Es dauerte 112 Sekunden, bis sich etwas bei Theodor zeigte. Dabei kein sichtbares Anzeichen wie Muskelzuckungen oder ein beschleunigter Atem. Nein. Allein sein Blick hatte ihn verraten. Seine zuvor dezent freundliche Miene war purer Verwunderung gewichen. Verständlich, wo er doch glaubte, einen harmlosen Fruchtsaft getrunken zu haben. Wahrscheinlich schlug sein Herz nun wie verrückt in der Brust und er versuchte abzuschätzen, wie gefährlich das für ihn werden könnte. Aber. Was war schon gefährlicher als der Tod?
Unser kleines Spiel schien ihm dann auch wieder in den Sinn zu kommen. Sofort glätteten sich seine Gesichtszüge und er schaute auf den Boden. Ein kümmerlicher Schachzug. Außerdem wollte ich nicht, dass er sich vor mir verbarg. Ich brauchte seine Augen.
“Sieh mich an.” Ein Befehl, keine Bitte. “Ich will sehen, wenn sich etwas an dir verändert.” Natürlich hatte ich es schon gesehen, aber das behielt ich vorerst für mich. Es machte viel mehr Spaß, ihn noch ein wenig zappeln zu lassen.
“Ihr wollt die Reaktionen von meinem Gesicht ablesen?” Seine Stimme klang leise. Kraftlos.
“Ja.” Ungeduldig fuhr ich mit der Klingenspitze über den Boden. Kratzte eine tiefe Rille hinein.
“Und was seht Ihr?” Er hob den Kopf. Keinerlei Emotionen waren darin zu erkennen. Das konnte er gut, auch wenn es für mich nicht reichte. Seine zuvor braunen Augen waren sehr viel dunklen geworden. Ich brauchte somit gar nicht erst näher kommen, um zu wissen, dass seine Pupillen extrem geweitet waren.
“Das kommt drauf an, freust du dich auf den Tod?”
“Nein.” Die Antwort kam direkt. Keine Sekunde hatte er darüber nachdenken müssen.
“Hätte mich auch gewundert. Nächste Frage: Hast du Angst?”
“Nein.” Was mich nicht überraschte. Wilhelms Sklave zu sein war bestimmt alles andere als berauschend gewesen. Irgendwann legte jeder durch Folter derartige Gefühle ab. Man ertrug es einfach und fertig.
“Wie wäre es denn mit Ekel? Und ich mein nicht den Geschmack des Saftes.” Er verstand sofort. Für einen Wimpernschlag ließ sich diese Erkenntnis nicht in seinem Blick verbergen. Tiefe Abneigung mir gegenüber hauste in ihm.
“Ich bin kein Freund von ... Spielen. Egal welcher Art.” Interessant. Eine Lüge. Zwar keine direkte, weil er tatsächlich einen Groll dagegen hegte, aber da war mehr. Ich sah, hörte und fühlte es. Dahingehend hatte sich nichts verändert. Ich konnte nach wie vor die reine Wahrheit erkennen. Das beruhigt mich ungemein.
“Nicht das Spiel. Vor mir. Du ekelst dich vor mir oder besser, du verabscheust mich.” Ich sagte es weder anklagend noch irgendwie gereizt. Wäre ich an seiner Stelle, würde ich vermutlich genauso empfinden. Aber darum ging es nicht. Er war hier nicht wichtig, sondern einzig und allein ich. Ich musste funktionieren!
“Das ist –”
“Nicht wahr?” Ich lachte spöttisch und zog die Klingen in meinen Körper, verschränkte die Arme vor der Brust. “Diesen Quatsch brauchst du mir nicht auftischen. Ich bin hier der Einzige, der nicht in euren süßen kleinen Reigen passt. Du befürchtest, dass ich euch alle zurück in irgendwelche Sklavendienste stecken werde, weil ich in der Hierarchie meilenweit über jeden hier stehe, stimmt’s?”
“Werdet Ihr ... nicht?”, fragte er angestrengt und sank zitternd auf die Knie. Ich hatte es gewusst. Noch bevor er den Mund geöffnet hatte, war mir klar gewesen, dass unser kleines Spiel nun sein Ende fand.
“Nein. Aber was bedeutet schon mein Wort, richtig?” Ich lächelte und sah, wie Schweißperlen von seiner Stirn tropften. Sein Atem ging stoßweise. Das Mittel setzte ihm immer weiter zu. “Und zu deiner Info: Dieser Fruchtsaft aus Otio, den du mir andrehen wolltest, ist nichts anderes als ein Drogengemisch. Wohl bekomm’s.”
“Ihr ... habt es gewusst ... W-warum dann ...” Sein Zittern wurde schlimmer, aber bisher unterschied sich die Wirkung nicht von der üblichen Weise. Er würde es überleben.
“Das Spiel? Nur so.” Dass er mir unfreiwillig geholfen hatte, mich ein Stück weit wiederzufinden, würde ich ihm gewiss nicht unter die Nase reiben.
“Ich k-konnte nicht ... gewinnen.”
