•‡Dezerias Sicht‡•
Nervös lief ich im Zimmer umher. Ich war noch immer allein, was mich eigentlich froh stimmen sollte. Ja, sollte – tat es aber nicht. Meine Gedanken kreisten besorgt um Zerian und, dass ich bislang keinen Ausweg aus meiner Situation gefunden hatte. Ich fühlte mich seltsam. Ein undefinierbarer Schwindel erfasste in regelmäßigen Abständen meinen Körper. Auch das Eis wollte weiterhin nicht funktionieren. Warum, konnte ich mir einfach nicht erklären. Es ist zum Haareraufen! Ich will hier raus! So schnell wie möglich! Leider fand ich nichts, womit ich die Tür hätte öffnen können. Bilder, Statuen – alles unbrauchbar. Jede Schublade, die ich durchwühlte, beinhaltete lediglich Stoffe.
In den angrenzenden Räumen: einem luxuriösen Badezimmer – welches ich sofort benutzte – eine beeindruckende Ankleide und ein riesiges Schlafzimmer, gab es ebenso nichts Brauchbares. Wobei ich letzteren Raum besonders lange beäugte. An den Wänden und der Decke gab es meterlange Spiegel – unzählige. In der Mitte stand ein weißes Bett, welches so groß war, dass locker zehn Personen darauf schlafen konnten. Eigenartig. Auch die vielen gelben Schlaufen, die in regelmäßigen Abständen zwischen den obigen Spiegelflächen angebracht waren, verwirrten mich. Was zur Hölle trieb der Kerl hier? Oder besser, nein. Ich will es lieber nicht wissen. Schnell ging ich wieder zurück. Setzte mich frustriert aufs Sofa und blickte auf die ganzen Speisen. Ich hatte hunger. Ob ich etwas davon essen kann?
*
Endlose Minuten verbrachte ich damit, vor mich hinzustarren. Schließlich nahm ich mir einen kleinen Happen. Ein geschnittenes Fruchtstückchen. Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen. Hatte Zerian auch etwas zu Essen bekommen? Ich hoffe von ganzem Herzen, dass es ihm gut geht. Ob Lichius sein Wort hält? Nein. Darauf darf ich nicht vertrauen!
Mein Appetit verging abrupt wieder. Erneut stand ich auf und lief rastlos durch den Raum. “Gott, ich will hier raus!”, schimpfte ich und blickte verzweifelt auf meine Hände. “Komm schon ... Eis. Mach was! Irgendwas!” Nichts passierte. Ich stöhnte genervt. Wieso klappte es denn nicht? Wieso?! O bitte, bei den Monden, so funktioniere doch! Wieso bin ich nur so unfähig in dieser Magie – in diesem Gottsein?
“AHHHH!”, schrie ich und schlug mit der Faust gegen die verschlossene weiße Tür. “Au!”, murrte ich direkt danach. Die Tür war verdammt hart. Ich konnte nicht einschätzen ob es sich hierbei um ein Metall oder um Stein handelte. Eins ist aber sicher, ich kann sie unmöglich aufstemmen. So ein verdammter Mist!
Enttäuscht hielt ich mir die schmerzende Hand. Und – stutzte plötzlich. An der Seite bemerkte ich eine unscheinbare goldene Tafel. Erst hatte ich sie noch für eine Art Spiegel gehalten. Aber, jetzt bei näherem Hinsehen. So eine hatte es doch schon bei Ludwig gegeben, oder? Sie war zwar nicht schwarz, dennoch. Die hier sah der von damals so verdammt ähnlich. Das ist kein Zufall! Augen und Ohren – kam es mir sofort in den Sinn. Reznick hatte mich doch darauf hingewiesen. Bedeutete dies, ich werde jetzt auch beobachtet? Ja, sicherlich.
Sofort zog ich den roten Mantel enger um meinen Körper. Ich wollte den widerlichen Adligen nicht mehr von mir zeigen als ohnehin schon. “Ich hasse euch!”, schrie ich wütend und schnappte mir von einer nahestehenden Kommode eine kleine gelbe Statue. Sie schien aus einem einzigen Edelstein geschliffen zu sein und sollte wohl eine Frau mit einer Sonne darstellen. Sicherlich unsagbar teuer. Das wird Lichius sicherlich nicht gefallen. Und wenn schon! Ich schlug damit brachial auf die rechteckige Fläche an der Wand. Die Tafel zersplitterte wie Glas in viele kleine Scherben – was mir eine gewisse Genugtuung bescherte. Kurz darauf hörte ich laute und rhythmische Trommelschläge sowie Gesumme von mehreren Menschen. Seltsamerweise lag die Geräuschquelle genau hinter mir.
