╬Reznicks Sicht╬
Hmm, der heiße Kräutertee, war wirklich eine wohltuende Abwechslung im Vergleich zu dem ganzen scheußlichen Wein der letzten Stunde. Ich trank gemütlich, während ich in einem prunkvollen, samtweichen Sessel lehnte und beobachtete, wie Ludwig gereizt in seinem Arbeitszimmer auf und ab lief. Seit man mich aus dem Eis gemeißelt hatte und ich mich hier einfinden sollte, tat er dies bereits. Seine Art des Nachdenkens – was irgendwie voll nervig war. Ich bezweifelte zudem, dass er dadurch eine geistreiche Idee haben würde. Die wenigsten Adligen konnten wirklich “denken”. Sie waren eben auch nur Spielfiguren, die ein Rea irgendwann einmal aus Spaß adoptiert hatte. Ihr Rang unterschied sich nur minimal von den einfachen Menschen.
Ein weiterer Fluchlaut seinerseits ließ mich jedoch schmunzeln. Seinen Ärger mit anzusehen, erheiterte mich. Normalerweise wäre die Flucht seiner Frau nicht sonderlich schlimm und würde ihn nicht so aus der Fassung bringen – immerhin trug sie bereits den EBS-Halsreif mit seinen Initialen sowie einen GPS-Tracker. Er konnte somit genau sehen, wo sie sich befand – zu jeder Zeit. Nja, normalerweise. Aber irgendjemand hatte dies sabotiert. Auf dem übergroßen Bildschirm an der Wand wurde nichts angezeigt. Kein kleiner leuchtender Punkt auf der Gebietskarte ... och, wie schade.
“Ihr solltet das Spiel beenden”, warf Richard schließlich in den Raum. Er saß mir gegenüber auf einem länglichen Sofa und hielt eine Kaffeetasse in seinen Händen, um sich aufzuwärmen. Dass er dies vorschlug, war allerdings abzusehen. Immerhin hatte er die meisten Wetten auf einen vorzeitigen Abbruch des Oswelats am Laufen. Mit einem verwirrten Gesichtsausdruck zückte er nach diesen Worten sein Tablet und dann stierte er wütend zu mir. Jap, ganz recht. Ich prostete ihm erhaben und mit einem breiten Lächeln zu. Ich hatte auf genau diesen Wortlaut einen Tepp gegeben, weil er so berechenbar war. Solch ein Idiot. Gut, eigentlich wettete ich nicht auf solch Belangloses, aber Dezeria ... Sie ging mir ungewollt unter die Haut und hatte bereits zu viel von meinem Gewinn geschmälert ...
“Nein, ein Abbruch kommt nicht in Frage”, erwiderte Ludwig verärgert und hielt in seiner Bewegung inne. Und auch er verhielt sich so, wie ich es vorhergesehen hatte. Wie langweilig, aber somit hatte ich meinen vorherigen Verlust wenigstens etwas ausgleichen können. Der Graf würde bei solch hohen Summen, die derzeit bei diesem Spiel liefen, nicht einfach aufhören. Das war doch bei jedem dieser Spiele gleich ... Ermüdend. Berechenbar. Trostlos. Immer ...
Ich könnte sämtlichen Verlauf des Spiels als Tepp aufgeben: Ludwig würde sich nach diesem Treffen hier alle Videoaufzeichnungen ansehen und auch mit den versteckten Kameras im Dorf persönlich nach seinem Weib suchen. Derweil würde er den hiesigen Sektorand und auch Richard losschicken, um sie wieder zurückzuholen. Dezeria selbst würde sich im Dorf verstecken – darin dürfte sie nicht anders sein, als alle, die es schafften zu flüchten. Irgendein armer Trottel oder eine alte Freundin würde ihr Unterschlupf gewähren. Das taten diese einfältigen Leute immer, trotz der drohenden Konsequenzen. Der Sektorand wusste meistens sehr gut Bescheid über diese möglichen Freunde und würde sie dort einfangen. Zurück im Anwesen erfolgt dann eine Strafe für alle Beteiligten. Was in der Regel einen qualvollen Tod oder auch einen Verkauf als Sklave an andere Adlige bedeutete. Dezeria selbst würde dagegen nur ihre Beine verlieren. Ludwig wollte sie nämlich als Franükade – eine Frau, die nur dafür da war, um Erben in die Welt zu setzen. Dafür musste diese nicht laufen können. Wenn Dezeria also aus der Narkose erwachte und der Erkenntnis erlag, nichts mehr tun zu können, würde dann ihr Wille brechen. Weswegen ich ihr letztlich den Tod schenken würde. Wie immer. Dieser Verlauf war so alt wie das Spiel selbst.