“Tzz, als wenn es dir je um einen Gewinn ging. Du hast nicht einmal versucht, etwas auszuhandeln. Trotz deiner Abneigung mir gegenüber wolltest du mein Vertrauen. Du wolltest mir beweisen, dass nichts Gefährliches in dem Getränk war.” Reiner Überlebensinstinkt. Natürlich. Er hatte gehofft, einer Folterpartie oder anderen Grausamkeiten meinerseits entgehen zu können. Vermutlich dachten auch die anderen Sklaven, dass ihnen neues Übel geschehen würde, sobald wir zurück in den Kreisen der Adligen waren. “Wobei es diese Art Einschleimerei bei mir gar nicht –” Das Grinsen flog buchstäblich aus meinem Gesicht, als das unverkennbare Knacken und Klicken der Außenbordhalterungen in dem Verladeraum widerhallten. Mein Vater dockte mit seinem Schiff an, um mich abzuholen. Jetzt würde sich zeigen, ob ich mich wenigstens ein bisschen zusammenreißen konnte.
Es dauerte, bis die Schiffe vollständig verbunden waren und sich das Schottentor mit einem langen Zischen in Bewegung setzte. Tief atmete ich ein und aus. Ignorierte die Fragen oder das besorgte Gestammel von Theodor, der irgendwo hinter mir vermutlich am Boden kroch, und konzentrierte mich allein auf das Wesentliche. Mich selbst.
Krampfhaft ballte ich die Fäuste und versuchte, nicht gleich loszustürmen. Es kotzte mich an, dass ich scheinbar nicht in der Lage war, das Ganze entspannt auf mich zukommen zu lassen. Nein. Trotz des kleinen Spielchens bestand ich jetzt wieder aus purer Nervosität. Es war zum Verrücktwerden. Ich wusste, es war dämlich. Ich wusste es, aber leider half das nicht im Geringsten. Jahrelanger Hass ließ sich schwer hinunterschlucken. Vor allem dann nicht, wenn der Auslöser dafür jeden Moment in den Raum spazierte. Gleich würde ich ihn sehen. O ja, gleich würde er sterben!
Unerwartet. Das war wirklich das Einzige, was mir in den Sinn kam. Mich lähmte und an meiner Sehkraft zweifeln ließ. Selbst mehrfaches Blinzeln änderte nichts an den Dingen, die sich vor meinen Augen abspielten. Ich war verwirrt. Ehrlich verwirrt. Mein Mund stand offen. Weit offen.
Gerade noch waren mir unzählige Möglichkeiten durch den Kopf geschossen. Ich hatte jeden Ablauf im Geiste durchgespielt. Wie mein Vater reagieren würde – wie ich reagieren würde. Verdammt noch eins! Selbst wie jeder verschissene Muskel meines Körpers reagieren würde, wenn ich ihn sah. Alles. Bis ins kleinste Detail. Das Familienwappen hätte mit großer Wahrscheinlichkeit bereits ausgereicht, um mich völlig durchdrehen zu lassen. Ohne zu denken oder zu fühlen, hätte ich agiert. Ein Blutbad. Ohne Zweifel wäre ein Blutbad entstanden, auch wenn letztlich nur mein Blut den Boden getränkt hätte. Aber DAS? Was bitte lief hier?
Es marschierten fünf pompös anmutende Herrschaften in die Halle. Keiner von Ihnen war mein Vater und auch keiner trug irgendwelche Anzeichen am Leib, die zu ihm eine Zugehörigkeit signalisiert hätte. Verrückt. Hatte ich vielleicht ohne es mitzubekommen den Verstand verloren oder hatte mich mein Vater schon ausgeschaltet und das hier war nur ein Hirngespinst? Eine Wahnvorstellung?
Meine Augen registrierten jede Kleinigkeit. Ihre Gesichter. Farbe und Beschaffenheit ihrer Kleidungen. Und letztlich das Hauswappen. Leider wollte mir nichts davon etwas Klarheit verschaffen. Mir kam nicht in den Sinn, welches Haus eine verschnörkelte Sanduhr als Emblem hatte. Dabei die untere Hälfte mit einem Gemisch aus Weiß-Blau und oben ein Rot-Orange. Alles zusammen auf einem strahlend gelben Hintergrund. Mit einem Wort: scheußlich.
“Hört, hört, ihr Niederen! Ich, Lar'Dere Gereon Pfirsching, Adjutant des vielsehenden Kor’Oliver Chikor-kut übernehme unverzüglich dieses Hapanthma. Ihr werdet –” Er verstummte augenblicklich, als ich in schallendem Gelächter ausbrach. Ein ehrliches, leidenschaftliches Lachen, wie es mich selten überkam, aber dafür umso verheerender. Scheiße auch. Mir hatte nicht jeder Titel, den er erwähnte, etwas gesagt, denn bei dem Wort Lar'Dere, hatte mein Gehirn aufgehört zu funktionieren.
“Du ... bist ein ... Deregas”, hauchte ich atemlos und ernsthaft bemüht, nicht gleich wieder eine Lachattacke zu bekommen, aber es war schwer. Allein schon wegen dem Blick des Typen, der durch mein Verhalten entweder aus Empörung, Peinlichkeit oder schlicht vor Zorn gerade rot anlief. Zu köstlich, denn wie hätte ich mich nicht über ihn lustig machen können? Er war ein unbedeutender Wicht und betrieb hier solch einen Aufriss, da konnte ich unmöglich ernsthaft bleiben. Der Kerl bekleidete den Rang eines Lar'Deres und stand damit zwar in der allgemeinen Hierarchie höher als Richard damals, aber immer noch drei Stufen unter Johanna. Demnach meilenweiter unter mir.
