╬Reznicks Sicht╬
“Mir geht es gut.” Eine Lüge, das wussten wir beide und doch, ich wollte nicht, dass sie sich um mich sorgte. Wie es ihr ging, war schließlich viel wichtiger!
“Von mir die Wahrheit verlangen aber selbst nicht ehrlich sein ...” Dezeria umfasste vorsichtig mein Gesicht. Ihre kalten weichen Hände fühlen sich unfassbar gut auf meiner erhitzten Haut an. Ich unterdrückte ein wohliges Seufzen, konnte aber nicht verhindern, dass meine Muskeln vor Erschöpfung zitterten und mir die Augen zufielen. Alles geriet ins Wanken. Verdammt, ich war so am Ende, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Nur mit Mühe und Not hielt ich mich aufrecht. Am liebsten wäre ich einfach in ihren Armen zusammengebrochen. Aber das ging nicht. Diese Schwäche durfte ich nicht zulassen.
“Ich sagte dir doch schon, ich heile. Das tue ich immer. Du dagegen ...” Ich zwang mich, meine tonnenschweren Lider wieder zu öffnen. Wütend starrte ich auf diese grässliche schwarze Verbrennung, die sich großflächig über ihre rechte Schulter zog. Vergessen war dabei die Tatsache, dass sie nur in Unterwäsche vor mir stand. Allein ihre Verletzung hatte meine Aufmerksamkeit. Feine Blutstropfen drangen verstärkt an einigen Stellen daraus hervor. Die Wunde verschlimmerte sich und damit auch die Last auf meiner Seele. “Ich habe dich nicht beschützt. Dass er dich getroffen hat, ist unverzeihlich.” Was, wenn mein Vater sie das nächste Mal tötete?
“Gott, hör auf damit.” Sie zog verärgert die Brauen zusammen, was einige niedliche Falten hervorbrachte. “Es ist ein Wunder, dass er dich nicht getötet hat!” Ihr Gesicht glättete sich wieder und machte einem bedrückten Lächeln Platz. “Die Verbrennung oder was das da auch immer ist, überstehe ich schon. Es sieht nur so schrecklich aus, weil meine Haut so hell ist.” Ich las die Lüge in ihren schneeweißen Augen. Das zärtliche Streicheln ihrer Finger in meinem Gesicht konnte mich nicht genug ablenken. Auch nicht ihr flüchtiger Blick auf meine Lippen und dem schüchternen Gedanken darüber, dass sie mich küssen wollte, sich aber dann doch nicht traute. Sie wollte sich und mich ablenken – wollte nicht zeigen, wie sehr der Schmerz ihr langsam aber sicher zusetzte. Und das war ein gewaltiges Problem. Was, wenn diese Essenzwunde ihr noch weiter schadete?
Missmutig sah ich zu der verfluchten Maugeri rüber, die uns noch immer regungslos beobachtete. Ich hasste dieses Ding und platzte beinahe vor Wut bei ihrem Anblick. Wenn sie nicht derzeit meine einzige Informationsquelle wäre, hätte ich sie schon längst zweigeteilt. Wobei ich mir da auch nur selbst etwas vormachte. Ich brauchte sie eigentlich nicht. Die Puppe konnte mich nach Belieben anlügen, ohne, dass es mir auffiel und dies machte jede ihre Aussagen unbrauchbar. Warum also ließ ich sie trotzdem am Leben?
Zu meinem Leidwesen war die Antwort darauf erschreckend einfach. Ein Teil von mir glaubte fest daran, dass es sich hierbei um Heka handelte, denn in dem Ding steckte alles, aber gewiss keine simple KI. Ihr Verhalten und ihre Worte waren untypisch. Sicher, man konnte Verhaltensmuster programmieren, aber so? Nein. Ihre abnormen Reaktionen waren viel zu eindeutig gewesen. Sie wusste genau, was sie sagen oder wie sie sich geben musste, damit ich ihr zuhörte. Das da war irgendwie Heka. Die Frage war jetzt nur, ob sie sich bewusst vor mir versteckte und sich als Servicemaschine ausgab oder mein Vater sie nun umprogrammiert hatte.
