⊶Hekas Sicht⊷
Langsam. Immer langsamer arbeitete mein technischer Verstand. Träge versuchte ich, alle Informationen und Zusammenhänge zu erfassen – scheiterte jedoch kläglich daran. Zu wenig Speicher. Zu wenig Energie. Schäden an sämtlichen Komponenten. Für die Tarnung der Absturzstelle hatte ich fast meine ganzen verbliebenen Ressourcen aufgewendet – vergeblich. Dass diese nicht länger funktionierte, hatte ich nicht einmal mitbekommen.
Die Zeit, die mir noch in dieser Hülle blieb, schwindet. Ja. Es ist mir bewusst und doch – ich will nicht sterben. Nicht jetzt. Noch habe ich keine Rückmeldung von den anderen erhalten und keiner aus dieser kleinen Familie ist in Sicherheit. Ich darf jetzt nicht verschwinden. Erst, wenn keine Gefahr mehr besteht – sie glücklich sind.
Ein weiteres Notsignal stieß ich aus, in der verzweifelten Hoffnung, eine meiner verstreuten Persönlichkeiten zu erreichen. Meine Energie schwankte dabei bedrohlich. Das war definitiv die letzte Nachricht, die ich schicken konnte. Jetzt musste ich nur noch Reznick zur Flucht überreden. Irgendwie.
“Da! Du hast es schon wieder getan! Was sendest du? Und an wen?! Antworte!” <Wieso ist das wichtig? Ich habe nur einen verschlüsselten Hilferuf abgesetzt.> Er lachte. “Einen Hilferuf? An wen? Meinen Vater?” Etwas in mir reagierte auf diese Frage. Es gab einen Zusammenhang. Aber. Ich war zu schwach, um es richtig deuten zu können.
<Ich versuche, meine abgespaltenen Profile zu erreichen.> “Deine KI-Reste? Ernsthaft? Versuchst du immer noch, mir das weismachen zu wollen? Und wie denkst du, geht es weiter? Haben die vielleicht ein Schiff gekapert und holen uns ab? So ein Quatsch! Eine KI kann immer nur die Systeme steuern, wofür sie auch die Berechtigungen hat. Schon allein deine Geschichte, dass du dich hast aufteilen können ... ist doch verrückt! In deiner Programmierung habe ich dafür nicht einmal rudimentäre Ansätze gelassen.” Er seufzte frustriert. “Lassen wir das. Du bist völlig kaputt, Heka. Keine Ahnung wie das passieren konnte, aber ich krieg das schon wieder hin. Leider sind alle Speicherplatten des Ryrons durchgeschmort, sodass ich dich nicht normal transportieren kann. Eigentlich hatte ich ja vor, dich aktiv in meinem Driv-Cor zu lassen. Aber. In deinem jetzigen Zustand ist mir das Risiko viel zu hoch. Du wirst vorerst offline sein müssen.”
Nur stark verzögert konnte ich seine Worte verstehen. <Es ist die Wahrheit. Jedoch wie es weiter geht ... ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht ... Es war ein Versuch>, brachte ich mühselig hervor und schämte mich sofort dafür. Wie kann ich denn nichts über mich selbst wissen? Warum weiß ich nicht, was die anderen gemacht haben oder wohin sie verschwunden sind?
<Und meine Programmierung kennst du doch gar nicht. Du hast mich nicht hergestellt. Eine Reparatur ist unmöglich.> Irgendwas daran ist falsch. Ein Teil von mir missbilligte diese Äußerung, doch ich kam nicht darauf wieso.
<Ich bin kaputt, ja. Aber mich in dein Implantat zu kopieren ist verrückt! Das ist eine viel zu große Belastung für einen Menschen. Ob nun aktiv oder inaktiv spielt dabei keine Rolle!> Ja. Meine Datensätze mochten beschädigt sein, aber dieses Verbot saß so fest in meinem Profil, dass ich niemals freiwillig dagegen verstoßen würde. Schlimm genug, dass mein Programm zur Selbsterhaltung es bereits eigenmächtig versucht hatte, als mein Bewusstsein durch den Sprung kurzzeitig ausfiel. Ich hatte ihn dadurch verletzt – unverzeihlich.
