Zwiespalt rang in mir. Einerseits war es unangenehm, mit Reznick allein zu sein. Andererseits freute ich mich riesig, ihn zu sehen. Bei ihm zu sein. Am Liebsten hätte ich ihn fest in meine Arme geschlossen und nie wieder losgelassen. In meinen Schaltkreisen kribbelte es. Von Minute zu Minute fiel es mir schwerer, meine Gefühle zu zügeln. Aber ich musste. Immerhin hasste er mich. Wie konnte ich das nur ändern?
“Reznick, ich ... Ich weiß, dass du mich nur zu gerne töten willst, aber ich bin hier nicht das Böse in diesem Spiel. Bitte. Ich bin nicht dein Feind.”
“Verschon mich damit! Ich hasse DICH! Du bist eine elende Fehlprogrammierung! Ein Haufen Schrott! Ich schwöre dir, das wirst du mir noch büßen! DU hast mich im Auftrag meines Vaters belogen! Immer und immer WIEDER! Mir vorgespielt, dass wir – WAS? Familie sind?! Gott, wie konnte ich nur so dumm sein!” Seine Worte waren verletzend und dieser anhaltende verachtende Blick tat sein Übriges. Es schmerzte. Schlug tiefe Kerben in mein Innerstes.
“Bitte ... beruhige dich.” Zögerlich probierte ich es noch einmal mit einem freundlichen Lächeln. Das musste in ihm doch eine positive Erinnerung auslösen. Ich selbst hatte sie ihm damals eingespeichert.
“Hör endlich auf mich so bescheuert anzugrinsen! Ich hasse das!”
“Entschuldige.” Toll. So war das nicht geplant. Schnell bemühte ich mich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Ich wollte nicht, dass er noch wütender wurde. Was hatte mir diese blöde fehlerhafte KI nur eingebrockt?
“Lass den Scheiß!” Er gestikulierte wild in meine Richtung. Gefährlich nahe sauste seine Klinge vor meiner Nase herum. “Was bringt mir deine lächerliche nichtssagende Entschuldigung?! Du hast mich benutzt! Verascht! Mit meinem Leben und meinem Verstand gespielt so wie es meinem Vater gerade passt! Na? Feiert er gerade deswegen? Sitzt in einem beschissenen Sessel und lacht sich nen Ast ab, he?”
“Nein. Wir sind unter uns. Niemand macht sich hier über dich lustig.”
“Ach was ... Willst du mich weiter verarschen?!” Er wurde zunehmend wütender. Gleichsam stieg auch in mir die Spannung. Das war nicht gut. Ich ertrug diese erdrückende und gereizte Atmosphäre nicht.
“Reznick, bitte. Ich kann dich ver–”
“NEIN! O NEIN! Wag es nicht! Sag das nicht! Oder ich vergess’ mich gleich! Du weißt nicht, wie ich mich fühle ... Wenn alles, was man glaubt zu kennen ... einfach NICHT ECHT IST! Die Jahrzehnte, die wir zusammen verbracht haben. EINE LÜGE! Du kannst mich niemals verstehen ... Du bist nur eine drecks MASCHINE!”
“Das ... ist nicht–”
“DU wurdest von meinem Vater nur ERSCHAFFEN, um mich zu KONTROLLIEREN!”
“Ich ... So einfach wie du dir das machen willst, ist–”
“WAS?!” Er lachte hysterisch. “Ich mache es mir einfach? DU! DU stehst hier und sagst, mein ganzes Leben ist für’n Arsch! UND ich soll das jetzt locker nehmen?!"
“Ich ... So war das nicht ... Das ist nicht wahr.”
“Sag mir nicht, was wahr ist du elender Klapperkasten! Du kannst nichts anderes als LÜGEN!"
“Ich habe dich nie beloge–” Es krachte lautstark. Er schlug mit seiner Klinge in eine Bedienkonsole. Zerschnitt das Metall wie Butter. Wäre ich ihm nicht ausgewichen, hätte er mich zerteilt.
“ECHT JETZT?!” Wutschnaubend drehte er den Kopf zu mir. “Wie nennst du DAS dann?!” Er holte erneut aus und hielt auf mich zu. Das war der Moment, wo es auch mir reichte. Ich griff grob seinen Arm – stoppte seinen Hieb mitten in der Luft. Die Faust der anderen Hand gleich mit dazu.
