⊶Ikathes Sicht⊷
Reznicks Vitalwerte brachen derart schnell ein, dass selbst ich im ersten Moment an der Beschriftung der Int-Ampulle zweifelte. Aber. Das ergab keinen Sinn. Weder zahlentechnisch, noch der Persönlichkeit von Leopold entsprechend. Er hätte keinen Grund gehabt, im Trakt die Medikamente zu vertauschen oder zu manipulieren. Selbst wenn er dort irgendeinen Plan vorbereitet hatte, um mich zu testen, wäre Derartiges für meine Hülle irrelevant. Ebenso kam nicht infrage, dass er genau diese Situation hier vorhergesehen hatte. Darin lag nämlich keine Erziehung. Einzig was dieses Ereignis förderte, war Reznicks Leid sowie sein Misstrauen und letzteres musste nun wirklich nicht noch zusätzlich befeuert werden. Wobei. Kaum würgte er stotternd das Wort ‘Vater’ heraus, kam in mir der sonderliche Wunsch auf, dass es doch so sein möge. Wenn Leopold dies als Strafe für seinen Sohn erdacht hatte, wäre es einfacher zu beheben – anders als die Wirklichkeit.
“Fräulein Dezeria?” Ich musste schnell handeln, andernfalls würde gleich mehr als nur ein unumkehrbares Unglück passieren. “Bitte löst das Eis.” Sie reagierte nicht, sondern verschlimmerte diesen störenden Umstand nur noch. Wie eine Schraubzwinge quetschten ihre Kristalle unter beständigem Knacken die Glieder der Puppe. “Dezeria!” Ihr Tränen verhangener Blick huschte kurz zu mir, bevor sie sich wieder auf den Reznick konzentrierte, dessen Krampfanfälle immer schlimmer wurden. “Wenn Ihr mich nicht freigebt, wird er sterben!” Ein Ruck ging durch ihren Körper.
“Sagt mir, was er hat! Was IHR im Auftrag seines Vaters getan habt!” Endlich nahm sie das Eis von mir, sah mich aber zugleich derart verhasst an, als wollte sie meinen Tod.
“Es liegt aller Wahrscheinlichkeit am Auwolast.” Ich ignorierte ihre offensichtliche Feindseligkeit gegen mich, eilte zu den Taschen und schnappte mir eine weitere Int-Ampulle mit dem Siasal-Wirkstoff sowie einen Halsreif. Letzteren verbarg ich vorsichtshalber in meiner Kleidung. Wenn die Situation weiter eskalierte, musste ich ihn zu meinem eigenen Schutz bei ihr benutzen.
“Das Auwolast ... Ist das nicht sein Blut?”
“Ja.” Ich kniete mich neben die beiden und kontrollierte erst einmal meine Vermutung. Ich schob bemüht sanft Reznicks Lider auf, um hineinsehen zu können. Und in der Tat fand sich darin der Beweis. Es kam also ohne Zweifel von Leopold direkt, was das ganze nun äußerst schwierig machen würde.
“Gott, warum sehen seine Augen so aus? Warum sind sie tiefschwarz?”
“Wegen der Kontrolle ...” Umgehend setzte ich den Injektionsstempel an seinen Hals an. Leider behinderte Dezeria dann jedoch meine Hilfe, indem sie nach dem Gerät griff.
“Was wird das?!” Sie entriss es mir und ließ erneut Eis um mich herum sprießen. Inakzeptabel. Langsam aber sicher verlor ich die Geduld.
“Noch einmal Siasal ...” Für Verzögerungen war keine Zeit und obwohl ich um die nachfolgenden Konsequenzen wusste, so entschied ich mich dennoch dafür. “Bitte, verzeiht.” Ich umfasste ihren nackten Oberarm und jagte einen genau abgestimmten Stromstoß durch ihren Leib. Zuckend kippte sie zur Seite und um den paralysierenden Effekt noch ein bisschen länger aufrechtzuerhalten, behielt ich die Hand auf ihrer Haut und wiederholte den Vorgang. “Ich weiß, dass Euer Handeln nur aufgrund der Sorge und Furcht um Reznick basiert.” Schnell legte ich ihr den Halsreif mit dem Bleasta um und nahm die Int-Ampulle wieder an mich. “Ich verurteile daher Euern Drang, ihn zu beschützen und zu helfen, nicht, obwohl dieser im Moment alles andere als tatsächlich hilfreich ist.” Eilig wandte ich mich anschließend Reznick zu und drehte ihn auf den Rücken. Er rührte sich schon nicht mehr, was alles andere als ein gutes Zeichen war. Sein Körper gab auf. Nur schwach vernahmen die Sensoren noch seinen Herzschlag. Ob er es schaffen würde, stand lediglich bei 50 Prozent. Tendenz fallend.