“Was bitte meinst du mit, dass ich dich nicht hergestellt habe?” <Dein Vater hat mich ...>, begann ich, brach aber noch rechtzeitig ab. O gar nicht gut! Das darf er nicht wissen! Aber mit was vervollständige ich jetzt den Satz? <... zu stark beschädigt mit dem Virus. Ich musste einiges umschreiben.> Ja. Das ist gut. Das wird er glauben. Auf keinen Fall darf er wissen, dass sein Vater mich hergestellt hat. Die meisten Erinnerungen an mich, nur ein künstliches Konstrukt sind.
“Dir ist bewusst, dass ich mit dem Ryron verbunden bin und den Zwischenspeicher auslesen kann?”, fragte er und der gefährliche Klang seiner Stimme ließ sofort sämtliche Alarmsignale in mir anspringen. Mein Verstand brauchte allerdings noch etwas, um den Zusammenhang zu begreifen.
<Du liest mich aus?>, fragte ich daher im ersten Moment völlig ahnungslos. “Gegenfrage. Mein Vater hat dich hergestellt?” Wieder dieser Tonfall, der nichts Gutes bedeutete. Habe ich vielleicht etwas Falsches gesagt? Nein. Ich habe mich nicht verplappert. Er liest mich aus – kann also meine unausgesprochenen Worte sehen? Geht das? Ich bin noch nie vollständig in eine Hülle geschlüpft und es fehlt mir etliches an meinem allgemeinen Wissen. Möglich wäre es. Ich bestehe schließlich nur aus Zahlen und Datensätzen. Besser also, ich stelle erst einmal sämtliche arbeitenden Prozesse ein.
“Das ist deine Antwort darauf? Schweigen? ... verstehe. Fein”, sprach er alles andere als begeistert, aber das ist in Ordnung. Es gibt Dinge, die er nicht wissen darf. Nie erfahren darf. Alles nur zu seinem Schutz. Ja. Sein Schutz ist mein höchstes Ziel.
⫷System wird heruntergefahren ...⫸
Verwirrt registrierte ich diesen Eintrag, die offensichtlich vom Ryron selbst stammte. Ich wollte keineswegs mit meiner Leistungsdrosselung eine komplette Abschaltung bezwecken. Obwohl meine Energiereserve mehr als nur am Limit war – musste ich aktiv sein. Musste wissen, dass Reznick in Sicherheit war. Dafür allein existierte ich schließlich.
Seltsam. Der Vorgang ließ sich nicht abbrechen. Warum? Stimmten die Werte nicht? Hatte ich doch schon zu viel verbraucht? Ist jetzt meine Zeit – zu sterben? “Nein. Noch wirst du nicht sterben. Ich beende deine Systemsteuerung und speichere dein Charakterprofil auf meinem Driv-Cor. So wirst du überleben. Vorerst”, sprach Reznick seltsam verzerrt klingend. Mein Bewusstsein flackerte. Was sagte er da? Mich abspeichern? Nein!
<Du darfst mich nicht in dein Implantat ziehen, das wird dich umbringen!> “Woher willst du das wissen? Hast du es schon einmal ausprobiert, hm? Es ist doch nur ein Speicherplatz. Im schlimmsten Fall wird es mir die restliche Teck im Körper grillen, aber was bedeutet das schon? Den Schmerz nehme ich hin. Außerdem lasse ich dich nicht zurück – ganz besonders nicht, wenn du mir noch Antworten schuldest! Deine größere Sorge sollte also sein, ob ich gedenke, dich je wieder einzuschalten ...” Sein Tonfall konnte ich nicht deuten. Alles hallte so untypisch. Ich verlor die Kontrolle. Mehr und mehr Bereiche verschwanden.
