“Heka?” Seine Stimme klang brüchig und noch immer fixierten seine Augen einen unbestimmten Punkt vor ihm.
“Ja?”
“Ist überhaupt irgendeine Erinnerung, die ich habe ... echt? Die Regeln und Wetten von den Spielen? Die Welt der Rea? Das Erbe meines Vaters? Mein Name? ... Was ist mit meiner Mutter?” Er blickte auf. “Ist sie überhaupt tot? Habe ich sie getötet?” Uff. Die letzten Fragen ließen mein Innerstes erzittern. Dieses Thema hatte ich befürchtet. Wollte ich eigentlich vermeiden. Aber es ging wohl leider nicht. Die Wahrheit war schon eine unangenehme Sache.
“Einige deiner Erinnerungen sind echt. Zudem war deine Persönlichkeit nie von irgendwelchen Manipulationen betroffen. Was du fühlst und was du entscheidest, bist immer ganz allein du gewesen. Das BOLYZAG-Spielsystem ist auch echt. Über die Welt der Rea weißt du zum größten Teil Bescheid. Das übergeordnete Machtsystem dürfte dir dagegen fremd sein. Dein Vater hat seinen festen Platz darinnen. Das ... mit seinem Erbe ist dagegen unecht. Ein nötiger Grund, damit du beim Spiel mitgemacht hast. Es tut mir leid ...” Auch wenn er es nicht wollte, legte ich meine Hände an seinen Kopf. Berührte ihn behutsam. Ich brauchte jetzt diese Form der Entspannung.
“Dein Name ist von der Regeere, also dem Rea-Rat vorgeschrieben worden. Re’Nya’Ca Alexander Weckmelan. Er beinhaltet den Rang deines Blutes und auch deren Reinheitsgrad. Diese Titel sind für ihr System wichtig. Genauer wüsste es allerdings dein Vater. Den anderen ... also Reznick, nun ... den hast du von mir bekommen.” Ich lächelte unsicher. “Als Protest so gesehen. Es ist einer der alten Namen, den die Menschen früher auf Nepner benutzten.”
“Von dir? Und wegen Nepner? Also von diesen Glaubensdingern und den Göttern? Dann hat meine Mutter nichts damit zu tun? Und ist sie jetzt tot oder nicht? Gehört sie überhaupt zu den Rea?”
“Deine Mutter ...“ Wie sollte ich es sagen? Einfach gerade heraus, dass ich es war? Ein Elementar im Körper einer Puppe? Wie würde er darauf reagieren? Ich hatte keine Lust auf einen weiteren Streit. Es lief doch gerade so gut zwischen uns. “Also ... streng genommen, war sie nie lebendig.” Ja tolle nichtssagende Antwort.
“Was? Hat er mich etwa im Labor gezüchtet?” Er schnaubte. “Ich mein, überraschen würde es mich nicht. Ich sehe ihm so abartig ähnlich.” Sein Blick fiel von mir ab – ging erneut ins Leere. “Jeden Tag und jede beschissene Stunde habe ich mit der schrecklichen Gewissheit gelebt, dass ich meine Mutter tötete ... Wenigstens das kann ich jetzt hinter mir lassen.”
“Es tut mir leid.” Verdammt ich sollte das richtigstellen, aber ich konnte nicht. Lieber war er kurz deswegen betrübt, als noch mal völlig auszurasten. Streng genommen hatte ich auch nicht gelogen. Mein damaliger Körper sowie auch der jetzige bestand aus künstlichem Fleisch und einem Haufen Technik. Hergestellt wie ein Gegenstand. Lief mit Energie. Kein Herz schlug in meiner Brust oder hatte es je. Zudem würde es für ihn absolut undenkbar sein, dass eine Puppe ein Kind austragen konnte. An seine Geburt erinnerte ich mich nicht einmal mehr. Mein ganzes Wesen war mit diesem Prozess völlig überfordert gewesen.
“Heka? Mal angenommen ich glaube dir. Weißt du, was ich nicht verstehe? Was hast du davon?” Er sah wieder zu mir auf.
“Ich?”