“Schweig still, du Funai! Du Unwürdiger!” Er ballte die Fäuste und stampfte zu mir, dicht gefolgt von den anderen vieren. Besorgt deswegen war ich jedoch nicht, da konnte er sich noch so bedrohlich vor mir aufbauen. Ich musste jedoch anerkennen, dass er mir körperlich vermutlich mehr entgegenzusetzen hatte als die meisten Möchtegern-Reas. Sein offener langer Mantel gab den Blick auf eine eng anliegende Weste preis, worunter sich deutliche Muskeln abzeichneten und er war sogar ein Stückchen größer als ich. Zudem hatte ich keine Ahnung, welche Waffen oder Modifikationen er besaß. Wobei. Es war auch nicht von Bedeutung.
“Und was ist, wenn nicht?” Das interessierte mich wirklich brennend. Was würde er tun, wenn jemand vor ihm nicht den unterwürfigen Sklaven mimte?
“Auf die Knie, Unwürdiger!”, knurrte er, was ihn langsam, aber sicher langweilig werden ließ. Was dachte er, mit wem er hier sprach? Als wenn ich vor ihm auf den Boden kriechen würde, wie es Theodor hinter mir noch immer fleißig tat.
“Oh, bedaure. Da verspüre ich gerade so gar keine Lust drauf. Und nun?” Seine Muskeln zuckten. Zwar nur ganz unscheinbar, aber dennoch war es deutlich, dass er mir eine reinhauen wollte. Er hasste Ungehorsam, aber das überraschte mich nicht. Keiner der Reas konnte sowas leiden. Dass er mich dennoch nicht züchtigte, sondern lieber die Zähne wütend zusammen biss, machte deutlich, was er wusste. Er kannte mich und meine Stellung, obwohl ich weder meinen Namen erwähnt hatte, noch eine dementsprechende Kleidung trug. Eigentlich schrie alles an mir, dass ich ein verschissener Sklave sein musste. Mein Körper war gleichmäßig verdreckt und die räudige Schlabberhose, die ich trug, war mittlerweile zerlumpt, angekokelt sowie durchgängig von Blut besudelt.
“Dieses Schiff”, begann er mit ehrfürchtiger Betonung und machte eine allumfassende Geste, “ist Eigentum des vielsehenden Kor’Oliver Chikor-kut. Ein Bewilligungsantrag für die Nutzung liegt nicht vor, was ein enormes Schuldverhältnis entstehen ließ. Aufgrund der Schwere euer aller Vergehens, wurde das Elos-Prinzip gewählt und –”
“Mit anderen Worten: Leibeigen auf Lebenszeit, und zwar ab sofort”, warf plötzlich einer der anderer Männer ein und noch bevor ich erkennen konnte, wer es war, landete ich ungewollt auf allen vieren. Ich starrte auf den Boden und rang nach Atem, irgendetwas folterte meinen Körper – jagte gleißenden Schmerz durch jeden Muskel. Scheiße! Was für eine Waffe war das?
“Herr? Ihr seht zu? Welche Ehre!”, sprach wieder dieser Deregas-Wicht und im Augenwinkel erkannte ich, wie er sich danach auf den Boden schmiss. Das war höchst seltsam. Hatte ich es falsch eingeschätzt? War er doch nicht der Anführer gewesen, sondern einer der anderen?
Mit aller Kraft hob ich ein Stück weit den Kopf, um das Geschehen vor mir besser betrachten zu können. Tatsächlich kniete das Großmaul ehrfürchtig vor einem Kerl neben ihm, der sich auch sogleich zu mir bewegte. Seine Kleidung wirkte eine Spur niedriger und auch der Körperbau war schmächtiger. Er konnte keinen hohen Rang innehaben, warum also hatte er hier das Sagen?
“Du gehörst jetzt mir.” Er hockte sich hin, griff mit einer Hand an mein Kinn und hob es noch ein bisschen an. “Du wirst mir viel Freude bereiten.” Es hätte mich verärgern sollen. Seine Worte. Diese Geste. Aber das tat es nicht. Nicht einmal, als sein Daumen geradezu liebevoll über meine Wange strich. Nein. Es waren seine Augen, die mich verstörten. Schwarz. Unendlich schwarz mit einem leichten silbernen Flimmern. Ich sah kein Leben darinnen, aber das konnte nicht sein. Selbst Puppen blickten einen nicht derart tot an.
“Pfirsching, sei so gut und beringe ihn. Danach kommen alle Sklaven auf direktem Weg zu mir.” Nach diesen Worten wechselte sich der vollkommen emotionslose Gesichtsausdruck des Mannes und auch das Schwarz in seinen Augen verschwand. Die Lederhaut wurde wieder weiß und es bildete sich eine Pupille sowie eine Iris, wobei letztere ein leichtes Blaugrün annahm. Das war – interessant. Genauso wie seine Reaktion auf mich. Erschrocken ließ er mich los und taumelte zurück, als wäre er zuvor nicht er selbst gewesen.
“Reiß dich zusammen!” Prompt wurde der Kerl von diesem Pfirsching am Kragen gepackt und auf die Füße gezerrt. Trotz meiner Schmerzen musste ich lachen. Dieses Machtverhältnis war einfach nur komisch.
“Gerade n-noch ... kriechst du unter-würfig auf dem Bo-den rum und jetzt ... spielst du dich hier w-wieder so auf.” Es war schwer, bei den Muskelkrämpfen zu lachen und gleichzeitig noch genügend Sauerstoff zu bekommen.