“Was ... bei den Monden!?”, fragte ich verwirrt und starrte auf die Wand bei der Sitzecke. Nein. Keine Wand! Ein Fenster? Ja, oder? Eine große Fläche, gleich einem Fenster, war auf einmal dort – aber wie kann das sein? Nein, doch kein Fenster? Das, was ich sah, bewegte sich. “Gott, was ist das?”
Noch während ich mich über die Adelstechnik oder Magie wunderte, die offensichtlich alles Mögliche und Unmögliche machen konnte, erschien plötzlich Lichius. Er lief da – nur ein paar Meter von mir entfernt. Vor Schreck ließ ich die Statue zu Boden fallen. Erst dachte ich, er würde mich jetzt bestrafen oder zu mir kommen, aber keins von beiden war der Fall. Er beachtete mich nicht einmal. Seine Hände streckten sich lediglich in die Höhe und umgehend verstummte alles andere.
“Ich, Adamek Lichius, das Kind der Sonne, gebe meinen Segen dazu, ganz wie es das Orakel des Feuers verkündete. Ich gebe Liebe – Liebe für jeden von euch. Meine Funken, meine Fünkchen. Die Schrecken des Wassers werden Hier und Heute ein Ende finden. So wie das Eis bald folgen wird. Ihre Wiedergeburt erfüllt sich in den kommenden Tagen in unserem Heiligtum. Und jetzt ... entfachen wir gemeinsam den Segen des Feuers!”, er schritt mit ausladenden Handbewegungen zur Seite und obwohl ich nicht verstand wie, so blieb er dennoch in dem Fensterrahmen, ohne sich daraus zu entfernen. Verrückt!
Ich schluckte. Nein. Das war nicht verrückt, aber das, was ich danach zu sehen bekam, allemal. Lichius verschwand binnen von Sekunden und nun tauchte eine nackte dunkelhäutige Frau auf. Ihr zierliches Gesicht lächelte mir entgegen. Geradezu göttlich wirkten ihre grell glühenden Augen. Sie war so wunderschön. Rotes welliges Haar fiel ihr bis über die Schultern. Ihr schlanker Körper war übersät mit Flammen- sowie Sonnensymbolen. Wer, bei den Monden, war das? Wie viele Menschen gab es denn noch mit leuchtenden Augen? Sie bewegte sich rhythmisch zu dem neu beginnenden Takt der Trommeln. Gleich eines Tanzes.
“O Gott ...”, flüsterte ich schockiert, als ich erkannte, dass sie sich auf einem nackten Mann räkelte – Zerian! “NEIN!”, schrie ich sogleich panisch, als sie ihm einen schmalen Dolch in den Brustkorb stieß. “GOTT! HÖRT AUF!” Ich rannte zu dem magischen Fenster und klopfte wie wild gegen das Glas. Jedoch – nichts passierte. Die rote Frau machte einfach weiter. “BITTE! Lasst ihn! Er ... er hat doch nichts getan!” Mein Flehen blieb ebenso erfolglos. Wurde vollkommen ignoriert. O GOTT! Es steckten schon einige Dolche in seinem Körper. Er blutete. Hatte Schmerzen. Wieso tat sie das? Warum stand Lichius nur untätig daneben?
Ich fand einfach keine Antwort darauf. Auch nicht, warum Zerian sich nicht selbst befreite. Er lag zwar rücklings auf einer breiten Steinplatte – an Handgelenken und Knöcheln festgebunden – ABER, er war doch ein Gott! Er könnte sich doch ganz leicht mit seinem Wasser befreien – oder, funktionierte es bei ihm hier unten auch nicht? Hoffte er etwa auf meine Rettung? Tränen liefen meinen Wangen hinab – ließen meine Sicht verschwimmen. Ohhh was mache ich jetzt nur?
Plötzlich wurden die Trommelschläge lauter und Zerian verschwand aus meinem Sichtfeld. “Halt! Warte! Zerian?!” Eilig wischte ich über meine Augen und suchte angestrengt nach ihm – vergeblich. Lodernde Flammen war alles, was ich erblickte. Oh, dann wechselte die Magie erneut. Ich sah alles so seltsam entfernt von oben. Einen riesigen Raum mit brennenden Feuerschalen und geschmückten Steinsäulen – gleich einem Altar. Kurz glaubte ich sogar, dass sich ein Fluss aus Feuer dort hindurch zog. Moment. JA! Das ist doch die Halle, welche nach den endlosen Treppen folgte. Ich weiß, wo das ist!
