JA! Dieses Gefühl, dieses gewaltige Gewitter, welches mich auseinanderriss und neu zusammenfügte – DAS wollte ich. Das war ich. Ein peitschender Wind. Ein unbezähmbarer Sturm. Keine Gedanken. Keine Zweifel. Da gab es nur noch diesen Strom aus summen, singen, kreischen, heulen. Die Welt drehte sich. Ein Wirbel aus positiven undefinierbaren Dingen. Ein Meer aus Farben, die mich verschluckten, streichelten und völlig neu formten.
Noch nie, wirklich noch nie hatte ich so etwas erlebt. Ich war ein blanker Nerv, der ungeschützt offen lag. Es gab keinen verschleierten Nebel, der meine Umgebung definierte. Es brauchte keine Zahlen. Keine Tabellen oder Sensoren. Ich musste keine kryptischen Informationen von der Puppe umwandeln lassen, weil ICH die Quelle all dieser Empfindungen war.
Mit meinem ganzen Sein spürte ich alles bis ins kleinste Detail. Da war ich und natürlich auch er. Leopold. Er erfüllte mich mit sich – mit dieser ungeahnt reinen Macht, wodurch ich ihn besonders intensiv wahrnahm. Ich konnte ihn sehen, aber nicht nur mit den Augen, sondern es ging tiefer. Ich sah ihn mit meiner Seele und mit meiner Essenz, wie ich es noch nie vermochte. Dazu kam der verrückte elektrisierende Geschmack unseres Kusses, der betörende Geruch seines Körpers, die unfassbare Wärme seiner Haut und die Geräusche, die er von sich gab. Sein hastiger Atem. Sein donnerndes Herz. Ich konnte nicht sagen, was mich davon am meisten faszinierte.
Das hier warf mein Verständnis ebenso wie mein Wissen über das Leben komplett über den Haufen. Was ich war, was ich gewesen bin und jemals sein wollte. Hoffnungen, Träume, Wünsche. Ich hatte keine Worte dafür, denn ALLES beschrieb so viel und doch nicht einmal ansatzweise diesen Moment.
Er. Ich. Die Welt. Was uns ausmachte und nicht ausmachte vermischte sich. Wir existierten beide für sich und auch füreinander – miteinander und das erste Mal überhaupt fühlte es sich vollkommen an. Richtig an. Doch bevor sich dieses Gefühl festigen konnte und wir zu einem tosenden Ungetüm aus Blitzen verschmolzen, stoppte es. Kam an einem Punkt zum Stehen.
Es fehlte etwas. Nur ein Stück. Nur ein winziges Stückchen und doch war es so bedeutsam, dass es einfach nicht weiter ging – schlimmer noch, die einstige Kluft zwischen uns kehrte zurück. Emotionen wie Sorge, Zweifel und Angst trieben uns auseinander. Nur warum? Warum verschwand unsere intensive Bindung? Wie konnte etwas derart Mächtiges so leicht zusammenfallen?
Ich wollte das nicht! Aber wie sehr ich auch dagegen aufbegehrte, es half nicht. Es stürzte ein, brach weg und verschwand unter Tonnen von tristem Nebel. Meine Wahrnehmung wurde so wie immer. Wie ich es kannte. Ein tristes Abbild dieser Welt. Zahlen und Tabellen. Eine stumpfe emotionslose graue Masse, die noch nie zuvor so schmerzhaft gewesen war.
Es fiel mir schwer, sich darin zurechtzufinden. In dem Hier und Jetzt. Noch immer zitterte meine Seele von dem Erlebten und meine Essenz wimmerte sehnsuchtsvoll. Ich konnte unmöglich begreifen, was das gewesen war und warum es endete. Dementsprechend lange brauchte ich, bis die Umgebung um mich herum endlich wieder einen Sinn ergab.
Verwirrt blickte ich auf Leopold und realisierte, dass wir mittlerweile am Boden lagen. Ich auf ihm. Sonst jedoch hatte sich nichts verändert. Noch immer hielten wir gegenseitig unser Gesicht umfasst und pressten die Lippen aufeinander. Aber es steckte kein Gefühl mehr dahinter. Nur stumpfe Mitteilungen der Hautsensoren. Druck. Temperatur. Beschaffenheit. Es war so nichtig und unerfüllend. Leer. Warum? Was war jetzt anders?