“Reznick, ich weiß nicht, ob du mich hören kannst, aber du musst dagegen ankämpfen.” Zielstrebig verabreichte ich ihm gleich fünf Dosen des Siasals. Jeweils eine davon rechts und links an seinem Hals nahe den Hauptadern, während die anderen in seinem Brustkorb landeten. Sein Körper regte sich darauf zwar nur mit einem schwachen Beben, aber das war immerhin ein guter Anfang. “Du hast bisher stets gegen den Einfluss deines Vaters gekämpft. Du kannst auch das hier überstehen. Deine Essenz ist perfekt dafür, das habe ich auf den Aufzeichnungen eures Kampfes gesehen, du musst sie nur nutzen.” Meine Worte brachten nichts. Er öffnete nicht einmal die Augen. Kritisch. Ohne sein bewusstes Zutun würde sich der Bann nicht brechen lassen und ich hatte keine Daten, wie weit die Befehlswelle reichte oder wie lange Leopold diese noch aufrecht hielt. Ärgerlich derartige Informationslücken, denn das zu wissen war auch im Bezug auf Hendrickson extrem wichtig. Immerhin könnte dieser nun ebenso mit seinem Tod ringen. Einziger Vorteil bei ihm war, er hatte dementsprechende CeKydes bei sich, die ihn im Notfall mit allem Nötigen versorgen konnten. Trotzdem brauchte ich Gewissheit. Meine Berechnungen liefen diesbezüglich schon auf Hochtouren.
“Reznick ...” Dezeria kämpfte gegen die von mir verursachte Schwäche und zog sich halb auf ihn. “Bitte sag etwas ...” Sie prüfte auf ihre primitive Weise seine Vitalwerte, tastete nach seinem Puls und horchte unter Tränen nach seinem Herzschlag. Währenddessen ignorierte sie mich vollkommen, als würde ich nicht existieren. Gut. Ihr zusätzliches Leid anzutun lag mir fern und doch würde ich davor nicht zurückschrecken, sollte die Intaktheit der Puppe gefährdet werden. “Warum ... tun sie dir das nur an?”
“Sein aktueller Zustand wird nicht bewusst von Leopold herbeigeführt.” Ich stand auf und hielt ihr auffordernd die Int-Ampulle hin.
“Was?!” Das eingearbeitete Bleasta in ihrem Halsreif flackern weiß auf. “Ihr erwartet doch jetzt nicht ernsthaft von mir, dass ich Euch diesen Unsinn glaube! Auch werde ich ihm dieses Ding gewiss nicht geben, es hilf ja ganz offensichtlich nicht! Gar nichts habt Ihr getan, damit es ihm besser geht! Ihr habt sogar irgendetwas mit MIR–”
“Mit Verlaub, Fräulein Dezeria, ich habe keine Zeit für diese Diskussion. Meine Zahlen kommen zu zwei Ergebnissen und welches ich nehme, hängt allein von Eurer Entscheidung ab.” Es lag schlicht nicht in meiner Macht – nicht an meinem Können, das Kommende zu einhundert Prozent zu bestimmen. Leider. “Entweder Ihr helft mir jetzt ohne Aufbegehren oder Ihr stellt Euch gegen mich und verzögert alles nur unnötig.” Ihr Gesichtsausdruck mit der deutlich sichtbaren Wut darinnen sprach Bände. In diesem aufgewühlten Zustand würde sie wohl nicht die richtige Wahl treffen. Bedauerlich. Menschen waren schon immer das größte Problem und mich frustrierte ihre Notwendigkeit in meinem Plan. Ihr Handeln richtete sich wirr nach Emotionen, die in seltensten Fällen die richtige Lösung ergaben.
“Wählt endlich. Die Zeit ist begrenzt. Wollt Ihr nun mit Reznick hier verschwinden oder nicht? Soll er leben oder sterben?”
