Ich erwachte. Langsam blickten meine verschlafenen Augen auf den Tisch vor mir. Dieser war gedeckt mit allerhand bunten Früchten. Verwirrt blinzelte ich und realisierte, dass ich wohl auf einem Sofa lag. Ein Ruck ging durch meinen Körper, als ich mich wieder erinnerte. Reznicks Vater war bei mir gewesen. O Gott!
Sofort rappelte ich mich auf und erschrak, als ein Mann von der Seite in mein Sichtfeld trat. Er war das! Ich war wie gelähmt und kauerte mich ängstlich auf der Sitzfläche zusammen. Gott, schnell zog ich noch den Mantel enger und war unglaublich dankbar, überhaupt noch all meine Sachen am Leibe zu haben.
Doch entgegen meiner Erwartung stellte er lediglich eine schwarze Tasse vor mir auf den Tisch und nahm danach mir gegenüber auf einem weiteren Sofa Platz. Verwirrt sah ich ihn an und stellte jetzt bei dem ganzen Licht erschreckenderweise fest, dass er unglaublich jung aussah. Wie alt war er denn bitteschön? Reznick konnte nicht älter als 25 Jahre sein. Und dieser Mann dort auch nicht. Hatte mich sein Vater also doch nur woanders hingebracht? War er wieder gegangen? Sollte ich also doch besser versuchen abzuhauen?
Unauffällig versuchte ich, mich in diesem Raum umzusehen und – Moment, war ich hier etwa bei Reznick? Erst jetzt erkannte mein noch leicht benebelter Verstand, dass es dieselbe Einrichtung war. Sein Zuhause! Ein angenehmes Hellgelb schmückte die Decke und der Boden war blau wie das Wasser. Auch dieses magische blau-grüne Licht gab es. Ja! Kein Zweifel, ich war bei ihm. Dann war das da also ein Verbündeter? War er das? Ein Freund? Wobei. Unweigerlich lief mir ein Schauer über den Rücken, als ich ihn wieder ansah und seine dunklen Augen sich in meine bohrten. Ich fühlte mich einfach nur unwohl von ihm so angestarrt zu werden.
“Trinkt aus”, sagte er in einem unmissverständlichen Befehlston und deutete mit einem Wink auf die Tasse. Ich blickte kurz darauf und dann erneut zu ihm. “Nein, danke. Ich habe keinen Durst.” Bemüht ruhig legte ich meine zitternden Hände in den Schoß. Ich wollte ihn nicht verärgern, aber sicherlich auch nicht davon trinken. Ich traute ihm irgendwie nicht. Sein Gesicht zeigte kurz Überraschung und dann ein spöttisches Lächeln.
“Das war keine Bitte. Zudem werde ich den Tee sicherlich nicht für dich vorkosten, so wie es mein Alexander tat”, sprach er weiter und nahm sich geschmeidig von einem Beistelltisch ein Glas mit einer roten Flüssigkeit. “Alexander?”, fragte ich dagegen nur verwirrt. “Verschon mich mit diesen einfältigen Fragen. Ich werde gewiss nicht diesen lächerlichen Namen benutzen, den er unerlaubt trägt.” Er sah wieder zu mir, überkreuzte die Beine und schwenkte das Weinglas. Er saß da, wie ein wahrer König und sein Blick hatte etwas Warnendes. Gott, er sah Reznick wirklich verdammt ähnlich. Ein attraktives schmales Gesicht und einen schlanken durchtrainierten Körper. Einzig die Frisur passte nicht ganz. Er trug kurz geschnittene blonde Haare, die unglaublich exakt frisiert waren, anders als Reznick, der fast immer so einen verrückten Zopf hatte. Vielleicht war das ja sein Bruder.