Na ja ... jedenfalls wäre es so normalerweise. Ein weiteres breites Lächeln legte sich auf mein Gesicht. Heute war definitiv nichts normal gewesen! Erst hatte Dezeria es geschafft, mich derart zu reizen und dann tauchte auch noch ein sonderliches Wesen auf. Ein Typ aus Eis und Wasser? Das war neu. Das war aufregend! Die Erinnerung ließ noch immer mein Herz schneller schlagen. Dezeria kannte ihn oder hatte ihn zumindest schon einmal gesehen, dessen war ich mir sicher. Ihrem panischen Schrei allerdings nach, war diese Flucht weder geplant noch gewollt gewesen, oder? Ja, sicherlich. Auch die Aufnahmen vom Hof deuteten daraufhin. Es wirkte kopflos und wenig durchdacht – das alles. Wenn sie solch “Fähigkeiten” hatte, solch einen Verbündeten, dann wäre sie schon viel früher geflohen. Und vor allem, auch fortgeblieben. Zerian hatte sie ihn genannt ... Sollte dies wirklich dieser eine Gott sein? War er dieser Glaube, der sich immer wieder auf diesem Planeten bildete? O es gab so vieles, was ich noch nicht wusste ... herrlich!
“Herr Van Rotterval, bitte. Eure Eleonore ... mit Verlaub, sie ist eine leibhaftige Hexe!”, sprach Richard und brachte genau das zu Wort, was ich geahnt hatte. Ja, es war klar, was der Haus- und Hofmeister wollte – das Einzige, was dieses Spiel wirklich unterbrechen könnte. Wenn Ludwig die Heirat aufhob, war sie frei. Frei ... und dann durfte sie mit Hunden gejagt werden – verletzt werden. Ihr Ende würde definitiv ein Scheiterhaufen werden, zur Belustigung der Adligen und zur Abschreckung der hiesigen Dorfbewohner. Kein Ende, welches ich wollte ...
“Das ist mir scheißegal”, erwiderte Ludwig und auch das überraschte mich nicht. Er wusste schließlich von vornherein, dass sie eine Ketzerin war. O Mann, Richard, wie dumm bist du eigentlich? Auch dir war es doch bewusst oder hattest du es in dem Eifer, das hier beenden zu wollen, vergessen? War da ernsthaft so etwas wie Furcht in deinem Gesicht? Ich nahm einen Schluck meines Tees und sah dich mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Hattest du dir etwa in die Hosen gemacht? Von dem bisschen Eis und Wasser? Tz, du bist echt kein würdiger Gegenspieler ...
“Reznick!”, schimpfte plötzlich Ludwig in meine Richtung. “Ja?” “Wo ist sie? Ich weiß, dass du es weißt! Ich will sie zurück und dieses andere Ding da gefälligst tot sehen!” Hm, ich spürte, wie ein Lächeln über mich kam, obwohl ich lieber kalt und emotionslos aussehen wollte. Ich hasste es, wenn das passierte. Er sollte nicht den Eindruck haben, dass ich mich über seine Äußerung lustig machte ... auch wenn ich mich innerlich darüber amüsierte. Seine Aufforderung war – mal davon abzusehen, dass ich für fast diesen Wortlaut einen Tepp gesetzt hatte – schlichtweg dumm. Ich glaubte langsam, mein Vater tat dies mit Absicht. Er suchte gezielt solch Mitspieler, nur um mir noch mal extra eine reinzuwürgen. Ach ja ...
“Ich halte in diesem Spiel immer noch den Rang des Wyttmanns. Ich bin Euch zu keiner Aussage verpflichtet”, sprach ich also und fing mir, wie zu erwarten, nur ein abfälliges Schnauben seitens Ludwig ein. Wäre er ernsthaft an Dezeria als solches interessiert, hätte er mir eine schmackhafte Rechte verpasst. Aber gut, wer empfand schon etwas für einen Ketzer?
“Wyttmann? Neutral? Jaja, von wegen! Das Sabotieren des Trackers ist keineswegs neutral!”, schimpfte er noch lauter, aber dies kümmerte mich herzlich wenig. Ich zuckte nur mit den Schultern und schwenkte meine Tasse. Ja, mag sein, dass dies nicht erlaubt war, aber ein striktes Verbot dagegen gab es nun einmal auch nicht. Es waren diese kleinen Schlupflöcher, die ein Spiel erst interessant machten – eben nur für jene, die diese auszunutzen wussten.