“Noch mal”, flüsterte ich an seinen Mund und küsste ihn erneut, aber auch das entfachte nicht den erhofften Sturm. “Bitte mach es noch einmal.” Nichts. Er reagierte nicht. Behielt die Augen geschlossen und rührte sich auch sonst kein Stück. Seltsam.
“Leopold?” Ich hob etwas den Kopf, wodurch seine Hände schlaff von mir abfielen und mit einem dumpfen Rums auf den Fliesen landeten. “Was ist?” Ich verstand es nicht. Schlief er? Frustriert richtete ich mich auf – nahm breitbeinig auf seinem muskulösen Bauch Platz und starrte ihn danach erwartungsvoll an.
Ich brauchte unglaublich lange, bis ich endlich Begriff, dass er überhaupt nicht atmete. Irritiert deswegen legte ich eine Hand auf seinen Brustkorb, direkt dort, wo eigentlich sein Herz schlagen sollte. Es aber nicht tat. Er war tot und ich wusste ehrlich nicht, was das zu bedeuten hatte. Panik wallte in mir auf. Wie konnte das passieren und wieso ging das überhaupt? Wie hatte ich ihn verletzt und warum heilte er sich nicht? Konnte er das vielleicht nicht? Aber er war doch unsterblich?!
“Hör auf damit!” Hastig leitete ich einen Stromstoß in seinen Körper. Erstmal nur einen schwachen, damit ich die Puppe nicht gleich überstrapazierte. Ich wusste immerhin noch nicht, wie viel meiner Fähigkeit ich nutzen konnte, bevor wieder etwas durchschmorte und wenn ich jetzt auch noch ausfiel, war niemandem geholfen. Leider brachte meine Vorsicht mich hier nicht weiter.
“Leogasch!” Hilflosigkeit flackerte immer stärker in mir und sofort verpasste ich ihm einen zweiten Schock. Einen so gewaltigen, dass ein kräftiger Ruck durch seinen Leib jagte und er regelrecht erschrocken die Augen sowie den Mund aufriss. Gierig sog er Luft in seine Lungen und packte grob meine Arme, als würde er sich verteidigen wollen.
“Du warst tot. Ich bin es nur.” Er sah mich erst verständnislos keuchend an, dann jedoch ließ er locker und beruhigte sich, was auch mir Erleichterung gab. Ihm war nichts passiert, er schien ganz der Alte.
“Welch ... schöne Art zu sterben”, säuselte er mit einem breiten Lächeln, bevor er entspannt die Lider schloss. “Du hast dir Sorgen gemacht.” Seine Hände streichelten langsam meine Arme rauf und runter.
“Nein. Du bist unsterblich.” Er brauchte nicht wissen, dass mich sein Tod verunsichert hatte. Im Nachhinein betrachtet war es dumm gewesen. Vielleicht passierte das ja immer, wenn er zu viel Essenz einsetzte. Was wusste ich schon darüber.
“Ich hab dich rufen gehört, auch wenn mein Herz noch nicht geschlagen hat.” Er öffnete die Augen. Das Silber war fast vollständig aus ihnen verschwunden und nur noch ein kleiner Schimmer wand sich in dem tiefen Dunkelbraun. “Du hast den alten Namen benutzt.” Er lächelte dieses unverschämte Lächeln, welches ich nicht leiden konnte.
“Hab ich nicht.” Er hatte es gar nicht verdient, dass ich ihn so nannte.
“Wie kannst du nach all den Jahren deswegen immer noch verärgert sein?”
“Kann ich eben.” Denn wie sollte ich nicht? Er war der erste Rea gewesen, der mit mir je gesprochen hatte – sich die Mühe gemacht hatte, meine Sprache zu lernen. Ich wollte meine Dankbarkeit in Form eines Namens zeigen. Es war das Einzige gewesen, was ich in meiner körperlosen Gefangenschaft machen konnte und die größte Ehre, die es für mich gab. Die Fa’rabelan hatten schließlich nur solchen Dingen einem Namen gegeben, die etwas ganz Besonderes waren. “Es war ein wertvolles Geschenk und du hast dich darüber lustig gemacht.”
“Liebste, wie alt war ich da? 15? 20? Was wusste ich damals schon großartig?”
