Die Männer musterten konzentriert jeden Schritt, den ich näher kam. Ihre hungrigen Blicke wanderten über meinen Körper und ich war mir sicher, dass sie mich gleich ergreifen würden. Gott, ich wollte nur noch abhauen. Schnell und am besten ganz weit weg. Aber, eine Flucht würde mir nichts bringen und ich musste doch nur an ihnen vorbei gehen. Wie schwer konnte das schon sein? Ich biss die Zähne zusammen und unterdrückte krampfhaft diesen Drang zu flüchten. Ich war schließlich kein Feigling. Na, vielleicht doch ein kleines Bisschen. Sollte ich vorsichtshalber die Tonscherbe offenbaren? Die Kerle zwingen, mehr Abstand zu halten? Nein. Noch war es nicht notwendig.
Dann plötzlich bewegten sie sich, als ich nur noch einen Meter entfernt war. Ich zuckte erschrocken zusammen und versteifte augenblicklich. Aber, entgegen meiner Panik, von ihnen gepackt zu werden, knieten sie sich lediglich nieder. Friedlich. Ungefährlich. Respektvoll. Ich starrte alle drei verwirrt an und nutzte dann diesen Moment, um schnell in das Zimmer zu flüchten. Drinnen erschlug mich erst einmal eine Flut aus grellem Rot, Gelb und Weiß. Der Boden war zudem seltsam weich, was nicht von echtem Sand herrühren konnte. In der Mitte des Raumes, dicht vor einer reichlich gedeckten Tafel, stoppte ich schließlich. Und keuchte. Bei den Monden! Ich war mit meinen Nerven jetzt schon am Ende und dabei lag das größte Problem noch vor mir. Lichius.
“Alles in Ordnung?”, erklang da auch schon seine unverkennbare Stimme. Ich riss meinen Kopf hektisch herum und fand ihn etwas weiter hinten. Er stand vor einem riesigen Wandspiegel und betrachtete mich durch die reflektierende Oberfläche. Puh! Erleichtert, dass er nicht nackt war, atmete ich tief durch.
“Sagt schon, was ist passiert? Gab es Schwierigkeiten bei den Fünkchen oder auf dem Weg hierher?”, hakte er gleich noch mal besorgt klingend nach, während er seinen prunkvollen gelben Kapuzenumhang richtete. Da ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte, zog ich es vor, zu schweigen.
“Flammenbringer, was ist vorgefallen? Wurde die kleine Hexe etwa hierher getrieben?”, fragte er nun mit einem äußerst strengen Gesichtsausdruck, als einer der nackten Männer hinein schritt. “Ich ließ doch bereits verkünden, dass ich sie läutern und als neues Orakel einweihen will. Das Seelenheil und die Sonnengattin wussten davon. Also, warum ist sie nun so außer Atem?” “Sie hat große Angst, mein Herr. Sie traute sich ja kaum an uns vorbei und auch jetzt”, sein Blick schweifte zu mir, “zittert ihr Leib allein schon, wenn ich sie ansehe.”
“Und das vollkommen grundlos?”, fragte Lichius skeptisch und drehte sich schwungvoll herum. Dabei konnte ich sehen, dass er doch nichts weiter drunter trug. Ich schluckte. “Wir kennen die Regeln, geehrter Sonnenfürst. Sie ist allein für Euch bestimmt. Keiner von uns hat sie auch nur berührt.” Ich schluckte erneut und wechselte panisch zwischen beiden hin und her.
“Gut gut”, sprach Lichius und schritt gemächlich auf mich zu, “dann lasst mich jetzt mit der Eishexe alleine. Ich wünsche keinerlei Störungen. Wenn ich ihr Erleuchtung gebracht habe, werde ich zu den zeremoniellen Vorbereitungen von Allie dazukommen. Ich wünsche, dass–” “Bleibt ja weg von mir!”, unterbrach ich seinen Redefluss und hielt die Tonscherbe drohend in seine Richtung. Ich wollte keinesfalls, dass er mir noch näher kam. “Eure dämliche Erleuchtung könnt Ihr behalten! Niemand wird mich anfassen! Ich will zu Zerian und dann, dass man uns umgehend zurück an die Oberfläche bringt!”
Die Gesichter beider Männer zeigten Überraschung und dann seltsamerweise Sorge. Angst hatten sie jedoch keine. Zu allem Überfluss eilten nun auch die beiden anderen nackten Typen in das Zimmer. Toll. “Ihr auch! Bleibt ja weg!” Verstört deutete ich abwechselnd mit meiner Waffe auf jeden von ihnen. O Gott! Was soll ich jetzt nur machen? So war das definitiv nicht geplant!