Die erste Variante wäre äußerst feige, aber in Anbetracht meines derzeitigen Hasses auf sie wohl die beste Lösung. Die ganze Scheiße zwischen uns würden wir später besprechen und aufarbeiten. Oder eben nicht. Was das anging, hing ich noch immer in einem Zwiespalt fest. Sie hatte mich auf so viele Ebenen belogen und sollte jetzt noch meine Mutter sein? Nein. Das wollte ich nicht glauben. Konnte ich nicht. Wie sollte ich damit bloß jemals klarkommen? Es tat so unglaublich weh.
Vielleicht wäre es sogar ganz gut, wenn mein Vater ihren Speicher geleert hatte. Ein Neuanfang. Oder? Machte es das besser? Schlechter? Verdammt, ich wusste es nicht. Am liebsten wollte ich sie vergessen – sie in dasselbe finstere Loch meines Verstandes werfen, in dem auch schon mein Vater steckte. Ja. Das wäre am einfachsten. Wenn sie im Auftrag meines Vaters handelte oder er die Puppe gleich selber steuerte, nur um mich zu verarschen, damit konnte ich umgehen. Dergleichen war ich gewohnt.
Alles, was rein meinen Vater betraf, konnte mir egaler nicht sein. Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst war, hatten wir mittlerweile den Punkt überschritten, an dem ich noch Widerstand bieten konnte. Aktuell würde ich jeden beschissenen Strohhalm annehmen, den er mir reichte. Meine Erschöpfung und die Schmerzen machten mich nicht nur körperlich, sondern auch geistig fertig. Ich hatte keinen Nerv mehr für diesen Quatsch, der ohnehin nur einem gigantischen Drahtseilakt glich, indem ich die Wahl hatte, entweder nach rechts oder links in mein Verderben zu springen. Es gab hier nichts zu gewinnen. Nicht für mich. Was hatte ich schon davon, Dezeria nun bei mir zu haben und sie doch nicht beschützen zu können? Das zerstörte mich auf eine Art und Weise, wie es meinem Vater sicher noch nie zuvor gelungen war.
“Reznick?” Dezeria tippte mir auf die Nase, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. “Was überlegst du?” Mein anhaltendes Schweigen und der vorherige intensive Blick auf die Puppe, schien Hoffnung in ihr geweckt zu haben. “Glaubst du, es gibt wirklich ein Schiff für uns? Könnten wir damit tatsächlich von hier verschwinden?”
“Wird sich zeigen.” Gerne hätte ich ihr einen Plan offenbart, aber da gab es keinen. Nicht mal den Hauch von einem. “Wenn es dort eines gibt, verschwinden wir auf jeden Fall von hier.” Ich beugte mich vor, vergrub meine Hand in ihrem Haar und küsste sie. Ein drängender und verzweifelter Kuss, dessen Grund sie nicht verstand, aber das musste sie auch nicht. Ich brauchte das, um mich weiter aufrechthalten zu können. Nur wegen ihr funktionierte ich überhaupt noch.
Gierig verschlang ich ihren Mund und labte mich an ihrem köstlichen Geschmack. Dezeria mochte es erst nicht gutheißen, weil wir es vor den anderen taten und eigentlich auch nicht die passende Situation dafür war – doch schließlich gab sie meinem sehnsüchtigen Flehen nach. Sie erwiderte vorsichtig den Kuss, was mich unendlich erleichterte und in einen regelrechten Rausch versetzte. Mein Herzschlag beschleunigte und trieb das dringend benötigte Adrenalin heiß brennend durch meinen gesamten Körper. All mein Schmerz rückte in weite Ferne. Ich fühlte mich plötzlich unfassbar gut, als hätten mein Vater und der damit verbundene Scheiß nie existiert. Eine wahre Wohltat.