“Wer sind Sie?”, fragte ich schließlich verunsichert und erntete dafür gleich einen kalten Blick seinerseits. “Warum tust du nicht einfach, was man dir sagt?” In seinen Worten schwang so unglaublich viel Verachtung mit, dass ich sofort eine massive Gänsehaut davon bekam. “Überspringen wir doch deine einfältigen Fragen und kommen zu dem, warum du hier bist.” Er trank einen kurzen Schluck und lehnte sich gemütlich zurück. “Du lockst einen Wasser- oder auch Eiselementar hervor, was mich ehrlich überraschte. Hier gab es schließlich keinen und normalerweise geschieht solche Reaktion nur, wenn dergleichen Essenz im Spiel ist. Essenz, versteht das dein primitiver Verstand? Du gehörst aber nicht zu den auserwählten Kindern, dies habe ich bereits überprüft. Warum also hat dein Leben eine Bedeutung für einen Elementar? Für gewöhnlich sind Nonres doch nichts weiter als Ungeziefer.”
Ich schluckte schwer an seinen Worten, jedes davon noch kälter als das vorherige. Was meinte er bloß mit Blut, auserwählten Kindern oder Nonres? Ich wusste es nicht, aber ihn zu fragen, traute ich mich nicht. Er wirkte unglaublich einschüchternd, dominant und herrschaftlich, was mich demütig den Blick senken ließ. Alles in mir schrie regelrecht, bloß schnell wegzulaufen. Einfach nur weg von diesem Mann, der nichts als Gefahr offenbarte. Er konnte nur Reznicks Vater sein. Ja, ich hatte keine Zweifel. Ich wusste nicht, warum er ihm so verflucht ähnlich oder auch so jung aussah, aber er war es definitiv! Das war das Monster, welches Reznick töten wollte! Wovor er mich beschützen wollte! Und bei dem ich jetzt saß – O GOTT!
“Sieh an, etwas Erziehung scheinst du ja doch zu besitzen. Verblüffend.” Ich blickte wieder zu ihm auf und sagte nichts zu seinem Spott. Warum auch? Dass ich schwieg, schien ihm ohnehin zu gefallen und es war vermutlich besser, ihn nicht zu reizen. Ich bezweifelte zudem stark, dass er mir überhaupt etwas Sinnvolles oder Verständliches erwidern würde.
Nach einem kurzen Moment des Schweigens prostete er mir zu und trank noch ein Schluck, bevor er erneut das Wort ergriff: “Nun, wo war ich? Ach genau. Dein Hiersein. Du bist mir auf zweierlei Arten nützlich. Zum Einen wegen des Elementars und zum Anderen für meinen geliebten Sohnemann. Er ist schwer zu kontrollieren und steht meinen Befehlen äußerst widerwillig entgegen. Verweigert sich mir. Verrückt, ich weiß.” Ich runzelte irritiert die Stirn, weil ich nicht verstand, was er mir damit sagen wollte.
“Lass dieses unwissende Gesicht, derart schwer zu begreifen ist das nicht! Warum, bei allen Heiligen, musst du nur zu dem niederen Bauernvolk gehören? Aber. Ich kann dir verzeihen ...”, er nahm einen gefährlich langen Atemzug. “Es hat schließlich auch was Positives. Aufgrund deines billigen Status einer Sylfiur kann ich das intensive Interesse an dir schnell abwiegeln. Dich für mein großes Vorhaben benutzen. Du wirst mir doch nützlich sein, nicht wahr?” “Nützlich?”, fragte ich verwirrt, obwohl ich es gleich bereute. Gott! Sein emotionsloses Gesicht, welches er binnen Sekunden aufsetzen konnte, machte mir mehr Angst als alles andere.
Er starrte mich lange nieder, bevor er abschätzig schnaubte. “Nützlich. Für einen bestimmten Zweck brauchbar. Wobei ich diesen Zweck vorgeben werde und du wirst dich dem voll und ganz fügen”, sagte er genervt und erhob sich. “Deine Gene habe ich bereits durchgesehen und sie sind besser, als man es bei Gewürm wie deiner Blutlinie erwarten würde. Vielleicht bist du ja tatsächlich als eine Art Franükade brauchbar. Wer weiß. Das wird sich erst später zeigen.” Ich schluckte mehrfach nervös. Das konnte doch nicht wahr sein!
“Ihr w-wollt mich auch f-für Nachkommen benutzen?”, stotterte ich und erhielt sofort einen tödlichen Blick seinerseits.