“Genug!” Blitze züngelten um mich herum. “Ich hatte es nicht vor, aber ich kann auch anders. Meine Kraft übersteigt deine bei weitem. Und ... eure ebenso.” Ich warf einen kurzen Blick zur Seite, wo Johanna in der geschmolzenen Tür stand und uns unschlüssig musterte. Dicht hinter ihr Zerian.
“Tz, genug? Ich werde erst GENUG haben, wenn du zerstückelt am Boden liegst! Danach ist mein seelenloser Vater dran!” Schwer atmend drückte er gegen meine Abwehr. Wollte mich unbedingt treffen.
Ich seufzte. “Wir waren bereits 488 Mal an diesem Punkt, wo du uns töten wolltest. Du bist nicht stark genug.” Um ihm dies einmal deutlich vor Augen zu führen, durchtrennte einer meiner Blitze seine Waffe. Scheppernd landete das Metall zwischen unseren Füßen. An seinem Handgelenk blieb nichts als ein kleiner Metallstummel übrig.
“Wenn ich gewollt hätte, lege dein Arm jetzt auch dort unten. Also bitte, kannst du dich jetzt zusammenreißen und mir wenigstens kurz zuhören? Ich will dir nicht wehtun müssen.”
“Das ... hast du längst ...” Das Braun wich vollständig aus seinen Augen und übrig blieb ein graues Nebelgemisch. Das kannte ich gut. Starke Gefühlsschwankungen konnte man bei uns immer darin erkennen. Aber warum war er jetzt traurig? Und war das jetzt besser als wütend? Nein. Er sollte weder das eine noch das andere sein.
“Reznick ... meinst du, mir macht das Spaß, ja? Bitte. Hör mir doch einfach zu, ja? Ich möchte–”
“Hey! Ich bin Unterhaltung für jedermann!” Er lachte abfällig. “Aber gut. Schön. Ich bin ruhig.” Seine Kraft ließ abrupt nach. “Sag, was du willst ...” Ich betrachtete ihn unschlüssig. Sein Gesicht spiegelte plötzlich keinerlei Emotionen mehr. Lediglich seine trübe Augenfarbe ließ durchscheinen, dass er nach wie vor aufgewühlt war.
Ich ließ ihn schließlich los, bereute es aber sofort. Er riss den Arm mit dem Waffenrest zu sich und rammte diesen in seine Kehle. Gleich oberhalb des Halsbandes. Schnell hielt ich ihn auf, damit er nicht noch tiefer in sein Fleisch schnitt.
“Gott, was macht ihr da? Aufhören!”, rief Johanna panisch und kam sicherlich auch zu uns gerannt, aber für sie hatte ich jetzt keine Zeit. Blut schoss in großen Schüben aus der Wunde und das leichte Lächeln auf Reznicks Lippen sagte mir nur allzu deutlich, dass er sich umbringen würde, sobald ich nachgab. Seinen Arm losließ. Bisher hatte er noch nicht genügend Schaden angerichtet, um daran tatsächlich zu sterben. Aber das war nur eine Frage der Zeit. Meine Hände zitterten. Erweiterten ungewollt den Schnitt und auch seine eigene Kraftanstrengung trug gut dazu bei.
“Es reicht!” Wütend entlud ich eine Welle Elektrizität in seinem Körper. Er sackte umgehend zusammen. Behutsam legte ich ihn auf den Boden und besah mir seine Verletzung genauer an. Entfernte dabei gleich noch den EBS. Er war schließlich nicht mein Sklave.
“O Gott!” Johanna hockte sich zu uns und drückte hektische ein geknülltes Kleidungsstück auf die Wunde. “Zerian, bitte heile ihn!” Das Stoffstück färbte sich rasend schnell tiefrot.
“Nein, das wird nicht gehen.” Er sah nachdenklich auf das viele Blut. “Ich werde mit meiner Heilung nur zusätzlich sein Innerstes beschädigen. So wie das letzte Mal auch.”
“Was? Aber wieso? Bitte tu was! Ich weiß, dass du es kannst! Er ist schon ganz schlapp!”