“Das zu fragen ist dumm!” Sie wischte sich ruppig über die Lider, um die Tränen zu trocknen, und entriss mir anschließend die Int-Ampulle, während ich noch über das Wörtchen dumm nachdachte. Wie konnte sie mich als dumm betiteln? “Und jetzt?! Was wollt Ihr von mir?”
“Dass ... Ihr nützlich seid.” Ich verwarf meine Berechnungen, warum sie dieses Wort benutzt hatte, und konzentrierte mich ebenso aufs Wesentliche. “Ich kann nicht alles alleine machen. Wenn ich Euch sage, dass Reznick erneut eine Dosis des Siasals benötigt, werdet Ihr ihm diese geben. Unabhängig Eures eigenen Unbehagens.” Ich wandte mich ab, ging zu Elian und reichte ihm die Hand. “Junger Herr, wir brechen nun auf.”
“Warum?” Er blickte lächelnd zu mir. “Leos Licht leuchtet hell. Es ist wunderschön und so unendlich machtvoll. Ich will noch nicht gehen.” Das Neubottin wirkte immer noch hervorragend und unterstützte seine naturgegebene Fähigkeit, stetig die negativen Empfindungen zu zerstreuen sowie die positiven Gefühle zu verstärken. Ihn zu lenken war leicht.
“Es ist der Wille von Re’Nya’Ca Fyl. Leopold Weckmelan, dass Ihr mich begleitet. Ihr wollt ihn doch nicht enttäuschen, oder?” Dezeria schnaubte abfällig, aber das änderte nichts an der von mir gewollten Reaktion von Elian. Entsetzt weiteten sich seine Augen, bevor er regelrecht aufsprang.
“Natürlich nicht!” Etwas unschlüssig hüfte er von einem Bein aufs andere. “Was hat Leo denn gesagt? Wohin soll ich gehen? Ich will ihn nicht enttäuschen.”
“Zum Hangar ...” Kaum ausgesprochen flitzte er auch schon los. Unglaublich dieser Junge. “Wartet!” Ich erwischte ihn noch gerade so am Kragen. “Zuerst benötigt das Fräulein Suciu noch Eure Unterstützung. Sie brauch–” Ich stoppte, denn sobald Elian sie erblickte, ging ein Ruck durch ihn. Offensichtlich erinnerte er sich wieder an die Umstände seines Hierseins und ließ die drei trüben Kugeln, bestehend aus seiner Essenz, sofort in einem satten Gelb erstrahlen.
“Eli ...” Es wirkte. Suciu wurde umgehend munterer. “So schön ...” Sie lächelte und hob die Hand in Richtung eines der Lichter.
“Fräulein Suciu ...” Durch meine Worte zuckte sie zusammen und zog auch ihren Arm zurück – presste ihn fest an sich. “Verzeiht, ich wollte Euch nicht erschrecken. Ich benötige den STH, Euren Stuhl, um Reznick damit zu befördern. Ich werde Euch somit jetzt anfassen müssen, bitte entschuldigt.” Ihr Körper versteifte, was aufgrund ihrer Vergangenheit nachvollziehbar war. Rein zeittechnisch betrachtet, wäre es sinnvoller gewesen, sie in dem Dämmerzustand zu lassen und einfach stillschweigend umzusetzen. Dennoch entschied ich mich dagegen, um sie zu schonen. Ihre Werte waren bereits zu niedrig und es lag mir fern, sie mit meinem Handel weiter zu schädigen oder zu traumatisieren. Ich brauchte nicht noch mehr Komplikationen. “Keine Angst. Ich werde vorsichtig sein und der junge Herr Elian ist auch an Eurer Seite.”
“W-wo ist Eli?”
“Ich bin hier.” Sie tastete ängstlich nach ihm.
“Bitte halt mich ...” Er zögerte, griff dann aber doch nach ihrer Hand, während ich bereits die Halterungen um ihren Oberkörper löste.
“Ich hebe Euch jetzt runter.” Die Maugeri war zwar von kleiner Gestalt, dennoch besaß die Puppe eine nützliche Stärke. Suciu konnte ich ohne Probleme aus dem Sitz heben und neben Elian auf den Boden platzieren. Anschließend verband ich mich mit der Elektronik des STHs, hielt dann jedoch inne, weil Reznicks Herz ins stottern kam.
