❅Zerians Sicht❅
Ich überlegte. Hatte ich zu viel gesagt? Hatte ich sie mit diesen Worten geängstigt? Hätte ich doch lieber länger darüber nachdenken sollen? Aber ... Ich wollte es ausprobieren – wollte frei heraus sprechen. Hatte ich es aber nun doch falsch gemacht? Ich wusste es nicht. Dezeria sah jedenfalls überrascht, verwirrt und dann besorgt aus – starrte mich regelrecht an. Wartete sie auf etwas? Hatte ich etwas vergessen zu sagen? Nein, oder? Es hatte sich jedenfalls gut angefühlt, so zu sprechen. Ich hatte versucht, das, was ich in mir spürte, in die passendsten Worte zu fassen. Ich wollte bei ihr bleiben. Ja, dieser Entschluss war richtig – mein Körper sagte es mir. Ich wollte nicht alleine sein – wollte nicht länger kaputt sein.
Dezeria sah noch immer so durcheinander aus, aber vielleicht dachte sie auch nur über meine Worte nach. Genau. So musste es sein. Hoffentlich erlaubte sie, dass ich bei ihr bleiben durfte. Nur das ergab für mich noch einen Sinn. Ich war guter Dinge, schließlich hatte sie mich schon umarmt und das machten Menschen eigentlich nur dann, wenn sie den Anderen mochten. Was mich da noch auf eine Idee brachte. Ich umfasste vorsichtig ihre Schultern und dann drückte ich behutsam meine Lippen auf ihre. Ich hatte viele Menschen sich küssen sehen und das war immer etwas Schönes. Etwas, was nur diejenigen machten, die zusammen waren. Genau! Und ich wollte mit dir zusammen sein Dezeria, bitte, du darfst mich nicht alleine lassen, wie alle anderen zuvor.
Ich blickte in ihre geweiteten Augen, während wir uns küssten und kurz überlegte ich, meine zu schließen. Viele taten es, daher wollte ich es auch ausprobieren, aber ich kam nicht mehr dazu. Sie drückte mich von sich und ihre Gesichtszüge zeigten Unverständnis sowie Zorn.
“Wieso hast du das gemacht?!”, fragte sie deutlich verärgert, was mich verwirrte. “Du hast mich umarmt und gerade haben wir uns geküsst, also darf ich jetzt bei dir bleiben”, sagte ich, denn das war die logische Schlussfolgerung daraus. “Du hast das nur gemacht, damit du bei mir bleiben darfst?” Nun klang sie nicht mehr wütend, sondern verwirrt. Sie raufte sich sogar die Haare und trat ein-zwei Schritte von mir zurück.
“O Gott, Zerian!”, sprach sie und deutete mit einem Finger auf meine Nase. “Mach das nie wieder! Es gehört sich nicht, die Leute einfach so zu küssen. Menschen küssen sich nur, wenn sie einander lieben.” Nun wurde sie mit einem Mal deutlich rot im Gesicht. “Wage es bloß nicht, noch andere Dinge mit mir auszuprobieren!” Ich war irritiert. “Welche andere Dinge?” “Das werde ich dir jetzt gewiss nicht erklären. Frag das nächste Mal einfach vorher, ob du ... was machen darfst. Bei den Monden, wieso muss ich mit dir über sowas reden?” Das Letzte sagte sie nicht mehr so wirklich an mich gewandt – glaubte ich zumindest. Sie drehte sich von mir weg und ging ein paar Schritte hin und her.
“Hab ich es falsch gemacht? Was muss ich machen, damit du mich liebst? Dann kann ich bei dir bleiben, oder?”, fragte ich unsicher und wartete neugierig auf ihre Antwort. Egal, was ich machen musste, ich würde es schaffen! “So funktioniert das nicht”, seufzte sie und drehte sich mit einem leichten Lächeln zu mir. “Du kannst bei mir bleiben, auch wenn wir uns nicht lieben. Das Eine hat nichts mit dem Anderen zu tun. Oder willst du etwas behaupten, du liebst mich?” “Wenn Liebe bedeutet, dass ich bei dir bleiben kann, dann ja”, sagte ich, aber sie schüttelte nur den Kopf. “Wenn du verliebt bist, dann spürst du es ... Liebe lässt sich schwer erklären und sowas kann ich dir auch nicht beibringen, es kommt halt mit der Zeit. Mama hat es mir auch so gesagt, also musst du nun auch, so wie ich, deinen eigenen Weg finden.”
Ich überlegte. Elisabeth hatte mir auch davon erzählt, als sie verliebt war – wie sie Robert kennenlernte. Er selbst glaubte zwar nicht an den Mond oder das Wasser, aber er machte sie glücklich und das gefiel mir. Ich hatte Liebe immer für etwas gehalten, was die Menschen zusammenhielt. So wie Umarmen und Küssen, aber es sollte mehr noch bedeuten? Man konnte es spüren? Ich spürte ja etwas, also musste das doch Liebe sein, oder etwa nicht? Ich war verwirrt.