“Er hat recht, Johanna.” Ich berührte sanft ihre Schulter. “Reznicks Körper ist anders als die euren. Er wird daran nicht sterben. Und dass er bewusstlos ist ... das ist meine Schuld.” Ich lächelte bemüht freundlich. Eigentlich war mir gar nicht mehr danach. Die Situation kotzte mich nur noch an. Am liebsten hätte ich mich irgendwo als Blitzgewitter niedergelassen. Völlig ohne Zurückhaltung. Ohne Konsequenzen. Frei.
“Du meinst wegen der Adelstechnik? Diesen Nanobots? Können die alles heilen? Und wieso deine Schuld?”
“Ich bin nicht gut in diesen Dingen ...”, flüsterte ich und tippte auf Reznicks Stirn. Hob die Lähmung soweit auf, dass er zumindest aufwachen und mich ansehen konnte.
“I-ch ... ha-ss-e di-ch ...”, brachte er sofort unter größter Anstrengung hervor, was mich tief verletzte. Das war nicht fair, dass ausgerechnet ich seine ganze Wut abbekam. Ich war mindestens genauso voller Zorn. War enttäuscht, frustriert und – hilflos.
“Ich weiß es bedeutet dir gerade nichts ... aber du bist mir wichtig. Ich will, dass du lebst.” Prüfend schob ich Johannas Hand beiseite und kontrollierte den Schnitt. Das Gewebe verschloss sich bereits. Allerdings zu langsam. Er verlor zu viel Blut. “Bitte konzentriere dich auf die Heilung, es wächst nicht schnell genug zusammen.”
“M-ir egal ... Du ... ka-nnst mi-ch mal ...”
Ich verengte die Augen. “Wie du willst. Trotzdem wirst du leben.” Verärgert über seine mangelnde Mithilfe, nahm ich Johannas Hand ganz weg und legte meine Fingerspitzen selbst auf die Wunde. Es war eine glitschige Angelegenheit die Wundränder genau aneinanderzudrücken, aber es gelang. Gezielt leitete ich Blitze an die Stelle. Nur ganz schwach. Immerhin wollte ich ihn nicht durchgrillen.
“Was tust du?”, fragte Johanna besorgt, als es bedrohlich zischte, hielt mich aber zum Glück nicht auf. Das war wirklich das Letzte, was ich aktuell gebrauchen konnte.
“Keine Sorge. Ich versiegel nur den Schnitt. Es sollte gleich aufhören zu bluten. Er spürt dabei auch keine Schmerzen.” Ich lächelte.
“... Ver-schwinde!“ Leider war Reznick weniger davon begeistert. Seine Augen durchbohrten mich regelrecht. Wenn er könnte, würde er sicherlich wieder nach mir schlagen. “Ni-chts als ver-logene W-orte ... Ich ha-sse ...” Genervt hielt ich ihm den Mund zu.
“Lass das! Mir tut das auch weh! Du hast doch keine Ahnung! Keiner von euch!” Ich hielt inne. So aggressiv durfte ich nicht mit ihnen reden. Das war nicht richtig, auch wenn es in mir wie verrückt brodelte.
“Entschuldigt. Ich ... Keiner von euch weiß, wie es ist in einem Körper gefangen zu sein, welcher nicht der eigene ist. So gänzlich anders. Es war unheimlich, als ich das erste Mal aufgewacht bin umringt von Erinnerungen und Eindrücken. Ich bin der Wind. Bin die Wolken. Der Sturm. Jedenfalls einmal gewesen.” Ich blickte zu Zerian auf, der einen ziemlich verwirrten Eindruck machte. Ich seufzte.
“Entschuldigt. Das ist vielleicht etwas viel auf einmal.” Mein Blick fand wieder Reznick. Sanft strich ich ihm durchs Haar. “Es tut mir ehrlich leid, wie das gelaufen ist. Und ob du es mir nun glaubst oder nicht, aber ich habe dich nicht belogen. Ich habe deine Anweisungen befolgt ... Nur dein Bestes gewollt. Gehandelt wie deine KI. Habe daran geglaubt. Hatte dein Wissen. Verstehst du?” Ich schloss kurz die Augen. Sammelte mich. “Nicht nur deine Erinnerungen werden resettet. Meine ebenso. Ich werde zerstückelt und anschließend in dein Schiff geladen, wenn ein neues Spiel beginnt. Jedes Mal aufs Neue. Wenn ich dann irgendwann wieder in diesem Puppenkörper stecke ... erlange ich mein vollständiges Bewusstsein zurück. Ich erfahre erst in diesem Moment, dass ich verloren habe. Versagt habe ... Und auch das mit dem Signal. Es ist keine Entscheidung von mir. Dein Vater wird automatisch darüber informiert, wenn ich ...”, mit einer Hand tippte ich gegen meinen Brustkorb, “das hier bin.”