“Ihr seid verletzt ... Ihr blutet”, sprach Lichius fast schon schockiert. Konnte er etwa kein Blut sehen? Offensichtlich, denn keinen Moment später wandte er den Blick ab und sprach zu seinen Männern: “Geht hinaus! Schließt die Tür.” “Sollen wir nicht vorerst ihre Wunden versorgen?” “Nein. Ich werde das – die Sonne wird es richten. Informiert Allie noch wegen den Vorbereitungen und nun ... hinfort.” Alle drei verbeugten sich und gingen ohne ein weiteres Wort. Schlossen die große Tür hinter sich, ganz so, wie er es befohlen hatte.
“Und was ist jetzt mit Zerian?”, fragte ich verwirrt, da er den Leuten nicht aufgetragen hatte, ihn zu holen. Lichius seufzte und streckte langsam eine Hand vor. “Nun werdet Ihr mir erstmal den Stein, oder was das da auch immer sein mag, geben.” “Nein! U-und bleibt sofort stehen!”, sprach ich aufgewühlt, als er einen Schritt nach vorne machte. “Ich möchte doch einzig, dass Ihr dieses Ding weglegt. Ihr habt Euch bereits geschnitten. Ich will wirklich nur Eure Wunde begutachten und versorgen, nichts weiter.” “Ich glaube Euch nicht! Das ist mein einziger Schutz vor Euch und Euresgleichen, diesen werde ich sicherlich nicht aus der Hand geben!”
Er seufzte erneut, diesmal deutlich frustrierter. “Schön, dann eben anders”, sprach er und fummelte anschließend an einer breiten goldenen Manschette an seinem linken Arm herum. “Bitte nehmt es mir nicht übel, aber es muss sein.” “Was meint Ihr?”, fragte ich stirnrunzelnd und zutiefst besorgt. Sofort ertönte ein dumpfes Klick-Klack über mir. Unwillkürlich blickte ich hinauf und sah, wie sich die Decke bewegte. “Ist das ... Adelstechnik?”, fragte ich leichthin, ohne die Gefahr zu erkennen. Ja, binnen Sekunden traf mich irgendetwas, dass ich nicht definieren konnte. Ich wusste nur, ich kannte diesen Schmerz, der nun unaufhaltsam durch meinen Körper fegte. Dieses Gefühl von endlosen Nadelstichen, die jeden Muskel erst verkrampfen und dann vollständig erlahmen ließen. O Gott, es war genauso wie bei Ludwig! Und damals wie heute hatte ich keine Chance, dagegen anzukämpfen. Ich war hilflos. Ich war verloren.
Wie ich zu Boden stürzte, bekam ich durch den Schock nicht einmal richtig mit. Dass ich allerdings auf dem Bauch landete, dafür umso deutlicher. Mein Körper zuckte und trieb mein Gesicht immer weiter in diesen sonderlichen feinen weißen Sand. Ich wollte husten, aber es ging nicht. Mein Brustkorb war wie zusammengeschnürt. Hilfe, gleich würde ich daran ersticken.
“Uhh, du solltest davon nicht so viel einatmen”, hörte ich Lichius besorgt sprechen und dann hob er mich auch schon hoch. Vorsichtig wischte er mit einer Hand das Zeug aus meinem Gesicht. “Das Neubottin sollte eigentlich nur durch die Haut aufgenommen werden. Als Inhalat ist es weniger geeignet”, schmunzelte er und strich mir anschließend die wirren Haare hinters Ohr. Es war eine zärtliche und liebevolle Geste, die ich absolut nicht wollte. Aber, was konnte ich schon dagegen tun? Ich war gerade mal dazu in der Lage, ihn anzustarren. Mehr aber auch nicht.
“Deine Augen sind wunderschön. Weiß, wie die reine Sonne”, sprach er freundlich und setzte sich dann mit mir in Bewegung. Ich hing, wie eine leblose Puppe in seinen starken Armen und stellte dabei entsetzt fest, dass er ja gar nichts mehr am Leibe trug. Gott, nein! Ich wollte schreien. Ich wollte ihm sein perfektes Gesicht zerkratzen, aber meine Hände bewegten sich kein Stück. Ich konnte nur unbeteiligt zusehen, wie er mich durch den Raum trug und schließlich mit dem Rücken voran auf ein Sofa ablegte. O Gott! Mein Herz schlug mir bis zum Halse. Panik war alles, woraus ich bestand. Gleich würde er mich genauso benutzen, wie dieses Monster Ludwig, dessen war ich mir sicher.
“Jetzt werde ich mir erstmal deine verletzte Hand ansehen, ja? Du brauchst vor mir keine Angst haben”, sprach er ruhig und fummelte an besagtem Arm herum. Verstört sah ich ihn an. Ich soll keine Angst haben? Wovon träumte er denn bitte nachts? Er hatte mich betäubt und hockte jetzt nackt neben mir! Sowas ist doch nicht normal!