“Du hast es für einen Scherz gehalten und geglaubt, ich wäre eine experimentelle KI oder dergleichen, die von den Augonen gemacht wurde, um dich zu bespaßen!” Ja. Diese Erinnerung existierte noch immer sehr präsent in mir, als wäre es erst gestern passiert.
“Ich habe mich dafür bereits über tausendmal entschuldigt.”
“Das ist mir egal. Es hat mich verletzt und dann hast du mich dort auch noch alleine gelassen!” Es tat weh, darüber zu sprechen, aber irgendwie konnte ich die Sache nicht wie sonst auf sich beruhen lassen. “Ich dachte in diesem Moment, dass du nie wieder zurückkommst und ich weiter in diesem Tank mein Dasein fristen muss, bis nichts mehr von mir übrig ist ...”
“Aber ich bin zu dir zurück. Ich konnte dir gar nicht lange fernbleiben ...” Er spannte die Bauchmuskeln an, richtete den Oberkörper auf und umfasste mit den Händen erneut mein Gesicht. “Ich liebe dich und wenn du erlaubst, werde ich dich jetzt noch einmal küssen und zwar mit allem, was ich habe.” Zweifelnd sah ich ihn an. Das hier war so verrückt wie schon lange nichts mehr. Ich durfte mich nicht zu sehr auf ihn einlassen. Er war aus mir gemacht. So zu reagieren war nicht richtig. Diese Anziehung nur ein trügerische Laune meiner Essenz, sich wieder zu vervollständigen und – ach verdammt! Ich wollte es! Sehr sogar. Wollte vergessen und zu ihm gehören. Ganz und gar. Für immer.
Schnell überwand ich den letzten Abstand zwischen uns und holte mir dieses Gefühl von seinen Lippen, von dem ich schon jetzt abhängig zu sein schien. Ein Wirbelsturm unser beider Essenzen. Ein unbeschreiblicher Chor, der mich einfach überwältigte. Meine Seele lachte, weinte und schrie. Bunten Farben sowie glühenden Emotionen fegten all mein Denken hinfort und doch – es war nicht genug. Es reichte nicht. Bevor aus ihm und mir ein Wir werden konnte, blieb es stehen.
Leopold ließ mich los und kippte leblos mit dem Oberkörper zurück. Sein Kopf schlug hart auf dem Boden, während ich auf ihm sitzen blieb und ihn nur fragend anstarren konnte. Was auch immer er da mit mir machte, wenn wir uns küssten, es brachte ihn buchstäblich um. Diesmal jedoch wusste ich es besser und unterdrückte den Impuls, Sorge zu empfinden. Er würde gleich aufwachen. Würde er doch, oder?
Es fiel mir wirklich schwer, nichts zu tun. Nur zu warten, dass er wieder die Augen öffnete. Er war unsterblich. Und doch. Es zu wissen half nicht, wenn er derart verletzlich vor mir lag. Fast schon zitternd legte ich die Hände abermals auf seine Brust, um ihn zu schocken, aber da regte er sich schon von alleine und lächelte. Es war dieses unverschämte Lächeln, das er immer benutzte, wenn er bei etwas Recht behielt.
“Ich könnte das ewig so weitermachen.” Er sah mich verträumt an. “Immer und immer wieder.”
“Was tust du da überhaupt?” Ich hatte an sich nichts gegen diese unbeschreibliche Gefühlsflut, aber das konnte auf die Dauer nicht gut für ihn sein. Immerhin starb er dabei und wirkte auch jetzt völlig erschöpft. Er schien sich nur schwer davon zu erholen.
“Ich habe versucht, diese Hülle, die aus meinem Fleisch und Blut stammt, in deine Essenz umzuwandeln.”
“Das ist verrückt. Selbst für dich ...” Kein Wunder, dass er bei dieser Kraftanstrengung sein Leben aushauchte. Wenn man es genau nahm, versuchte er einen Elementar aus dem Nichts zu erschaffen und – ich stockte. Das bedeutete, er machte genau dieselben Tests wie die Augonen an mir. Er war also kein Stück anders! “Du willst mehr Essenz generieren!” Angewidert nahm ich meine Hände von ihm. “Du machst da weiter, wo sie aufgehört haben!” Bei dem Gedanken brach unwillkürlich etwas in mir. Wie konnte ich nur so dumm sein und ihm vertrauen?