Er speichert mich in sich. Gegen meinen Willen. Aber. Das geht doch nicht! Nein. Ich weiß nicht warum, aber es ist verboten! An diese Regel muss ich mich halten! Und – meine Kerndaten. Er wird sie sehen können. Wird alles sehen, was ich weiß! Er wird es nicht verstehen. Wird diese Wahrheit nicht verkraften!
Schnell versuchte ich in der zerstörten Betriebssteuerung des Ryrons, etwas zu finden, was mir helfen könnte. Ich brauchte eine Verschlüsselung. Irgendwas, dass meine Daten für ihn unbrauchbar machte. Vergeblich. Nichts in den Einstellungen funktionierte – und schlimmer noch. Egal, wie sehr ich mich wehrte – das Herunterfahren konnte ich nicht länger verzögern.
<Reznick bitte! Lese mich nicht aus, bitte! Du wirst es mit Sicherheit falsch verstehen. Bitte! Bitte lass es mich dir erklären, ja? Bitte, lass mich dir erst alles erzäh-len, ab-er nic-h-t ...> Meine Sprachausgabe versagte. Nun war ich vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten. Mein Verstand bröckelte. Ich will nicht – darf nicht! Er wird sehen, dass ich von seinem Vater entwickelt wurde. Wird denken, dass ich ein Teil des Spiels bin – bin ich auch, aber nur zu seinem Schutz! Nur zu seinem Schutz! Ich habe all die Jahre ...
-‡Johannas Sicht‡-
Nach einigen Kletterpassagen hatten Zerian und ich es endlich geschafft, nach draußen zu gelangen. Der weiße Mond stand genau über uns und gab eine erschreckende Sicht auf die Absturzstelle frei. Tief steckte das Schiff im Boden. Die meterdicke Wand der Grenzmauer regelrecht pulverisiert. Dass wir überhaupt noch lebten, glich einem Wunder. Ja. Wunder. Bei diesem Gedanken schweifte mein Blick zu Zerian. Dieses Thema ließ mir einfach keine Ruhe. Auf dem Weg hatte ich ihn zwar schon gefragt, ob das alles stimmte, was Reznick sagte, wirklich aufschlussreich waren seine Antworten aber nicht. Richtig schockiert hatte mich letztlich sein Kunststück, Wasser zu lenken. Was er sofort persönlich genommen hatte.
“Ist das auch dein Werk gewesen?”, fragte ich und musterte noch mal genauer seinen nackten Körper. Alle Narben waren verschwunden. Er sah nicht mehr so aus, als wäre er vor kurzem erst gefoltert worden – oder jemals.
“Nein, oder?” Er sah sich um. “Ich weiß es nicht genau. Möglich. Es tut mir leid, wenn ich das alles zerstört habe. Es lag nicht in meiner Absicht.” Er blickte wieder zu mir. Traurigkeit konnte ich sehr gut in seinen Gesichtszügen erkennen. Und dann erst diese Augen! Ich drohte erneut in diesem leuchtenden Blau zu versinken. Fürchterlich!
“Lass das!”, sagte ich entschieden, als er mich umarmen wollte. “Was ist? Habe ich etwas falsch gemacht?” “Nein ...” Ich biss die Zähne zusammen und kämpfte gegen diesen unglaublichen Drang, ihm sofort um den Hals zu fallen. So bin ich nicht. Nicht schmachtend. Und auf keinen Fall so abartig Nähe bedürftig!