“Du wagst es immer noch?” Er bewegte sich zu mir, beugte sich herab und packte meine Haare – riss meinen Kopf empor. “Du hast deinen neuen Platz wohl noch nicht begriffen, aber keine Sorge, die Regeln werde ich dir noch beibringen.”
“Ich ... kenne sämtliche Besitz-Regeln, aber sie ... sind mir herzlich egal”, erwiderte ich und behielt mein verkrampftes Lächeln. Im Moment ging mir das ganze System der Rea mit ihren vielschichtigen Gesetzen und Strafen am Arsch vorbei. Selbst ein so wichtiges Thema wie Leibeigen auf Lebenszeit kam mir im Moment lächerlich unbedeutend vor.
Früher hätte ich mir sicherlich bereits einen Plan für diesen Diebstahl und unrechtmäßige Nutzung eines Adelsschiffes überlegt. Hätte alle Register gezogen, um die Strafen zu minimieren oder versucht, so viele Vorteile wie möglich daraus zu ziehen. Jetzt jedoch verschwendete ich keinen einzigen Gedanken daran. Ich fürchtete keinerlei Konsequenz aufgrund meines Verhaltens oder meiner Taten und das fühlte sich tatsächlich befreiend an.
“Dieses respektlose Verhalten wird dir noch vergehen.” Er ließ meine Haare los und griff in die Innenseite seines Mantels. “Mal sehen, wie dir das schmeckt.” Zum Vorschein kam ein EBS, was mich nicht wirklich überraschte. Sklaven wurden immer mit solchen Schockhalsbändern bestückt und zum Gehorsam gezwungen. Die Frage war jetzt natürlich, ob ich das zuließ und mitspielte oder mich dagegen wehren sollte. Es war schließlich kein normales Modell, das nur schocken konnte. Nein. Der Metallring war rot, was bedeutete, dass er flexibel war und sich auf Befehl hin sowohl dehnte, als auch zusammenzog. Ein Sklave konnte damit beliebig oft gewürgt und nahe des Erstickens gebracht werden. Was also tun? Warten und hoffen, dass diese Spinner mir brauchbare Informationen gaben oder dem Ganzen einfach ein Ende setzen?
Ich entschied mich für Letzteres. Schnell huschten meine Augen zu den übrigen Männern. Einer von ihnen musste etwas haben, dass mir diese Schmerzen bereitete und mich lähmend auf dem Boden hielt. Ich fand ihn auch. Der Kerl ganz rechts hielt eine silberne Apparatur in der Hand, welche mir völlig unbekannt war. Definitiv keine Schusswaffe, da die dreieckige Spitze, die unablässig auf mich zeigte, keine Mündung besaß. Auch sonst fehlten jedwede Merkmale einer Impuls- oder Laserwaffe. Gut. Zeit zu handeln.
“Hm, darauf ... verspüre ich irgendwie ... keine Lust.” Kaum ausgesprochen, ließ ich mit aller Kraft überall meine Metallklingen aus der Haut schießen. Das Großmaul vor mir wurde zurückgestoßen, da die scharfen Spitzen ihn nicht durchstoßen konnten. Eine Art Kraftfeld beschütze ihn, was mich erst verwunderte und dann nur ärgerte. Zum Glück besaßen seine Leute nicht auch noch solche Verteidigungs-Teck. Zwei von ihnen erwischte ich im Brustbereich, obwohl sie noch hastig auszuweichen versuchten, und den Typen mit dem Foltergerät durchstieß ich gleich auf doppelte Weise. Einmal diese lästige Maschine samt Hand, die sie hielt, und dann noch seinen Bauchraum.
Endlich. Der Schmerz sowie die Lähmung vergingen sofort, woraufhin ich aufsprang und gleich noch einmal nachsetzte. Gezielt formte ich aus meiner rechten Hand ein langes Schwert und hieb zuerst auf den Unverletzten links von mir ein. Er wehrte sich nicht einmal. Völlig verwirrt, überrascht und panisch hatte er mich angestarrt. Mein verlängerter Arm glitt durch ihn wie Butter und teilte seinen Körper in zwei ungleichmäßig große Stücke.
“W-was bei allen Rea?!”, keuchte der vermeintliche Anführer des Trupps fassungslos und kroch dabei zitternd rückwärts, um möglichst viel Abstand zwischen uns zu bringen. Die restlichen drei Verwundeten taten es ihm gleich, was eine gewisse Befriedigung in mir auslöste. Obwohl ich derjenige war, der immense Wissenslücken besaß und scheinbar seit Jahren nur zur Unterhaltung anderer existierte, hatten diese Leute keine Ahnung von meinen Fähigkeiten. Sie sahen das hier zum ersten Mal, dies konnte ich nur allzu deutlich in ihren Augen lesen.
“Interessant ...” Das war tatsächlich alles, was ich dazu zu sagen hatte, bevor ich nach vorne Schritt und dem Nächstbesten die Beine mit einem Lächeln abtrennte. Sein Winseln war Musik in meinen Ohren und der Anblick des pulsierenden Blutschwalls – es gab mir Macht. Ich hatte nie Spaß an Folterspiele oder ähnlichen Gewalttaten, aber das gerade fühlte sich wahnsinnig gut an. Ich war nicht ihr unbedeutender Spielball, der sich nach irgendwelchen Regeln oder Befehlen richten musste. Nein. Jetzt entschied ich über ihr Leben!
