feige und beugte sich lieber den Konventionen und das, obwohl Jewgeni bereits ein reicher Erbe war und es ihnen ermöglichen könnte, leicht ermöglichen könnte, in einem anderen Land zu leben, wo sie niemand kannte, wo ihre „Umtriebe“ nicht zurückfallen würden auf den Ruf der Familie Lenskis. Hatte Jewgeni sich so in ihm getäuscht? Bedeutete er ihm so wenig?
Schlimmer noch: Bedeutete Olga ihm so viel?
Jewgeni musste es herausfinden. Und so kam es zu ihrem fatalen Streit. Er tanzte mit ihr auf dem Ball. Immer und immer wieder. Sie war ein lebenslustiges Ding und warf sich ihm begeistert für jeden Tanz in die Arme. Ihr Lenski, so sagte sie, sei ein schlechter Tänzer und wäre gewiss nicht verzagt, wenn sie ihren Spaß habe, noch dazu mit seinem guten Freund. Jewgeni ließ es geschehen, lächelte dazu und glaubte schon, es sei genug bewiesen. Es schiene Lenski wirklich gleich, ob sich Olga mit anderen vergnügte. Doch dann geschah es.
Zornig ohne Maßen, entriss sein Freund ihm Olga mitten auf der Tanzfläche, vor den Augen aller Anwesenden. Und was für Jewgeni nicht mehr war als eine Probe, die das Mädchen nun bestanden hatte, war für Lenski bitterer Ernst. Er ließ sich nicht beschwichtigen, er verlangte Satisfaktion.
Die bekam er.
Es war ein eisklarer Morgen, als sie sich wiedersahen. Keine Versöhnung. Die Ehre Olgas ging Lenski über alles. Alles.
Jewgeni hielt den Atem an, als sie Aufstellung nahmen und kurz Rücken an Rücken verharrten. Die Sekundanten standen bereit. Zehn Schritte. Jewgeni wusste, was für ein miserabler Schütze sein Freund war. Neun Schritte, acht, sieben. Wäre es ehrenvoller, sich von ihm niederstrecken zu lassen? Sechs Schritte, fünf, vier. Er würde den Abzug nicht betätigen, nein! Niemals könnte er auf Lenski schießen. Drei Schritte, zwei, eins. Jewgeni drehte sich um, legte an und wartete. Er hörte seinen Herzschlag. Ruhig und bereit zu sterben. Lenskis Arm zitterte. Seine Wut starrte Jewgeni entgegen. Lenski feuerte, die Kugel streifte Jewgeni an der Schulter. Vor Entsetzen, dass Lenski es fertiggebracht hatte, feuerte auch er. Und traf. Mitten in die Stirn.
Der Anblick dunkelroten Bluts auf dem Raureif war das Letzte, was Jewgeni wahrnahm, bevor man ihn fortzerrte.
„Ihr müsst fliehen, Herr!“
Fliehen? Wohin? Und warum noch, ohne Lenski?
Anmerkung: Frech und frei geklaut bei Pushkin. Pushkin needs more gay :)