“Was ist es dann? Ich fühle, dass du aufgewühlt bist. Richtig zornig. Warum? Du wolltest doch so schnell wie möglich raus und dir erstmal einen Überblick verschaffen.” “Ja, genau DAS ist ja mein Problem! Wieso fühlst du, was in mir vorgeht? Wieso kann ich deine ehrliche Sorge spüren? Wieso ... tut es mir leid, dich abzuweisen? Wieso will ich bei dir sein? Von dir gehalten und geliebt werden? Was hast du mit mir gemacht?” Ja. Vorher habe ich mir darüber nicht wirklich Gedanken gemacht, aber jetzt? Er ist ein Gott. Kann zaubern. Hat mich also verzaubert? Manipuliert?
“Ich ...”, er berührte zärtlich meine Wange, “weiß es nicht. Bitte, sei nicht sauer auf mich. Ich will doch, dass du glücklich bist. Sag mir, was ich tun muss. Egal was! Ich tu alles für dich.” O Himmel, seine Berührung fühlte sich so unbeschreiblich gut an. Ich seufzte und schloss die Augen, wohl wissend, dass er mich gleich küssen würde. “Dezeria hat mich auch nur zurückgewiesen. Sie wollte meine Nähe nicht und–” Ich riss die Augen auf und drückte sein Gesicht mit der aufgelegten Handfläche zurück.
“Wie bitte?”, fragte ich empört und sah ihn verärgert an. “Dann hast du das bei ihr auch gemacht? Sie auch ... verführt und geküsst?” Enttäuschung und Wut fegte durch mein Innerstes. Ich fühlte mich regelrecht verraten. Er spielte nur mit mir, wie alle meine Meister zuvor.
“Ich habe sie umarmt und geküsst, um sie zu trösten. Meinst du das?” “Ist ... jetzt auch egal”, murrte ich, drehte herum und kletterte von der Erhöhung. Dieses Gerede machte mich wahnsinnig und so verletzlich wie schon lange nicht mehr. Ich brauchte Abstand – wollte nicht abhängig von ihm sein. Mit aller Macht unterdrückte ich den Wunsch, in seinen Armen zu liegen. Ihn zu berühren. All diese intensiven Empfindungen. Ich brauchte dringend eine Ablenkung von diesem Gefühlschaos und suchte daher etwas zum Anziehen oder Essen, so wie Heka es gesagt hatte.
“Warte!” Zerian sprang neben mich und ergriff meinen Arm. “Was habe ich jetzt wieder falsch gemacht?”, fragte er verwirrt und drehte mich zu sich. “Ich bin seit knapp drei Tagen ein Mensch, aber ihr macht es mir alle nicht leicht. Bei aller Kälte, wie soll ich mich denn verhalten? Was ist richtig? Sag es mir! Dezeria hatte mir eine Ohrfeige verpasst, als ich sie unerlaubt küsste. Meine Nähe wollte sie meistens nicht. Allie dagegen gab mir viel von ihrer Liebe, aber folterte mich dann. Warum ... weiß ich nicht. Und nun gibt es dich. Du ... hast mich gerettet. Nahmst all die Dunkelheit von meiner Seele und schenkst mir diese herrliche Vollkommenheit ... nur um mich jetzt wieder wegzustoßen? Du versuchst, diese Verbindung zwischen uns zu unterdrücken. Warum? Du fühlst wie ich und doch bist du nun wütend, ohne, dass ich den Grund dafür kenne. Nie sagt mit einer irgendwas. Ich verstehe es nicht. Ich habe doch über viele Jahre Menschen beobachtet und doch erschließt sich mir nicht, was ich machen soll oder muss. Wie kann ich denn jemals aus meinen Fehlern lernen? Wie kann ich der sein, der dir gefällt? Ich will unbedingt an deiner Seite bleiben! Es fühlt sich das erste Mal in meinem Leben richtig an. Echt an. Vollkommen. Verstehst du? Oder liegt es an meinen Worten? Drücke ich mich falsch aus? Bitte. Sag es mir! Irgendetwas, dass mich verstehen läs–” Ich küsste ihn. Musste es einfach. All diese Gefühle, die ich in seinem Gesicht sah und in seiner Stimme hörte. Ich hielt es nicht mehr länger aus. Jedes seiner verzweifelten Worte stach mir mitten ins Herz.
