“Bitte-bitte nicht so schnell! Wo-wo willst du denn hin?”, keuchte Johanna hinter mir, weil mein zügiger Stechschritt für sie einfach viel zu schnell war. Mehrfach stolperte sie, aber ich ließ ihre Hand nicht los und zerrte sie energisch immer weiter. Ob sie nun wollte oder nicht, es war bedeutungslos. Wenn sie sich weigern würde zu laufen, würde ich sie eben tragen. Ich wollte nur noch zu meinem Schiff und niemandem hier die Möglichkeit geben, mit ihr zu reden. Ja, Johanna, du gehörtest nun vorerst zu mir und keiner würde dies jetzt ändern können. Niemand sollte dich wegen unserer Hochzeit etwas fragen können – dir nicht die Chance geben, dich bei den laufenden Überwachungen zu verplappern. Außerdem fühlte ich mich dort am wohlsten ... Der in mir brodelnde Wahnsinn würde sich sicherlich endlich beruhigen, wenn ich in meinem Meer war – in meinem Zuhause. Heka würde mir nebenbei erklären, warum ich kein Signal bekommen hatte und damit all meine Sorgen endgültig zerstreuen. Hm ... eine Erklärung und ein Aufruf der Drohnenkamera natürlich. Ja, Dezeria ... ich musste dich einfach sehen. Musste einfach ...
*
Wir erreichten den Hangar und dies war der Moment, in dem ich Johanna das erste Mal losließ. Sie keuchte und hockte sich entkräftet hin, während ich vor meinem ellipsenförmigen Raumschiff stand. “Heka, öffne!”, rief ich, aber ohne das etwas passierte. Hm? “Heka? Antworte!” “Mit wem sprichst du?”, fragte Johanna atemlos und sah sich verunsichert um. “Was ist das hier? Den Raum kenne ich gar nicht.” “Eine Halle nur für Fahrzeuge der Adligen”, murmelte ich genervt und tastete die metallic-blaue Außenhaut ab, um an die manuelle Steuerung zu kommen. Ich fand auch schnell das kleine unscheinbare Feld, welches mit einer Druckmechanik öffnete und ein etwas älteres Modell eines Loginsystems freigab. Ein Tastatureingabefeld ... jap, es mochte alt sein, war aber immer noch das Sicherste, welches es derzeit auf dem Markt gab. Wenn es die Bordtüre nicht öffnen konnte, war ich echt am Arsch. Dann bliebe mir nur noch die Option, diese aufzufräsen und das würde verdammt lange dauern.
“Heißt, das ist alles Adelstechnik hier? Auch dieser glatte Stein?”, hörte ich es dumpf, aber es verlor seine Bedeutung. Mich beschäftigte nur eins ... WAS BEI ALLEN REA WAR HIER LOS!? Wieso reagierte Heka nicht auf meine Stimme? Wieso auf keinen unserer Sprachkanäle? War es doch ein Sabotageakt? Aber das war unmöglich! Verfluchte Scheiße! Ich spürte wie sich jeder Muskel in mir bis zum Bersten anspannte und ich unweigerlich etwas zerschlagen wollte ... Gleich ... gleich riss mein letzter Geduldsfaden ... “Reznick?”, fragte Johanna vorsichtig und berührte mich leicht an der Schulter. “Nicht jetzt!”, blaffte ich sie an, während ich die letzte Zahlenkombi eingab. Komm schon ... Geh auf! Geh auf ...
O Mann! Ja! Eine tonnenschwere Last fiel schlagartig von mir ab, als sich die Türe mit einem leisen Zischeln öffnete. Nichts wie rein! Ich packte mir kurzerhand Johanna, warf sie über meine Schulter und ging zügig ins Schiff. “AHH! Nein! Lass mich runter! Bitte! ”, schrie und zappelte sie, aber für ihre Panikattacke hatte ich jetzt weder Zeit noch irgendwelche Nerven übrig. Vielmehr wunderte ich mich, dass hier seltsamerweise alles auf Standby war. Nur spärlich erhellte ein rötliches Notfall Licht die Räumlichkeiten.