“Fräulein Dezeria, bitte jetzt eine Einheit des Siasals nahe den Hauptschlagadern am Hals verabreichen. Es ist dabei nicht von Bedeutung, auf welcher Seite.” Danach widmete ich mich wieder dem Systemcode und programmierte einige Stellen für meine Zwecke um. Darunter unter anderem die Funktion der Beleuchtung, die integrierte Überwachung der Vitalwerte sowie die Steuerungstechnik. Leider musste ich meine Arbeit zwischendrin erneut unterbrechen, weil ich von Reznick keine Besserung vernahm. Genervt blickte ich zu den beiden. “Ihr solltet ihm doch eine Dosis geben.” Wie sollte das denn effektiv funktionieren, wenn ich sie dennoch kontrollieren musste?
“Das habe ich!” Wütend sah sie mich an und zeigte auf die Stelle. “Da habe ich es benutzt!”
“Dann wiederholt den Vorgang an seinem Brustkorb. Mittig.” Sie zögerte und entschuldigte sich flüsterleise bei Reznick, bevor sie brav tat, was ich verlangte. Ich beobachtete sie dabei sehr genau. Es bestand immerhin die Möglichkeit, dass sie mit dem Mechanismus der Int-Ampulle nicht zurechtkam. Aber nichts dergleichen war der Fall. Sie betätigte korrekt den schwarzen Druckknopf am Kopfende und injizierte das Mittel an besagter Stelle. Es brachte jedoch nicht den gewünschten Effekt. Bedauerlich.
“Nicht gut.” Ich stellte die Lehne des STHs so ein, dass er nun einer Liege gleichkam, und brachte die Konstruktion zu ihnen.
“Was ist nicht gut? Mache ich es falsch?”
“Nein, aber sein Zustand verschlechtert sich trotz des Medikaments.” Ich trennte das Verbindungskabel, um beide Hände frei zu haben, und stellte mich vor Reznick.
“Das heißt?!”
“Dass er sterben könnte, wenn wir uns nicht beeilen.” Ich ignorierte ihren schockierten Gesichtsausdruck und bemühte mich, so vorsichtig und schnell wie möglich, seinen Körper hochzuheben. Da er bedeutend größer als die Puppe war, tat ich mir mit seinen Gliedmaßen schwer. Dezeria sprang allerdings sofort auf, um zu helfen. Gemeinsam legten wir ihn schließlich auf die Liege.
“Kann er sich davon überhaupt noch erholen?” Sie streichelte schniefend seine Wange und sah mich auffordernd an, aber ich schenkte ihr keine Beachtung. Konzentriert aktivierte ich über das Bedienfeld an der rechten Armlehne das Licht für die Sitzflächen. “Wird ihm dieses Rea-Ding helfen?”
“Nein.” Sie wich nicht von seiner Seite, während ich schon wieder auf dem Sprung zu meinen Taschen war. “Heilen kann er nur, wenn er nicht mehr unter dem Einfluss seines Vaters steht.” Ich kramte eine Decke sowie eine zweite Int-Ampulle hervor und eilte zurück, um ihr den roten Stoff in die Hände zu drücken. “Wärmt ihn. Ich habe die Leuchtstäbe zwar soweit modifiziert, dass sie jetzt auch Wärme abstrahlen, aber das wird nicht reichen, wenn dieses Aufputschmittel seinen Körper durcheinanderbringt.” Kaum ausgesprochen, trieb ich das KasXal auch schon direkt in sein Herz.
“Ich soll ihn bloß warmhalten, während er im Sterben liegt?” Trotz ihres Misstrauens deckte sie ihn gründlich zu.
“Ihr sollt ihn wärmen und nebenbei in einer gleichmäßig langsamen Geschwindigkeit bis zwanzig zählen. Ist die Zahl erreicht, verabreicht Ihr ihm das KasXal erneut in die Brust. Danach wiederholt den Vorgang.” Ich legte die Int-Ampulle auf Reznick ab und schnappte mir eine meiner Drohnen, um sie mit dem STH via Kabel zu verbinden.
“Und wie soll ihm das bitte helfen?”
“Es wird ihn lange genug am Leben halten. Alles Weitere ist für Euch nicht wichtig.” Sie schnaubte abfällig.