“Das sagte ich doch klar und deutlich. Verstehst du keine einfachen Worte? Rede ich etwa undeutlich?” O bitte nicht! Er kam mit erhobenem Haupt auf mich zu. “Ach, ich vergaß deine beschränkte Auffassungsgabe, aber dein niedriger und wertloser Stand sei dir verziehen. Du bist ausgesprochen wichtig für mich, wodurch du dich unendlich geehrt fühlen darfst. Du bist die perfekte Schachfigur auf meinem Spielbrett, damit alles wieder in seinen geregelten Bahnen verläuft. Damit ich bekomme, was ich will.” Gott! Er hockte sich vor mir und umfasste meine zitternden Hände. Ich konnte mich einfach nicht bewegen vor lauter Panik.
“Mein Sohn wird durch dich hoffentlich etwas Demut lernen und endlich gehorchen. Wenn er sich zusammenreißen kann, brauchen wir vermutlich diese ganzen Spielereien nicht länger. Wäre das nicht schön? Man könnte sich mit anderen, erfreulicheren Dingen beschäftigen. Sofern du dich ihm nicht verweigerst. Du willst doch, dass ich zufrieden bin, oder?” Er umfasste mit einer Hand fest meinen Kiefer. Brachte meinen Kopf zum Nicken.
“Natürlich willst du das. Wollen wir nicht alle ein erstrebenswertes Leben? Teil einer Familie sein?” Er ließ mich wieder los. “Natürlich. Und es ist leicht, wenn alle nur das tun, was ich sage. Was ich will. Mein Alexander wird zu seinem Blut zurückkehren – zu mir, seiner Familie zurückkehren. So wie auch du nun ein Teil davon wirst. Dein Name soll fortan Henriette heißen, meine Liebe. Eigentlich eine viel zu große Ehre für dich, von mir höchstpersönlich einen neuen zu erhalten, aber meine Frau hat nun ja diese gewisse Eigenart, etwas zu benennen. Von meinem aufmüpfigen Sohn ganz zu schweigen. Du gehörst ab sofort ganz und gar zum Hause Weckmelan, vergiss das nicht. Heißt, du wirst dich benehmen und tun, was man dir sagt. Was ich sage!” Seine braunen Augen funkelten bedrohlich und der pure Klang seiner Stimme versprach mir nichts als Schmerz, wenn ich ihm nicht gehorchen würde. Dennoch weigerte ich mich, dem zuzustimmen. Er konnte das doch nicht einfach alles so selbstgefällig befehlen! Das war immer noch mein Leben!
“Hm? Sehe ich da Widerstand in dir?” Er musterte mich gründlich. “Das gewöhn dir mal schnell ab. Oder sind es Bedenken wegen deiner Heirat? Sei unbesorgt. Die Vermählung mit diesem Adligen ist bedeutungslos. Dein altes Leben existiert nicht mehr länger. Mein Wort ist Gesetz. Das mit deinem derzeitigen Ehemann regel ich mit Leichtigkeit. Deine alleinige Aufgabe wird es von heute an sein, mir zu gehorchen! Hast du verstanden, Henriette?” Er drückte meine Hände kurz, als wollte er eine Zustimmung von mir. Gott! Ernsthaft? Der war verrückt! Ich sollte jetzt zu seiner Familie gehören? U-und Kinder kriegen?! Nein. O nein!
“Gut. Wo wir das geklärt haben ...” Er drehte sich herum und griff nach der Tasse. “Du bist bereits schwanger. Doch diesem unbedeutenden Wurm fehlte offensichtlich die Erlaubnis seines Herrn. In deinem Körper wurde das Sistek nämlich nicht entfernt. Daher wirst du das hier austrinken und danach können wir gleich damit beginnen, deine DNA von sämtlichen Parzellenmanipulationen zu reinigen.” Er reichte mir das Trinkgefäß, aber ich war viel zu geschockt, um danach zu greifen.
“I-ich bin schwanger?” Etwas anderes war von seinem Gesagten nicht in meinem Verstand hängengeblieben. Dafür schockierte es mich zutiefst.