“Was ist das hier?! Bitte! Nein!” “Beruhige dich oder ich vergesse mich gleich!”, knurrte ich, was die Situation nicht unbedingt verbesserte. Sie verkrampfte sich vor lauter Panik, als ich sie schließlich auf eines der breiten Sofas warf. Wie ein Häufchen Elend blieb sie schluchzend auf dem Rücken liegen und spreizte die Beine – wartete auf das, was definitiv nicht passieren würde. Tz! Also wirklich. Ich hatte bestimmt nicht vor, sie auszuziehen und über sie herzufallen. Ich hatte gerade ganz andere Sorgen! Frustriert und gestresst fuhr ich mir durch die Haare und wandte mich meinem Schreibtisch zu. Mit gerunzelter Stirn musste ich dabei feststellen, dass Heka nicht einmal die beschädigte Bedienoberfläche repariert hatte. Das Glas war immer noch deutlich zersprungen und damit unbenutzbar ... Toll. Wirklich toll.
“Das is doch wohl ein schlechter Scherz! Heka!? Zustandsbericht!”, knurrte ich wütend, auch wenn mir bereits klar war, dass ich keine Rückmeldung erhalten würde. Ich kramte also technisches Werkzeug zusammen und stemmte eine der verborgenen Wandverkleidungen auf. Ich konnte nicht glauben, dass ich mein eigenes Schiff nun zerlegen musste – irgendwer hatte ganze Arbeit geleistet. Sicherlich ein gezielter Angriff, aber meine ursprüngliche Vermutung, dass es etwas im Bereich EMP war, bestätigte sich nicht. Die Platinen sahen allesamt unbeschädigt aus ... seltsam.
Ich machte probeweise erstmal einen Reboot, bevor ich gezwungenermaßen noch weitere Hardwareteile auseinanderschrauben musste. Das Licht im Raum flackerte kurz, setzte für ein paar Sekunden gänzlich aus, und gab anschließend wieder diesen angenehmen grün-blauen-weißen Farbton zum besten. Am Rande hörte ich Johanna erschrocken die Luft einziehen und dann endlich das, was ich eigentlich hören wollte:
<Systemwiederherstellung beginnt.> “Du kannst frei sprechen, Heka. Johanna wird länger mein Gast bleiben und es ist nicht nötig, vor ihr etwas zu verheimlichen.” <Verstehe. Ich habe schlechte Neuigkeiten. Es gab eine gravierende Verletzung meines Linksystems. Eine böswillige Überlastung – gezielt um eine KI zu beschädigen. Aus Selbstschutz habe ich meinen Kern sofort heruntergefahren, daher konnte ich Euch nicht informieren. Erste Analyse läuft. Datensatz bisher bei 48% Funktionsfähigkeit.> “Kannst du mir trotzdem schon die Aufnahmen der Außenbordkameras auf mein Tablet legen? Ich will sehen, welches Schwein das gewesen ist!” Und danach werde ich ihn eigenhändig windelweich kloppen! Es war ein Verbrechen, Technik des Adels bewusst anzugreifen oder gar zerstören zu wollen! Dies kam einem körperlichen Angriff gleich, und dafür würde ich mich definitiv rächen! Diesmal bekommt er dafür nicht nur eine gebrochene Nase!
<Irrelevant. Angriff erfolgte nicht in diesem Hause.> Ich stutzte. “Wie nicht aus diesem Hause?” <Ursprung der Schadsoftware von der Drohne, welche bei der Person Dezeria verweilen sollte.> Meine Augen wurden groß und sofort gefror mir sämtliches Blut in den Adern. Die Drohne bei Dezeria?! Nein. Nein! Das konnte nicht sein! War ich bis gerade noch der Meinung, Richard habe sich über Nacht irgendwie an meinem Eigentum zu schaffen gemacht, so nahm das Ganze nun ein vollkommen anderes Ausmaß an. Hatte Hellkus sie etwa gefunden? Hatte ein Sektorand überhaupt derartige Technik, um eine hightech KI zu beschädigen?
“Existiert davon Bildmaterial? Lässt sich da was retten?” <Wiederherstellung läuft. Überspiele bereits vorhandenes Datenpaket auf Euer Tablet.> Ich zückte sofort mein Gerät aus der Tasche und rief die ersten Bild- und Audioaufzeichnungen ab. Die Drohne besaß eine ausgezeichnete Nachtsicht, wodurch selbst bei geringer Lichtquelle, jeder noch so kleine Grashalm perfekt zu erkennen war.