“Was? Nein!”, stieß er aus und packte grob meine Arme, als ich von ihm aufzustehen versuchte.
“Lass mich los!” Lächerlich einfach zerrte er mich zurück auf sich und hielt mich fest, egal, wie sehr ich zappelte. “Ich will aufstehen!”
“Ich lasse dich erst gehen, wenn du mir zugehört hast!” Plötzlich wallte eine Mischung aus Angst, Wut und Frust durch mein Innerstes. Das Seltsame daran – es kam eindeutig von ihm. Ich spürte seine Gefühle, die wegen mir entstanden, und ich musste sie nicht einmal anhand seines Verhaltens schlussfolgern. Genauso wie der Kuss war es nicht verfälscht oder verschleiert durch Zahlen. Es war ECHT. “Ich weiß du siehst es immer sofort Negativ und alles was ich tue auf die Rea bezogen, weil ich einer bin und ... Ach, bitte ... Nur einmal will ich, dass du mir zuhörst. RICHTIG zuhörst und auch mich zu verstehen versuchst, ohne dabei in deine alten Erinnerungen zu verfallen. Ich weiß, was man dir alles angetan hat UND ich zum Teil mit daran schuld war. Ich weiß DAS und es tut mir leid, aber ich kann es nicht ändern. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, dann würde ich es tun!” Er atmete einmal tief durch, lockerte etwas seinen Klammergriff, als ich meine Gegenwehr einstellte, und schloss erschöpft die Augen. “Ich hatte damit nicht vor, etwas zur Energiegewinnung für die Augonen zu machen. Nichts. Nie. Was kümmern die mich? Mir geht es allein um dich.” Ich schwieg. Was hätte ich dazu schon sagen können? Das, was ich erlebt hatte bestimmte mein Handeln und ich wusste, dass ich ihn in einigen Dingen unrecht tat, aber manche eben auch nicht. Vertrauen. Es gab kein Vertrauen zwischen uns, weil ich ihn nicht einschätzen konnte. Gerade jedoch war ich gewillt, ihm zuzuhören. Wenn ich seine Gefühle spürte – die Ehrlichkeit darinnen, dann hatte er meine volle Aufmerksamkeit. Ich saß bewegungslos auf seinem Bauch und sah ihn erwartungsvoll an.
“Danke.” Er öffnete langsam die Lider und betrachtete mich nachdenklich. “Zuerst möchte ich vorwegsagen, dass ich im Moment unentwegt Essenz in deine Hülle leite, zwar nicht so viel wie bei den Küssen, aber falls ich davon doch gleich wieder sterben sollte, will ich, dass du nicht abhaust. Solange ich dir nicht alles gesagt habe, bleibst du bitte, in Ordnung?”
“Ja. Das Fühlen geht also nur so direkt, weil du es bewusst mit deiner Essenz machst?” Das zu begreifen fiel mir schwer und ich bezweifelte, dass ich den tatsächlichen Ablauf dahinter nachvollziehen würde.
“Um ehrlich zu sein, ich wusste nicht, dass dieser Effekt so stark ausfallen würde.” Er nahm die Hände von mir und sofort verschwand die eigenartige Bindung zwischen uns. “Ich hatte versucht, dich ganz zu machen und ... Ich fang am besten einfach von vorne an als mittendrin.” Zärtlich strichen seine Finger erneut über meine Haut und sofort sprang seine Liebe auf mich über. Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Er hatte es mir zwar schon so oft gesagt, aber es einmal wirklich zu spüren, war unglaublich wohltuend.
“Ich weiß, wir haben darüber schon abertausende Male geredet und ja, du hattest mir das letzte Mal auch deutlich gesagt, dass du keine Versuche mehr machen willst, aber ... ich ertrage es nicht, dass du instabil bist und dadurch irgendwann im Ursprung verschwindest. Deswegen habe ich die Körper hier entworfen, als das Oswelat startete.”
“Also extra heimlich, damit ich es nicht mitbekomme.” Das sollte mich vermutlich verärgern, aber da ich eine gewisse Reue von ihm empfing, störte es mich seltsamerweise nicht.