Federleicht strichen Dezerias kühle Hände über meine erhitzte Haut und erzeugten dadurch prickelnde Schauer. Ich stöhnte gegen ihren Mund und presste sie stärker an mich, was jedoch erneut den Widerstand in ihr wachrüttelte. Sie hatte Angst, mir wehzutun, und hielt sich zurück, aber das war in Ordnung. Ich verlangte gar nicht mehr, auch wenn meine wachsende Erektion etwas anderes andeutete. Leider verstand Dezeria es ebenfalls so. Als sich mein Schwanz fordernd gegen ihren Bauch drückte, löste sie sich sofort von mir. Ich bedauerte ihre Zurückweisung, denn damit landete ich unweigerlich wieder in dieser Hölle. In einer Welt aus reinstem Schmerz.
“Danke.” Wenigstens hatte ich kurz vom Paradies kosten dürfen. “Wir vertiefen das später.” Ich grinste sie an. Das hatte ich mir einfach nicht verkneifen können und ihr fast schon schockierter Gesichtsausdruck mit der dazu passenden Schamesröte, die sich bis runter zu ihren Brüsten zog, war herrlich mitanzusehen. Jedenfalls solange, bis mir die feinen schwarzen Adern, abgehend von ihrer Schulterverletzung, ins Auge sprangen. Es breitete sich also zusätzlich zu den vereinzelten Blutungen auch noch unter ihrer Haut aus. Vergrößerte sich. Scheiße.
Es half alles nichts. Ich hatte genug Zeit mit sinnlosen Überlegungen vergeudet und egal, wie lange ich noch einen Ausweg zu suchen versuchte, es ging auf Lasten ihrer Gesundheit. Das konnte ich nicht verantworten. Ich musste das annehmen, was diese Maugeri mir vorschlug. Musste dem Folgen, was Heka und mein elender Vater geplant hatten. Ja. Gehorchen. Auch wenn sich alles in mir sträubte, so hatte ich doch keine Wahl. Was sich schon seltsam anfühlte. Früher wäre ich lieber gestorben, als mich jemandem zu unterwerfen. Alles war besser als diese Demütigung.
Mit einem schweren Seufzen ignorierte ich Dezerias fragenden Blick und ging schnurstracks zur Puppe. “Hey, Heka, ich nehm jetzt doch eine Int-Ampulle.” Sie reagierte nicht auf meine Worte, sondern blieb weiterhin regungslos und starrte auf die Stelle, wo ich gerade noch gestanden hatte. Seltsam. Es hatte den Anschein, als steckte sie mitten in einer Berechnung oder Datenübertragung und würde ihr Umfeld gar nicht wahrnehmen. Auch gut. Ich entriss ihr das vermeintliche Siasal und betrachtete die orangene Flüssigkeit in der Kammer. Mir spukten diverse Szenarien im Kopf herum, was sich alles darin befinden könnte. Allein durch Gifte, Säuren oder Nanobots gab es endlose Möglichkeiten, einen zu foltern.
“Ach scheiß drauf.” Gleichgültig rammte ich mir eine Dosis in meinen nutzlosen linken Arm. Wenn sich irgendetwas Negatives darin befand, würde ich es schon zu spüren bekommen.
“Reznick?” Dezeria stellte sich zu mir und musterte mich besorgt. “Erst dieser Kuss und diese Anspielung ...” Ihr Blick fiel kurz auf meine Körpermitte, was sie wohl sofort bereute. Fest kniff sie die Augen zusammen und sah mir danach bemüht konzentriert ins Gesicht. “Dann der unheimlich emotionslose Ausdruck, als wäre etwas Fürchterliches passiert. Es fällt mir schwer, zu verstehen, was in dir vorgeht. Sag mir, was du vorhast. Ich will helfen.” Süß. Das brachte mich in der Tat wieder zum Schmunzeln.
“Ich teste, ob das Medikament hält, was es verspricht und wenn es mich nicht umbringt, werde ich es dir für deine Verletzungen geben.”