“Der Schnitt in deiner Handfläche is ziemlich tief, aber zum Glück ist die Arterie nicht verletzt. Dennoch. Bitte tu so etwas nie wieder”, sagte er und blickte mich streng an, bevor er sich erhob. Bei den Monden! Schnell kniff ich die Augen zu. Ich wollte seine Nacktheit gewiss nicht näher betrachten! Selbst als er mir danach über die Wange tätschelte, zog ich es lieber vor, meine Augen verschlossen zu halten.
“Keine Bange, ich tu dir schon nichts. Das würde ich niemals. Hm ... trotzdem willst du mich nicht ansehen, wie? Ist aber auch in Ordnung. Ich hol mal eben Medizin für deine Wunde. Bin gleich zurück.” Seine Berührung verschwand nach diesen Worten, aber ich hörte ihn nicht weggehen. Er blieb also neben mir und wartete, oder? Worauf? Das ich ihn ansah? Warum? Gott. Ich erwartete jeden Moment, seine Hände auf meinem Körper zu spüren. Angstschweiß floss unaufhörlich an mir herab und von meinem trommelnden Herzen wurde mir schon ganz schwindlig. Nicht zu wissen, was mit mir gleich passieren würde, machte mich fix und fertig.
Plötzlich hörte ich etwas. Es klang so, als würden Schubfächer der Reihe nach aufgerissen. Vorsichtig öffnete ich meine Lider. Puh, dass ich diesen nackten Spinner nicht sah, erleichterte mich ungemein. Sofort versuchte ich, meine schmerzenden Muskeln zu bewegen. Ich wollte aufstehen. Oder mich wenigstens aufrichten, um nach einer geeigneten Waffe Ausschau zu halten. Eben irgendetwas machen ... Alles war besser, als weiter hier hilflos auszuharren. Leider kam Herr Sonne schneller zurück, als mein Körper sich von dieser Lähmung befreien konnte.
“Da bin ich wieder”, sprach er fröhlich und hockte sich erneut neben mich. Ich konnte diesmal nicht wegsehen, dafür machte mich sein Verhalten zu wütend. Wie konnte dieser Bastard so gelassen und froh sein, während ich innerlich tausend Tode durchlebte? Ich legte so viel Abscheu wie möglich in meinen Blick – bezweifelte aber, dass es mir gelang. Sein dämliches Grinsen blieb nämlich wie eingemeißelt in seinem Gesicht. Vergeblich versuchte ich, seinen nachfolgenden Berührungen zu entgehen. Er führte meine lädierte Hand ohne Probleme zu seinem Mund und hauchte einen flüchtigen Kuss auf den Handrücken.
“Keine Sorge, die Paralyse hält nicht mehr lange. Ich hoffe, wir können uns danach ganz frei und ungezwungen unterhalten.” Gott, ernsthaft? Ich haue dir gleich ganz frei und ungezwungen die massive Obstschale um die Ohren, die da hinten auf dem Tisch steht.
“Es brennt jetzt vermutlich etwas, aber dann bin ich auch schon fertig”, sprach er weiter und tupfte sogleich behutsam mit einem feuchten Lappen über die Schnittwunde. Tatsächlich zwickte es kurz und dann fühlte ich nichts mehr. “Soo, und fertig. Siehst du? War doch gar nicht so schlimm, oder?” Er drehte überaus stolz die Handinnenfläche zu mir. Es war narbenlos verheilt. Er verfügte also über dieselbe Adelstechnik oder Magie, welche Reznick damals benutzt hatte.
“Na? Gut, oder?”, fragte er und sah mich dabei erwartungsvoll an. Hm? Er wollte doch jetzt nicht etwa meinen Dank, oder? “Deine Augen gefallen mir abgöttisch. Ich könnte mich darin verlieren, weißt du? Ich liebe weiß”, sprach er und kam mir mit seinem Gesicht gefährlich nahe. Oh nein! Nein. Nein! Er will mich küssen! Das darf er doch nicht. Das kann er nicht. Nein!
“Shhh, nicht weinen. Es ist doch alles in Ordnung. Ich sagte doch schon, ich werde dir nichts antun.” Das mochte er zwar unschuldig behaupten, aber ich glaubte ihm kein Wort! Er war genauso, wie all die anderen Männer! Er hatte mich betäubt und zwang mir jetzt seine Gesellschaft – seine Berührungen auf. Ja, wie selbstverständlich streichelte er mein Haar. Ich fühlte mich wie eine Puppe – seine Puppe. Und er würde mich jetzt küssen, einfach, weil er es konnte. Bei Cor und Del, wieso? Wieso passiert das alles ausgerechnet mir?