Beim Sichten der Aufnahmen setzte ich mich wie benommen fühlend auf eines der Sofas. Der Anblick von Dezeria ließ mein Herz schneller schlagen – verdrängte alles andere. Es verschaffte mir eine tiefe Genugtuung, sie zu sehen ... und zu hören. Sie hatte sich offensichtlich bemüht, mit Heka eine Unterhaltung zu führen. Süß. Ich hatte ja keine Zeit mehr gehabt, ihr alles zu erklären – was mich ehrlich betrübte – dennoch schien sie nach dem ersten niedlichen Schreckensschrei, keine Angst zu zeigen. Es faszinierte mich, wie sie trotz ihres beschränkten Wissens, so aufgeschlossen sein konnte. Schließlich war das für sie alles nur ein Haufen Magie.
“Kannst du mir vielleicht so etwas mehr über Reznick erzählen? Ich weiß nichts über ihn u-und würde es gerne”, ertönte es aus den kleinen Lautsprechern und ließ mich irritiert die Augenbrauen heben. Du wolltest etwas über mich wissen? Warum? Das brauchtest du nicht. Nichts, was sich bisher mein Leben schimpfte, solltest du wissen, Dezeria. Glaube mir. Es gab darin nichts Gutes ... bis auf dich. Verdammt! Heka! Ich stieß ein verärgertes Knurren aus, als ich hörte, wie meine ach so tolle KI diese Fragen nicht gleich im Keim erstickte. Ihr sogar noch den richtigen Rang und Namen meines Vaters sagte!
“HEKA! Wieso hast du ihr das gesagt!?”, schimpfte ich aufgebracht und stoppte die Aufnahme. Dezeria schien sichtlich schockiert und besorgt über diese Information. Es reizte mich. Sie sollte keine Angst haben! Nie! Sicherlich dachte sie jetzt, ich würde nur mit ihr spielen. Ihr etwas vormachen? Sie austricksen? Nicht alles für sie tun? Sie nicht lieben?
<Ich hatte die Aufgabe, sie zu beschützen und etwaige Konversation zu führen. Wenn dies nicht in Eurem Interesse war, dann hättet Ihr diese Parameter genauer bestimmen müssen. Es tut mir jedoch leid, wenn ich Euch dadurch verärgert habe.> “Heka ... treibs nicht zu weit, ich bin gerade nicht empfänglich für Sarkasmus”, knurrte ich und musste mich wirklich zusammenreißen, das Tablet nicht gegen die nächstbeste Wand zu feuern. Okay ... ganz ruhig ... Konzentration! Ich wusste immer noch nicht, was passiert war!
Bei dem letzten Rest der Aufnahme wollte Dezeria noch etwas über mich wissen. Ob mich mein Vater gefangen hielt, aber Heka konnte nicht mehr darauf antworten. Hm. Auf dem ersten Blick ließ sich nicht erkennen, warum danach dieser Fehler passierte ... War es wirklich ein Angriff gewesen? Oder doch eher eine Fehlfunktion? Bitte lass es einfach nur Letzteres sein.
“Heka, kannst du schon die Haussysteme steuern? Ich brauch ein Standbild, knapp eine Sekunde vor der Störung, auf einem Großbildschirm.” <Einen Moment. Lässt sich machen.> Kurz flackerte das Licht, aber dann bildete sich auf der mir nächstgelegenen Wand ein überdimensional großer Monitor. Dezeria darauf zu betrachten ließ mich beinahe träumerisch aufseufzen. Verrückt. Diese Stimmungsschwankungen bringen mich garantiert heute noch um! Uff ... Aber zurück zum Wesentlichen. Ich versuchte den Anblick dieser Frau ... nein ... von Dezeria, zu ignorieren und nach etwas Ausschau zu halten, was auf einen Angriff hindeuten könnte.