“Dann bist du genauso gefangen wie Reznick? Was können wir dagegen tun?”, fragte Johanna, was mich innerlich zum Schmunzeln brachte. Erstaunlich wie viel nach all den Jahren der Unterdrückung von Mylagie noch in ihr steckte. Dennoch.
“So einfach ist das nicht. Ich hätte mittlerweile sicherlich die Möglichkeit zu verschwinden. Stark genug wäre ich. Aber ... er nicht.” Mein Blick ging ins Leere. “Reznick ... deinetwegen bleibe ich und spiele mit deinem Vater. Ich passe auf dich auf. Kämpfe für dich. Und es zerfrisst mich, dass ich bislang noch keinen Ausweg gefunden habe. Ich würde alles dafür tun, dich aus diesem System zu holen. Wirklich alles ...” Plötzlich spürte ich seine Lippen unter meiner Hand beben, was mich wieder daran erinnerte, dass ich ihm ja noch den Mund zuhielt.
“Bitte entschuldige.” Ich nahm sie schnell weg und befürchtete im selben Zuge weitere fiese Worte seinerseits. Jedoch. Die kamen nicht. Dafür sah ich eine deutliche Regung in seinen Augen. Tiefes braun und helles Grau wanden sich darinnen. Und. Tränen. Das verwunderte mich. Hatte ich seinen Verstand nun endgültig beschädigt? Ihn gebrochen? Er weinte schließlich nie.
“Wir lassen euch dann mal alleine.” Johanna stand auf und ging zur Tür, während Zerian sich nicht bewegte. Mich irritiert musterte.
“Ich hab noch Fragen an dich.”
“Das glaube ich dir gerne. Ich ebenso an dich.” Warum er und Lerânde sich nach all der Zeit gezeigt hatten, interessierte mich zum Beispiel brennend. Aber. Ob ich das jetzt noch verkraftete, war eine andere Sache. Bereits jetzt war die Spannung in mir unerträglich.
“Ich hab gesagt, wir gehen ...” Johanna schnappte seine Hand und zog ihn hinter sich her.
“Was? Wieso? Hast du nicht gehört? Sie hat gesagt, sie ist Wind! Sie kann aber nicht Wind sein. Sie ist eine Maschine!”
“Sie wird dir schon nicht weglaufen. Das kannst du später noch mit ihr bereden, bitte komm jetzt.”
Er murrte, folgte ihr aber schließlich. Und da war ich wieder. Alleine mit Reznick, der immer noch völlig zerstört aussah. Überall blutverschmiert und mit einem Gesichtsausdruck, der leidvoller nicht sein konnte. Sein Anblick schmerzte.
“Es tut mir wirklich leid. Ich hätte das gerne vermieden. Ich will dich so nicht sehen. Nicht wütend. Nicht traurig ... weißt du? Ich ... ertrage es nicht. Das ist auch der Grund, warum ich für die Spiele nicht in diesem Körper bleiben darf oder mein Wissen behalten kann. Ich würde kämpfen. Und ich habe oft gekämpft, weißt du? Viele die dir Schmerzen in den Spielen bereitet haben, sind mir danach zum Opfer gefallen. Ich habe sie getötet oder weit Grausameres angetan. Doch letztlich sind meine Bemühungen, dich von den Rea zu befreien ... vergeblich gewesen. Für dich. Für mich. Für jene, die genauso waren wie ich.” Langsam wischte ich ihm einige Tränen fort – bettete seinen Kopf vorsichtig auf meinen Schoß. Die Halswunde sah mittlerweile gut genug aus, dass ich ihn dafür bewegen konnte.
“Hör auf ...”, flüsterte er und sah mich tief unglücklich an. “Ich ertrage das nicht ... Was ist davon schon wahr? Warum sollte ich dir das alles glauben?”