Und ihre Existenzen konnten mir egaler nicht sein. Ich zögerte zwar, den zuckenden und wimmernden Trottel vor mir zu erlösen, aber keineswegs aus Mitleid – wobei ein schneller Tod das vermutlich eher gewesen wäre. Vielmehr kreisten meine Gedanken darum, ob es bei meinem Vater auch so leicht werden könnte. Vermutlich nicht, auch wenn mein Lächeln bei der Vorstellung immer breiter wurde. Mein Puls raste, als ich für einen irrwitzigen Moment ihn dort am Boden sah. Scheiße auch! Mein Körper reagierte von selbst und hieb wie besessen auf ihn ein, dabei jede Verletzung derart gezielt setzend, dass er nicht sofort starb.
Erst ein scharfer brennender Schmerz riss mich wieder von dem blutüberströmten Fleischhaufen zurück in die Realität. Etwas hatte meinen Oberschenkel durchbohrt und als ich den Kopf drehte, erfassten meine Sinne die Waffe in den Hand eines Mannes. Gleich einem Tunnelblick existierte für mich nur diese Gefahr und was es bedeuten würde, wenn er mich damit kampfunfähig machte. Dann würde ich wieder diese Macht verlieren, die gerade jede Zelle meines Körpers durchspülte. Leere würde folgen. Ich wäre wieder ein Sklave.
“B-bleib stehen! I-ich befeh–” Das arme Würstchen kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden. Mit einer fließenden Bewegung schlug ich ihm den Kopf von den Schultern. Der Anblick hatte etwas Surreales, als würde nicht ein menschlicher Schädel auf den Boden aufschlagen und davonrollen, sondern ein ganz gewöhnlicher Gegenstand. Ein Apfel oder ein unförmiger Ball.
Fasziniert folgte ich der Bewegung, bis sie schließlich endete. Nur am Rande bekam ich neue Stimmen oder Geschrei mit, welche mein benebelter Verstand einer Frau zuordnete. Es reichte jedoch nicht wirklich, um meine Aufmerksamkeit zu fesseln. Nein. Meine Augen ruckten zu dem nächsten Kerl in diesem scheußlichen Gemisch aus Blau, Orange und Gelb.
Zwei von ihnen waren noch übrig, was mich lauthals zum Lachen brachte. Warum ich das jedoch so lustig fand, war mir selbst nicht ganz klar. Vermutlich hätte mir das sonderlich vorkommen müssen, aber auch diese Form von Befremdnis waberte nur kurz in meinem Kopf, bevor sie genauso schnell wieder verschwand.
Irgendwie hatte nichts gerade eine tiefere Bedeutung. Nichts, außer einen Wichser nach dem anderen umzubringen. Dabei völlig irrelevant, ob mein Vater sie geschickt hatte oder sie zu einem anderen Rea oder Haus oder was-auch-immer gehörten. Diese Details spielten keine Rolle, da es keine Konsequenzen gab. Nicht dieses Mal. Ich musste mir keine Gedanken um Strafen machen – weder körperliche noch finanzielle. Hier war gleichzeitig alles und nichts ein Spiel. Es gab nichts Echtes und vermutlich hatte es das auch noch nie gegeben.
Selbst meine Verletzungen juckten mich nicht länger, obwohl der zweite reißerische Schmerz sich diesmal in der Brust meldete und mit jedem Atemzug verschlimmerte. Mein Blick erfasste umgehend das Großmaul, der sogar gleich noch mal abdrückte und wohl mein bereits lädiertes Bein traf, denn ich ging einseitig in die Knie. Richtig spüren, tat ich es jedoch nicht. Es war eher eine mechanische Abfolge, genauso wie das anschließende Aufstehen.
Erneut lachte ich, ohne zu wissen, warum und sprintete auf ihn zu. Ich verschwendete keinen Gedanken an seine Verteidigungs-Teck. Was sich mir auch in den Weg stellte, würde ich schlicht durschlagen und dem Erdboden gleichmachen – so dachte ich jedenfalls. Aber ich irrte. Nichts brachte einem augenblicklich und derart nachdrücklich die Klarheit einer Selbstüberschätzung zurück, wie der frontale Zusammenstoß mit einem undurchdringlichen Hindernis.
Irgendetwas knackste gefährlich in meinem Schädel und mir wurde kurzzeitig schwarz vor Augen. Ich wankte zurück und wäre sogar gestürzt, wenn mich nicht glatte Wände aufgefangen hätten. Sehr enganliegende Wände. Leuchtende Wände. Scheiße auch! Keuchend setzte ich mich und verdrängte jeglichen Schmerz. Alles um mich herum waberte und nur schwer brachte mein Gehirn wieder die verstreuten Puzzleteile der Welt zusammen. Sinnlose Geräusche bildeten nach und nach einzelne Worte und letztlich auch brauchbare Sätze.
“... mich anscheinend falsch ausgedrückt. Ihr sollt nicht mit ihm spielen. Ich will ihn in meiner Obhut wissen.” Ich suchte nach dem Ursprung der Stimme und realisierte dabei immer weiter, dass ich in einer Säule aus schwachem blauen Licht steckte. Das war übel. Ein dreck’s Barrierengefängnis!
“Bitte verzeiht mir, ich habe Euch enttäuscht, mein Herr.” Schnell versuchte ich, zu begreifen, was passiert war. Ich erkannte verschwommen den Kerl, den ich eigentlich hatte zerteilen wollen. Er kroch abermals vor jemandem auf dem Boden und küsste ihm fast die Schuhe.