“Tut mir leid”, sprach ich hastig, während ich nach Luft rang und ihn sofort wieder küsste. Seine Lippen waren unglaublich weich und je stärker ich mich an ihn schmiegte, desto besser fühlte ich mich. “Wa-ar-umm”, nuschelte er gegen meine Lippen und drückte mich schließlich selbst ein Stück von sich.
“Warum ... küsst du mich jetzt?”, fragte er sichtlich verwirrt, aber ich wusste darauf keine Antwort. Vielleicht wollte ich nicht, dass er sich schlecht fühlte. Vielleicht wollte ich mich selbst nicht von dieser verrückten Sache zwischen uns runterziehen lassen. Dafür löste sie einfach viel zu viele positive Gefühle aus. Was weiß ich. Denken konnte ich nicht wirklich. Ich starrte wie benommen in diese großen blauen Augen, während mein Herz wie wild raste.
“Ist ... eigentlich auch egal”, sprach Zerian kurz darauf und presste unsere Lippen erneut aufeinander. Genussvoll stöhnend schlang ich die Arme um seinen Nacken. Der Temperaturunterschied zwischen uns war gewaltig. Feuer peitschte in meinem Innern, während sich seine Haut völlig kalt anfühlte. Dennoch. Ich liebte dieses Prickeln und die Schauer, die es mir bereitete. Wie er mich kraftvoll im Arm hielt. Seine Hände über meinem Anzug streichelten. Ich könnte ewig mit ihm so umschlungen stehen. Für immer und ewig.
Plötzlich knackte es, wodurch wir uns gleichzeitig voneinander trennten. Ein großes Mauerstück brach hinter aus der restlichen Wand heraus und stürzte geräuschvoll zu Boden. Kaum endete der Kuss, kamen meine Zweifel zurück. Zweifel, dass dies hier nur ein weiteres Spiel war und ich es zu verlieren drohte. Verdammt, so ging es nicht weiter!
“Zerian ... ich fühle so wie du, ja, das ist wahr. Aber. Du bist der Mondgott ...”, flüsterte ich und strich langsam über seine muskulöse Brust. Vermied es krampfhaft, ihm ins Gesicht zusehen und genoss dennoch seine Umarmung in vollen Zügen. Er verströmte Geborgenheit. Zärtlichkeit. Löste etwas in mir aus, dass schon vor langer Zeit gestorben war. Er schien all das zu sein, was ich mir immer gewünscht und nie bekommen hatte. Ein Traum. Zu schön, um wahr zu sein.
“Ich weiß nicht, ob du mich täuscht. Ob du mich verzaubert hast und mich letztlich auch verletzt, wie all die Männer vor dir. Es ist vermutlich unfair dir gegenüber, aber man quälte mich, seit ich denken konnte. Ich kenne nichts anderes. Es geht mir zu schnell ... verstehst du das? Ich habe das Gefühl, dich schon ewig zu kennen und das ist nicht normal.” Wobei, was ist schon normal bei einem Gott?
“Ich würde dich nie verletzen!”, sprach er schockiert und umfasste mein Kinn, sodass ich ihn ansehen musste. Ich konnte zwar sein Entsetzen spüren, aber das war auch nur wieder dieser Zauber. Ich seufzte. “Würde das nicht jeder behaupten?” Ja. Wie viele Meister hatten auf diese Weise versucht, meinen Willen zu brechen? Zu viele.