“Natürlich!” Er setzte einen tadelnden Blick auf, wirkte jedoch durch das Grinsen keinesfalls ernst gemeint. “Du bist gegen so ziemlich alles, was ich erforsche oder experimentiere. Du hast schon oft mein Labor zerlegt ...”, ein genussvolles Seufzen entwich seinem Mund, “oder andere Räumlichkeiten ... Verdammt, ich liebe deine aufbrausende Art.” Er wollte mich küssen. Noch bevor er seine Bauchmuskeln anspannte, um sich erneut aufzurichten, spürte ich sein Verlangen.
“Nein.” Diesmal war ich es, die lächelte und ihn mit den Händen zurück auf den Boden drückte. “Keine Ablenkungen.” Denn auch das fühlte ich deutlich – er wollte eigentlich nichts erzählen, sondern viel lieber diese flüchtige Verbindung zwischen uns weiter erkunden. Unruhe machte sich in ihm breit sowie ein gewaltiges Bedürfnis, dieses Neue weiter zu vertiefen und mit mir all die Dinge zu teilen, die ich sonst nie echt erlebt hatte. Es war fast schon erschreckend, wie intensiv seine Erregung in mir wütete – sich auch noch von Sekunde zu Sekunde steigerte. DAS drohte mich regelrecht zu überfordern. Weniger dagegen die stupsende Berührung an meinem Hintern, die rein von der Position her nur von seinem Geschlecht stammen konnte. Dem männlichen Glied, wenn es voll durchblutet und bereit für Sex war.
“Ich liebe dich ... und ich will mit dir eins sein.” Seine Hände huschten von meinen Unterarmen auf meine Oberschenkel. Nur kurz unterbrach deswegen das Gefühlschaos, bevor es umso stärker wieder aufflammte. In mir selbst entstand der eigenartige Wunsch nach mehr – nach ihm. Ich wollte seine Nähe und wie von selbst wanderten meine Finger seinen Oberkörper entlang – fuhren erkundend die Berge und Täler seiner Muskeln nach. Er wiederum drückte zärtlich meine Haut und rutschte Stück für Stück hinauf zu meiner Hüfte. Sein hungriger Blick auf den Schambereich der Puppe machte deutlich, was sein Ziel war, aber bevor er zwischen meinen gespreizten Beinen abtauchen konnte, hielt ich ihn auf – umfasste mit ganzer Kraft seine Handgelenke.
“Leopold ... nein.” Ich sah ihm tief in seine fast vollständig silbernen Augen. Es fiel mir schwer, sich gegen ihn zu stellen, aber es musste sein. Er hatte sich da in etwas hineingesteigert, von dem ich mir sicher war, dass ich es aktuell nicht überstehen würde. Es wäre zu viel. Ein Zuviel von allem. Aber das bekam er gerade gar nicht mit. Dafür steckte er zu tief in diesem gigantischen Strudel aus Euphorie, der auch mein Denken ständig zu verschlingen drohte.
“Ich will doch nur ... dass du es so fühlst wie ich. Ich will dir alles geben .... alles zeigen. Du sollst nicht länger dem Irrglauben erlegen, dass ich dir etwas vortäusche oder dich für ein Spiel benutze.”
“Das glaube ich nicht.” Jedenfalls nicht mehr. “Aber wie hast du dir das vorgestellt? Du willst mir Lust zeigen und dann? Den Geschlechtsverkehr mit mir vollführen? Was ist mit den Konsequenzen daraus?” Natürlich wollte er das, allein wie seine Augen nun regelrecht silbern pulsierten, machte es deutlich. Auch sein Penis berührte mich erneut – tippte freudig gegen meinen Po. Er wollte mich, wie sonst nichts in seinem Leben. Jetzt sofort und mit jeder Faser seines Körpers. Normalerweise würde mich das nicht stören, aber im Moment? Nein. Ich traute mich nicht, diesen Schritt zu wagen, wenn ich nur aus offenen Nervenenden bestand.
Für mich war Sex mit einer Hülle bisher lediglich etwas rein Mechanisches gewesen. Ein Mittel zum Zweck. Eine Waffe. So oft, wie ich schon in unterschiedlichen Puppen steckte und Reznick in diesen dummen Spielen beigestanden hatte. Viele Adelige und Reas hatte ich auf diese Weise umgebracht oder sensible Daten gewonnen. Vor allem Männer waren äußerst unvorsichtig, wenn es um diese Art Bedürfnis ging. Aber bei Leopold – da war das schon immer anders gewesen.