“Deine Entschuldigungen sind irrelevant. Es steht dir nicht zu, meine Hauptattraktion auszutesten”, sprach der schlaksige Mann bei ihm und schritt dicht vor die Barriere. “Diese Umgebung ist ungeeignet und wenig reizvoll.” Der Arsch musterte mich und ich war nicht überrascht, dass seine Augen wieder diese vollkommene schwarze Leere hatten, obwohl es nicht derselbe Mann war wie vorhin. Unwillkürlich hallten die Worte Augen und Ohren intensiv in meinem Inneren, die ich Dezeria immer hatte begreiflich machen wollen. Es war kein Zufall, dass ich damals exakt diese Formulierung wählte. Nein, oder? Ich wusste um die Kameras, aber gerade lief alles auf noch eine andere Möglichkeit hinaus. Eine, die mir auf erschreckende Weise klar machte, dass ich nie ein Implantat in meinem Auge hatte – wie auch meine Waffen nie welche waren. Hilfe, es reichte weiter. Viel tiefer. Scheiße! Mir wurde schlecht. So richtig schlecht.
“O großer Vielsehender, der tausend Welten. Mein geliebter Herr, bitte bestraft mich für mein Vergehen.” Das Großmaul kroch an die Seite von diesem seelenlosen Wichser und küsste ihm nun tatsächlich die Stiefel. Ich musste wirklich an mich halten, um nicht doch noch zu kotzen. “Ich werde alles tun, um Euer würdig zu sein. Hätte ich gewusst, dass –”
“Schweig.” Untermalt von diesem einen emotionslosen Wort, hob er die Hand. “Es hat mich belustigt und mir einen guten Einblick gegeben. Jetzt wo keine Beschränkungen die Richtung vorgeben, wird ein Spektakel unvergesslicher als das andere.” Sein Gelaber war mir zu viel. Ich wollte ihm nicht zuhören geschweige denn meine Rolle darin verstehen, doch mein Verstand hatte andere Pläne. Meine Sinne wurden immer schärfer und analysierten jede Kleinigkeit in Bruchteilen von Sekunden.
Mir entging nicht, dass es nun deutlich mehr Uniformierte in dieser beschissenen Farbkombi mitsamt Sanduhrsymbol gab. Mindestens elf hielten sich nun in der Halle auf. Nein, dreizehn. Zwei davon zerrten Theodor auf die Füße. Jedoch kamen sie mit ihm keinen Schritt weit, bevor er sich übergab. Da ich nicht glaubte, dass der Anblick von Blut und Gedärmen ihm zusetzte, lag es vermutlich am Fruchtsaft. Natürlich eine bescheuerte und absolut unnütze Information, aber das konnte ich nicht beeinflussen. Alles, was ich sah, wanderte in erschreckender Genauigkeit in mein Hirn. Mein Selbsterhaltungstrieb lief auf Hochtouren.
Ich sah zwei heulende Sklavinnen in der Nähe vom Eingang stehen mit jeweils einem goldenen EBS um den Hals. Sie gehörten bestimmt zu Johanna und hatten beide eine gerötete Wange, die von einem Schlag herrührte – was auch uninteressant war. Ebenso der eine Kerl, der sie bewachte oder der Verwundete da in der Ecke, dem man eine Injektionskanüle in den blutigen Brustkorb jagte und anschließend ein oranges Mittel verabreichte. Siasal. Aber zum Glück beschäftigte sich meine Beobachtungsgabe danach endlich mit etwas Nützlichem.
Waffen. Ich zählte in Windeseile acht Tab-, zwei Projektil- und fünf Schockwaffen. Der zweite Trupp war ohne Zweifel besser gewappnet. Die Rüstungen hatten sich dagegen nicht verändert. Reine prunkvolle Uniformen, ohne Schutzplatten oder ähnlichen Verstärkungen. Unwichtig. Leicht zu zerstören.
Bei der nachfolgenden Feststellung wusste ich jedoch noch nicht, was mir das brachte. Jeder Einzelne dieser Leute gehörte zu den Rea. Sie waren sich alle auf eine gewisse Weise ähnlich. Mal mehr, mal weniger muskulös, aber doch unverkennbar dieselbe Statur mit diesen perfekten Gesichtszügen.
“Bleibt die Frage, ob ich dich als Reznick oder besser als Alexander vermarkten werde. Hm. Ein neuer Name würde bestimmt für zusätzliches Aufsehen sorgen.” Seine Bemerkung ließ ich wie alles andere unkommentiert. Ich wollte die letzten Momente noch sinnvoll nutzen, bevor die unterdrückten Schmerzen, gleich einer reißenden Sintflut, über mich hinwegfegen würden.
Ich fixierte die drei schwebende Drohnen, die mein Barrierengefängnis aufrecht hielten. Die kleinen weißen Maschinen wurden von einem gleichfarbigen Tablet aus gesteuert, welches der schwarzäugige Bastard in den Händen hielt und genüsslich darauf herumtippte. Die Wände bewegten sich prompt und rückten zusammen. Er verkleinerte die ohnehin schon winzige Kammer so weit, dass mir nichts anderes übrig blieb, als aufzustehen.
“Alles Weitere übergebe ich in deine Hände, Pfirsching”, sprach er und reichte das Tablet dem Speichellecker zu seinen Füßen. Kaum hielt dieser es in den Händen, wechselten die Machtverhältnisse deutlich. Pfirsching erhob sich, wohingegen der andere Kerl zusammenklappte, als wäre er eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte.
