Kurze Info: Das hier ist praktisch die Fortsetzung der kleinen Geschichte zum Prompt "Spieglein, Spieglein an der Wand".
Der Parkplatz hinter dem Festsaal eines kleinen, unscheinbaren Dorfes im Dunstkreis irgendeiner deutschen Großstadt, die aber nicht näher benannt werden soll, war bereits gut zugeparkt und so hatten Moritz und Karsten genug zu tun, den Wagen ordentlich abzustellen.
"Ich lass dich erst aussteigen, Schatz, damit deinem Kleid nichts passiert", schlug Moritz am Steuer vor.
"Ist gut", flötete Karsten, oder besser Charlene und raffte den mit rosa Pailetten bestickten Rock und die drei Tüllschichten darunter zum Aussteigen auf die Arme. "Bring bitte meine Boa mit!" Damit rappelte sich Charlene vom Beifahrersitz hoch, griff noch nach ihrer kleinen Clutch mit dem gestickten Schmetterling und entstieg dem dunkelblauen Golf, in dem man so eine illustre Persönlichkeit nicht erwartet hätte.
Moritz parkte ein, dann richtete er sich kurz seine Kravatte im Rückspiegel, stieg aus und griff noch nach der lachsfarbenen Federpracht auf dem Rücksitz.
"Pass auf! Mach die nicht schmutzig", ermahnte ihn die Stimme seines Freundes. Wenn er so war, war er aufgeregt!
"Hier, nix passiert." Karsten hielt Charlene das gute Stück hin, aber sie klimperte nur mit den langen, angeklebten Glitzerwimpern. "Lass sie mich dir umlegen", reagierte Moritz absolut richtig und sein Dicker drehte ihm elegant den Rücken zu, damit er seinen kleinen Liebesdienst tun konnte.
"Danke dir, mein Schatz."
Für einen kleinen Augenblick orientierten sie sich nun. Der Festsaal gehörte zum Gemeindehaus der Kirche und alle drei Gebäude umschlossen quasi den Parkplatz. Man hörte bereits Musik, die nach draußen drang, wahrscheinlich von einem Alleinunterhalter mit Keyboard.
"Du bist dir absolut sicher?", fragte Moritz noch einmal und legte seinem Karsten einen Arm um. Die Glitzer-Klimperaugen von Charlene wandten sich ihm zu. Sie atmete einmal so tief, wie es ihre Corsage in dem Traum von Kleid zuließ.
"Ja. Dieses Mal machen wir es so. Komm!", flötete sie.
"Du machst mich richtig stolz, weißt du das?", fragte er mit einem Lächeln auf seinen Lippen, denn genau so empfand er in diesem Augenblick. Egal wie das hier ausgehen würde. Triumph oder Skandal, Sieg oder Niederlage, für Karsten war es jetzt schon ein gewaltiger Schritt, seiner Spießerfamilie auf diese Weise endlich die Stirn zu bieten.
Die beiden schlängelten sich also zwischen den Wagen hindurch bis zu dem kleinen gepflasterten Weg, der direkt zum Haupteingang des Saals führte. Dort lungerten ein paar Kinder auf den Stufen herum, die es wohl geschafft hatten, sich von der Feier abzuseilen, um draußen auf ihren Handys zu spielen. Ein Junge von etwa 11 Jahren hob den Kopf und starrte Moritz und Charlene an.
"Bist du das, Onkel Karsten?"
Seinem Beisspiel folgend schauten jetzt auch die anderen Nichten und Neffen.
"Sein Name ist Charlene", antwortete Moritz und zwinkerte den Kindern zu, die immer noch schauten, als führte er da die Schöne und das Biest in einer Person an seinem Arm.
"Cool!", rief jetzt der erste Neffe.
"Schönes Kleid, Onkel Karsten", bemerkte eine der Nichten.
"Findest du?", fand jetzt Charlene ihre Stimme und lächelte erst das Mädchen, dann den Rest der Bande an.
"Ja. Und was ist das?", fragte die Kleine nach und zeigte auf die lachsfarbenen Federn.
"Das ist eine Boa!", zirpte Charlene geschmeichelt. "Magst du die mal umlegen?"
Sie wartete die Antwort gar nicht ab und noch bevor die Nichte mit ihrem begeisterten Nicken fertig war, hatte Moritz verstanden, dass das wieder seine Aufgabe war und so nahm er seinem Freund das pluderige Teil von den Schultern.
"Warte, Süße, die legt der Gentleman der Dame um", erklärte er kurz. Dann wickelte er das Mädchen praktisch in der Boa ein. Sie lachte begeistert und kuschelte ein wenig mit den Federn.
"Toll!"
"Kommst du mit uns rein?", fragte Charlene. Es tat ihr richtig gut, dass zumindest die Kinder keinerlei Befangenheit zeigten, obwohl sie Onkel Karsten so nicht kannten.
"Ja klar. Schön dass du kommst, Onkel Charlene. Da drin ist es voll langweilig." Die Kleine sagte das in vollem Ernst.
Charlene griff jetzt entschlossen nach der Hand von ihrem Moritz, mit der anderen nahm sie die kleine Nichte heran. "Wie Recht du hast, meine Süße! Dann wollen wir da mal reingehen und für Stimmung sorgen! Kommt!"
Der Mann an Charlenes Seite warf ihr ein verliebtes Lächeln zu, dann beugte er sich kurz an ihr Ohr. "Du bist umwerfend, ich liebe dich!"