Da die Kamera der Drohne über den Standard hinaus, mit einem 360 Grad Weitwinkel ausgerüstete war, würde sich sicherlich etwas finden lassen. Wenn es denn überhaupt etwas gab. Hm? Was war das? Als ich probeweise mal die Aufnahmen auf den ständig mitlaufenden Infrarotkanal wechselte ... Scheiße! Da stand jemand etwas weiter abseits ... und schlimmer noch! Er trug Tarntec! Das war nie im Leben Hellkus, der besaß so etwas nicht ... und dass Heka dies nicht als Gefahr eingestuft hatte, sprach für eine hohe Qualität. Fuck! Auch ich hatte es nur durch reinen Zufall entdeckt. Es gab keine auffällige Wärmesignatur, wie es bei normaler Tarnkleidung üblich war. Hier lediglich ein unscharfer Umriss ... O nein. Vater? Das warst nicht du, oder? Nein. Du warst es nicht ... warst es nicht ...
“Heka? Hast du noch die eine Reservedrohne draußen oder wurde die auch zerstört?” <Unklar. Systemherstellung benötigt derzeit sämtliche meiner Ressourcen.> “Dann lass es! Das ist jetzt wichtiger! Aktiviere das Teil, wenn möglich und such die letzten Koordinaten von Dezeria ab! Sofort! Ich weiß nicht warum, aber ich vermute, dass es mein Vater war ... Leg sofort ein Großscan des ganzen Bereichs an. Ich will zu allem, was du findest, einen Bericht!” <Verstehe. Wird einen Moment dauern.> “Gib mir sofort Bescheid!”, knurrte ich und besah mir noch mal das Standbild. Wieso sollte mein Vater hier sein? Wieso ausgerechnet Dezeria holen? Er ... Er hatte doch gar keinen Anlass dazu. Verflucht! Frustriert stöhnend lehnte ich mich zurück und starrte an die Decke. Meine Nerven lagen sowas von blank. Das durfte einfach nicht wahr sein!
Nur am Rande bemerkte ich, wie Johanna zu dem Bildschirm ging und diesen fragend betrachtete. Hm, immerhin schien sie nun ihre Panik überwunden zu haben. Es mochte herzlos erscheinen, aber sie war mir gerade einfach nur egal. “Versteckst du dieses Mädchen? Die Frau des Grafen?”, fragte sie überrascht, woraufhin ich sie nur freudlos anblickte. “Und ich habe vorhin deutlich Re’Nya’Ca gehört. Bist du einer davon? Einer von den Königen der Könige?” “Das ist unwichtig”, sprach ich genervt. “Unwichtig? Mein Meister hat mich oft dem Adel vorgeführt. Ich kenne jedes Haus und ... kann es immer noch nicht fassen, dass ich zu den Asch-Aschengard ... O diesen Namen auszusprechen fühlt sich immer noch so falsch an. Ich weiß jedenfalls was der Titel Re’Nya’Ca bedeutet und über wa–” “Johanna!”, unterbrach ich sie scharf. “Damit das hier funktioniert, sage ich dir nun, was für dich fortan noch von Belang ist. Du wirst mich heiraten. Eine Scheinhochzeit natürlich, keine Sorge. Ich interessiere mich nicht für dich. Ich tu das alles nur, um meinen Vater aus der Reserve zu locken. Bei der Hochzeit werde ich ihn töten, Johanna. So viel zu meinem Plan. Danach brauche ich dich nicht mehr – du kannst dann machen was du willst. Bis dahin bist du allerdings mein Gast, ob du willst oder nicht. Du kannst dich dafür hier auf dem Schiff frei bewegen. Ich habe alles, was man zum Leben braucht und jeden nur erdenklichen Luxus. Du kannst lesen oder dich auch von Heka in Adelstechnik unterrichten lassen, mir vollkommen gleich.”
Gut, sie sah mich mit großen Augen an und schien darüber angespannt nachzudenken. Sie hatte sowieso keine Wahl und egal, was sie mir antworten würde, es blieb auch dabei. Keine anderen Optionen. Nichts. So ironisch es auch war, sie musste mir gehorchen. Ich hätte im Moment auch absolut kein Problem damit, sie einfach zu betäuben und in mein Bett zu verfrachten. Ich brauchte immerhin Ruhe zum Nachdenken. Wenn mein Vater wirklich hier war ... und Dezeria hatte ... Nein! Ich konnte nicht daran denken. Er war es nicht. Er konnte es einfach nicht sein!