Damit endeten auch meine Beobachtungen von Dingen außerhalb, denn – verdammte Scheiße! – mein gesamtes Gesicht mutierte zu einem gewaltigen Schmerzklumpen. Zusätzlich dazu meldete sich noch meine Brust und das rechte Bein. Ich realisierte langsam, dass ich verdammt schlecht Luft bekam und Flüssigkeit, die den beschissenen Geschmack von Blut besaß, unablässig meine Kehle hinabrang. Alles freilich keine Verletzungen, die mich umbrachten, aber ich musste meinen Körper nicht länger als nötig belasten.
Mit einem gequälten Stöhnen konzentrierte ich mich auf die Heilung und verschwendete dabei keinen einzigen Gedanken an das, was mich da wirklich heilte. Nanobots waren es bestimmt keine. Nein. Einhundertprozentig nicht.
“Hey!”, rief plötzlich Pfirsching und klopfte breit grinsend an die Barriere. “Spar dir diesen Mitleidsversuch.” Er wedelte mit dem weißen Tablet, welches ich ihm nur zu gerne aus der Hand geschlagen hätte. “Ich sehe hier deine Vitalwerte und werde dich auf keinen Fall wegen solchem Quatsch rauslassen. Du schwebst nicht in Lebensgefahr.”
“F-ick d-ich.” Verdammt tat das weh, aber die Schmerzen waren mir diese zwei Worte allemal wert gewesen. Auch sein anschließender dümmlicher Gesichtsausdruck. Unbezahlbar.
“Das wirst du noch –” Langweilig. Ich blendete das Großmaul aus und verlagerte stattdessen mein Gewicht auf das nicht brennende sowie pochende Bein. Im Stehen waren solche Wunden nach wie vor lästig zu regenerieren.
Genervt befühlte ich als nächstes Kiefer- und Wangenknochen. Dabei fiel mir das erste Mal bewusst auf, dass sich sämtliche Klingen zwischenzeitlich zurückgezogen hatten und ich kein wandelndes Messerset mehr war. Einerseits verwirrte mich meine aktuelle Prioritätenliste – denn wie verkorkst war die bitteschön, wenn ich das jetzt erst merkte? –, andererseits wallte Unsicherheit in mir auf. Konnte die Barriere diese Kraft so leicht unterdrücken?
Nein. Zum Glück funktionierte noch alles bestens. Mit Leichtigkeit wandelten sich die Finger meiner rechten Hand in kleine sichelartige Krallen. Pure Erleichterung löste der Anblick in mir aus, wohl aber weniger bei meinem Aufpasser. Das Großmaul verzog kaum merklich das Gesicht und tippte danach auf dem Tablet herum. Vermutlich um die Einstellungen zu prüfen. Süß. Deutlich konnte ich noch den Schock von vorhin in seinen Augen lesen. Mich würde er also nicht noch einmal unterschätzen. Dumm nur, dass er es jetzt bereits mit der Barriere tat. Das Ding würde mich nicht ewig halten können. Diese Drohnen-Modelle hatten Spannungsintervalle, die bei einer gewissen Belastung instabil wurden.
Unweigerlich musste ich lächeln, was mir aber gleich wieder schmerzhaft ins Gedächtnis rief, dass ich ja eigentlich noch etwas anderes machen wollte. Die Grenzen meines Gefängnisses konnte ich auch immer noch ausreizen, wenn ich vollständig Genesen war.
Plötzlich ertönte wirres Gebrüll und Geschrei, wodurch meine Augen automatisch zur Tür schweiften, die vom Verladeraum in den Flur und somit in das innere des Hapanthmas führte. Es gab nur zwei Sachen, was diese Männer derart panisch Brüllen ließ und auch den Rest der Meute mobil machte. Entweder hatte Heka sich bequemt, auch mal was zu tun, oder aber, der Herr aus Wasser und Feuer und was-weiß-ich-noch-alles hatte seinen Arsch hochgekriegt. Theoretisch wäre Johanna auch noch möglich, aber derart benebelt wie sie gewirkt hatte, bezweifelte ich dies.
Keine Sekunde später spülte eine ordentliche Welle eine Handvoll Uniformierte in die Halle, was damit die Frage klärte, wen die Hampelmänner zum spielen gewählt hatten.
“Was ist da los?!”, brüllte der Anführer dieser Versager und packte sich einer der klitschnassen Männer, um ihn durchzuschütteln. “Ihr sollt die Sklaven holen und nicht irgendwelchen Unfug mit dem Wassersystem des Schiffes treiben!”
“D-Da ist ... Das waren wir nicht! Da ist ein weißer nackter Kerl mit blauen Augen! Er-er lenkt das Wasser! Es ist keine Teck, wir haben ihn mit einem EMP beschossen, aber ohne Erfolg! Er kann sogar brennen ... In-in blauem Feuer!”
“Fasel nicht so einen Unfug! Holt eben noch ein BRG und sperrt ihn ein! Von mir aus könnt ihr ihn auch betäuben, es ist mir gleich! Hauptsache ihr macht es SOFORT!”
“W-wie Ihr befiehlt”, keuchte der Durchnässte und stolper-rutschte sich seinen Weg zurück in ihr eigenes Schiff, während das Großmaul wiederum mich wütend ansteuerte.
“Wovon hat er da gesprochen, hm?! Wer außer dir ist hier noch so ein Sonderling?”