“Ja. Du sagtest, du könntest jederzeit fliehen, tust es aber wegen mir nicht. Warum?”
“Warum ich bleibe und auf dich aufpasse?” Meine Finger glitten langsam in sein Haar. “Dein Überleben ist auch das meine. Du bist etwas Besonderes. Der nicht geplante Sohn des Königs. Wenn du in den Spielen als bester abschneidest, beweist du damit, dass die Augonen im Unrecht sind. Das Machtsystem würde demnach zugunsten deines Vaters kippen. Ich müsste mich nicht mehr vor dem Verschlingen fürchten. Niemand müsste das. Aktuell bin ich bei deinem Vater relativ sicher.” Abgesehen davon fühlte ich mich für ihn verantwortlich. Immerhin trug er ein Teil von mir in sich.
“Ah ja. Schon klar. Bei meinem Vater ist es sicher ... wer’s glaubt. Und dann gleich das Nächste ... Ich war nicht geplant? Hä? Er hat mich doch selbst gemacht! Was zur Hölle sind die Augonen? Das ergibt alles genauso wenig Sinn, wie das mit meinem Vater an sich. Warum diese Spiele? Ich soll als bester abschneiden? Kann man das überhaupt? Es geht doch jedes Mal rein um die Unterhaltung und die Einschaltquoten. Wer würde so ein vorgeplantes und sich ständig wiederholendes Spiel interessant finden? Was hat mein Vater davon? Oder wie oft muss ich das noch machen? Wie kann ich ihn töten?”
Ich stoppte die Berührungen. “Entschuldige. Ich bin schlecht in diesen Dingen. Wie gesagt, normalerweise redet dein Vater mit dir über alles, wenn du wieder bei ihm bist. Ich habe dein Wissen vergessen. Natürlich. Verzeih. Das muss ich anders anfangen.”
“Hm? Von was redest du jetzt?”
“Dein begrenztes Wissen auffrischen. Nur wo fang ich da am besten an? Bei dir. Hm, nein. Bei den Augonen ist es glaube ich am sinnvollsten. Die sind nämlich Teil des Machtsystems der Rea. Sie entscheiden über Verbesserungen. Planen Kinder, verstehst du?” Seinem fragenden Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wohl eher nicht. Toll. Ich seufzte. Dieses Thema behagte mir überhaupt nicht.
“Hm. Wie erkläre ich dir das ... Rea sind keine Menschen. Du bist kein Mensch. Sie sind eine Art Gott, wenn du so willst. Etwas Höheres. Oder auch ein Parasit. Nenn es, wie du möchtest. Es ist kompliziert. Tatsache ist jedoch, dass sie ihre Körper mithilfe von anderen Lebensformen verbessern. Sie alle unterschiedlich sind und dein Vater aktuell der stärkste von ihnen ist.” Dass er dabei Essenz von mindestens drei Elementaren in sich trug, behielt ich für mich. Das Ganze war schließlich schon verwirrend genug.
“Okay?” Auf seine Stirn bildeten sich tiefe Falten. “Verbessern im Sinne von Implantaten? Oder wie ist das mit Lebensformen gemeint?”
“Also die Augonen haben die Aufgabe, die Rea ständig zu vermehren und zu verbessern. Dafür benötigen sie Rohstoffe. Fleisch. Metalle. Energie. Alles kann ein solcher Rohstoff sein, verstehst du?”
“Ich bin mir nicht sicher, ob ich das verstehen möchte, worauf du hinaus willst. Gott und ich habe schon gedacht, das mit den Spielen wäre abartig ...”
“Wichtig ist erst einmal, dass du verstehst, dass alle Rea bei den Augonen gemacht werden. Es gibt bei ihnen keine Kinder. Sie können sich nicht so fortpflanzen, wie es die normalen Menschen tun. Es geht nur durch diese Institution und darum dreht es sich hier auch. Um dich. Du bist nicht dort entstanden und das sollte eigentlich nicht möglich sein. Jedenfalls nicht, wenn man nach den ganzen Systemen und Gesetzen der Rea geht.”