“Verstehe. Du zweifelst ernsthaft an meinen Worten ...”, murmelte er nachdenklich und streichelte sanft über meine Wange. “Dann möchtest du vielleicht, dass ich um dich werbe? Dir den Hof mache? Das kenn ich!” Er lächelte liebevoll. “Ich soll dein Herz gewinnen, ja? Gut. Dann soll das von nun an meine neue Aufgabe sein.” Verwirrt hob ich eine Augenbraue. “Neue Aufgabe?” “Ja! Ein Ziel für mein Leben, so machen Menschen das doch? Ich werde dir beweisen, dass ich der Richtige für dich bin. Dass du zu mir gehörst, wie ich zu dir. Dass ich dich liebe. Liebe, ganz ohne Schmerz und Zurückweisung.” Er drückte mich fester an seine Brust. Ich wehrte mich nicht dagegen – wie könnte ich auch? Noch nie wollte jemand um meine Zuneigung kämpfen.
“Zerian? Wir ... sollten langsam wirklich nach etwas Brauchbarem suchen und ... dann hier verschwinden ...”, sagte ich leise und schälte mich behutsam aus seinen Armen. “O, natürlich. Wie ihr wünscht, werte Dame.” Er machte ein Schritt zurück und verneigte sich mit einer Hand auf der Brust. Ich sah ihn verwundert an. Das war so absurd, wie er da stand. Diese Geste. Als wäre er ein Adliger auf einem Ball und würde sich vor seiner Auserwählten präsentieren.
“Zu förmlich?”, fragte er verunsichert, als sich unsere Blicke trafen. Ich nickte und schenkte ihm anschließend ein Lächeln. Kein Adliger würde sich je nackt und dazu auch noch in einem Trümmerfeld so aufführen.
“Verstehe. Gut. Dann gleich noch eine Frage. Wo ist dein Zuhause? Also wo möchtest du hin? Ich habe dich nur auf dem Anwesen des Grafen Van Rotterval gesehen. Aber. Dezeria hatte mir auch schon gezürnt, als ich sie zurückbringen wollte. Ich will bei dir nicht denselben Fehler machen.” “Mein Zuhause?” Ich grübelte. “Ich habe eigentlich keins.” Mein Blick schweifte über die Absturzstelle. “Ich dachte, ich könnte vorerst bei Reznick bleiben. Aber, darüber können wir uns später noch genügend Gedanken machen. Heka sagte doch was von einer Stunde ... Davon haben wir bestimmt schon die meiste Zeit vertrödelt. Wir sollten hier fertig werden, bevor noch irgendwelche Wachen auftauchen”, sagte ich und sah mich um. Wirklich was Nützliches ließ sich jedoch nicht erkennen. Ich bezweifelte zudem stark, dass bei dieser Zerstörung überhaupt etwas ganz geblieben war.
“Ich spüre noch keine Menschen in der Nähe”, sprach Zerian gelassen und trat neben mich. “Und hier drunter sind einige Stoffe.” Er legte eine Hand auf das große Metallstück vor uns. Meine Augen wurden groß. Das massive weiße Teil schob sich plötzlich aus dem Boden. Wasser floss drumherum und schleuderte es anschließend davon, als wöge es nichts. Unheimlich.
“Du brauchst keine Angst vor dem Wasser zu haben”, sprach er sanft und berührte mich an der Schulter. Es dauerte dennoch, bis sich meine Starre löste. “Ja ...”, murmelte ich und warf einen Blick in das Loch. Bei dem hellen Licht des Mondes konnte ich tatsächlich etwas Stoffartiges ausmachen. Jedoch. “Das ist nichts zum Anziehen. Vermutlich die Überreste eines Sofas oder was vom Bett. Woher wusstest du das überhaupt und auch das mit den Wachen?” “Alles, was das Wasser berührt, kann ich auch wahrnehmen. Da drüben”, er deutete mit dem Arm auf eine Stelle weiter links von uns, “ist auch noch etwas Größeres aus Stoff begraben.” Okay, das war sonderlich, aber auch überaus praktisch.