“Das ist alles? Das soll ich Euch glauben? Oder ist es nur das, was ich hören muss, um zu gehorchen?” Die Wut war deutlich hörbar in ihrer Stimme und ohne Zweifel spielte sie auf meine zuvor genutzten Worte bei Elian ab. Ich ließ mich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Fehlerlos verknüpfte ich die beiden Maschinen miteinander.
“Ich sage Euch genau das, was Ihr hören müsst.” Es zu leugnen wäre sinnlos. “Natürlich steht es Euch frei, zu Euren Monden oder dem Gott daraus zu beten und auf anderweitige Lösungen zu hoffen. Ich tue im Moment das, was ich tun kann und muss, um euer aller Überleben zu gewährleisten. Inklusive meinem. Seid nämlich Gewiss, dass Re’Nya’Ca Fyl. Leopold Weckmelan auch mir endlose Qualen bereiten würde, sollte Reznick sterben.” Erschreckend viele meiner Berechnungen ergaben bereits dieses unschöne Ende meiner Existenz und die Wahrscheinlichkeit dazu stieg mit jeder verstrichenen Sekunde. “Wenn Ihr nichts Sinnvolles beitragen könnt, gehorcht und gebt ihm das Mittel. Die Zwanzig dürftet Ihr zählerisch doch bereits erreicht haben, oder nicht?” Das zu sagen war gemein. Ich wusste das. Dezeria hatte keinen Grund, mir zu trauen, sorgte sich um ihren Liebsten und litt nach wie vor stark unter der Essenzwunde. Sie war erschöpft und geschwächt – körperlich sowie geistig am Ende und doch konnte ich darauf keine Rücksicht nehmen.
“Seid Ihr denn ein Mensch? Könnt Ihr überhaupt Leid empfinden?” Ihre Körperhaltung machte deutlich, dass sie darauf keine Antwort erwartete. Ihre Aufmerksamkeit galt wieder allein Reznick, dem sie mit wütendem Gesichtsausdruck und laufenden Tränen das KasXal gab. Die Chancen standen nicht unbedingt gut, dass ihre Mithilfe jetzt länger anhielt, dennoch war ich dankbar dafür.
Geschwind beendete ich die letzten Softwarekonfigurationen der Drohne, schnappte mir eine der etwas abseits stehenden Taschen und platzierte sie auf Reznicks Beinen. “Du wirst ebenfalls bei ihm Platz nehmen. Möglichst so, dass du während der Fahrt nicht runterfällst.”
“Wie, bei ihm? Ich soll auf ihn klettern?”
“Korrekt. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Wir brechen jetzt auf.” Ich eilte zu Suciu, die noch immer am Boden in Elians Armen verweilte. Sie lächelte glücklich, jedenfalls solange, bis ich bei ihnen ankam. “Fräulein Suciu, ich werde Euch erneut anfassen müssen. Sogar eine Weile tragen, um genau zu sein.”
“I-ich werde das machen!” Elian drängte sich schützend vor sie.
“Mit Verlaub, Eure Muskelkraft könnte versagen, meine dagegen nicht. Was, wenn Ihr sie unterwegs vor Erschöpfung fallen lasst?” Von seiner grundlegenden Tollpatschigkeit einmal abgesehen. “Für ihre Sicherheit bin ich eindeutig die bessere Wahl.” Er haderte mit sich und Suciu selbst würde sich dazu nicht äußern. Trotz jedweder Unannehmlichkeit oder Gefahren bevorzugte sie seine Berührungen. “Junger Herr, wir tragen sie gemeinsam. Ich nehme sie auf meinen Rücken und ihr bleibt dicht hinter uns, um sie zusätzlich abzustützen, in Ordnung?” Anders war auf dem Fahrpannel ohnehin kein Platz.
“Einverstanden ...” Er klang zwar nicht überzeugt, beschwerte sich aber nicht weiter, als ich sie anschließend hochhob und zur Plattform trug. Jetzt konnte es endlich losgehen, wenn da nicht noch eine Kleinigkeit wäre.
“Fräulein Dezeria, was sind Eure bedenken?” Sie befand sich noch immer neben dem STH und nicht darauf. “Reznick wird gewiss keinen Schaden durch Euer Gewicht erleiden.”
“Er hat Schmerzen, natürlich wird ihm das wehtun! Warum kann ich nicht bei Euch mit?”