“Du hast es genommen, obwohl du glaubst, es könnte schädlich sein?” Sie wirkte schockiert, auch wenn ich den Grund dafür sonderlich fand.
“Was hast du gedacht, warum ich es zuvor abgelehnt habe?”
“Na weil ... es von deinem Vater kommt und ich dachte, du glaubst jetzt, dass es helfen könnte. Elian geht es ja auch besser.”
“Der Wicht hat keinerlei Bedeutung für mich.” Abschätzig blickte ich auf den Jungen. Es ließ sich nicht leugnen, dass das Neubottin wirkte. Er saß entspannt auf dem Boden, die schwarzen Stellen auf seiner Haut waren deutlich verblasst und er lächelte geistesabwesend vor sich hin. Viel bekam er offensichtlich nicht mehr von seiner Umgebung mit, was bei der Dosis und seiner Körpergröße auch kein Wunder war. “Wenn ich könnte, würde ich ihn töten.”
“Hör auf damit! Elian hat uns nichts getan.” Ihre weißen Augen funkelten mich böse an, wodurch ich mir weitere Worte verkniff. Sie hatte mich zuvor schon daran erinnert, dass ich nicht so wie mein Vater werden sollte, und das hatte mir gereicht. Dennoch. Es änderte nichts daran, dass ich es tun würde. Dieser unbedeutende Wurm mit seinen komischen Schattenfähigkeiten war unberechenbar. Ihn am Leben zu lassen glich purem Wahnsinn. “Versprich mir, dass du ihm nichts antun wirst.” Ich hob eine Augenbraue.
“Das werde ich nicht. Jeder der dir Schaden zufügt, werde ich ausnahmslos töten. Mir ist dabei ganz gleich, ob er dich bewusst oder aus Versehen verletzt. Mag sein, dass er gerade nicht gefährlich ist, das kann sich aber jederzeit ändern. Du weißt doch, wie willkürlich dieser Essenzkram sein kann. Halt dich am besten fern von ihm. Von ihnen beiden.” Zu Suciu selbst wusste ich zwar nicht viel, außer dass sie Licht benötigte und Pflanzen befehligen konnte, aber was bedeutete das schon. Sie war ebenso ein Risikofaktor, wenn sie diese irren Kräfte in sich trug.
“Heißt, du willst sie zurücklassen, oder? Hier, bei deinem Vater ...” Ich wusste, was sie von mir hören wollte. Ihre Augen und ihre Haltung sprachen Bände. Es tat mir leid, sie in dieser Hinsicht enttäuschen zu müssen.
“Natürlich. Ich werde sie gewiss nicht mitnehmen. Egal, was du sagst.”
“Aber wir können sie nicht hierlassen! Wer weiß schon, was dein Vater ihnen alles angetan hat und noch antun wird. Er manipuliert ihre Gedanken ... Sie sind bestimmt genauso wie wir hier gefangen!” Ich schnaubte abfällig, aber noch bevor ich was dazu sagen konnte, erhob die Puppe das Wort.
“Eure Diskussion ist vergeudete Zeit. Es ist bereits entschieden, dass die beiden euch begleiten werden.”
“Was, du jetzt auch? Vergiss es, Heka! Ich fliege wenn dann nur mit Dezeria und niemandem sonst!”
“Nicht Heka. Ich heiße Ikathe.” Ich kochte innerlich. Wollte die mich etwa verarschen? Was sollte dieser komische Name? Das war Heka, ob sie es jetzt zugeben wollte oder nicht. Mein Vater hätte niemals diesen Namen in den Mund genommen. Nicht einmal zur Täuschung. “Und was das Mitnehmen angeht. Was ziehst du lieber vor? Hierbleiben oder verschwinden?” Sie verschränkte die Arme und lächelte spöttisch, was zusätzlich meine Wut schürte. “Nur ich habe den Zugang zum Stellplatz 46 und werde diesen erst freigeben, wenn du Elian, Suciu und noch weitere Elementare mitnehmen wirst.”