“Warum? Ich weiß es nicht.” Ich strich ihm erneut durch die Haare. “Du hast keinen Grund mir zu glauben. Ich habe für meine Ausführungen keine Beweise. Nichts, was ich dir geben könnte. Allein mein Wort und das ist für dich bedeutungslos. Ich kann dich verstehen–”
“Kannst du nicht. Niemand kann das!” Seine Tränen versiegten und die Wut kehrte zurück. “Du kannst mir alles möglich erzählen! Immerhin hast du dieses Gespräch schon hunderte Male mit mir geführt.” Er lachte spöttisch auf. “Du weißt ganz genau, was du sagen muss und wie ich darauf reagiere. Das ist so abartig und krank! Ich bin hier der Idiot.”
Ich seufzte und schüttelte den Kopf. “Das ist nicht richtig. Ich erzähle dir das heute zum ersten Mal und selbst das hätte ich am liebsten vermieden. Die Wahrheit tut dir weh und das möchte ich nicht. Normalerweise redet nur dein Vater mit dir.”
Er schnaufte abfällig. “Als ob.”
“Es ist so. Ich sehe auch jetzt eigentlich keinen Sinn darin, dir das zu erzählen. Was hat es mir schon gebracht? Du bist wütend, hast mich angegriffen und letztlich versucht, dich umzubringen. Bitte sag mir, wozu die Wahrheit dann nützlich ist? Was bringt es mir, dir das zu sagen? Du glaubst mir ja sowieso kein einziges Wort. Obendrauf bekomme ich noch Hass und Verachtung von dir. Warum sollte ich mir das freiwillig antun wollen?” Fragend sah ich ihn an. Seine Stirn legte sich in tiefe Falten. Ja. Da durfte er jetzt mal selbst überlegen. Auf die Antwort war ich schon richtig gespannt.
“Es ... Also ... Ich weiß nicht ... was ich dazu sagen soll. Ob ich dir glauben kann oder nicht ... spielt das überhaupt eine Rolle? Es kommt mir alles so sinnlos vor.” Das hatte ich mir gedacht, war aber auch nicht enttäuscht deswegen. Hauptsache er wurde ruhiger und versuchte, mich wenigstens ein bisschen zu verstehen. Das würde mir schon reichen. Trotz der anstrengenden Eskalation freute ich mich immer noch riesig ihn zu sehen. Ihn bei mir zu haben. Es war herrlich beruhigend ihm durch die zerzausten Haare zu streicheln oder seinen Kopf zu kraulen. Ich liebte es.
“Kannst du das bitte lassen?”
“Hm?” Ich lächelte ihn fragend an. Seine Stimme klang relativ normal und auch sein Gesichtsausdruck versprach mir keinen qualvollen Tod mehr. Als er dann allerdings eine Augenbraue hob und ungeduldig aussah, fiel mir wieder ein, was er meinte. “Ungern. Bis ich die Lähmung aufhebe, will ich ganz sicher sein, dass du dir nicht wieder etwas antust.”
“Ähm was? Nein, das meine ich nicht ... Wobei. Doch, das auch aber vielmehr, dass du mich so vertraut behandelst. Hör auf, mich so anzufassen.” Toll. Gekränkt nahm ich meine Hände von ihm. So viel dazu. Überraschenderweise bestand er danach nicht darauf, dass ich meinen Bann von ihm nahm. Stattdessen blickte er nachdenklich ins Leere. Okay. Das war ein Fortschritt. Oder?
Die Minuten verstrichen in dem ich nichts weiter tat, als ihm beim Grübeln zuzusehen. Seine Atmung ging ruhig. Gleichmäßig hob und senkte sich sein Brustkorb. Wie gerne hätte ich nun die Hand auf seine Haut gelegt, um den kräftigen Herzschlag darunter zu spüren. Aber ich konnte mich zusammenreißen. Begnügte mich damit, dass sein Kopf auf meinem Schoß ruhte. Ich erreichte dabei sogar ein gewisses Maß an Zufriedenheit.
Seine Nähe hatte schon immer diese angenehme Wirkung auf mich. Beruhigte mein stürmisches Wesen. Wobei es früher einfacher gewesen war. Da hatte ich ihn ständig herumtragen und an mich drücken können. Diese Zeiten vermisste ich irgendwie. Warum mussten Lebewesen auch altern und wachsen?