“Trink. Es ist notwendig”, sprach er schroff und hielt mir die Tasse bestimmend vors Gesicht. Bei den Monden, konnte ich ihm glauben? Nein. Konnte ich nicht, aber warum erzählte er mir das alles so unverblümt? Was bezweckte er damit? Ich konnte doch nicht wirklich schwanger sein.
“Was ist da drinnen?”, fragte ich verunsichert, weil mir in diesem Augenblick nichts Besseres einfiel. Ich war mit der Situation vollkommen überfordert. Woher wusste er eigentlich, dass ich schwanger war? Wo steckte überhaupt Reznick?
“Trink das jetzt!”, forderte er nun sichtlich verärgert und schob mir den Rand an die Lippen. “Nein!”, schrie ich und stieß ihn von mir, wodurch ein Teil der Flüssigkeit auf meinem Schoß landete. Er erhob sich sofort und blickte dabei so unglaublich finster auf mich nieder, dass ich am liebsten im Boden versunken wäre. Ich rechnete fest damit, das er mich nun schlagen würde, aber er stellte lediglich die Tasse zurück auf den Tisch.
“Henriette ...”, begann er seufzend und schritt gemächlich zurück zu seinem Sofa, “du bringst dich mit diesem Verhalten in eine äußerst prekäre Situation. Mir zu widersprechen ist äußerst ungesund.” Ich schluckte an dem Kloß in meiner Kehle und sah besorgt dabei zu, wie er sich noch einmal Wein einschenkte. Seine vollkommene Ruhe dabei brachte mein Herz zum Rasen.
“Du willst mich doch nicht ernsthaft erzürnen, oder? Sieht so dein Gehorsam aus? Ich habe dich vor wenigen Minuten erst in unsere Familie aufgenommen und das ist der Dank dafür? Du hast meinen Wünschen zu entsprechen. Mir folge zu leisten. Also. Sei ein braves Mädchen und trink den Inhalt der Tasse aus. Freiwillig.” Er deutete Richtung Tisch und prostete mir zu, ehe er einen kleinen Schluck trank. Ich verstand aber nicht, was er jetzt von mir wollte. Ich werde dies – was auch immer es war – gewiss nicht trinken! Mich verwirrte allerdings noch viel mehr, dass ich es freiwillig tun sollte. War das hier wieder so ein Spiel?
“Ich will mit Reznick sprechen!”, forderte ich, da es mir jetzt reichte. Aber das beeindruckte ihn nicht. Ein lautes Lachen erklang. Ein unechtes sarkastischen Lachen. Gott! Er hatte mir mit seinem unheimlichen Gerede schon genug Angst eingejagt. Warum versuchte er, immer noch unsympathischer zu werden? Mein Unwohlsein konnte er schließlich nicht weiter steigern.
“Für den Ausspruch dieses Namens wirst du gewiss heute noch deine Zunge verlieren.” Oh. Konnte er doch. “Für mein Vorhaben wird dein Körper auch ohne ein vorlautes Mundwerk reichen.” Er lächelte mich an und ließ seine Augen langsam über meinen Körper wandern. Gott! Ich verschränkte meine Arme vor der Brust, weil ich mich in diesem Moment so fürchterlich nackt fühlte.
“Was denkst du, ob es meinen Sohn kümmern wird, wenn ich ihm dieses Teil von dir schicken werde? Ob er dabei etwas empfindet?” “Da-das kann doch unmöglich Euer Ernst sein!”, schimpfte ich mit mehr Mut als Verstand. Er wollte mich sicherlich nur verunsichern und ängstigen. So verrückt konnte er doch nicht sein, oder?
“Wo ist Reznick?!”, rief ich panisch, da ich mir anders nicht mehr zu helfen wusste. “Reznick? Hörst du mich?!” Ich stand auf und sah mich hektisch um. Er musste doch hier irgendwo sein! Musste einfach! “Reznick!? Antworte!”