“Wozu? Bring wen-auch-immer doch mit einem anderen Schiff weg, warum soll ich das machen?!”
“Du sollst alle lediglich nach Weckmelan bringen. Mehr verlange ich gar nicht. Danach könnt ihr zwei ja hinfliegen, wo auch immer ihr wollt. Was hast du schon zu verlieren?” Eine Menge. Das klang doch alles verrückt! Wo war der verdammte Haken? Die Falle? Der Sinn von diesem beschissenen Spiel und der rettende Ausweg?
“RAHHHR!” Voller Hass schlug ich gegen die nächstbeste Wand. Diese Situation und nicht zu wissen, was die richtige oder die falsche Entscheidung war, machte mich einfach nur noch krank.
“O Gott, Reznick!” Dezeria zog meinen Arm aus dem entstandenen Loch und besah sich entsetzt die Sauerei an. Meine Hand blutete wie die Hölle, da ich sie nicht nur äußerlich an dem harten Mauerwerk zertrümmert, sondern auch noch innen völlig aufgeschnitten hatte. “Warum hast du das getan?” Besorgt zog sie das gebrochene Gehäuse der Int-Ampulle aus meinem Fleisch. War mir total entfallen, dass ich das Teil noch festgehalten hatte.
“Ist doch egal ... Verheilt eh schon wieder.” Ich spürte den neuen Schmerz nicht einmal. Nur Leere.
“Es ist nicht egal!” Sie schnaubte und wob zugleich etwas Eis um die Verletzungen. Was eigentlich nicht nötig war. Das Siasal begann bereits zu wirken und verschloss die aufgeschnittenen Gefäße.
“Ich stimme zu. Es wird heilen.” Die Maugeri schritt ein Stück näher. “Dann können wir also jetzt endlich aufbrechen.”
“Dich hat keiner gefragt und nein. Können wir nicht!”
“Reznick, du hast keine Wahl, das ist dir doch bewusst. Deine Selbstverletzung rührt daher, weil dir die gegebenen Entscheidungsmöglichkeiten nicht gefallen und du offensichtlich keinen anderen Ausweg findest. Warum also verschwendest du weiter unsere Zeit? Jedweder Widerstand gegen mich ist unnütz. Ich bin nicht dein Feind.”
“Halt die Klappe ...” Ja, ich wusste, was ich machen sollte – machen musste, aber gehorchen lag mir so überhaupt nicht. Ich hatte mein Leben lang gekämpft. Das allein konnte ich, aber diesen ganzen Scheiß jetzt einfach hinzunehmen, war so, als würde ich dieses Stück meiner Selbst eigenhändig umbringen.
Gequält sah ich Dezeria an. Konnte sie diesen Teil meiner Seele wirklich ersetzen? Ich brauchte sie so dringend, aber was gab mir die Gewissheit, dass sie bei mir bleiben würde? Für immer? Schon jetzt verstand sie meine Handlungen ja nicht. War nicht meiner Meinung. Was, wenn sie mich verließ, wenn das hier vorbei war? Oder das hier nie vorbei sein würde? Vielleicht war das neue Spiel meines Vaters nur ein beständiges Auf und Ab, in dem mein Verstand langsam aber sicher vollkommen aufgerieben wurde. Schon jetzt fehlte mir jedwede Klarheit und es wurde von Minute zu Minute schlimmer. Zweifel und Hoffnungslosigkeit zerfraßen mich. War das Siasal etwa mit einer verfluchten Droge versetzt gewesen? Warum bedauerte ich plötzlich, dass Dezeria existierte und mich schwach machte, aber zugleich auch den Umstand, dass ich die Int-Ampulle zerstört hatte und ihr deswegen nun nichts zur Heilung verabreichen konnte? Das war irre. Ich war irre!