“Was fragst du mich das?” Ehrlich. Innerlich lachte ich mich tot. “Ich bin hier doch nur Deko.” Hilfe, ich konnte nicht mehr. Es schmerzte, trotzdem wurde mein Grinsen immer breiter.
“Ich sah es ebenso. Der Essenzträger aus dem Oswelat lebt noch. Äußerst interessant.” Wie aufs Stichwort trat erneut ein Mann mit schwarzen Augen vor. Mittlerweile war ich mir sicher, dass diese Kontrolle bei jedem hier möglich war. Irgendwo hockte ein höherer Rea, sah uns zu und konnte nach Bedarf den Körper übernehmen. Ob mein Vater das bei mir auch konnte, wenn er es wollte? Diese Vorstellung war widerlich und verpasste mir einen unheimlichen Schauer. Vertrieb sofort jedweder Heiterkeit.
“Mein Herr? Ein Essenzträger?”, fragte Pfirsching kleinlaut und kroch am Boden rum, wie das Ungeziefer, welches er eigentlich war.
“Ja. Zu Schade.” Schwarzauge sah kurz zu mir und anschließend zu seinen Schuhen. “Er ist wichtiger. Verlade mein Spielzeug und begibt dich auf direktem Port zur Bastion.”
“Werde ich!” Pfirsching erhob sich huldvoll und drehte sich zu seinen Männern, die immer noch gegen Wassermassen anzukämpfen versuchten. Zerian hatte wohl keine Lust, dass noch weitere dieser Gestalten ihn belästigten und blockierte eindrucksvoll den Durchgang mit einer flüssigen Wand.
“Hört auf da rumzuplanschen! Schnappt euch die bereits eingefangenen Sklaven und schafft sie weg. Der Rest wird sich mit mir neu Formieren und –”
“Pfirsching, du missverstehst.” Schwarzauge legte ihm eine Hand auf die Schulter, woraufhin der hochgewachsene Mann buchstäblich auf die Knie sank.
“Mein Herr? Verzeiht, womit habe ich –”
“Du musst sofort aufbrechen.”
“Sofort? Aber ... Euer Eigentum? Ich werde –”
“Sofort ist bereits untertrieben. Zerstörte dieses wertlose Hapanthma beim Abflug. Vielleicht verschafft es dir die nötige Zeit, um zu überleben.”
“Ich verstehe ni–”
“Der König ist nicht wie erwartet bei der Versammlung der Augonen und weiß von dieser Einmischung. Dein letztes Spiel hat somit begonnen, Pfirsching.” Die Marionette taumelte zu Boden und hielt sich den Kopf, was jedoch nichts im Vergleich zu den Reaktionen des Großmauls war. Hatte er sich vorhin schon meinetwegen fast in die Hosen geschissen, erreichte seine Angst nun ein ganz neues Level. Sämtliche Farbe wich ihm aus dem Gesicht und ein markerschütterndes Zittern erfasste seinen gesamten Körper.
“A-aufbruch! JETZT!” Er brauchte einige Anläufe, um auf die Beine zu kommen. “Bewegt euch! Wer nicht an Bord ist, wird zurückgelassen!” Unbeholfen wandte er sich zu mir und versuchte, auf dem Tablet irgendetwas hektisch einzutippen. Die verwirrten Nachfragen seiner Leute ignorierte er.
“Na? Verläuft nicht alles nach Plan?” Ich lehnte mich gemütlich an die Barriere und fasste mir grinsend an den Nasenrücken. Kontrollierte den Heilungsvorgang, welcher fast abgeschlossen schien.
“Schweig still!”, erwiderte er und würdigte mich keines Blickes, stattdessen versank er geradezu panisch in der Menüoberfläche.
“Soll ich dir vielleicht helfen?” Ihn zu verspotten machte wahnsinnigen Spaß und obwohl es in dieser Situation zweifellos um meinen Vater ging, belastete es mich nicht. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, ob er jetzt doch noch kommen würde. Nein. Vielmehr genoss ich das chaotische Treiben um mich herum.
“ABMARSCH!”, brüllte Pfirsching keinen Moment später, woraufhin ein leichter Ruck durch mein Gefängnis ging und sich die Drohnen in Bewegung setzten. Er transportierte mich direkt in sein Schiff, was mir nur recht war. Das Ding zu übernehmen sollte nicht allzu schwer werden und dann konnte ich mich ganz in Ruhe dem Problem widmen, welches sich da mein Leben nannte. Es galt haufenweise Wissen zu überprüfen und vor allem nachzuholen. Dahingehend würde mir der Abstand zu Heka wahrlich guttun. Keine Manipulation. Keine fremde Beeinflussung.
“Uff ...” Tief atmete ich durch. Vielleicht tat ich auch vorerst einfach mal gar nichts und schlief eine Runde in meiner privaten Zelle. Die Regeneration hatte mich viel Energie gekostet und selbst die vorangegangenen Eskapaden sowie das fehlende Essen und Trinken machten sich nun überdeutlich bemerkbar.
Ich war nicht auf der Höhe, brauchte aber meine gesamte Kraft für die kommenden Auseinandersetzungen. Nicht unbedingt nur mit meinem Vater. Irgendwie verspürte ich große Lust, dem Rea mit dieser Schwarzaugen-Fähigkeit auf die Füße zu spucken und sicherlich gab es da auch noch den ein oder anderen, der ebenso meine persönliche Aufwartung verdiente. Es galt jahrelange Erniedrigung auszugleichen. Dafür konnte man nicht genug Reas töten.