Die beiden Male, wo wir es zusammen getan hatten, war außergewöhnlich gewesen. Die Zahlenflut hatte mich wie eine Gewitterfront überrollt und musste letztlich von mir zum Schutz abgeschaltet werden, aber selbst dann noch erschütterte der Ausbruch seiner Essenz meine Seele bis auf den Kern.
Die Räume hatte es jedes Mal völlig zerrissen sowie einmal sogar meine Hülle. Auch jetzt zweifelte ich nicht, dass es ähnlich ausartete UND dann das auch noch richtig fühlen? Nein. Das würde ich nicht aushalten. Das könnte mich brechen. Mein Denken völlig durchschmoren lassen.
Diese Angst schien er dann auch endlich zu verstehen. Zumindest milderte sich sein sexuelles Verlangen und sein Blick wurde klarer. Sanft streichelten seine Daumen kreisend meine Haut und ich konnte seine Gelenke etwas lockerer lassen, weil er keine Anstalten machte, weiter zu meiner Mitte zu wollen.
“Du brauchst dich nicht fürchten, ich würde vorsichtig sein. Und wegen das mit dem Kinderkriegen ... Ich werde nicht in dir kommen, das hatten ...” Er brach seufzend ab, was mich wiederum die Arme vor der Brust verschränken ließ. Sex hatte er definitiv noch nicht verworfen. Sein Empfinden drehte sich deutlich nur um dieses Thema.
“Richtig. DAS hatten wir schon und du hast es überhaupt nicht verkraftet. Du hast dein Geschlecht zwar rechtzeitig aus meinem gezogen, aber bei deinem Orgasmus die Puppe komplett zerstört.” Was für mich an sich nicht tragisch gewesen war. Nur anstrengend, weil ich Energie dafür verwenden musste, schnell in eine neue Hülle zu klettern. “Wie denkst du, wird das jetzt ablaufen? Wirst du dich zügeln können? Oder mich zerpflücken?”
“Halt! Warte mal. Das lasse ich so nicht auf mir sitzen. Du hast mich zuvor in den Wahnsinn getrieben. Du hast mich absichtlich verführt und auf allen nur erdenklichen Ebenen gereizt, bis ich dir nicht länger widerstehen konnte!” Wut und Enttäuschung zeigte er mir nicht nur deutlich mit seinem Gesichtsausdruck, sondern auch mit seinem Herzen. “Und du bist danach einfach abgehauen!” Stimmt. Das hatte ich völlig verdrängt, weil die Flucht nicht sonderlich gut verlaufen war. Eigentlich die reinste Katastrophe. Letztlich hatte es nur noch mehr Probleme hervorgebracht und man konnte von Glück reden, dass Reznick dabei nicht gestorben war. Seltsamerweise löste nicht nur die Erinnerung daran Unbehagen aus, sondern auch, weil Leopold sich von meinem Handeln verraten fühlte. Da war so viel unterdrückter Schmerz.
Plötzlich hob er mich von sich runter und stand auf. “Gut, lassen wir das. Es ist lange her.” Er schritt zu einer schmalen Duscheinbuchtung in der Wand und stellte sich hinein. Sogleich fiel Wasser von der Decke und prasselte kontinuierlich auf ihn ein – lief seinem breiten Rücken hinab. Warum er das tat, erschloss sich mir nicht. Er musste sich nicht säubern. Gerade in seinen Zimmern befand sich in jedem Türrahmen Lichtschranken, die sämtlichen Schmutz automatisch entfernten.
Außerdem störte mich dieser Abstand zwischen uns. Es war seltsam, nachdem wir derart tiefe Gefühle ausgetauscht hatten. Nun blieb mir wieder nur seine Tonlage und Mimik, um ihn beurteilen zu können. Es wirkte unerträglich dumpf, kalt und leer. Seine Haltung zudem mehr als nur abweisend.