“Is’ klar.” Er lachte spöttisch auf. “Dann brauch ich ja gar nicht so betrübt deswegen sein, dass ich in einem Reagenzglas entstanden bin. Das scheint hier ja gang und gäbe zu sein.” Ich sah deutlich, wie seine Kiefermuskeln arbeiteten. Er biss die Zähne zusammen. Na toll. Jetzt wurde er wieder wütend. Warum? Ob man jetzt bei den Rea entstand oder durch einen Menschen geboren wurde, machte für mich keinen Unterschied. Ich fand sogar die Geburt bei den Menschen viel schlimmer. Ich hatte es miterlebt – warum tat man sich das freiwillig an?
“Und wie geht’s dann jetzt weiter? Da sind irgendwelche feinen Herrschaften angepisst, weil mein lieber Vater mich einfach ohne Genehmigung gemacht hat? Muss ich die jetzt auch umbringen oder was? Wieso bin ich überhaupt der Gearschte, wenn mein Vater doch gegen son’ Kram verstoßen hat?” Eine Ladung Strom schoss plötzlich durch mich hindurch. Meine Hände verkrampften, weswegen ich ihn schnell losließ.
“Hm? Heka?”
“Es ... es war meine Schuld ... Ist meine Schuld.” Nicht gut. Mein Körper zitterte. Das belastete mich nach all den Jahren immer noch. Ich brauchte etwas Bewegung, um den Sturm zu beruhigen. Dringend!
“Ähm ... Was? Deine Schuld? Ah! Was tust du?” Etwas umständlich schob ich seinen Kopf von meinem Schoß und hob auch gleichzeitig die Lähmung auf. Ich wollte nur noch von ihm weg – rutschte dann allerdings erst einmal auf der leicht angetrockneten Blutlache aus. Na fabelhaft.
“Heka? Was ist denn los?” Seine Stimme klang nicht wütend, was mein innerliches Chaos besänftigen sollte – tat es aber nicht. Mühselig richtete ich mich auf und lief hektisch im Raum umher.
“Rrrr, warum befinden wir uns auch auf einem Schiff, wenn ich dir das erzählen muss!?” Auf einer Welt hätte ich mich jetzt herrlich austoben können, aber hier drinnen? Unmöglich. Es sei natürlich, ich wollte den Tod sämtlicher Anwesenden.
“Ich versteh nicht, was du meinst und ehrlich ... ich habe auch kein Nerv dafür.” Ich blickte zu ihm. Er raffte sich schwerfällig auf. Wankte bedrohlich. Der Blutverlust hatte ihn deutlich geschwächt. Nur gerade so schaffte er es zum nächstgelegenen Sofa – warf sich stöhnen auf die Sitzfläche. “Or Hölle, brummt mir der Schädel ... Dennoch. Kannst du jetzt bitte den Mund aufmachen? Was ist das für’n Scheiß mit meinem Vater und den anderen Rea ... Und mit dir?”
“Ich gebe dir die restlichen Informationen einfach als Datei. Dann kannst du es dir selbst in dein Driv-Cor ziehen und durchlesen.” Eifrig fummelte ich das Verbindungskabel aus meinem Arm – stand dann allerdings etwas unschlüssig herum. Das dafür vorgesehene Bedienpult hatte er vorhin zerteilt. Unsicher schaute ich ihn an. Es blieb nur noch der Direktlink übrig.
“Oh nein! Nein, nein, nein. Du hältst dich mit deinen Dateien schön von meinem Verstand fern! Spuck halt aus, was los ist.” Er hob seinen Arm mit dem Klingenstück – drehte diesen spielerisch umher, bis er es schließlich zurück in sein Fleisch klappte. “Was soll mich denn jetzt noch großartig schockieren, hm? Zudem kannst du mich jederzeit betäuben. Warum also stellst du dich gerade so an?” Seine Augen wirkten extrem Müde, während er mich von oben bis unten musterte.