“DAS GENÜGT!”, donnerte die herrische Stimme seines Vaters durch den Raum und brachte mich kurz zum Erstarren. Gott, dieser Mann war gefährlich und dass er sich jetzt wutschnaubend erhob, machte es nur noch schlimmer. “Es reicht mir mit dir!”, knurrte er genervt und ging zu einem Schrank. “Vielleicht werden ein paar Strafen dir Gehorsam einflößen. Du sollst sputen, wenn ich dir etwas auftrage. Hier wird grundsätzlich gemacht, was ich vorschreibe und nichts anderes!” “Lasst mich doch einfach gehen!”, schrie ich und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Ich musste hier weg! Aber wie?! Gott! Wie nur?!
“Heka?! Mach bitte die Tür auf!”, sprach ich, als es mir endlich wieder einfiel. Die Rea-Technik musste doch hier sein. “Bitte ruf Reznick! Schnell! Sein Vater ist hier!”, rief ich querbeet in der Hoffnung, es würde etwas nützen. Jedoch. Außer, dass der Verrückte da hinten lachte, geschah nichts. Hilfe, was machte ich nur falsch?!
“Deine Zunge ist definitiv dran. Oder besser gleich deine Stimmbänder?”, sprach er belustigt mit einer Spritze in der Hand. Er wollte mich betäuben! “Lass mich raus!”, donnerte ich als Nächstes panisch gegen eine glatte Stelle an der Wand. Hier musste doch die Tür sein! Los öffne dich! BITTTEEE!
Er kam schnellen Schrittes auf mich zu. Ich flüchtete hinter ein weiteres Sofa. Alles, was handlich genug war, nahm ich währenddessen und warf es ihm entgegen. Er wich den Dekorationsgegenständen allerdings mühelos aus und eine wirkliche Waffe konnte ich auf die Schnelle auch nicht finden. O Gott! Reznick! Wo bist du nur?!
Mein Herz raste fürchterlich, mein Atem überschlug sich und als ich gerade so etwas wie eine Lampe zu meiner Verteidigung ergriff, hatte er mich dann. Ein kräftiger Ruck an meinen Haaren zog mich schmerzlich zurück. Gott, war der stark! Ich schrie auf, als er meinen Kopf danach zu sich emporriss. Er brauchte trotz meines Gewichtes nur einen Arm dafür, ohne, dass es ihn sichtlich anstrengte.
“Schlaf schön”, hörte ich es dumpf zwischen meinen ganzen Schreien und ich wusste nicht wie, aber ich schaffte es tatsächlich, ihm die Spritze aus der Hand zu schlagen. Was mir wiederum im selben Zuge eine saftige Ohrfeige einbrachte. Kurz wurde es schwarz vor meinen Augen, aber ich riss mich zusammen. Wenn ich jetzt nicht mit meiner ganzen Kraft kämpfte, war sowieso alles verloren! Gott! Meine eine Gesichtshälfte brannte wie Feuer, war aber nichts im Vergleich zu meinen immer schlimmer werdenden Kopfschmerzen von seinem brutalen Griff in meinem Haar. Er ließ auch einfach nicht locker, zwang mich auf Zehenspitzen vor ihm stehen zu bleiben.
“Das wird dir noch leidtun, meine Liebe”, knurrte er finster, aber das beeindruckte mich nicht mehr länger. “Lass mich los du Monster!”, brachte ich noch hervor, ehe auch schon seine freie Hand an meiner Kehle landete und unbarmherzig zudrückte. Ich keuchte, schnappte nach Luft und versuchte, ihn zu treten. Fast hätte ich auch seine empfindlichen Weichteile getroffen, aber eben nur fast. Er drehte mich immer geschickt von sich weg.
Tränen rannen unaufhörlich aus meinen Augen und verzweifelt sah ich in sein Gesicht, welches keinerlei Regung zeigte. Er wartete, wurde mir in diesem Moment bewusst. Er wollte mich nicht töten, denn dies hätte er mit seiner Muskelkraft längst gekonnt. Er wollte nur, dass ich ohnmächtig wurde. Und ja, ich wurde schwächer, das spürte ich deutlich. Mir ging der Sauerstoff aus. Ich wollte es nicht, aber meine Bewegungen erlahmten, ich – ich konnte nicht mehr. Es war vorbei.