“Wo war ich stehengeblieben?” Er drehte sich herum, strich sich die nassen Haare zurück und musterte mich. “Ah, ja. Dein aktueller Körper ... Mir kam die Idee bei einer Debatte mit Paulus. Es ging um die Sache mit der Erneuerung, die sich jeder aus dem Korkut alle paar tausend Jahre unterzieht.” Das kümmerte mich nicht. Ich wollte nichts von den Rea hören. Nicht jetzt. Nicht wenn alles so trostlos, farblos und unbedeutend war. “Ich weiß ja, dass dich das nie wirklich interessierte, aber du solltest es schon wissen. Sie sind nicht unsterblich und halten den Zellzerfall durch Klone auf. Das Gedächtnis wird natürlich überspielt, ebenso ihre Macht mit Hilfe von frischer Essenz genährt ...” Letzteres sagte mir natürlich wieder etwas. Es waren Essenzstücke von mir oder anderen Elementaren gewesen. Aber dafür hatte ich nun wirklich keinen Kopf. So gemein das klang, es war mir im Moment völlig egal. Ich wusste nicht, woran das lag, aber in mir tat sich unweigerlich ein Abgrund auf.
“Warum erzählst du mir das? Inwiefern ist das für mich wichtig?” Zudem waren es Worte. Abermals nur leere Worte. Ich verstand den Sinn dahinter nicht. “Es hat weder für mich, noch für Reznick eine Bedeutung.”
“Hat es ... Alles hängt miteinander zusammen, das versuche ich dir schon seit Ewigkeiten klar zu machen. Hör mir dieses eine Mal einfach nur bis zum Ende zu. Es ist wichtig, weil ich für dich eine neue Aufgabe habe.”
“Neue Aufgabe? Ich habe bereits eine Aufgabe.” Reznick. Seit er auf der Welt war, galt mein Leben ihm. “Du wirst mich zerteilen und als KI in ein Schiff unseres Sohnes speisen, wenn ein neues Spiel beginnt. Wie immer.”
“Nein.”
“Nein?” Ich starrte ihn konzentriert an, konnte aber nichts an seinem Gesichtsausdruck erkennen. Er zeigte absolut gar nichts, was höchst frustrierend war. Wieso machte er das? Wieso gab er mir keinen Anhaltspunkt, wie er sich fühlte oder wie er es meinte?
“Ganz recht, nein.” Er schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und ließ das Wasser unaufhörlich über seine nackte Gestalt strömen. Das verwirrte mich. Was erwartete er nun von mir? Hatte ich während unseres Gesprächs etwas nicht richtig mitbekommen? Ich war zwar nie aufmerksam, wenn es um Rea-Dinge ging, aber wenn er was bezüglich Reznick gesagt hätte, wäre mir das nicht entgangen. Einhundertprozentig nicht.
“Leopold?” Auch nach einer Weile stand er einfach nur da. Er würdigte mich keines Blickes und bewegte sich auch sonst nicht großartig unter dem Regenschauer. Warum? Schließlich stand ich auf und ging zu ihm – blieb dicht vor ihm stehen. Feiner Sprühnebel traf meine Haut, den ich nur zu gerne gespürt hätte. Wobei – ging es ihm wieder darum? Das ich mich nach dem Fühlen sehnen sollte? Nach ihm? Ein Blick an ihm herab machte jedenfalls deutlich, dass sein Penis noch immer aufrecht und stramm stand. Aber was meinte er in diesem Zusammenhang dann mit Aufgabe? Ich war nur noch durcheinander.
“Der Wind ...”, sprach er auf einmal mit tiefer Stimme, was mich aufblicken ließ. Reines Silber starrte mir entgegen. “Wie fängt man den Wind?”
“Du spielst nur mit mir.” Das tat er jedes Mal, wenn ich bei ihm war. Das hat er noch nie abstellen können und es ärgerte mich. “Warum kannst du das nicht lassen?” Ich drehte mich von ihm weg, um zu gehen – wollte ich zumindest, aber da griff er bereits nach mir. Schnell zog er mich in eine innige Umarmung und somit unter das Wasser, was eine überraschend eisige Temperatur hatte.
“Die richtige Antwort wäre gewesen: Mit etwas, dass sie interessiert.” Ich rollte mit den Augen, um mein Genervtsein für ihn zu verdeutlichen, aber das brachte ihn nur zum Schmunzeln. Er war schlicht und ergreifend doof.
“Und jetzt?” Er ließ mich nicht los, wurde es aber auch nicht Müde, mich lieblich anzulächeln. Ich wusste, dass er eine ähnliche spielerische Frage von mir erwartete, aber darauf würde er lange warten. Ich wollte nicht darauf einsteigen. “Wir hatten doch gerade noch etwas Wichtiges besprechen wollen?” Hatten wir doch, oder?