“Tut mir leid, Reznick. Es ist auch für mich nicht leicht. Nichts davon.” Blitze tanzten laut knisternd auf der Oberfläche der Puppe. “Mich belastet das, weißt du? Ich bin impulsiv, so wie du. Kann mich jedoch nicht so gehen lassen.” Er schnaubte abfällig. “Es ist so! Ich kann dieses Schiff binnen Sekunden zerstören. Gib mir bitte einen Moment, um mich zu beruhigen ...” Uff. Seinen skeptischen Blick ignorierte ich und leitete konzentriert meine überschüssige Energie in das Schiff. Wenn ich es nicht übertrieb, würde der Kern das schon verkraften und nicht explodieren. Hoffentlich.
Plötzlich knallten einige Kontrollleuchten lautstark aus der Schaltvorrichtung des Schiffes. Ups.
“Also meinetwegen brauchst du dich nicht zurückhalten.” Er lächelte breit und streckte sich gemütlich. “Zurückhaltung wird ohnehin überbewertet.”
“Das ist nicht lustig!”
“Für dich vielleicht nicht. Aber ist auch Wurst. Hör auf die Sache unnötig hinauszuzögern und rede endlich! Ich will nicht länger warten. Mir vollkommen gleich ob dich das belastet. Es geht hier schließlich um mein Leben!” Er wurde wieder wütend, was nicht unbedingt hilfreich für mich war. Ich schloss die Augen und zwang mich zur Ruhe. Reizte den Energiespeicher der Puppe bis zum Anschlag aus. Das musste eben fürs Erste reichen.
“Ich weiß ... dein Leben. Alles dreht sich um dein Leben. Seit Jahren bemühe ich mich darum. Dennoch gehst du so leichtfertig damit um.” Wütend sah ich ihn an. “Du hast schon so oft versucht, dich umzubringen. Das tut mir weh.” Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. Ja. Das hatte ich erwartet. Es bedeutete ihm nichts. Dadurch schmerzte es gleich doppelt.
“Ich will das nicht wissen. Sag mir, was das für’n Quatsch mit dir und meinem Vater ist? Oder mit den Rea und mir?”
“Nun ... Du dürftest nicht existieren. Du kommst nicht von den Augonen. Dein Vater hat dich ohne das System–”
“Ja, ja. Da waren wir schon! Spul die Geschichte mal ein bisschen vor, danke.” Er knallte. Ein Blitz hatte sich gewaltvoll neben mir in den Boden gefressen und ein großes qualmendes Loch hinterlassen.
“Halt dein vorlautes Mundwerk!” Nicht gut. Das war nicht angebracht. Trotzdem wollte ich mir das nicht länger bieten lassen. “Noch ein herablassendes Wort von dir und du liegst die restliche Unterhaltung gelähmt auf dem Boden!” Seine Augenbrauen hoben sich. Sein Gesichtsausdruck zeigte Überraschung und auch deutlich, dass er sich einen Kommentar verkniff. Darüber war ich wirklich dankbar.
“Ich habe dich mitgenommen, als ich von deinem Vater geflohen bin. Das ist viele Jahrzehnte her. Du warst ganz klein. Ein Kind. Ein Baby. Und ... na ja. Ich kannte mich damals nicht aus. Weder mit Menschen noch mit Rea. Nicht einmal mit der Welt, auf der wir uns befanden. Alles war mir fremd und dir ging es mit der Zeit immer schlechter. Ich wusste nicht, woran das lag. Da ich selbst und der Körper in dem ich steckte nichts benötigte, dachte ich, das ist bei dir ebenso ... Irgendwann ... Du warst so schwach. Ich musste andere fragen. Das es sich dabei um Rea handelte, wusste ich nicht. Sie haben dich mir weggenommen. Ich wurde weggesperrt.” Ich senkte meinen Blick.
“Es verging Zeit. Wie viel kann ich nicht sagen. Dein Vater holte mich wieder zu sich. Er war wütend und enttäuscht. Ich durfte dich erst nach einigen Anpassungen meines Körpers wieder sehen. Da ging es dir dann deutlich besser, was mich erleichterte. Allerdings verflog meine Freude, als mir dein Vater erklärte, was ich mit dieser Aktion angerichtet hatte.” Ich sah ihn wieder an.