“Reznick ...” Dezeria streichelte liebevoll meine Wange. “Lass uns das mit dem Schiff versuchen und wenn es nicht klappt, dann finden wir einen anderen Weg, ja?” Aus ihrem wundervollen Mund klang das leicht, obwohl es für mich im Moment nichts Schwereres gab. Sie sah eine Chance zur Flucht, während mir dazu stetig neue Horrorvorstellungen einfielen. Angefangen, dass mein Vater die Lebenserhaltungssysteme während unseres Fluges nach Lust und Laune steuerte, bis hin, dass er gleich das ganze Schiff zu den Rea navigierte. Wo war also der Unterschied zum Bleiben? Wir waren hier sein Spielball und auch, wenn wir fortgingen. Er war schlicht überall.
“Fräulein Dezeria, wärt Ihr womöglich so freundlich, Reznick auch eine Einheit von dem Neubottin zu geben? Er steckt aller Anzeichen nach in einem selbstzerstörerischen Nervenzusammenbruch und etwas Beruhigung würde seinem Geist guttun." Dezerias Blick wurde sofort unsicher. Sie zog es tatsächlich in Erwägung, der Puppe zu gehorchen.
“Nein!” Ich griff nach ihr, als sie sich von mir trennen wollte, um die besagte Int-Ampulle zu holen, die noch immer neben dem Wicht lag. “Hör nicht auf diese Maschine! Ich brauche ...” Ein unbändiger Ruck durchfuhr auf einmal meinen Körper. Mein Atem stoppte, meine Muskeln verkrampften und noch bevor ich überhaupt begriff, was mit mir passierte, fand ich mich auch schon auf dem Boden. Krümmte mich.
“Reznick! Bei den Monden, was hast du?!” Sie hockte sich zu mir. Berührte mich. Tastete irgendwo an mir herum. Wirklich mitbekommen tat ich es nicht. Da war nur noch Schmerz, der mich fest umklammert hielt. Kein Vergleich mit den Verletzungen oder der Erschöpfung zuvor. Es hatte den Anschein, als würde sich mein Blut zersetzen und mein Innerstes nur noch aus flüssiger Säure bestehen. “Wo tut es weh? Sag mir, was los ist! Was soll ich tun?” Ich hörte ihr Schluchzen, doch konnte ich nicht antworten. Es ging einfach nicht, egal, wie sehr ich es auch versuchte. Mein Körper gehorchte mir nicht.
“Was war in diesem Mittel drin gewesen?!” Soweit ich noch sehen konnte, wob Dezeria Eis in Richtung der Puppe und fror sie ein. “Was hast du mit ihm gemacht?! Sag schon!”
“Nichts. Wenn Ihr gestattet, sehe ich ihn mir genauer an. Es liegt schließlich nicht in meinem Interesse, dass er leidet. Bitte, Ihr könnt mir vertrauen.” Dezeria schüttelte vehement den Kopf.
“Ich lasse Euch nicht näherkommen! Sagt mir, was in dem Mittel war und wie ich ihm helfen kann. War es irgendein Gift?”
“Es war genau das, was auf dem Etikett stand. Siasal, ein Mittel, das allein der Wundheilung dient.”
“Ich glaube Euch nicht!” Knacken von Eis war zu hören.
“E-s ... ih-ts ...” Ich hustete. Meine Sicht verschwamm und ich war drauf und dann, die Besinnung zu verlieren. “V-ater ... B-bitte ...” Mehr brachte ich nicht hervor, da immer stärkere Krampfanfälle mich durchschüttelten. Scheiße auch, wenn Heka in dieser Puppe steckte, musste sie mir helfen. Andernfalls würde ich gleich ins Gras beißen. Dieser Druck, der meine Organe zerquetschte, war nicht mit dem vorherigen Einfluss meines Vaters zu vergleichen. Darin steckte keine Unterwerfung. Kein erzwungener Gehorsam. Nein. Mich durchflutete reinste Tötungsabsicht und wenn diese Intensität sich nicht umgehend verringerte, war es das. Dagegen konnte ich nicht bestehen. Keiner konnte das.