“Ich spüre etwas in meinem Körper, also liebe ich dich”, sagte ich schließlich und versuchte ebenso zu lächeln, wie sie es tat. “Man kann keinen zwingen einen zu lieben und ich bezweifle– Hey!” Ich schnappte mir einfach ihre Hand und hielt sie auf meinen Bauch. “Hier, fühlst du es auch?”, fragte ich und sofort musste sie lachen. “Dein Magen knurrt! Du hast Hunger.” Ah, genau! Ich musste jetzt trinken, dann musste ich sicherlich auch essen. Jetzt hatte ich wieder was gelernt. Meine trockene Kehle hatte mich in der Nacht fast wahnsinnig gemacht, ehe ich endlich auf das mit dem Trinken gekommen war.
“Ich habe auch schrecklichen Hunger, wir sollten zusehen, dass wir was zu essen finden. Aber ... ich kenn mich hier überhaupt nicht aus und auch zum Jagen ... Wir haben keinerlei Waffen dafür. Hätte ich doch nur die Tasche noch ...”, murrte sie zuletzt und spähte in die Ferne. “Ich wüsste nicht einmal, in welche Richtung die nächste Stadt liegt.”
“Ich weiß es”, sprach ich fröhlich, denn endlich war ich mal zu etwas nützlich. “Dort”, ich deutete zu einem Hügel, “liegt Rotterval, wo du ja nicht mehr hin willst. Dann haben wir da”, ich zeigte auf die Stelle, wo die Sonne aufgegangen war, ”die Feuerstadt Kazarin, welche ich nicht so gerne mag. Zu viel Wüste und ist auch sehr weit weg. Daneben befindet sich gleich Valahanig. Es ist eine Stadt in den Bergen, ist sehr kalt da oben. Hinter uns liegt Halvigaw, welche am dichtesten von hier aus ist. Und in dieser Richtung”, ich zeigte über die Moorfelder, ”befindet sich Mewasinas, die Stadt des Wassers. Die Menschen dort sind aber seltsam.” “Seltsam?”, echote sie und sah mich fragend an. “Ja. Sie haben so viel Wasser, aber keiner mag es. Ich fand es immer ... nun ja, seltsam eben.”
Dezeria lachte plötzlich, was mich verwirrt innehalten ließ. Hatte ich etwas lustiges gesagt? Oder mich mit den Orten vertan? Nein, ausgeschlossen. Ich kannte mich auf dieser Welt sehr gut aus. Es gab sogar noch viel mehr Gegenden, an denen Menschen lebten, aber diese wären für uns zu gefährlich. Ich wusste von einigen Bauten, die nicht mit Steinen umringt waren, sondern mit Licht. Ich hatte Tiere oder auch Menschen gesehen, die sobald sie zu nahe gekommen waren, starben – verbrannten. Keiner dieser Städte durften wir zu nahe kommen und einige der von mir Genannten waren auch schon ziemlich weit weg, vor allem wenn wir nun zu Fuß gehen mussten. Gehen ... da vermisste ich zweifelsohne meine vorherige flüssige Gestalt.
“Du findest die Menschen seltsam, weil sie nicht zu dir beteten oder an dich glaubten? Du bist wirklich komisch”, sprach Dezeria kichernd und sah grinsend zu mir. “Ich habe ebenso nicht an dich geglaubt, findest du mich deswegen auch seltsam? Hast du als Gott, vielleicht auch welche bestraft, weil sie dich nicht mochten?” Ich überlegte besorgt. Sie sagte dies zwar amüsiert, aber ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Hatte ich die Menschen unwissentlich bestraft? Hatte ich? Sie selbst sprach von einer Strafe und einem Fluch, wegen dem Eis. Auch schimpften viele über den Regen oder die Kälte, welche ich hin und wieder brachte. Meine Namen wurden ebenso oft als negative Äußerung oder als Beleidigung verwendet. Man tötete sogar jene, die zu mir beteten ... Meinte sie dies? Aber, ich hatte doch nie gewollt, dass sich Menschen durch mich oder wegen mir verletzten ... Es war nie mein Wunsch gewesen, dass jemand auf meinem Eis ausrutschte oder im Wasser ertrank. Immer wenn ich anwesend war und alles beobachtete, hatte ich sowas verhindert. War ich aber dennoch diese Strafe, weil sowas durch mich erst möglich war?
Das mit dem Glauben wiederum ... Ich war nie jemandem böse gewesen. Ich war nur traurig und einsam. Ich hatte Dezeria als kleines Kind immer gerne beobachtet und es gemocht, wenn Elisabeth ihr Geschichten am Wasser erzählte. Ich war aber nicht enttäuscht, dass sie es als Märchen auffasste, warum auch? Sollte ich dies vielleicht sagen? Nein. Ihre Mutter zu erwähnen würde sie nur wieder traurig machen ... Ich konnte auch mein Unbehagen für diese Stadt nicht wirklich in Worte fassen, also zog ich es besser vor, zu schweigen.