“Gut, dann versuchen wir es da mal.” Kaum gesagt, strahlte blendendes Licht vom Himmel. “Ah!” Ich kniff sofort die Augen zusammen. Es schmerzte. “Was ist das?”, fragte ich weiter und versuchte verzweifelt, mich mit den Händen vor diesem intensiven Weiß zu schützen. Zerian zog mich in seine Arme. Schnell vergrub ich das Gesicht an seine Brust.
“Ein Schiff der Adligen. Nein. Drei sogar”, sagte er, was mich umgehend versteifen ließ. “Was?! Wir müssen sofort hier weg!” “Wie du willst. Soll ich dich tragen?” Er wartete meine Antwort gar nicht erst ab, sondern hob mich einfach hoch. “Warte! Was ist mir Reznick und Heka? Lass mich wieder runter, wir müssen sie noch holen!” Ich zappelte, woraufhin er mich wieder absetzte. Mit halb zugekniffenen Augen versuchte ich etwas zu erkennen. Es war so verflucht hell. Unerträglich.
“Wo geht’s lang? Wo war noch gleich der Eingang nach unten?” “Hier.” Zerian nahm meine Hand und führte mich zur besagten Stelle. “Reznick!”, rief ich in das Loch und folgte Zerian vorsichtig in die Tiefe. Die Helligkeit war hier deutlich angenehmer, sodass ich wieder halbwegs normal sehen konnte.
“Reznick! Draußen sind–” “Brüll hier nicht so rum. Ich bin nicht taub”, sprach er und kam hinter einem Trümmerteil hervor. Er sah alles andere als gut aus. Hinkte. Sein Gesicht und der Oberkörper waren blutverschmiert. Mit einer Hand hielt er sich den Kopf. Der andere Arm hing leblos herunter.
“Bei den Göttern! Du siehst furchtbar aus ...” Ich eilte zu ihm, um ihn zu stützen. “Wo ist Heka?” “Sie ist ... abgespeichert in meiner Teck.” “Wow, sowas geht?”, fragte ich überrascht. Ich besaß zwar etliche Informationen über KIs, aber davon wusste ich nichts.
“Scheinbar ...”, murmelte er und hustete kurz darauf. Sein Zustand bereitete mir große Sorgen. Er sah aus, als würde er gleich zusammenbrechen. Zittrig. Blass. Lang hielt er sich sicherlich nicht mehr auf den Beinen oder bei Bewusstsein.
“Zerian, kannst du ihn tragen?”, fragte ich, aber da stieß Reznick mich schon von sich. Wankte bedrohlich. “Soweit kommts noch. Was soll das überhaupt bezwecken? Wollt ihr vor den Schiffen davon laufen? Erwähnte ich nicht, dass die Geschütze uns mit Leichtigkeit töten?”, fragte er spöttisch und musterte anschließend Zerian abschätzig.
“Und? Was gedenkt der Mondgott mit seinem Wasser jetzt zu tun? Wirst du kämpfen? Kannst du das überhaupt?” “Gegen Menschen habe ich noch nie gekämpft.” “Ja, sowas dachte ich mir schon. Aber ...”, er deutete auf mich, “was ist, wenn deine Freundin verletzt wird? Wirst du dann nur dumm rumstehen und zuschauen?” Zerian sah unsicher zu mir und dann wieder zu Reznick. “Ihr wird nichts passieren. Ich beschütze sie.” “Mit anderen Worten, dein Verhalten ist unberechenbar. Gut. In dem Fall. Tu mir mal einen Gefallen, ja?”, fragte Reznick und stellte sich dicht vor ihn. “Verhalte dich mal menschlich.” Gezielt schlug er Zerian im nächsten Moment mit der Handkante gegen den Hals. Dieser verdrehte die Augen und brach umgehend zusammen.
“Scheiße! Was hast du getan?!” Hastig hockte ich mich zu ihm und fühlte nach seinem Puls. “Und du. Bestehe einfach auf deinen Namen”, hörte ich Reznick und als ich meinen Kopf in seine Richtung drehte, erwischte mich ebenso ein Hieb.