Schwarz. Meine Augenlider flatterten – nein – das Licht tat es von selbst. Benommen sah ich, wie Reznicks Vater sich verwirrt umsah und plötzlich aufhörte, mich zu würgen. Bei Gott! Danke! Hektisch sog ich sofort Luft in meine brennenden Lungen und dann krachte es. Der Boden wankte, nur für den Bruchteil von Sekunden, wodurch er mich vollkommen losließ. Erschöpft sowie immer noch schwer keuchend, stürzte ich zu Boden und mit einem Mal, war der ganze Raum voller Eis. So schnell konnte ich gar nicht reagieren, wie unzählige blanke Stäbe aus jeder Richtung durch die Wände jagten.
“Das ist nicht möglich!”, schimpfte Reznicks Vater wütend und ich sah deutlich, wie Blut an seiner Kleidung herablief. Drei Eisdornen hatten ihn am Brustkorb aufgespießt, aber anstelle sich vor Schmerzen zu winden oder sonst eine Reaktion auf diese Verletzung zu zeigen, sah er mich einfach nur hasserfüllt an. “Das wirst du mir büßen, Henriette”, sagte er verrückterweise mit einem Lächeln. Er tat mir nicht leid, aber ihn so sehen zu müssen, brachte unweigerlich die Übelkeit zurück.
“Wieso hast du immer Schmerzen?”, sprach es plötzlich hallend, was mich zusammenzucken ließ. Ich hätte wohl auch geschrien, aber für sowas hatte ich nun echt keine Kraft mehr. Eigentlich war es auch keine wirkliche Überraschung, nun Zerian zu erblicken. Der Mondgott, welcher sich immer dann zeigte, wenn es ihm gerade in den Kram passte. Toll. Ich antwortete ihm auch nicht – vielleicht bildete ich mir diesen ganzen Horror nur ein. Alles davon. Als er sich allerdings hinhockte und mich berühren wollte, schrillten in mir alle Alarmglocken.
“Fass mich nicht an!”, schimpfte ich, einfach weil ich gerade diesen Abstand brauchte. Hatte man immerhin noch vor einem Moment mich zu erwürgen versucht.
“Wahrlich ... du bist die perfekte Schachfigur ... Das wird noch lustig!”, sprach Reznicks Vater kurz darauf wie im Wahn, ehe sein Körper vollkommen erschlaffte. Gott! War er wirklich tot? Es erleichterte mich, aber als mein Blick erneut das ganze Blut erblickte – ich übergab mich. Zerian stand derweil teilnahmslos daneben und sah mir dabei zu. Also wirklich.
Nachdem mein Magen sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, versuchte ich aufzustehen. Ich wollte keinen Augenblick länger hierbleiben. Gott, war das schwer! Ich wankte fürchterlich. “Ich will dir helfen”, sprach der emotionslose Eisbrocken von einem Mann und hielt mir seine Hände hin. Ich ergriff sie, andernfalls wäre ich wohl umgekippt. Ich versuchte nicht, wie ein kleines Mädchen loszuheulen, als er mich auf seine Arme hob. Mein Körper war noch durchflutet von Angst, auch wenn ich wusste, dass er mir nichts tun würde. Unweigerlich begann ich zu zittern und mehr noch, als ein ohrenbetäubender Lärm über uns hinwegfegte.
Nun hing ich wirklich verstört in seinen Armen. Er hatte den gesamten Raum mit seinem Eis zerrissen. In Sekunden wurde es schwarz und wir standen draußen. Ich konnte nicht viel erkennen, aber ich spürte den Wind in meinem Gesicht. Nach einigen Augenblicken erkannte ich auch den Sternenhimmel über uns und schwach den Mond hinter den Wolken. Zerian stapfte irgendwohin. Ich wollte erst fragen, aber mir fehlte ehrlich die Kraft. Ich wollte wenigstens für einen Moment etwas auf seinen Armen ausruhen. Nur ein bisschen.