Hastig rannte ich zurück zur Tür. Ich muss sie irgendwie aufkriegen. Muss! “Komm schon Eis! Mach die Tür auf! Zerian braucht meine Hilfe!” Nichts. Meine Hände brachten trotzdem kein Eis hervor. “O bitte! Was soll ich denn machen? Cor ... Del ... bitte helft mir. BITTE!” Kein Eis. Kälte war alles, was ich fühlte. Aber. Das half überhaupt nicht – brachte mich kein Stück weiter.
“In Blut soll er auferstehen”, hörte ich Lichius sprechen, wodurch ich mich besorgt herumdrehte. Mit seiner Krone und der Maske sah er immer noch so unwirklich aus. Als wäre das alles hier nur ein Traum – ein schrecklicher Alptraum!
“Rotes Blut, wie die Flammen, die wir so lieben”, fuhr er fort und dann konnte ich endlich wieder Zerian sehen. Freude empfand ich jedoch nicht bei seinem Anblick. Sein Oberkörper war blutverschmiert. Er atmete angestrengt – versuchte, etwas zu sagen, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Die Trommeln sowie die beginnende Musik im Hintergrund verschluckten all seine Laute. “Bei Gott, Lichius, bitte lass ihn frei! ER STIRBT JA NOCH DEINETWEGEN!”
“De Asa sire meeha ... Die Sonne hat gesprochen”, meldete sich nun zum ersten Mal die rote Frau zu Wort. Ihre Stimme klang weich und unglaublich verführerisch. Es machte ihr offensichtlich sehr viel Spaß, auf Zerians Schoß zu reiten und ihm dabei Leid zuzufügen.
“Erhört mich! Meine Funken, meine Fünkchen. Erhört die Sonne ... damit ein jeder den heiligen Segen bekomme.” Lichius war ebenso ganz in seinem Wahn gefangen. Er schritt auf und ab. Gestikulierte mit feinen Armbewegungen. “Vergesset im Heiligtum all eure Sorgen, denn hier ist das Licht ... hiieerr ist immer Morgen! Ich liebe euch. Ich liebe die Meinen ... Ich lass für euch alles heller erscheinen. Ihr steht inmitten des Feuersturms, im Herzen der Sonne und vergeht dabei in größter Wonne. Ich bin heute JETZT und HIER! Bestrafe den Gott des Wassers für all seine Gier! Er nimmt uns Leben, nimmt uns Wert ... darum singt heute mit dem Feuer, welches ihn verzehrt.”
Fassungslos hörte ich seine Worte. Hörte, wie Menschen dazu überschwänglich jubelten. Was bitte stimmt nicht mit denen? Sah denn keiner, dass Zerian das nicht wollte? Er Schmerzen hatte? Sie ihn damit töteten? Mir brach allein schon sein verzweifelter Gesichtsausdruck das Herz.
“Hilfe! AUFMACHEN!” Ich hämmerte mit aller Kraft gegen die Tür. Irgendjemand hält bestimmt Wache draußen. Vielleicht kann ich denjenigen überrumpeln, bestechen – egal was, Hauptsache ich komme hier raus!
“Wenn die Angst euch übernimmt ...”, hörte ich die rote Frau singen, wodurch ich mich unweigerlich herumdrehte, “betet zur Sonne, zum Licht der Sonne! Ich bringe Feuer, bringe euch Wärme, bringe all meine Gaben ... Seht ihr das Rot? Seht ihr die Farben? Könnt ihr es sehen?”
Sie stach erneut auf Zerian ein, was meinen Körper heftig zusammenzucken ließ. Das mit anzusehen – grausam. Es war einfach nur grausam. Für sie jedoch, schien es was ganz Normales zu sein. Mit einem Lächeln führte sie die Klinge anschließend langsam zu ihrem Mund und leckte das Blut genüsslich ab.
“Könnt ihr es spüren? Ich werde für euch brennen, werde das Wasser berühren. Allieee ... betet für mich zur Sonne ... zum Licht der Sonne. Hinauf zum Himmel, zum heiligen Stern ... Allieee, ich bin das Feuer, ich bin der rote Schein ... und so werde ich es auch ... für immer sein. Labt euch an meinen Flammen!”
Und nun hörte ich das erste Mal Zerians Stimme. Er schrie. Ein Schauer nach dem anderen fegte durch mich hindurch. Ich konnte nicht hinsehen – mich aber auch nicht abwenden. Ich war wie gelähmt. Es dauerte zudem einen ganzen Moment, bis ich verstand, was dort passierte. Die Frau – sie verbrannte ihn. Ihre Hände, welche federleicht über seine Haut tanzten, hinterließen rote Streifen oder Flecke. An einigen Stellen konnte ich deutlich die typischen Brandbläschen erkennen. O Gott, es sind nicht nur ihre Hände! Auch an der Hüfte verbrannte sie ihn. Überall wo ihr Körper seinen berührte!