“Tut mir leid, falls ich gerade respektlos war”, sprach sie leise und sah mich entschuldigend an. Das verwirrte mich noch mehr. Hatte ich jetzt was falsch gemacht? Warum entschuldigte sie sich? Fühlte sie sich jetzt meinetwegen schlecht? Was, wenn sie mich doch zurücklassen wollte? Unwillkürlich wurde ich immer unruhiger, was sofort Wolken über uns herbeirief. Ich blickte in den Himmel und schloss die Augen. Konzentrierte mich. Ich durfte keine Zweifel haben ...
“Zerian? Ich wollte nur einen kleinen Spaß machen, entschuldige ...”, hörte ich sie leise an meiner Seite sprechen, aber noch war ich zu aufgewühlt. Es dauerte noch eine Weile, bis ich die Sonne wieder deutlich in meinem Gesicht spüren konnte und mich traute, meine Lider zu öffnen.
“Ich weiß nicht, wie ich auf deine Worte antworten soll. Ich möchte nichts Falsches sagen”, gab ich ihr dann zurück, was ihren Blick weich werden ließ. “Du sagst nichts Falsches und selbst wenn, das ist nicht schlimm. Menschen machen nun mal Fehler, wie du es so schön sagst. Ich wollte eigentlich nur einen kleinen Spaß machen und habe es dabei völlig versaut. Es tut mir leid, aber einen Kuss bekommst du nicht dafür – höchstens eine Umarmung ... wenn du möchtest.”
Ich nickte und dann umarmte sie mich auch schon. Das fühlte sich so unbeschreiblich – so richtig an. “Ich darf also bei dir bleiben?”, fragte ich immer noch etwas verunsichert und schlang meine Arme ebenso um ihren Rücken, damit ich sie fester noch an mich drücken konnte. Ich mochte das einfach.
“Ja, du kannst bei mir bleiben”, sprach sie und löste einen Moment später leider unser Zusammensein. “Und jetzt schau nicht mehr so traurig.” Ich hielt inne ... traurig? “Aber das macht mich nicht traurig. Ich mag es, sehr sogar!” “Gott, Zerian, das meinte ich damit nicht”, sagte sie zwar frustriert, lächelte aber dennoch. Das verwirrte mich genauso. “Mach dir nicht so viel Gedanken, ja? Es ist alles in Ordnung, na ja ... Wenn wir mal von unserem Hunger absehen. Oder Kleidung für dich ... Wir sollten jetzt wirklich los”, sprach sie das Letzte sehr besorgt klingend und ließ ihren Blick langsam über das Moor schweifen. “Du sagtest, dort liegt Mewasinas?” “Ja, auf der anderen Seite, es ist ein gutes Stück. Halvigaw ist viel näher.” “Das ist egal, lass es uns bei deiner Wasserstadt versuchen. Reznick sagte, dort wäre es sicherer für mich, aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich wollte ja ursprünglich schon nach Halvigaw, aber ... Ach vergiss, was ich sagen wollte.”
Ich sah sie fragend an und überlegte kurz, welche der beiden Städte wohl richtig wäre, aber was wusste ich schon darüber? Ich richtete mich da besser nach ihr – sah ihr zu, wie sie vorsichtig einen Schritt nach dem anderen über die trügerische Graslandschaft setzte. Sie hatte offensichtlich immer noch Angst zu versinken, aber das brauchte sie nicht.
“Benutz dein Eis. Damit kannst du einen Weg für uns machen”, sagte ich zuversichtlich, wodurch sie sich prompt zu mir umdrehte. “Du hast leicht reden, ich weiß doch gar nicht ... wie. Was muss ich denn machen? Also wie benutze ich deine Magie?” Ich überlegte. Vielleicht funktionierte es bei ihr ja so wie bei mir. “Ich weiß es nicht genau, aber stell dir doch fürs Erste einfach einen Boden aus Eis vor. Also du musst es vor dir sehen können.” “U-und was, wenn ich dich verletze?” “Verletzen? Willst du das denn?” “Nein! Natürlich nicht!” Ich lächelte. “Dann wird mir auch nichts passieren, versuch es einfach”, sprach ich ruhig und ergriff eine ihrer zitternden Hände. “Du musst dich nur auf den Boden konzentrieren. Wie er kalt wird – wie sich Eis darauf bildet.” “I-ich will es versuchen”, sprach sie leise und drückte fest meine Hand. Sie ließ diese auch nicht los, als sie sich herumdrehte und den anderen Arm nach vorne streckte. “O ... Bitte ... Bitte”, hörte ich sie ganz leise flüstern und dann ... war alles weiß.