“Du bleibst also dabei? Ich soll blind nach ihr suchen lassen?” “Das hattet Ihr schon, bevor ich hier eintraf. Ihr solltet also geübt darin sein”, erwiderte ich und trank den letzten Schluck meines Tees. “Tz! Dann werter Wyttmann, sagt mir, wenn ich das Spiel jetzt beende ... müsst Ihr mir doch die Koordinaten nennen, oder?” Ich sah ihn schmunzelnd an. Diesmal wirklich, weil ich es wollte. Seine Erpressung war schon echt ... niedlich. Scheiße! Fast hätte ich sogar laut losgelacht deswegen. Ich griff sofort in meine Tasche und zückte mein Tablet. Ludwigs Freude daraufhin deutete wohl, dass er glaubte, ich würde ihm nun geben, was er wollte. Tja, falsch gedacht. Ich prüfte nicht, wo sich Dezeria gerade aufhielt, sondern die aktuellen Zuschauerzahlen und die Anzahl der Wettspieler. Und was ich sah, bestätigte meine Vermutung. Ach ja, auch irgendwie langweilig. Zum Schluss prüfte ich nur noch fix die Daten von ihr, um sicherzugehen, dass es ihr gut ging ...
“Eure Frau ist wohlauf”, sprach ich also und legte das Tablet wieder weg. “Wie? Das ist alles? Was ist mit den Koordinaten?!” “Es bleibt dabei, ich habe nicht vor, diese preiszugeben. Und wenn Ihr ein Ende des Oswelats wollt, so ist dies Euer gutes Recht.” Ich blickte bemüht ausdruckslos nach diesen Worten in sein vor Wut schäumendes Gesicht. Sein Zorn darüber, seine Frau jetzt nicht in seinem Bett zu haben ... tat mir definitiv nicht leid. Mochte sein, dass ihre Flucht seiner geplanten Zeugung eines Kindes etwas im Wege stand. Aber na ja, es war sein Pech für diesen Anlass, eine ordentliche Portion Potenzmittel eingeworfen zu haben. Vermutlich bereitete es ihm jetzt Schmerzen, gut so. Ich konnte ihn ohnehin nicht leiden und ich wusste, dass er bei diesen Einschaltquoten nie dieses Spiel abbrechen würde. Er konnte also gar nichts machen. Das Schlimmste für einen Adligen war, in der Unbedeutsamkeit zu verschwinden und das hier – das gab ihm Aufmerksamkeit, auf die er nicht verzichten konnte. Alles spielte mir also wie immer in die Karten – es war zu leicht ...
“Verdammt sollst du sein, Reznick!”, fluchte Ludwig schließlich und wandte sich wutentbrannt zu seinem Haus- und Hofmeister. “Bring sie mir zurück! Unversehrt! Jedem, der es wagen sollte, sie zu verletzen oder anderweitig anzufassen, hacke ich persönlich die Hände oder andere Dinge ab! Hast du das verstanden?!” “Natürlich, aber ... was ist mit dem Eiswesen?”, fragte Richard und wirkte dabei etwas bleich um die Nase. “Was? Das is mir doch egal! Der Sektorand soll sich darum kümmern! Er hat volle Waffenerlaubnis. Knallt es einfach ab!” “Wie ihr befiehlt”, antwortete Richard, stand auf und verneigte sich ergeben, ehe er hurtig das Zimmer verließ.
“Und nun zu dir!” Ludwig stellte sich direkt vor mich und grinste teuflisch. Hm? Was kommt nu? “Du findest das wohl urkomisch, nicht wahr?”, fragte er und ich überlegte kurz, was er meinen könnte. “Ich sag dir eins, das büßt du mir! Ich lass für dich extra eine CeKyde einfliegen, die dich solange reizen wird, bis dir die Eier explodieren!” Ah, er war also doch sauer wegen des entgangenen Ficks. “Ich werde dermaßen hohe Tepps auf dich setzen, dass du dich nicht einmal mehr traust, dir selbst einen runterzuholen!” Hm, das wär aber schlecht. “Bleiben wir doch sachlich, ja?” Versuchte ich ihn etwas zu deeskalieren. “Ich habe deiner Frau nicht zur Flucht verholfen. Ich halte lediglich das Spiel am Laufen.” Das war sogar wahr. Sein Blick verriet mir auch, dass er über meine Worte nachdachte. Gut. Ich konnte jetzt keine CeKyde gebrauchen. Es waren Frauen oder Männer, die zur reinen Lust im höchsten Kreise der Rea entworfen und ebenso erschaffen wurden. Mehr Maschine als Mensch. Ihre Körper waren perfekt und sie konnten auch jedes Verhalten imitieren – je nachdem, worauf man stand. Mein Vater hatte mir schon sehr früh diese Dinger um die Ohren gehauen und ihnen zu widerstehen war ... schwer ...
O Mann. Schon seit der Sache vorhin mit Dezeria hatte ich eine Latte und jetzt noch ein Sexbot? Auf mir lagen sowieso schon diverse Wetten im Bezug auf alles, was in diesem Anwesen Brüste und einen knackigen Arsch hatte. Ich hasste das Spiel ... echt. Ich vermied es Grundsätzlich, bei solchen Spielen mit jemandem zu schlafen, aber ständig angemacht zu werden, und nicht einmal selbst Hand anlegen? Das würde anstrengend werden. Hilfe ... meine Nerven ...
[Dankeschön wieder mal an Darklover :)]