“Dein Vater hat ohne die Augonen ein Kind machen können. Das gab es vorher noch nie. Es hieß, sowas ginge nicht. Und er hatte es ihnen noch nicht einmal gesagt. Er hat dich versteckt. Nun ... durch unsere Flucht hatte ich dich unfreiwillig berühmt gemacht. Das gesamte Machtsystem erfuhr von dir. Jeder wollte dich sehen und auch wissen, was du kannst. Aus was für Material du bestehst. Wie stark du bist. Dein Vater meinte, es hat was mit der Politik der Rea an sich zu tun. Es gibt wohl bei ihnen zwei verschiedene Parteien bezüglich der Vermehrung und Verbesserung. Unterschiedliche Ansichten. Mehr dazu müsstest du deinen Vater allerdings selbst fragen. Mich hat das Gerede um das Für und Wieder von unreinen Kindern nie interessiert. Vielmehr dein Wohlergehen.” Spannung huschte durch meine Schaltkreise. Überlastete sämtliche Systeme.
“Dein Wohlergehen und das der anderen ... Weißt du, es gab wohl schon öfter solche Kinder und die Augonen vertuschen das. Töten oder brechen diese. Johanna ist zum Beispiel auch so eines. Deswegen wollte ich sie retten. Sie ist wie du.”
“Okay. Fassen wir also für meinen Brummschädel noch einmal zusammen.” Er überschlug lässig die Beine und lehnte sich zurück. “Mein Vater hat mich gebastelt, weil er was? Langeweile hatte? Du hast mich dann bei den anderen Rea vorgezeigt, was denen nicht gepasst hat. Deswegen darf ich fröhlich an jedem Spiel teilnehmen. Mich foltern oder demütigen lassen – frei zur Unterhaltung aller. Und falls du dort rein zufällig mal jemanden wie mich findest, holst du den zwar raus, aber ich darf danach brav weiterspielen? Hach. Schönes Leben.”
“Verdammt, Reznick! So ist das nicht. Wenn ich könnte, würde ich dich auch da rausholen, aber das geht nicht. Noch nicht. Du bist der Sohn des stärksten Reas. Dein Vater will mit dir das bestehende Machtsystem aushebeln. Dich kann man nicht so leicht loswerden. Nicht töten wie die anderen Kinder. Durch dich wird es vielleicht schon bald einen Umschwung geben.”
Er lachte laut. “Hat dir das mein Vater gesagt? Glaubst du dieses Geschwurbel wirklich? Von irgendwelchen lächerlichen Zukunftsspinnereien? Gott, ich schmeiß mich gleich weg.”
“Das ist keine Spinnerei!” Wütend ballte ich die Fäuste. Ließ Blitze durch den Raum zucken. “Es gibt bereits einige, die sich vom Rea-Dasein abgespalten haben und auch gegen die alten Systeme sind. Ich weiß du empfindest es als nicht fair, aber es geht hier nicht allein um dich. Es geht um uns alle!”
“Tz, wer’s glaubt. Mein Vater wird dir irgendein Quatsch erzählt haben, damit du ebenso mitspielst. Verzeih, aber ich kauf dir das nicht ab.”
“Rrrr! Dann tu es eben nicht.” Ich verschränkte die Arme. “Es ist vollkommen irrelevant, ob du daran glaubst oder nicht. Benimm dich ruhig wieder wie ein Kleinkind. Wenn das Machtsystem der Rea endlich fällt, muss keiner von uns mehr verschlungen werden. Wir wären frei. Alle zusammen.”
“Was kümmern mich die anderen? Mich interessiert die Politik meines Vaters einen Scheiß! Die Rea ebenso! Ich bin doch nicht euer Spielball!” Weitere Lampen zersprangen und auch das Licht an der Decke flackerte. Himmel wühlte er mich mit seiner Uneinsichtigkeit auf. Ruhig. Ich musste ruhig bleiben. Das führte doch sonst zu nichts.
“Gut.” Ich zwang alles in mir auf den Nullpunkt. “Was möchtest du stattdessen?” Ich sah ihn bemüht ausdruckslos an. “Flüchten? Sterben? Lass dir sagen, dass eine Flucht nur von kurzer Dauer ist. Die Rea finden dich schneller, als dir lieb ist. Und sterben? Ist das dein großartiger Plan? Wie kann dir nur egal sein, dass dadurch auch all die anderen zum Tode verdammt sind?”