“Über das Wasser kommt die Glut ... und wird kosten all sein Blut.” “Hör auf! DU VERRÜCKTER!”, brüllte ich Lichius mit einer Mischung aus Verzweiflung und Zorn entgegen, was ihn aber nicht kümmerte. “Ich singe mit euch, singe mit dem Feuer ... auf dass es geläutert wird, dies entsetzliche Ungeheuer. Seine Seele kalt wie unrein ... bringt zur Nacht stets die blaue Pein. Nun wird das Feuer in ihn fahren ... und uns vor weiterem Unheil bewahren. Deine Taten werden bleiben, egal wie viel du flehst ... besser also du vergehst. Das Wasser bringt uns nichts als Sorgen, aber nicht mehr heute ... nie wieder Morgen!”
“Ihr sollt öffnen! Bitte ...”, weinte ich gegen die Türe, während Zerians Schreie in ein klägliches und kraftloses Wimmern übergingen. “Bitte ... so hört doch auf ...” Ich rutschte kraftlos zu Boden, hielt mir krampfhaft die Ohren zu, und heulte dann nur noch. Das war alles zu viel für mich. O Gott – das ist meine Schuld!
“Zerian ... es tut mir so leid ... Wieso musste das alles passieren? Alles nur ... wegen mir ...”, schniefte ich traurig. Mein verschwommener Blick erfasste die funkelnden Glasscherben im Sand. Sofort kam mir eine Idee. Ich griff nach dem größten Splitter und zog diesen geschwind über meinen Arm. Wenn ich so wichtig bin und die Adligen mich beobachten, dann müssen sie darauf reagieren!
“M-mein Leben für seins! Ich verlange Zerians Freilassung! Man soll seine Verletzungen versorgen! Sofort!” Demonstrativ hielt ich meinen blutenden Arm in die Höhe, aber nichts passierte. Lichius sang einfach fröhlich weiter:
“Deine Seele geht zu gehen, schreitet durch das Licht ... kannst du es verstehen? Feuer ist deine Strafe schlicht. Der Sonne gehört all der Himmelhain, sie thront ... es ist kein Platz für dich, niemals für den blauen Mond! De Asa sire meeha ... Die Sonne hat gesprochen!”
“HÖR AUF!”, brüllte ich in seine Richtung und umgehend bildete sich rotes Eis. Verwirrt starrte ich auf das Gebilde an meinem Arm. “Es geht mit Blut?” Nein. “Gott, ich bin so dumm!”, fluchend rannte ich zum Badezimmer und öffnete den Wasserhahn. “Ohne Wasser ... kein Eis ...”, flüsterte ich und starrte konzentriert auf das Waschbecken. Umgehend bildete sich das Eis – kroch am Spiegel und weiter die Wand empor. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Eilig spähte ich nach einem Behältnis und füllte es mit reichlich Flüssigkeit. Mit voller Vase lief ich zur verschlossenen Tür zurück und klatschte das Wasser im hohen Bogen dagegen.
“O bitte ... bitte ...”, flüsterte ich andauernd, während ich mit rasendem Herzen verfolgte, wie die Eiskristalle Stück für Stück über das steinartige Metall krochen. Ich versuchte, es gezielt in die Spalte zu lenken – die Tür aufzustemmen. Es klappte! Mit einem lauten Knarzen und Klirren öffnete sich mein Gefängnis. Endlich!
“Zerian ... halte durch!”, rief ich und wollte gerade zurück zum Bad, neues Wasser holen, als mich jemand am Arm packte. Erschrocken schrie ich auf.
“Oh ho! Keine Panik. Ich bin’s.” Verunsichert musterte ich den Fremdling in dieser eigenartigen Rüstung. Ich kannte diese Stimme. Äußerlich ließ sich jedoch nichts erkennen. Ein Mann – zweifelsohne, aber sein Gesicht war von einem Helm verdeckt.
“Erkennst du mich denn nicht?”, fragte er belustigt und ruckartig verschwand der Sichtschutz wie durch Magie. “REZNICK!”, rief ich überrascht und konnte meine Tränen nicht unterdrücken. “O Gott, Reznick, du-du bist hier!” Ich umarmte ihn – presste mich fest an seine Brust.
“Schnell, wir müssen Zerian retten! Er wird gefoltert! Bitte, du musst ihm helfen! Bitte!”, flehte ich und nahm wieder mehr Abstand zu ihm ein. “Komm. Schnell! Hier lang. Ich weiß, wo er ist. Schnell jetzt!” Ungeduldig zog ich an seinem Arm.
“Shhh, eins nach dem anderen, meine Liebe”, sagte er gelassen und plötzlich wurde mir schwarz vor Augen.