“Jedes der Geräte wird aktuell nicht über die Leitplatten im Boden mit Energie gespeist. Ich muss unser Gewicht aufteilen. Drei meiner Taschen lasse ich deswegen bereits zurück. Ihr könnt mir glauben, dass ich es anders machen würde, wenn ich könnte. Steigt auf, oder bleibt hier. Sein Zustand duldet keinen weiteren Verzug. Ich lasse Euch nachholen, solltet Ihr Euch dennoch weigern.” Meinen Zahlen nach hätte ich es von vornherein anders lösen sollen, aber nun war ich nun einmal an diesem Punkt, wo ich es nicht mehr ändern konnte. Bedauerlich. Wenigstens überwog Dezerias Drang, ihm zu helfen. Mit deutlichem Unbehagen kletterte sie auf ihn und kam breitbeinig auf seiner Taille zum Sitzen. Endlich.
Ich startete die Maschinen. Dank meiner Programmierung konnte ich jetzt nicht nur das Fahrpannel via Funksignal steuern, sondern auch den STH über die Drohne dirigieren. In Windeseile sausten wir durch die Flure. Die Zerstörung durch Leopold war auch in diesem Teil des Schiffes weit vorgedrungen. Erst nach fünf Minuten unter Nutzung der Höchstgeschwindigkeit erreichten wird ein Abteil, in dem die Stromversorgung wieder funktionierte. Hier fühlte ich mich sofort deutlich wohler.
“Das ist nicht der Weg zum Hangar.” Ich war überrascht von Elians Worten. Mit einer Wahrscheinlichkeit von unter einem Prozent hatte ich errechnet, dass ihm mein Umweg auffallen würde. Aufgrund dieses geringen Werts hatte ich das Ergebnis sogar verworfen, aber genau dieses trat jetzt ein. Interessant. “Hast du nicht gesagt, Leo will, dass wir dorthin gehen? Wo bringst du uns stattdessen hin?” Sein Bedürfnis, Leopold zu gehorchen, lag höher als sein Interesse an Suciu. Sie lenkte ihn nicht genügend ab. Ob das daran lag, dass sie sich noch immer nicht verbunden hatten? Gerne hätte ich dies Verhalten näher analysiert, aber dazu fehlten mir die Kapazitäten.
“Wie, geht es doch nicht zum Schiff?!” Natürlich hatte Dezeria, die sich mit Reznick fünf Zentimeter hinter uns befand, auch was davon mitbekommen.
“Richtig. Vorerst geht es nicht zum Hangar.”
“Aber wieso? Wohin bringt Ihr uns? Etwa ... zu IHM? Zu diesem Monster?!”
“Ich sagte doch bereits, dass wir weitere Elementare mitnehmen werden.”
“Heißt ... wir holen Zerian? Ist er hier? Geht ... Geht es ihm gut?”
“Aufgrund von Reznicks Zustands musste ich meine Pläne, was die Reihenfolge angeht, umschreiben.”
“Und das bedeutet?”
“Kommt Ihr nicht selbst darauf? Reznick quält sich durch das Auwolast und sein Bruder trägt es ebenso in sich. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Hendrickson im Augenblick auch um sein Leben ringt.” Die Chance dazu lag bei nichtssagenden 50 zu 50 und ließ sich leider weder in die eine, noch in die andere Richtung besser bestimmen. Ich musste mich schlicht und ergreifend vergewissern. Beide Kinder mussten überleben und ob ich dies schaffen konnte, würde sich in den nächsten Minuten entscheiden. Zahlen. Ich brauchte aktuelle Zahlen!
“Wir sind da.” Ich stoppte unseren Verbund, senkte das Fahrpannel auf den Boden und ließ Suciu vorsichtig von meinem Rücken gleiten. Elian kümmerte sich um sie, ohne einen weiteren näheren Blick auf das Umfeld zu werfen. Was gut war, denn dass er einen Anfall bekam, weil wir uns hier bei Wind befanden, brauchte ich jetzt nicht noch zusätzlich.
Schnell lief ich zur Tür und klinkte mich in die betreffende Steuerung. Leopold hatte seinen Sohn vorsorglich eingesperrt, aber das war kein Problem für mich. Mit Leichtigkeit löste ich die Verriegelung und starrte auf das sich öffnende Schott. Jetzt würde sich zeigen, ob der Einflussbereich des Rea-Blutes bis hierher wirkte und ob ein Kind fiel oder ich eben beide retten konnte. Mein Handeln – meine Entscheidung veränderte alles.