“Es ist meine Entscheidung, was ich aus meinem Leben mache. Ganz alleine meine! Ich bin niemandem etwas schuldig. Und schon gar nicht einer Welt, die ich überhaupt nicht kenne.” Das schmerzte. Aber was hatte ich auch erwartet? Früher war das genau meine Einstellung gewesen.
“Verstehe ... Vielleicht lässt mich deswegen dein Vater nicht mit dir reden. Was weiß ich schon über diese emotionalen Dinge. Es ist anstrengend. Ich dachte jedoch, du könntest meine Beweggründe mittlerweile nachvollziehen. Jetzt, wo du auch jemanden gefunden hattest, der dir etwas bedeutet.”
“Hm? Wie meinst du das?”
“Dezeria.” Er zuckte zusammen, überspielte seine Überraschung dann aber ziemlich schnell mit einem höhnischen Grinsen.
“Was soll mit ihr sein? Ein unbedeutender Bauer. Eine dämliche Figur auf eurem Spielbrett.”
“Ja. Klar. Sie ist aktuell bei deinem Vater und was aus ihr wird, weiß ich jetzt noch nicht. Sie mag zwar keines der auserwählten Kinder sein, dafür aber Material. Wertvolles, so wie ich es einst war und Zerian noch immer ist. Die Augonen werden sie verschlingen wollen, gleich was dein Vater sagen wird.” Missbilligung kehrte in sein Gesicht, verschwand aber genauso schnell wieder. Vielleicht bedeutete sie ihm etwas. Vielleicht auch nicht. Wahrscheinlich hielt er das alles für eine Manipulation. Für nicht echt. Aber wer war ich schon, um darüber zu urteilen. Ich verstand ja selten meine eigenen Gefühle. Seufzend wandte ich mich um und ging zur Tür.
“Ich lasse dich jetzt alleine. Du kannst tun und lassen, was du willst. Ich bitte dich jedoch nur um Eines. Bitte ... verletze weder dich, noch andere. Das würde ich mir wünschen.”
“Hm? Du gehst?” Er lachte spöttisch. “Du lässt mich psychisch instabilen Freak ganz ohne Aufsicht zurück? Einfach so?”
“Ja.“ Ich hielt vor dem ramponierten Durchgang inne. “Die Wahrheit ist, ich brauche nicht neben dir zu stehen, um deinen Gesundheitszustand zu wissen. Ich habe längst ein Stasisfeld um das Schiff gezogen. Ich nehme jedes einzelne Lebewesen hier wahr. Die Herzschläge. Die Frequenzen der Stimmen. Wenn du rumspinnen solltest, lege ich dich schlafen. Es ist also allein deine Entscheidung, ob du die nächste Zeit betäubt oder wach verbringst.”
“Bitte was?!”
“Ich bin bei Johanna und Zerian, falls du mich suchen solltest. Ich muss mit ihnen noch was besprechen, bevor uns dein Vater erreicht. Dabei wird es auch um Dezeria gehen. Ich für meinen Teil werde weiterhin helfen, wo ich kann. So gleichgültig wie du, bin ich einfach nicht mehr – kann ich nicht mehr sein. Mir tut es weh, verstehst du?” Damit ließ ich ihn alleine. Sollte er darüber nachdenken. Sollte er ruhig auf mich wütend sein. Ich hatte jedenfalls fürs Erste genug.
Uff. Ich lief erschöpft den Gang entlang. Lehnte mich einige Meter weiter schließlich an die Wand. Sofort knisterte das Metall unter einer Vielzahl kleiner Blitze, die eifrig aus meiner Haut sprangen. Dieses Gespräch war verdammt anstrengend gewesen. So kurz nach meiner Zusammenführung sollte ich sowas definitiv nicht machen. Die Puppe hatte ich stark beschädigt. Kritischer Zustand in sämtlichen Bereichen. Und nun? Genau so ein unangenehmes Gespräch stand mir noch bevor. Das waren echt tolle Aussichten.